BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18273 21. Wahlperiode 13.09.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 05.09.19 und Antwort des Senats Betr.: Novellierung des hamburgischen Polizeirechts Mit dem Entwurf für die Novellierung der hamburgischen Polizeigesetze soll eine Reihe neuer Eingriffsbefugnisse eingeführt werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Regelungen anderer Länder sind nicht Gegenstand des parlamentarischen Fragerechts . Der Senat äußert sich im Rahmen der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen folglich nicht zum Verwaltungshandeln anderer Länder. Darunter fällt auch die Häufigkeit des Einsatzes oder die Bewertung des Nutzens von Einsatzmitteln, deren Rechtmäßigkeit sich nach Rechtsgrundlagen anderer Länder richtet. Der Senat ist im Rahmen der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen auch nicht gehalten, die Rechtslage anderer Länder darzustellen oder auszuwerten. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt. 1. Betreffend § 49 PolDVG-E: Bereits seit 2017 wendet die Polizei Hamburg die Analyse-Software RADAR-iTE an. Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Verwendung der Software? Die Verwendung der Software erfolgt auf Grundlage des § 16 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG). a. Wie häufig wurde RADAR-iTE seit dem 01.01.2017 bei der Polizei Hamburg eingesetzt? Die Polizei trifft im Rahmen ihrer Zuständigkeit alle straf- und gefahrenabwehrrechtlich erforderlichen Maßnahmen. Darüber hinaus berührt die Frage die Einsatztaktik der Polizei, zu der grundsätzlich keine Auskünfte erteilt werden. Im Übrigen siehe Drs. 21/9521. b. Über welche weiteren automatisierten Datenanalysesoftwaresysteme beziehungsweise softwarebasierten Analysetools verfügt die Polizei Hamburg? Bitte genau benennen und Funktionsbeschreibung der jeweiligen Software angeben. Keine im Sinne der Fragestellung. 2. Betreffend § 17 PolDVG-E: In wie vielen Fällen und zu welchen Anlässen kam es seit dem 01.01.2017 dazu, dass Personen, die sich im amtlichen Gewahrsam befunden haben, in Sammelzellen untergebracht wurden ? Bitte bei dieser und den Unterfragen nach Jahren differenzieren. a. In wie vielen dieser Fälle kam es dazu, die dass sich die jeweilige Identität der in Sammelzellen in Gewahrsam befindlichen Personen nicht klar zuordnen ließen? Drucksache 21/18273 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 b. In wie vielen Fällen kam es dazu, dass die in Gewahrsam befindlichen Personen, die in einer gemeinsamen Zelle untergebracht waren, untereinander ihre Kleidung oder Teile ihrer Kleidung tauschten ? Statistiken im Sinne der Fragen werden bei der Polizei nicht geführt. Eine händische Auswertung würde die Durchsicht aller Verwahrbücher der Polizei für den erfragten Zeitraum mit mehreren Tausend Eintragungen erfordern. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich . c. Welche Erkenntnisse hat der dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde über Schwierigkeiten bei der Identitätszuordnung von in Gewahrsam befindlichen Personen? Siehe Drs. 21/17906. d. Sind dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde Regelungen aus anderen Bundesländern bekannt, die die Anfertigung von Lichtbildern zum Zweck der Identitätszuordnung im amtlichen Gewahrsam zulassen? Wenn ja aus welchen Bundesländern und welchen Inhalt haben diese Regelungen? Siehe Vorbemerkung. 3. Betreffend § 15 PolDVG-E: Wie häufig wurden seit dem 01.01.2017 aufgezeichnete Notrufe oder Anrufe zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten benötigt, die aber bereits aufgrund der Löschfrist von zwei Monaten gelöscht waren? Siehe Antwort zu 2. bis 2. b. Eine Beantwortung würde die Durchsicht aller Ermittlungsakten bei der Polizei erfordern. Die Durchsicht mehrerer Hunderttausend Ermittlungsakten ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die Notwendigkeit der Aufzeichnung von Notrufen ergibt sich unter anderem aus dem Umstand, dass diese als Beweismittel im Strafverfahren in Betracht kommen können. Stellt sich erst im Laufe eines Ermittlungsverfahrens heraus, dass der Verdacht des Vortäuschens einer Straftat gegeben ist, so kann die Notrufaufzeichnung für das weitere Verfahren ein wichtiges Beweismittel darstellen. Es muss daher sichergestellt sein, dass das Beweismittel auch nach einer Zeitspanne von zwei Monaten sichergestellt und in das Verfahren eingebracht werden kann. 4. Betreffend § 15 PolDVG-E: Wie häufig konnte seit dem 01.01.2017 der (Funk-)Kontakt zu Einsatzkräften in gefahrenträchtigen Situationen aus unbekannten Gründen nicht mehr hergestellt werden? Wie schon die Begründung zu § 15 PolDVG-E in Drs. 21/17906 deutlich macht, begründet sich die Notwendigkeit dieser Regelung nicht quantitativ, sondern qualitativ aus entsprechenden Fällen bei der Polizei. Darüber hinaus siehe Antwort zu 3. 