BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18219 21. Wahlperiode 10.09.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 02.09.19 und Antwort des Senats Betr.: Radikalisierungstendenzen bei Gefangenen schneller erkennen – Laufen regemäßige Sicherheitsanfragen? „Islamistische Radikalisierung hinter Gittern ist seit Jahren ein Problem“, sagt der Psychologe und Islam-Experte Ahmad Mansour. „Die Gefängnisse könnten ohne eine richtige Strategie für Prävention und Deradikalisierung zu Fachhochschulen der Radikalen werden.“ In den Vollzugsanstalten treffen Islamisten besonders viele labile Menschen an, Kleinkriminelle und Gewaltaffine auf der Suche nach Orientierung. Auf sie wirke die radikale Ideologie hochattraktiv. „Ihnen wird gesagt, dass sie zu einer auserwählten Elite gehören , sie bekommen feste Verhaltensregeln und eine klare Alltagsstruktur.“ (https://www.n-tv.de/politik/Viele-Islamisten-radikalisieren-sich-hinter-Gitternarticle 20778699.html). Selbstverständlich besteht diese Gefahr auch in Hamburgs Justizvollzugsanstalten , weshalb seit März 2017 das Handlungskonzept Maßnahmen gegen gewaltbereite Salafisten und andere extremistische Gefangene im Hamburger Justizvollzug umgesetzt wird. Neben Personen, die wegen Staatsschutzdelikten inhaftiert sind, ist der Blick auch auf die Gefangenen zu richten, die sich wegen anderen Anlasstaten in den JVA befinden. In der Drs. 21/17710 vom 9. Juli 2019 gibt der Senat an: „Derzeit befinden sich acht Personen im Hamburger Justizvollzug, bei denen es Anzeichen gibt, dass ein islamistischextremistischer Hintergrund bestehen könnte, deren Anlassdelikt aber nicht im Bereich des Staatsschutzes liegt oder einen Extremismusbezug aufweist, davon je drei in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel und der Sozialtherapeutischen Anstalt sowie je einer in der JVA Billwerder und der JVA Hahnöfersand .“ Damit die Justizvollzugsbehörden erkennen können, ob von einzelnen Gefangenen Radikalisierungsgefahren ausgehen, auch wenn die Anlasstat nicht dem Bereich der Staatsschutzdelikte zuzuordnen ist oder einen Extremismusbezug aufweist, wurde mit Erlass des Hamburgischen Justizvollzugsdatenschutzgesetzes (HmbJVollzDSG) die Möglichkeit zur Sicherheitsanfrage über Gefangene (und anstaltsfremde Personen) geschaffen. Die Sicherheitsanfrage über Gefangene soll regelmäßig erfolgen. So heißt es in § 15 Absatz 6 S. 1 HmbJVollzDSG: „Von einer Sicherheitsanfrage über Gefangene soll nach Zulassung eines technischen Verfahrens für Sicherheitsanfragen nach Absatz 14 nur abgesehen werden, wenn im Einzelfall auf Grund einer Gesamtwürdigung eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder eine Gefährdung des Vollzugsziels fernliegt.“ § 15 Absatz 14 HmbJVollzDSG regelt: „Die für die Sicherheitsanfrage erforderlichen personenbezogenen Daten dürfen nach Zulassung eines techni- Drucksache 21/18219 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 schen Verfahrens im Wege eines automatisierten Abrufverfahrens oder einer regelmäßigen Datenübermittlung abgefragt und übermittelt werden. Der Senat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ein technisches Verfahren zur Datenübermittlung nach Satz 1 zuzulassen. In der Rechtsverordnung werden die Einzelheiten der Datenübermittlung sowie des Verfahrens der Bearbeitung der Anfragen geregelt. Der Senat kann die Ermächtigung nach Satz 2 durch Rechtsverordnung auf die zuständige Behörde weiter übertragen .“ Mittlerweile sind rund 15 Monate vergangen, die Gefahr der Radikalisierung bleibt weiterhin hoch. