BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18066 21. Wahlperiode 23.08.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 15.08.19 und Antwort des Senats Betr.: Erklärungen nach Paragraf 45b Personenstandsgesetz – Was weiß der Senat über Missstände in Hamburgs Standesämtern? Seit dem 01. Januar 2019 ist das novellierte Personenstandsgesetz (PstG) in Kraft. Es bietet nach § 45 b die Möglichkeit der Änderung des Personenstandes in divers, männlich oder weiblich oder das Offenlassen des Personenstandes und die Änderung des Vornamens unter der Voraussetzung, dass eine Erklärung und ein ärztliches Attest vorgelegt werden, die beziehungsweise das eine Variante der Geschlechtsentwicklung bescheinigt. Eine Diagnose muss jedoch nicht angegeben werden. In Drs. 21/17821 wurde unter anderem nachgefragt, wie häufig Personen bei den Standesämtern mitgeteilt wurde, dass ihre Erklärungen nach § 45b voraussichtlich nicht anerkannt würden, ohne dass ein rechtsmittelwirksamer Bescheid ausgestellt worden sei und wie häufig eine weiteres ärztliches Attest vorzulegen sei (zum Beispiel andere ärztliche Fachrichtung oder mit Nennung einer Diagnose). Der Senat antwortete, dass diese Angaben statistisch nicht erfasst würden und man außerdem nur die gesetzlich vorgesehenen Unterlagen verlangen würde und sich bei der Bewertung an dem Rundschreiben des Bundesinnenministeriums vom 10.04.2019 orientieren würde. Es gibt Hinweise darauf, dass Standesämter eben nicht gesetzeskonform agieren und Bürger/-innen entmutigen, Erklärungen nach § 45b abzugeben, auch wenn sie ein ärztliches Attest haben und damit weit über das Schreiben des BMI hinausgehen, was die Prüfung von Attesten angeht. Auch wenn diese Missstände nicht statistisch auswertbar erfasst werden, so ist es für den Senat dennoch dringend geboten, diesen Missständen nachzugehen und seiner Aufsichtspflicht nachzukommen. „die tageszeitung nord“ veröffentlichte am 05.08.2019 ein Interview mit einer Person, die in Hamburg eine Erklärung nach § 45b abgeben wollte, um den Personenstand streichen zu lassen. In dem Interview heißt es: „Obwohl mein Arzt, so wie verlangt, approbiert ist, hieß es vom Standesamt, ich bräuchte ein Attest von einer_m Internist_in oder Gynäkolog_in. (…) Als ich dann das zweite Attest hatte, sagte mir der Standesbeamte, er würde nur ein Attest akzeptieren, in dem genau drinsteht, wie sich die Variante der Geschlechtsentwicklung bei mir äußert.“ Die von der „tageszeitung nord“ interviewte Person ließ sich durch diese Mitteilungen nicht entmutigen, gab die Erklärung inklusive Attest ab und kündig- Drucksache 21/18066 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 te an, sich gegebenenfalls rechtlich gegen eine Ablehnung wehren zu wollen. Die Personenstandsänderung wurde letztendlich akzeptiert. Bürger-/-innenrechte sind jedoch nicht nur für Menschen da, die sich nichts gefallen lassen und die über genügend Standhaftigkeit, Mut und Bildung verfügen . Und genau deshalb ist das im Interview geschilderte Verhalten des Standesamtes skandalös und der Senat sollte in den Standesämtern nachfragen , statt ausschließlich statistisch auswertbare Daten heranzuziehen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat ist gehalten, Parlamentarische Anfragen, soweit möglich, auf Basis nachvollziehbarer , valider Fakten zu beantworten. Mitarbeiterbefragungen ergeben regelmäßig kein belastbares Ergebnis, da schon aufgrund von Abwesenheiten kein vollständiges Bild zu erreichen ist. Im Übrigen ist es Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, Bürgerinnen und Bürger gegebenenfalls hinsichtlich ihrer Anliegen zu beraten und dabei auch auf gesetzliche Voraussetzungen hinzuweisen. Ob die Bürgerinnen und Bürger dieser Beratung folgen, obliegt dann selbstverständlich ihrer persönlichen Entscheidung. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Sind den Mitarbeitenden der Standesämter Fälle erinnerlich, wo Menschen kommuniziert wurde, dass ihre Erklärung nach § 45b keine Aussicht auf Erfolg haben würde, ohne dass ein rechtsmittelfähiger Bescheid ausgestellt wurde? 