5. Betreffend § 30 PolDVG-E: Der Gesetzesentwurf sieht die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) vor. In § 30 Absatz 2 S. 2 PolDVG-E heißt es: „Soweit es technisch möglich ist, ist sicherzustellen , dass innerhalb einer Wohnung der betroffenen Person keine über dem Umstand ihrer Anwesenheit hinausgehenden Aufenthaltsdaten erhoben werden.“ Ist es nach Kenntnis des Senates beziehungsweise der zuständigen Behörde nach dem derzeitigen Stand technisch möglich , bei einer EAÜ keine weiteren Aufenthaltsdaten innerhalb von Wohnungen zu erheben, die über den Umstand der Anwesenheit in der Wohnung hinausgehen? Wenn ja, welche Technik wird dabei eingesetzt, wie ist ihre Funktionsweise und welche Aufenthaltsdaten werden dabei erhoben? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18273 3 Wenn nein, wie ist der derzeitige Stand der Entwicklung von Technik, die eine Überwachung innerhalb des Wohnraums vermeidet? Ja. Zur Gewährleistung des Schutzes des Betroffenen vor Ortung in seiner Wohnung ist das Zusatzgerät „Home-Unit“ vorgesehen. Die „Home-Unit“ wird in der Wohnung des Betroffenen aufgestellt. Sie unterdrückt den Aufbau einer Ortung durch die sogenannte Fußfessel. Es erfolgt keine Meldung von Standortdaten durch die Fußfessel. Stattdessen meldet die „Home-Unit“ lediglich den Status, dass sich der Betroffene in seinem Wohnraum aufhält. a. Wo und durch wen werden die Daten, die durch die EAÜ generiert werden, gespeichert, überwacht und ausgewertet? Der Umgang mit sämtlichen im Zusammenhang mit der EAÜ stehenden Daten obliegt der Gemeinsamen Elektronischen Überwachungsstelle der Länder (GÜL), organisatorisch angebunden an das Hessische Ministerium der Justiz. b. Auf welchem Weg erfolgt die Datenübertragung? Das Signal wird kombiniert über das Global Positioning System (GPS) und Location Based Services (LBS) in Mobilfunknetzen übertragen. Dabei dient LBS als Rückfallstufe für den Fall, dass eine Standortbestimmung mittels GPS nicht möglich ist. c. Inwieweit sollen die Daten „live“ überwacht werden? Die Übermittlung der Standortdaten an die GÜL erfolgt in Intervallen. Nähere Angaben zur Größenordnung der Intervalle lassen Rückschlüsse auf die Einsatztaktik der Polizei zu, von denen der Senat aus grundsätzlichen Erwägungen absieht. 6. Betreffend § 30 PolDVG-E: Über welche (empirischen) Erfahrungswerte verfügt der Senat, hinsichtlich des Einsatzes und des Nutzens einer EAÜ in anderen Bundesländern zum Schutz vor häuslicher Gewalt? Siehe Vorbemerkung. 7. Betreffend § 30 PolDVG-E: Auf welche Weise soll nach Auffassung des Senats die EAÜ zur Abwehr einer Gefahr „terroristischer“ Straftaten zum Einsatz kommen? a. In welchen Anwendungsszenarien soll die EAÜ zur Abwehr der Gefahr „terroristischer“ Straftaten nach Vorstellung des Senates beziehungsweise der zuständigen Behörde zum Einsatz kommen? Das polizeiliche Tätigwerden erfolgt lage- und anlassabhängig. Die Einsatz- und Maßnahmenplanung inklusive der Bereitstellung der jeweils erforderlichen personellen und materiellen Ressourcen richtet sich dabei nach den besonderen Umständen des jeweiligen konkreten Einzelfalles. Im Übrigen siehe Drs. 21/17906. b. Über welche (empirischen) Erfahrungswerte verfügt der Senat, hinsichtlich des Einsatzes und des Nutzens einer EAÜ in anderen Bundesländern zur Abwehr der Gefahr „terroristischer“ Straftaten? Siehe Vorbemerkung. 8. Betreffend § 21 PolDVG-E: Welche technischen Mittel, die ausschließlich zum Schutz der bei einem Polizeieinsatz tätigen Personen mitgeführt und verwendet werden, sind bei § 21 Absatz 4 Absatz 1 PolDVG-E erfasst? Es handelt sich hierbei um akustische und optische technische Mittel, mit deren Hilfe die bei einem Polizeieinsatz tätigen Personen geschützt werden sollen. