BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18190 21. Wahlperiode 06.09.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 29.08.19 und Antwort des Senats Betr.: Pflegeabzocke – Leichtes Spiel für kriminelle Pflegedienste in Hamburg ? Nach einem Beitrag in der Sendung plusminus vom 14.08.2019 kommt es zu massenhaften Betrugsfällen in der Pflege durch ambulante Pflegedienste. Dabei nutzen diese kriminellen Pflegedienste das intransparente Abrechnungssystem und die Hilflosigkeit vieler Pflegebedürftiger aus, um falsche Abrechnungen an die Kranken- und Pflegekassen zu stellen und so die Versicherten um ihr Geld zu betrügen. Allein in Hamburg bezogen im Jahr 2017 63 100 Pflegebedürftige Leistungen der Pflegeversicherungen.1 Deutschlandweit sind es 3,41 Millionen Pflegebedürftige 2 für deren Pflege im Jahr 2017 laut dem Beitrag 37 Milliarden Euro ausgegeben wurden, wovon nach der Schätzung der Ermittler circa 1,1 Milliarden Euro durch Abrechnungsbetrug erwirtschaftet worden sind. Häufig wird von den unseriösen Pflegediensten die Hilflosigkeit von Pflegebedürftigen , die an Krankheiten wie zum Beispiel Demenz leiden, ausgenutzt. Ein leichtes Spiel haben diese Pflegedienste auch, wenn es an einem unterstützenden Umfeld von Angehörigen fehlt, so die Erste Staatsanwältin Dorothea Röhl, die die Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Lübeck leitet. Erschreckend niedrig ist zudem die Aufklärungsquote, die zwischen einem und zwei Prozent liegt. Dies wird dadurch begünstigt, dass noch nicht alle Bundesländer Schwerpunktstaatsanwaltschaften beziehungsweise -abteilungen eingerichtet haben, in denen spezialisierte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die Abrechnungsbetrugsfälle bearbeiten. In diesem Bereich der Kriminalität sind aber aufgrund der hochkomplexen Materie bei den Ermittlern sowie Staatsanwälten Spezialkenntnisse erforderlich. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat zum 1. Januar 2019 die Abteilung 35 in der Hauptabteilung III (im Folgenden HA III) eingerichtet, die insbesondere für alle Fälle des Abrechnungsbetruges im medizinischen Bereich und damit auch für Betrugsfälle durch Pflegedienste ausschließlich zuständig ist. Durch diese Schwerpunktsetzung 1 Pressemitteilung des Statistischen Amts für Hamburg und Schleswig-Holstein vom 30.11.2018 (https://www.statistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/Presseinformationen/ SI18_179.pdf, zuletzt abgerufen am 21.08.2019). 2 Pressemitteilung des Statistischen Bundesamt vom 18.12.2018 (https://www.destatis.de/DE/ Presse/Pressemitteilungen/2018/12/PD18_501_224.html, zuletzt abgerufen am 21.08.2019). Drucksache 21/18190 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 wird sichergestellt, dass die Staatsanwaltschaft auch in diesem Bereich besonders gut aufgestellt ist und die Verfahren zügig bearbeitet werden können. Die Abteilung besteht aus einem Abteilungsleiter, dessen Vertreter, sowie drei weiteren Dezernentinnen und Dezernenten, die jeweils in Vollzeit tätig sind. Neben den Fällen des Abrechnungsbetrugs bearbeitet die Abteilung auch besonders zugewiesene Verfahren , bei denen es sich überwiegend um komplexe Verfahren aus dem Bereich der Vermögensdelikte handelt sowie Verfahren gegen psychisch kranke Straftäter, in denen eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 Strafgesetzbuch (StGB) in Betracht kommt. Es ist nicht feststellbar, mit welchem Arbeitszeitanteil die Dezernentinnen und Dezernenten sich mit Verfahren gegen Pflegedienste befassen, zumal dies variabel ist und von den Eingangszahlen in den entsprechenden Bereichen sowie den jeweiligen Verfahrensständen abhängt. Bereits zuvor gab es Sonderdezernate für die Fälle des Abrechnungsbetrugs, die jedoch nicht in einer Abteilung gebündelt waren. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Welche Erkenntnisse liegen den zuständigen Behörden über Art und Ausmaß von Betrugsfällen in der Pflege durch ambulante Pflegedienste in Hamburg vor? Das Aufkommen der Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrugs gegen Pflegedienste hat in den letzten circa drei Jahren deutlich zugenommen. Die Anzeigen erfolgen zum Teil durch die Krankenkassen, zum Teil durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflegedienstes selbst oder durch Patientinnen und Patienten. Der Schadensumfang variiert stark und reicht von wenigen 100 Euro bis in den sechsstelligen Bereich. Überwiegend stehen kleinere bis mittlere Pflegedienste im Verdacht. Bisher