BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18227 21. Wahlperiode 10.09.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Deniz Celik (DIE LINKE) vom 02.09.19 und Antwort des Senats Betr.: Tod eines Psychiatriepatienten im UKE (III) Im April 2019 verstarb der Patient William Tonou-Mbobda im UKE im Zuge des Einsatzes des Security-Personals. Auch nach vier Monaten nach dem Vorfall sind die genauen Umstände nicht aufgeklärt. Bis heute gibt es keinen Anhörungstermin im Wissenschafts- oder Gesundheitsausschuss und die Untersuchungsergebnisse lassen auf sich warten. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) wie folgt: 1. Wie ist der Stand der Ermittlungen und was sind die vorläufigen Ergebnisse der Obduktion? 2. Hat das UKE die Regelungen zum Einsatz des Sicherheitsdienstes seit dem Todesfall geändert? Worin bestanden die Änderungen jeweils? Bitte gegebenenfalls chronologisch auflisten. 3. Gab es bereits vor dem Tod des Patienten William Tonou Mbobda Einschätzungen (UKE-intern oder durch externe Akteure/-innen) über das Gefahrenpotenzial im Hinblick auf den Einsatz vom Security in der Psychiatrie ? Wenn ja, welche Gremien haben sich damit befasst und wurden die Aufsichtsbehörden sowie der Senat unterrichtet? Die polizeilichen Ermittlungen stehen vor dem Abschluss. Derzeit ist beabsichtigt nach Rücksendung der Akte von der Polizei den Verteidigern der Beschuldigten Akteneinsicht zu gewähren. Erst dann kann eine Entscheidung zum weiteren Verfahrensverlauf getroffen werden. Neben dem Sektionsprotokoll liegen inzwischen ein chemisch-toxikologisches und zwei forensisch-neuropathologische Gutachten vor. Angaben zu dem vorläufigen Obduktionsergebnis können zurzeit nicht gemacht werden . Anderenfalls besteht die Gefahr, dass der Ermittlungserfolg gefährdet wird. Im Übrigen nein. 4. Wann und wie wurde die Leitlinie zur Verhinderung von Zwang – Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen vom 10.09.2018 nach den Vorgaben des BVerfG-Urteils vom 24.07.2018 am UKE konkret implementiert und geregelt? Die in verfassungsrechtlichen Verfahren gegen zwei andere Länder ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 24.07.2018, die die rechtlichen Drucksache 21/18227 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Anforderungen an Fixierungen bei öffentlich-rechtlichen Unterbringungen zum Gegenstand hatten, wurden in Hamburg durch das Gesetz zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an Fixierungen sowie zur Änderung weiterer gesundheitsrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2018 umgesetzt. Die gesetzlichen Anforderungen werden eingehalten. 5. Welche Statistiken werden zur Evaluation und Qualitätskontrolle von Zwangsmaßnahmen erhoben und in welchem Turnus durch wen ausgewertet ? Die nach § 13a HmbPsychKG beliehenen Krankenhäuser sowie das UKE übermitteln der für die Aufsicht zuständigen Behörde sowohl jährlich den Bericht nach § 10 Absatz 2 Beleihungsvertrag, der unter anderem Angaben zu den angeordneten freiheitsentziehenden beziehungsweise ärztlichen Zwangsmaßnahmen beinhaltet, als auch ausgehend vom Bürgerschaftlichen Ersuchen Drs. 20/9321 seit April 2014 quartalsweise diese in den Krankenhäusern dokumentierten Zwangsmaßnahmen. Der Senat hat der Bürgerschaft die Auswertungen dieser Daten für die Jahre 2014 bis 2016 vorgelegt (vergleiche Drs. 21/1580 und Drs. 21/10976). Ein Bericht über die Jahre 2017 und 2018 ist in Vorbereitung und kann nach Validierung der Daten erstellt werden. Darüber hinaus ist der Aufsichtsbehörde auf Anforderung jederzeit Auskunft über Anzahl und Dauer der Zwangsmaßnahmen, der Fixierungen und der Videobeobachtungen zu erteilen. In einzelnen Kliniken werden die Daten in der Regel mindestens quartalsweise, teilweise fallbezogen täglich, durch die ärztliche, zum Teil zusätzlich die pflegerische Leitung ausgewertet. 