BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18209 21. Wahlperiode 06.09.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider und Norbert Hackbusch (DIE LINKE) vom 30.08.19 und Antwort des Senats Betr.: Freikarten für St. Pauli, Freikarten für die Rolling Stones – Misst die Staatsanwaltschaft mit zweierlei Maß? Im Zusammenhang mit dem Rolling-Stones-Konzert im Stadtpark 2017 hat die Staatsanwaltschaft unter anderem Anklage gegen die ehemalige Staatsrätin B. wegen Vorteilsannahme und Verleitung eines Untergebenen erhoben , ebenso gegen die seinerzeit designierte Nachfolgerin des vormaligen Bezirksamtsleiters Herr R., Frau N. Frau B. hatte unter anderem für knapp 360 Euro pro Stück zwei Vorzugskarten für das Stones-Konzert gekauft, Frau N. hatte unter anderem zwei Freikarten im Wert von je knapp 340 Euro angenommen. Zur Sicherung von Beweismitteln war das Bezirksamt Nord zweimal durchsucht worden, zunächst im November 2018, dann im Mai 2019. Mit Stand Mai 2019 – ein neuerer Stand ist hier nicht bekannt – hatte die Staatsanwaltschaft in insgesamt sieben Fällen Anklage erhoben und einen Strafbefehl beantragt. 19 Verfahren waren eingestellt worden, zwölf davon gegen Geldauflagen . 24 Ermittlungsverfahren liefen im Mai 2019 noch. Anders verfährt die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Freikarten für den damaligen Bezirksamtsleiter und heutigen Innensenator Grote, den damaligen und heutigen Polizeipräsidenten Meyer und den damaligen Wirtschaftssenator Horch. Herr Grote soll einmal vier und zweimal zwei Karten im Wert von jeweils mehr als 200 Euro, insgesamt circa 1 700 Euro, Herr Meyer zweimal zwei Freikarten im Wert von über 850 Euro erhalten habe. Beide bestreiten den Erhalt der Freikarten bisher nicht und machen repräsentative Aufgaben und Dienstgespräche geltend. Dem Bericht von Panorama 3 zufolge, der tags darauf in weiteren Medien in der Sache bestätigt wurde, wurde in einem Gespräch in der Staatsanwaltschaft , an der der Generalstaatsanwalt teilnahm, beschlossen, dass kein Anfangsverdacht wegen Vorteilsnahme festgestellt werden könne. Das „Hamburger Abendblatt“ nennt unter Berufung auf Justizkreise als Grund dafür, dass „anders als bei der Rolling-Stones-Affäre um Freikarten im Bezirk Nord in diesem Fall weniger eindeutig gewesen sei, welche Personen wie viele Freikarten tatsächlich bekommen hätten“ (29.8.19). Die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH 1 StR 260/08) haben die Abgeordneten Gladiator und Seelmaecker bereits in ihrer Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 21/18165 (Freikarten über Freikarten – Was haben Bezirksamtsleitungen und der Polizeipräsident in der VIP-Loge des FC St. Pauli zu suchen?) zitiert. Danach nimmt nicht einmal bei Regierungs- Drucksache 21/18209 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 mitgliedern und auch nicht bei Staatssekretären die Wahrnehmung von Repräsentationsaufgaben der Inaussichtstellung von Freikarten den Vorteilscharakter . Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Siehe Drs. 21/18165. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt. 1. Neben repräsentativen Aufgaben wie „Wertschätzung und Unterstützung “, „Präsenz und Ansprechbarkeit“ und „allgemeine Kontaktpflege“ (zitiert nach „Hamburger Abendblatt“ vom 29.8.19) gibt der ehemalige Bezirksamtsleiter als Begründung für die Annahme der Freikarten den Austausch zu den damals „relevanten Themen“ an – unter anderem bauliche Entwicklung des Stadions, Realisierung der Stadionwache und Gründung eines FC St. Pauli-Museums. a. Inwiefern bietet die VIP-Loge des FC St. Pauli während eines Heimspiels gute oder sogar besonders gute Bedingungen für die Erörterung der genannten Themen? b. Fanden Gespräche zwischen Herrn Grote und dem Vorstand des FC St. Pauli zu diesen Themen ausschließlich während Heimspielen und in der VIP-Loge des FC St. Pauli statt? Wenn nein, wie viele Gespräche zu diesen Themen fanden im Zeitraum 2013 bis 2015 zwischen dem Bezirksamtsleiter und Vorstandsmitgliedern des FC St Pauli statt? Wenn sich die genaue Zahl nicht ermitteln lässt, bitte Größenordnung angeben. Wenn ja, fanden in den auf Einladung des FC St. Pauli-Vorstands besuchten Spielen im Zusammenhang mit den Themen bauliche Entwicklung des Stadions und Realisierung der Stadionwache