waren verschiedene Erscheinungsformen des Abrechnungsbetruges Gegenstand der Ermittlungen: - Abrechnung von Leistungen gegenüber den Pflegekassen, die nicht oder nicht in vollem Umfang erbracht wurden. In Einzelfällen besteht hierbei der Verdacht, dass die pflegebedürftige Person eine Rückvergütung für nicht erbrachte Leistungen vom jeweiligen Pflegedienst erhielt. - Fälle, in denen der Pflegedienst Leistungen abrechnet, die nur durch entsprechend geschultes Personal durchgeführt werden dürfen, welches tatsächlich aber nicht eingesetzt wurde. - Verstöße gegen Vorgaben aus den zwischen den Pflegediensten und den Krankenkassen abgeschlossenen Verträgen (zum Beispiel hinsichtlich des Abzeichnens der Pflegeleistungen oder der Anzahl des erforderlichen Pflegepersonals). 2. Welche Abteilung des Landeskriminalamtes der Polizei Hamburg ist für die Bearbeitung von Betrugsfällen durch Pflegedienste zuständig? a. Wie viele Beamte sind dort für diese Fälle tätig? Beim Landeskriminalamt (LKA) ist das LKA 532 (Delikte im Gesundheitswesen) für die Sachbearbeitung im Sinne der Fragestellung zuständig. Neben dem Sachgebietsleiter sind dort neun Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in der Sachbearbeitung tätig. b. Gibt es aufgrund der hochkomplexen Materie spezielle Schulungen für diese Beamten? Falls ja, welche? Seit 2014 bietet die Akademie der Polizei in Zusammenarbeit mit dem LKA den fünftägigen Lehrgang „Wirtschaftskriminalität - Sondermodul Delikte im Gesundheitswesen “ für kriminalpolizeiliche Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter an, die im Bereich der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, hier insbesondere zur Ermittlung und Bekämpfung von Delikten im Gesundheitswesen, tätig sind. In diesem Lehrgang werden unter anderem auch die Themen Wohn- und Pflegeaufsicht, Pflegekasse, Prüfgruppe der Krankenkassen und Medizinischer Dienst der Krankenversicherungen (MDK) unterrichtet. Der Lehrgang wird mindestens einmal jährlich angeboten. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18190 3 Darüber hinaus nehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LKA 532 an Seminaren des überbetrieblichen Bildungsträgers der Betriebskrankenkassen (BKK Akademie GmbH) teil. Dabei stehen die Themen soziale Pflegeversicherung, vertragsärztliche Versorgung, Behandlungsfehler und Abrechnungsbetrug im Mittelpunkt. 3. Gibt es bei der Staatsanwaltschaft eine Schwerpunktabteilung, um die Betrugsfälle durch Pflegedienste aufzuklären? a. Wenn ja, wann wurde diese eingerichtet und wie viele Staatsanwälte (VZÄ) sind in dieser Abteilung tätig? b. Wenn nein, in welcher Abteilung der Staatsanwaltschaft werden Ermittlungsverfahren gegen Pflegedienste geführt und wie viele Dezernenten (VZÄ) sind hierfür zuständig? Siehe Vorbemerkung. 4. Wie viele Ermittlungsverfahren zu Abrechnungsbetrugsfällen durch Pflegedienste gab es im Zeitraum von 2015 bis 2019 in Hamburg? a. Wie viele von diesen Ermittlungsverfahren wurden durch Anklageerhebung beendet? b. Wie viele sind aus jeweils welchem Grund eingestellt worden? Bitte für die einzelnen Jahre getrennt darstellen. Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der bundeseinheitlichen Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Der Deliktsbereich „Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen“ wird in der PKS unter der Schlüsselzahl 518110 dargestellt, eine Erfassung des Merkmals „Pflegedienst“ im Sinne der Fragestellung erfolgt nicht. Darüber hinaus werden Statistiken im Sinne der Fragestellungen bei der Polizei nicht geführt. Zur Beantwortung wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums beim LKA 532 erforderlich. Die Auswertung von mehreren Tausend Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Auch im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg wird der Umstand nicht erfasst, ob Verfahren Abrechnungsbetrugsfälle durch Pflegedienste zugrunde liegen. Für die Beantwortung der Frage müssten daher sämtliche Ermittlungsakten der fünf Sonderdezernate der HA III der Jahrgänge 2015 bis 2018, in denen der Tatvorwurf § 263 StGB (Betrug) in MESTA notiert ist, beigezogen und ausgewertet werden. Dabei handelt es sich um Verfahren mindestens im vierstelligen Bereich. Über 200 weitere Verfahren mit diesem Tatvorwurf sind seit Februar 2019 in der neu geschaffenen Abteilung 35 der HA III erfasst. Die Beiziehung und händische Auswertung dieser Akten ist innerhalb der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.