6. Nach welchen Kriterien wird sogenanntes aggressives Verhalten von Psychiatriepatienten/-innen objektiviert und dokumentiert? Die Einschätzung aggressiven sowie selbstaggressiven Verhaltens und damit gegebenenfalls drohender Eigen- beziehungsweise Fremdgefährdung erfolgt anhand der Verhaltensbeobachtung und Erfassung des psychopathologischen Befundes. Sie wird durch in der Psychiatrie erfahrenes ärztliches Personal unter fachärztlicher beziehungsweise oberärztlicher Aufsicht vorgenommen. Indikatoren für aggressives Verhalten sind zum Beispiel psychomotorische Erregung, Impulsivität und Impulsdurchbrüche , Gereiztheit im Kontakt, wahnhafte Realitätsverkennung, verbale Aggressivität, grenzverletzendes interpersonelles Verhalten, Aggression gegen Gegenstände und stattgehabte oder angedrohte körperliche Aggression gegen Personen. Die Verhaltensbeobachtung und die psychopathologischen Merkmale der Patientinnen und Patienten werden in der jeweiligen Patientenakte durch das medizinische Fachpersonal (Pflegeteam, Ärztinnen und Ärzte) dokumentiert. Aus den Elementen zu Psychopathologie, Verhalten (fremdaggressiv/ selbstverletzend), Impulskontrolle, Anamnese und Ähnliches wird für die Kategorien „Sicherheit und Schutz“ sowie „fremdaggressives und/oder selbstverletzendes Verhalten “ ein Risikoindex für suizidales Gefährdungspotenzial und Suizidalität beziehungsweise Gewaltbereitschaft erstellt, der gegebenenfalls weitere entsprechende Abklärungserfordernisse auslöst. 7. Welche dieser Kriterien werden als Grundlage für Zwangsbehandlungen gewertet? Es bedarf immer einer sorgfältigen individuellen Abschätzung, ob und inwieweit aggressives Verhalten mit drohender oder bestehender akuter Fremdgefährdung vorliegt . Kriterien, die für eine drohende oder bestehende akute Fremdgefährdung durch aggressives Verhalten stehen, können zum Beispiel sein: unmittelbar stattgehabte körperliche Aggression gegen Personen, angedrohte körperliche Aggression gegen Personen, verbale Aggression, Impulsivität und Impulsdurchbrüche, wahnhafte Realitätsverkennung , verminderte Steuerungsfähigkeit. Keines der Einzelkriterien reicht aus, um eine Zwangsbehandlung zu begründen oder einzuleiten. Es muss immer eine individuelle fachliche Abwägung der zumeist komplexen Situation erfolgen. Im Vordergrund steht im Umgang mit aggressiven Patienten immer die Deeskalation der Situation und Normalisierung des aggressiven Verhaltens ohne die Anwendung von Zwang. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18227 3 Entsprechend werden Zwangsbehandlungen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben sowie in Kenntnis einschlägiger fachlicher Leitlinien nach Prüfung der Verhältnismäßigkeit und der Alternativen als letztes und dabei immer das „mildeste“ Mittel zur Beherrschung einer akuten eigen- und/oder fremdgefährdenden Situation eingesetzt , wenn nach vorangegangener qualifizierter Prüfung keine Alternativen zur Verfügung stehen. 8. Welche Weiterbildungen des ärztlichen und medizinischen Personals wurden zum Thema lagebedingter Erstickungstod im Zusammenhang mit Zwangsfixierungsmaßnahmen durchgeführt seit 2015 und wie häufig ? Wie viele Teilnehmende hatten die Weiterbildungen jeweils? Die nach § 13a HmbPsychKG beliehenen Krankenhäuser sowie auch das UKE führen regelmäßige Schulungen für das ärztliche, therapeutische und pflegerische Personal der Akutstationen in den Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie durch. Dies sind unter anderem mindestens vierteljährliche Fixierungsübungen auf Station, in denen die sachgerechte körperliche Fixierung geübt wird, mindestens jährliche Einweisungen durch die Herstellerfirma der Fixierungssysteme, Erste-Hilfe-Schulungen, Reanimationsschulungen und Klinikweiterbildungen unter anderem zum Thema der rechtlichen Grundlagen von Zwangsmaßnahmen. Aspekte der möglichen gesundheitlichen Gefährdung beziehungsweise Vermeidung von Verletzungen und körperlicher und psychischer Schädigung der Patientinnen und Patienten durch die Zwangsmaßnahmen sind Bestandteil der oben genannten Schulungen. Sollten sich darüber hinaus in den obligatorischen Nachbesprechungen nach jeder einzelnen Fixierung und/oder Isolierung Notwendigkeiten für eine aktuelle Schulung ergeben, werden entsprechende außerplanmäßige Schulungen durchgeführt. Zudem werden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Akutstationen in den Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie regelmäßig im Deeskalationstraining unterrichtet. Auch hier werden praktische Übungen zur Fixierung durchgeführt. Die Teilnahme an diesen in regelmäßigen Abständen angebotenen Schulungen und Trainings ist für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Akutbereiche in den Fachabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie verbindlich und wird dokumentiert. Im Übrigen werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege durch dienstältere Kolleginnen und Kollegen unterwiesen. In Dienstbesprechungen sowie in regelmäßigen internen Fort- und Weiterbildungen werden die therapeutischen Leitlinien der Fachgesellschaft (zum Beispiel S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“) regelmäßig beziehungsweise anlassbezogen referiert. 