Begehungen statt? c. Welche Personen haben den damaligen Bezirksamtsleiter begleitet? Handelt es sich um Privatpersonen, um Mitarbeiter/-innen des Bezirksamts und/oder um weitere Amtsträger/-innen? d. Haben die in einem Fall drei Begleitpersonen und in den anderen Fällen je eine Begleitperson des Bezirksamtsleiters an den Gesprächen teilgenommen? Wenn nein, warum wurden in einem Fall drei weitere, in den anderen beiden Fällen eine weitere Karte(n) in Anspruch genommen? Der Bezirksamtsleiter ist der durch den Senat berufene Leiter der Bezirksverwaltung und gleichzeitig der durch die Bezirksversammlung demokratisch gewählte oberste politische Repräsentant des Bezirkes. Er vertritt den Bezirk und die bezirklichen Interessen nach außen. Zu seinen Aufgaben gehört ausdrücklich die Pflege der Beziehungen zu zivilgesellschaftlichen Akteuren, Vereinen und Verbänden. Die Wahrnehmung dieser amtsbezogenen Aufgaben umfasst auch die Teilnahme an Veranstaltungen wichtiger gesellschaftlicher Institutionen und Organisationen im Bezirk. Der FC St. Pauli ist eine solche sportlich wie gesellschaftlich wichtige Institution im Bezirk Hamburg-Mitte. Die Repräsentation der Bezirksamtsleitung bei gesellschaftlichen Anlässen unterschiedlichster Art bringt es regelmäßig mit sich, dass auch ohne formale Formate allgemeine Themen aus dem bezirklichen Kontext oder auch spezifische Themen der jeweilig einladenden Institutionen angesprochen werden. Die Ansprechbarkeit der Bezirksamtsleitung auch außerhalb formaler Formate gehört hierbei zu den Aufgabenstellungen der Repräsentation der Bezirksämter nach außen. Dies gilt für den FC St. Pauli wie für andere Veranstalter und Institutionen gleichermaßen. Selbstverständ- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18209 3 lich fanden zu einzelnen konkreten Themen, wie zum Beispiel der Stadionwache auch Termine in den Räumen des Bezirksamtes statt. Da der betreffende Zeitraum bereits einige Jahre zurückliegt, lassen sich weitere Einzelheiten wie zum Beispiel die Zahl weiterer Gespräche oder wie viele Karten übersandt und wie viele gegebenenfalls in Anspruch genommen wurden mangels geeigneter Dokumentation nicht mehr rekonstruieren. 2. Der Polizeisprecher wird im „Hamburger Abendblatt“ in Bezug auf die zweimal zwei Tickets für den Polizeipräsidenten zitiert, dass dieser „neben der Repräsentation insbesondere auch (…) Arbeitstermine“ wahrgenommen habe. Dabei sei es um Themen wie die Sicherheitskonzeptionen , die damals aktuelle Fan-Gewalt-Entwicklung sowie die Stadionwache gegangen. a. Gab es im Zeitraum 2013 bis 2015 außerhalb der VIP-Loge Gespräche zwischen der Polizei und dem Club über Sicherheitskonzeptionen , die damals aktuelle Fan-Gewalt-Entwicklung sowie die Stadionwache? Wenn ja, in welchem Rahmen, mit welchen Beteiligten seitens der Polizei (Funktionen) und wie oft? Wenn sich die genaue Zahl der Gespräche nicht ermitteln lässt, bitte Größenordnung angeben. Warum wurden darüber hinaus Gespräche zwischen dem Polizeipräsidenten und der Club-Führung notwendig? Welche Fragen, die anders nicht geklärt werden konnten, wurden bei Gelegenheit der Einladung geklärt? Wenn nein, warum nicht? b. Welche Repräsentationsaufgaben nimmt ein Polizeipräsident bei Fußballspielen wahr? c. Hat die Begleitung des Polizeipräsidenten an den Gesprächen teilgenommen ? Wenn nein, warum wurde in beiden Fällen eine weitere Karte in Anspruch genommen? Der Polizeipräsident repräsentiert die Polizei nach außen. Hierzu gehört wie für die Bezirksamtsleitungen auch die Ansprechbarkeit außerhalb formaler Formate. Entsprechend besucht der Polizeipräsident verschiedene Veranstaltungen und führt dort Gespräche zu verschiedenen Themen. Zu den Grundsätzen der Repräsentationsverpflichtungen im Hinblick auf die Leiterinnen und Leiter bedeutender Ämter siehe Drs. 21/18165. Es gab Gespräche auf verschiedenen Ebenen, deren genaue Zahl und jeweilige Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht dokumentiert wurden. Die Erforderlichkeit der Gespräche ergibt sich aus den Themen „Fangewalt“/sogenannte Dritte Halbzeit nach Spielende und „Stadionwache Polizeikommissariat 16“. 