BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18261 21. Wahlperiode 10.09.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dennis Gladiator (CDU) vom 04.09.19 und Antwort des Senats Betr.: Schallbelastung durch Windkraftanlagen (WKA) Seit längerem bestehen Zweifel an der Prognosequalität der Schallausbreitungsrechnung auf Grundlage der DIN ISO 9613-2 bei Schallquellenhöhen insbesondere über 100 m, wie sie bei WKA heute vorherrschen. Die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) empfiehlt seit September 2017 zur Geräuschbeurteilung von WKA das Interimsverfahren. Die Unterschiede können bis zu 4,8 dB(A) betragen. Laut Auskunft des Hamburger Senats findet dies auch im Genehmigungsverfahren für Neuanlagen in Hamburg Anwendung. Bei bereits genehmigten Anlagen könne der Bestandsschutz hingegen dem Interimsverfahren entgegenstehen. Soweit der Bestandsschutz das Interimsverfahren ausschließt und somit ohnehin der Anlagenabstand zur Wohnbebauung unantastbar ist, erscheint allein eine Messung angezeigt. Das Interimsverfahren ermöglicht zudem lediglich eine vorläufige Anpassung des Prognosemodells auf Basis neuerer Erkenntnisse. Denn es ist nur eine Übergangslösung für die Berechnung der Schallausbreitung hochliegender Quellen, die hoffentlich zeitnah von einem abgesicherten Berechnungsverfahren abgelöst wird. Entsprechend hoch ist die derzeitige Unsicherheit. Seit nahezu zwei Jahren beschwert sich die Anwohnerin einer WKA (5) am Ochsenwerder Landscheideweg über betriebsbedingte Störgeräusche der Anlage; gemäß einem Zwischenmessergebnis der Behörde für Umwelt und Energie zu Recht. Zumindest wurden akustische Auffälligkeiten attestiert. Genaueres soll eine Dauermessung ab Oktober ergeben. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Haben die Prüfungen des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde ergeben, dass das „Interimsverfahren“ in Hamburg auch auf bereits genehmigte WKA angewendet werden kann? Wenn ja, welche Auswirkungen kann die Neuberechnung auf die Bestandsanlagen haben? Wenn nein, werden stattdessen Messungen durchgeführt? In Hamburg ist die Genehmigungsbehörde seit November 2017 angewiesen, das Interimsverfahren als Erkenntnisquelle heranzuziehen und in laufenden beziehungsweise noch nicht abgeschlossenen Genehmigungsverfahren (zum Beispiel wegen noch laufender Widerspruchsverfahren) anzuwenden. Das Interimsverfahren findet in Hamburg im Regelfall bei Bestandsanlagen keine Anwendung. Das Interimsverfahren wurde bei der Schallausbreitungsrechnung durch Repoweringvorhaben für alle 25 seit 2012 im Außenbereich neu errichteten Windkraftanlagen über 100 m Gesamthöhe angewendet. Damit sind auch die benachbarten Bestandsanlagen im Außenbereich mit dem Interimsverfahren als Vorbelastung der Neuanla- Drucksache 21/18261 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 gen berücksichtigt worden. Die überarbeiteten Schallimmissionsprognosen haben sich in Hamburg lediglich auf zwei Vorhaben im Außenbereich auf die Regelung des Anlagenbetriebs ausgewirkt. In Francop wurde für die in 2018 neu errichteten WKA die Leistung nachts stärker beschränkt. In Neuengamme-Ost hingegen kann eine WKA nachts nun sogar mit höherer Leistungsstufe betrieben werden als zunächst genehmigt . Im Übrigen siehe Drs. 21/11592 und Protokoll zur Umweltausschusssitzung vom 7. Februar 2019. 