2. An wie viele Fälle können sich die Mitarbeitenden erinnern (gegebenenfalls Anzahl schätzen)? Bitte aufschlüsseln nach Standesamt. In den Standesämtern Altona und Wandsbek können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an jeweils einen Fall erinnern, in dem nach Beratung kein Antrag gestellt wurde. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der übrigen Standesämter können sich an keine Fälle erinnern. Bei dem Fall in Wandsbek erfolgte dabei der Hinweis, dass eine Erklärung nach § 45 PStG keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Ein rechtmittelfähiger Bescheid wurde hierzu nicht erlassen. 3. Sind den Mitarbeitenden Fälle, ähnlich dem im „tageszeitung“-Interview beschriebenen Fall, erinnerlich, wo Menschen mitgeteilt wurde, dass Atteste von anderen fachärztlichen Richtungen vorgelegt werden sollen, dass Atteste Diagnosen enthalten sollten oder weitere Angaben gefordert wurden, die über „Variante der Geschlechtsentwicklung“ hinausgehen ? Falls ja, was ist den Mitarbeitenden erinnerlich? Bitte ausführen! Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Standesämter sind keine Fälle bekannt. 4. Sind den Mitarbeitenden Fälle bekannt, wo Menschen kommuniziert wurde, dass sie aufgrund einer nicht deutschen Staatsangehörigkeit keine Erklärung nach § 45b abgeben könnten beziehungsweise dass diese Erklärungen voraussichtlich nicht anerkannt würden? Falls ja, was ist den Mitarbeitenden erinnerlich? Bitte ausführen! Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Standesämter sind keine Fälle bekannt. 5. Welche Erkenntnisse hat der Senat darüber, dass Standesämter von Menschen, die eine Erklärung nach § 45b abgeben wollten, Atteste von anderen fachärztlichen Richtungen gefordert haben, dass Angaben zur Diagnose gefordert wurden, dass Angaben anders als „Variante der Geschlechtsentwicklung“ gefordert wurden oder dass die betreffenden Menschen explizit nach ihrer Diagnose gefragt wurden? Bitte ausführen! Dem Senat liegen keine dahingehenden Erkenntnisse vor. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18066 3 6. In Drs. 21/17821 antwortet der Senat bei Frage 8., dass seit dem 01.01.2019 bei zwei Personen die Personenstandsänderung mit einem rechtsmittelfähigen Bescheid abgelehnt worden sei, weil bei diesen Personen das Transsexuellengesetz zur Anwendung komme. Aufgrund welcher Angaben oder Dokumente oder Tatsachen wurde den beiden Standesämtern bekannt, dass bei diesen Personen das Transsexuellengesetz zur Anwendung kommt? Das Standesamt Hamburg-Nord macht zu dem vorliegenden Fall folgende Angaben: Die Erklärung nach § 45b PStG war von einem nordrhein-westfälischen Standesamt aufgenommen und dem Standesamt Hamburg-Nord zuständigkeitshalber mit einem Anschreiben zugesandt worden. Darin teilte das übersendende Standesamt mit, dass die erklärende Person selbst auf ein laufendes Verfahren nach dem Transsexuellengesetz (TSG) verwiesen habe. Dieses bis zum rechtskräftigen Urteil weiterzuführen, sei ihr aber deutlich zu teuer. Ferner würde sie, die erklärende Person, keine Bescheinigung eines Allgemeinmediziners oder Facharztes erhalten können, weil sie klar dem weiblichen Geschlecht zugehörig sei. Die vorgelegte Bescheinigung eines Psychologen reichte nach § 45 b Absatz 3 PStG nicht aus. In Übereinstimmung mit den Hinweisen des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, vom 10.04.2019 ( Az.: VII1-20103/27#17) musste sich das Standesamt Hamburg-Nord der Auffassung des nordrhein-westfälischen Standesamtes anschließen , dass die erklärende Person nicht zum in § 45 b PStG genannten Personenkreis gehöre und lehnte die beantragte Eintragung des Wechsels der Geschlechtszugehörigkeit von weiblich in männlich sowie die Änderung ihres weiblichen in männliche Vornamen in ihren Geburtseintrag ab. Das Standesamt Altona macht zu dem vorliegenden Fall folgende Angaben: In Übereinstimmung mit den Hinweisen des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, vom 10.04.2019 (Az.: VII1-20103/27#17) musste das Standesamt Hamburg -Altona den Antrag ablehnen, da die erklärende Person durch die Vorlage eines psychologischen Attestes (keines ärztlichen) nicht zum in § 45 b PStG genannten Personenkreis gehöre und lehnte die beantragte Erklärung des Wechsels der Geschlechtszugehörigkeit von männlich in weiblich sowie die Änderung des Vornamens ab.