3. Gab es im Zusammenhang der Aufnahme von Ermittlungen im Stones- Freikarten-Skandal Gespräche in der Staatsanwaltschaft unter Beteiligung des Generalstaatsanwalts? Wenn nein, warum gab es im Zusammenhang mit den Freikarten für den ehemaligen Bezirksamtsleiter Mitte, den Polizeipräsidenten und den ehemaligen Wirtschaftssenator eine Besprechung unter Beteiligung des Generalstaatsanwalts, die dieser laut Panorama 3 bestätigte? Nach § 152 StPO ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, das Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungen zu prüfen. Bei Verfahren von öffentlicher Bedeutung und/oder schwierigen Beweislagen erfolgen Abstimmung in unterschiedlicher Form mit der Generalstaatsanwaltschaft. Eine Dokumentation etwaiger Gespräche erfolgt nicht regelhaft. Drucksache 21/18209 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 4. Das Bezirksamt Nord wurde im Zusammenhang mit dem Stones- Freikarten-Skandal zweimal durchsucht. a. Mit welcher Begründung? b. Wer hat die Durchsuchungen veranlasst? Im Zusammenhang mit dem Rolling-Stones-Komplex hat lediglich eine Durchsuchung von Diensträumen des Bezirksamtes Nord stattgefunden und zwar wegen des Verdachts der Bestechung und Bestechlichkeit im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Sondernutzungsvertrages. Der Durchsuchungsbeschluss ist durch das zuständige Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft erlassen worden. 5. Aus welchen Gründen wurde – vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung – ein Anfangsverdacht der Vorteilsannahme im Zusammenhang mit den Freikarten für den ehemaligen Bezirksamtsamtsleiter , den Polizeipräsidenten und den ehemaligen Wirtschaftssenator verneint? Siehe Drs. 21/18165. 6. In wie vielen Fällen wurden seit 2013 Ermittlungsverfahren gegen Bedienstete und Amtsträger der Freien und Hansestadt Hamburg wegen des Verdachts auf Vorteilnahme sowie wegen des Verdachts der Vorteilsannahme und/oder der Bestechung a. eingeleitet, b. eingestellt, c. zur Anklage gebracht, d. durch Freispruch abgeschlossen, e. durch Einstellung beendet, f. mit einer Verurteilung beendet? Im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA wird nicht erfasst, ob es sich bei einer beschuldigten Person um eine Mitarbeiterin beziehungsweise einen Mitarbeiter der Hamburger Verwaltung handelt. Anders als zu der Drs. 21/11491, in der lediglich Verfahren gegen Bezirksamtsmitarbeiter Gegenstand der Parlamentarischen Anfrage waren, liegen händische Aufzeichnungen zu Verfahren gegen alle Hamburger Landesbedienstete nicht vor. Zu der Beantwortung der Frage müssten daher zumindest aus dem Geschäftsbereich der Abteilung 57 sämtliche Verfahren der Aktenzeichenjahrgängen 2013 bis 2019, in denen als Delikt §§ 331 und/oder 332 StGB erfasst sind, händisch ausgewertet werden. Dabei handelt es sich vorbehaltlich der richtigen und vollständigen Erfassung in MESTA zum Stichtag des 2. September 2019 um 401 Js- und UJs-Verfahren mit insgesamt 737 Beschuldigten. Eine Beiziehung und händische Auswertung dieser Akten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Statistisch erfasst wird das Sachgebiet 50 (Korruptionsdelikte) und unter Beifügung der Verurteilungen und Freisprüche aus der Strafverfolgungsstatistik ergibt sich insoweit folgendes Bild: 2013 2014 2015 2016 2017 2018 StA-Statistik SG 50 – Korruptionsdelikte Neuzugänge 78 40 40 95 128 93 Erledigte Verfahren 88 52 37 52 177 69 durch Anklage erledigt 6 5 3 5 8 11 durch Einstellung erledigt 65 36 29 38 126 45 davon Einstellung mit Auflage nach § 153 a StPO 10 6 5 7 4 5 Einstellung wegen Geringfügigkeit (§ 153 Abs. 1 StPO) 23 4 0 3 33 8 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18209 5 2013 2014 2015 2016 2017 2018 StA-Statistik SG 50 – Korruptionsdelikte Einstellung bei unwesentlicher Nebenstraftat (§ 154 Abs. 1 StPO) 2 2 3 0 0 1 Einstellung bei Auslieferung oder Ausweisung des Beschuldigten (§ 154 b Abs. 1 bis 3 StPO) 0 0 1 0 0 0 Einstellung wegen Abwesenheit des Beschuldigten oder wegen eines anderen in seiner Person liegenden Hindernisses (§ 154 f StPO) 1 1 1 0 0 1 Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO 28 22 19 28 89 30 sonstige (vorläufige) Einstellung 1 1 0 0 0 0 Strafverfolgungsstatistik Verurteilte 4 0 1 1 0 0 davon Vorteilsannahme (§ 331 StGB) 1 0 1 1 0 0 Bestechlichkeit (§ 332 StGB) 3 0 0 0 0 0 Freispruch ohne Maßregeln 1 3 1 0 0 1 davon Vorteilsannahme (§ 331 StGB) 0 0 0 0 0 1 Bestechlichkeit (§ 332 StGB) 1 3 1 0 0 0