2. Welche Ergebnisse haben die weiteren Untersuchungen und Fortschritte im Verständnis der Geräuschentstehung und -ausbreitung von WKA gebracht beziehungsweise wie ist der aktuelle Kenntnisstand? Seit der Empfehlung an die Länder im Jahre 2017 zur Anwendung des Interimsverfahrens bei der Schallausbreitungsrechnung von WKA durch die Bund/Länder- Arbeitsgemeinschaft (LAI) in den „Hinweisen zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen “ sind verschiedene weiterführende Studien und Untersuchungen zum Verständnis der Geräuschentstehung und -ausbreitung sowie Lärmwirkung von Windkraftanlagen veranlasst worden. So ist seitens des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zum Beispiel ein Verbundvorhaben (TREMAC) unter Leitung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) zur „Entwicklung objektiver Kriterien zu Erschütterungs - und Schallemissionen durch Windenergieanlagen im Binnenland“ initiiert worden . Seitens des Umweltbundesamtes sind Studien zu „Geräuschwirkungen bei der Nutzung von Windenergie an Land“ und zu „Lärmwirkungen durch Infraschall“ beauftragt worden. Die Untersuchungen befinden sich derzeit in Bearbeitung, Ergebnisse sind nach hiesigem Erkenntnisstand noch nicht veröffentlicht. 3. Sollten statt der mangelhaften alten Berechnungen bei Bestandsanlagen generell Messungen erfolgen, um die Genehmigungswerte auf Überschreitungen zu prüfen? Wenn nein, wieso nicht? Bei den deutlich niedrigeren Bestandsanlagen besteht bisher für die Überwachungsbehörde kein Ermittlungsbedarf, weil zu diesen alten Anlagen keine Lärmbeschwerden vorliegen. In den Windfarmen Neuengamme, Altengamme, Ochsenwerder und Francop wurden die Altanlagen in den seinerzeit noch nicht abgeschlossenen Genehmigungsverfahren im Rahmen der Schallimmissionsprognose als Vorbelastung nach dem Interimsverfahren bereits berücksichtigt (siehe Antwort zu 1.). 4. Welche Möglichkeiten bestehen bei Überschreitung der Genehmigungswerte , die Betriebsgenehmigungen der WKA zum Schutz der Anwohner einzuschränken? Wird nach Erteilung der Genehmigung von der zuständigen Behörde festgestellt, dass die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstigen Gefahren und erheblichen Belästigungen geschützt ist, kann die Überwachungsbehörde mittels einer Nachträglichen Anordnung nach § 17 BImSchG zusätzliche technische oder betriebsorganisatorische Maßnahmen oder beispielsweise auch erforderliche Betriebsbeschränkungen für den Nachtbetrieb erlassen, wenn hier andere Maßnahmen zu keiner Abhilfe führen. Die zuständige Behörde darf eine nachträgliche Anordnung jedoch nicht treffen, wenn sie unverhältnismäßig ist (§ 17 Absatz 2 BImSchG) hinsichtlich Aufwand/Restriktionen und Erfolg. Wenn die zuständige Behörde im vorliegenden Fall nachweislich erhebliche Mängel beziehungsweise Umwelteinwirkungen im oben genannten Sinne feststellt, wird sie entsprechende Maßnahmen veranlassen beziehungsweise anordnen. 5. Wer beziehungsweise welche „anerkannte Messstelle“ hat Messergebnisse der WKA (5) am Ochsenwerder Landscheideweg mit akustischen Besonderheiten aufgezeichnet? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18261 3 Die Lärmmessstelle der zuständigen Behörde hat eine achtwöchige Langzeitmessung mit Audioaufzeichnung im Zeitraum vom 17. Mai 2019 bis zum 10. Juli 2019 zur Objektivierung der durch die Beschwerdeführerin beklagten Störgeräusche (Knarrgeräusche ) durch die Windkraftanlage WKA (5) durchgeführt. 6. Welche sonstigen Auswertungen haben sich aus diesen Messungen ergeben? Im Rahmen der Auswertung dieser Langzeitmessung wurden sporadisch auftretende akustische Auffälligkeiten (Knarrgeräusche), die vermutlich von der Windkraftanlage WKA5 stammen, ermittelt. Hörbar sind diese Störgeräusche ausschließlich in den Phasen mit deutlich reduzierten Fremdgeräuschen. Sie heben sich kaum von den Umgebungsgeräuschen ab. 7. Wurde dazu bereits mit dem Betreiber gesprochen? Wenn ja, wann, von/mit wem und mit welchem Ergebnis? Die Überwachungsbehörde steht hinsichtlich der Lärmbeschwerden und den diesbezüglich veranlassten Maßnahmen mit dem Anlagenhersteller und dem Anlagenbetreiber im engen Kontakt (zum Teil wöchentlich oder anlassbedingt auch öfter). Aufgrund der Beschwerde bezüglich der WKA 5 in Ochsenwerder wurden bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um das Störgeräusch vollständig zu beheben. Da dies bisher noch nicht gelungen ist, sind noch weitere Maßnahmen geplant.