9. Bezug nehmend auf Antwort 13. meiner Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 21/17684 frage ich, in welchem Jahr sich in welchen Krankenhäusern die vier Todesfälle im Zuge eines Psychiatrieaufenthaltes im Zusammenhang mit Fixierungen und/oder Zwangsmedikation ereigneten und bei welchen der Todesfälle es Reanimationsversuche gab vor dem Todeseintritt. Bitte auch nach Zwangsmedikation oder Fixierung im zeitlichen Zusammenhang aufgliedern, oder beidem, wenn beides stattfand. Die vier in der Drs. 21/17684 benannten Todesfälle ereigneten sich im Zusammenhang mit Fixierungen in folgenden Krankenhäusern: Jahr Krankenhaus Reanimation 2011 Schön Klinik Hamburg Eilbek Nicht bekannt. 2015 Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll ja 2016 Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll nein 2018 Asklepios Klinikum Harburg ja Die Todesfälle wurden der Polizei/Staatsanwaltschaft regelhaft mitgeteilt. In den drei ersten Fällen wurden die staatsanwaltlichen Ermittlungen eingestellt, der vierte Fall ist noch nicht abgeschlossen. Drucksache 21/18227 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 10. Werden Verletzungen und Verletzungsmuster, die im Rahmen von Zwangsmaßnahmen auftreten, gegebenenfalls gesondert statistisch erfasst? Verletzungen von Patienten im Rahmen von Zwangsmaßnahmen sind sehr seltene Ereignisse und werden in der Krankenakte beziehungsweise in Fixierungsprotokollen dokumentiert, gegebenenfalls notwendige Behandlungen ebendort. Eine zusätzliche statistische Erfassung dieser Ereignisse erfolgt nicht. 11. Welche Maßnahmen der Qualitätssicherung werden durchgeführt, um die Häufigkeit und Schwere dieser Verletzungen zu senken? Durch wen erfolgt die Dokumentation und Auswertung? Die unter der Antwort zu 8. genannten Schulungen haben insbesondere zum Ziel, Zwangsmaßnahmen möglichst unter vorheriger Einbeziehung sogenannter milderer Mittel zu vermeiden, im Falle der Unausweichlichkeit von Zwangsmaßnahmen diese aber jedenfalls unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen. Stattgefundene Zwangsmaßnahmen werden im Nachhinein besprochen. Da es sich bei Verletzungen im Rahmen von Zwangsmaßnahmen um seltene Ereignisse handelt, erfolgt die Dokumentation durch das medizinische Personal lediglich in der Krankenakte. Statistische Verfahren zur Auswertung sind daher nicht anwendbar. 12. Die Rechtsmedizin des UKE macht das Angebot der Beratung und Begutachtung für Opfer von körperlicher Gewalt (https://www.uke.de/kliniken-institute/institute/rechtsmedizin/ dienstleistungen/privatpersonen/uke-institut-f%C3%BCr-rechtsmedizinberatung -und-begutachtung-f%C3%BCr-opfer-von-k%C3%B6rperlichergewalt .html). Hier können Menschen, denen körperliche Gewalt angetan wurde, ihre Verletzungen gerichtsverwertbar dokumentieren lassen, unabhängig davon, ob sie zu einem späteren Zeitpunkt Anzeige erstatten wollen. Laut Website kommen die Ärzte/-innen sogar auch zu den Patienten/-innen ins Krankenhaus. Steht dieses Angebot auch Patienten /-innen der stationären Psychiatrie offen? Ja. a) Falls ja: Gibt es auch für sie das Angebot der aufsuchenden Beratung und Begutachtung? Ja. b) Falls ja: Wann und in welcher Art und Weise werden Psychiatriepatienten /-innen, die in der Psychiatrie körperliche Verletzungen (zum Beispiel aber nicht nur im Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen) erlitten haben, über dieses Angebot informiert? Bitte nach Krankenhäusern und, so möglich, mit Angabe, ob im Zusammenhang mit welchen Zwangsmaßnahmen stehend, auflisten. c) Falls ja: Welche Erkenntnisse hat der Senat darüber, ob seit Bestehen des Angebots überhaupt schon einmal Psychiatriepatienten/ -innen das Angebot in Anspruch genommen haben? Eine gezielte Information vor Ort durch das Institut für Rechtsmedizin (IfR) erfolgt nicht, das IfR betreibt Öffentlichkeitsarbeit über die Medien und mittels Handzettel. Auch die Webseite des IfR enthält Informationen über das Angebot. Zudem finden auch Fortbildungsveranstaltungen zum Beispiel im ärztlichen Bereich sowie bei Behörden statt, in denen das Angebot des IfR dargestellt wird. In den vergangenen fünf Jahren haben in insgesamt circa 15 Fällen Psychiatriepatientinnen und Psychiatriepatienten das Angebot in Anspruch genommen. d) Falls nein: Aus welchen Gründen steht dieses Angebot den Patienten /-innen der stationären Psychiatrien nicht zur Verfügung? Entfällt.