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Es sind bereits jetzt unterschiedliche Maßnahmen in Kraft, um Gefangene zu identifizieren , deren Anlassdelikte zwar keinen Extremismusbezug aufweisen, die aber bereits beim Zugang oder erst im Verlauf der Haft mindestens erste Anzeichen aufweisen , sich in einem Radikalisierungsprozess zu befinden: Vollzugsspezifische sogenannte Basis-Fortbildungen der Bediensteten durch das Projekt Legato PräJus – Islamismusprävention im justiziellen Feld – vermitteln Grundkenntnisse zum Themenfeld. Auf diese Weise wird für eine erhöhte Sensibilität des Vollzuges im Hinblick auf mögliche Anhaltspunkte gesorgt. Liegen Hinweise auf eine derartig kritisch politische oder religiöse Motivation vor, wird im Rahmen eines engen Austausches des Justizvollzuges mit den Sicherheitsbehörden eine Erkenntnisseanfrage an die zuständigen Abteilungen gerichtet. In den Anstalten sind zudem Beauftragte für Extremismus beschäftigt, die dort als zentrale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner fungieren. Sie stellen den regelmäßigen Informationsfluss zwischen Justizvollzugsanstalt, Aufsichtsbehörde und gegebenenfalls den Sicherheitsbehörden sicher. Ein besonders geschulter Psychologe in der Justizbehörde ist zuständig für die Erstellung einer extremismusspezifischen Risikoeinschätzung bei rechtskräftig verurteilten Gefangenen, deren Anlassdelikt einen Extremismusbezug aufweist sowie bei Gefangenen , deren Anlassdelikt in einem anderen Bereich liegt, bei denen sich aber Hinweise auf einen Radikalisierungsprozess häufen. Die so gewonnene professionelle, strukturierte Einschätzung des Risikopotenzials dient der Planung vollzuglicher Maßnahmen und Entscheidungen. Die zuständige Behörde arbeitet darüber hinaus mit Nachdruck an der Schaffung der notwendigen rechtlichen und technischen Voraussetzungen für eine ebenso funktionstüchtige wie sichere Inbetriebnahme des automatisierten Abrufverfahrens. Zu diesem Zweck finden ein intensiver Austausch und regelmäßige Besprechungen zwischen den beteiligten Stellen statt. Ferner hat bereits eine Einführung der in den Justizvollzugsanstalten für die Sicherheitsanfragen zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stattgefunden, um diese für den Umgang mit dem neuen Abrufverfahren zu sensibilisieren . Da bereits beim Entwurf der Vorschrift absehbar war, dass das neu einzuführende technische Verfahren aufwändig ist und seine Implementierung eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird, wurde bewusst eine gestaffelte Regelung aufgenommen , die zwischen der Situation vor und nach Zulassung eines technischen Verfahrens zur Durchführung von Sicherheitsanfragen unterscheidet, vergleiche § 15 Absatz 6 Satz 1 und Satz 2 Hamburgisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justizvollzug (HmbJVollzDSG). Das technische Verfahren für die Sicherheitsanfragen betreffend Gefangene im Sinne des § 15 Absatz 14 HmbJVollzDSG wird in Form einer neuen „Karteikarte“ in dem Buchhaltungs- und Abrechnungssystem im Strafvollzug (BASIS-Web) erfolgen. Darüber können die Justizvollzugsbehörden (das heißt die Anstalten und die Justizbehörde als Aufsichtsbehörde) die Sicherheitsanfragen betreffend Gefangene (§ 15 Absatz 1 HmbJVollzDSG) an die von § 15 Absatz 4 HmbJVollzDSG genannten Behörden mit Sicherheitsaufgaben versenden. Die „Zustellung“ an die angefragten Behörden erfolgt technisch gesehen über eine Art Schnittstelle oder „Verteilerscheibe“, welche die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18219 3 Anfrage an die jeweiligen angefragten Behörden und deren Rückmeldungen an die anfragende Justizvollzugsanstalt weitergibt. Die auf diesem Wege zugelieferten Informationen können zugriffsberechtigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweils anfragenden Justizvollzugsanstalt dann in BASIS-Web einsehen. Nach dem aktuellen Planungsstand soll das beschriebene technische Verfahren für die Sicherheitsanfragen zu den Gefangenen bis Ende des Jahres 2019 zugelassen und zunächst in zwei sowie zeitnah auch in den weiteren Hamburger Justizvollzugsanstalten in Betrieb genommen werden. Zuvor bedarf es insbesondere der Finalisierung folgender Schritte: - Für die Umsetzung des beschriebenen technischen Verfahrens muss eine neue Version von BASIS-Web implementiert werden. Diese Version von BASIS-Web führt jedoch nicht nur die Möglichkeit der Sicherheitsanfrage über Gefangene ein, sondern umfasst darüber hinausgehende umfangreiche Änderungen und Neuerungen . Die entsprechende Testversion wurde im März 2019 in Betrieb genommen . Nach der derzeitigen Planung soll das Update auf die neue Version Ende Oktober 2019 erfolgen. - Das oben beschriebene automatisierte Abrufverfahren (Schnittstelle zwischen den Justizvollzugsanstalten und den angefragten Behörden) wird derzeit ebenfalls getestet. Dazu wurde im Mai 2019 eine Testschnittstelle eingerichtet, über welche die Justizbehörde Anfang Juli Testanfragen an das Landeskriminalamt gesendet hat. Nach anfänglichen technischen Schwierigkeiten hat die Testschnittstelle die Anfragen dem Landeskriminalamt zugestellt. Sobald dort sämtliche technischen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen worden sind, wird das Landeskriminalamt Hamburg – ebenfalls über die Testschnittstelle – seine Antwort übermitteln. Für einen Produktivbetrieb steht derzeit die Freigabe durch das Informationssicherheitsmanagement der Polizei noch aus. Die Abteilung Informationstechnik der Polizei hat die Installation des Abrufverfahrens jedoch bereits abgeschlossen. Parallel sind neben dem bereits an die Testschnittstelle angebundenen Landeskriminalamt Hamburg auch die übrigen zukünftig mit den Justizvollzugsbehörden zu vernetzenden Behörden bestrebt, zeitnah die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anbindung an das technische Verfahren für Sicherheitsanfragen im Sinne von § 15 Absatz 14 HmbJVollzDSG zu ermöglichen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wurde die Rechtsverordnung gemäß § 15 Absatz 14 HmbJvollzDSG mittlerweile erlassen? Falls ja, wann und wie ist das technische Verfahren zur Datenübermittlung und das Verfahren der Bearbeitung der Anfragen ausgestaltet? Falls nein, weshalb nicht und wann wird diese vorliegen? 2. Wurde das automatisierte Abrufverfahren beziehungsweise eine regelmäßige Datenübermittlung bereits zugelassen und in Betrieb genommen ? a. Falls ja, wann und zwischen welchen Stellen erfolgt das Abrufverfahren beziehungsweise die Datenübermittlung? b. Falls ja, wie viele Sicherheitsanfragen über Gefangene wurden auf diese Weise bereits durchgeführt? c. Falls ja, wie beurteilen die zuständigen Stellen die ersten Erkenntnisse , die mit dem Abrufverfahren beziehungsweise der Datenübermittlung gewonnen wurden? d. Falls nein, weshalb nicht und wann wird es zugelassen beziehungsweise in Betrieb genommen? Drucksache 21/18219 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Rechtsverordnung gemäß § 15 Absatz 14 HmbJVollzDSG wurde noch nicht erlassen, da sie dazu dient, ein einsatzbereites technisches Verfahren zuzulassen, das sich jedoch noch in der Testphase befindet. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.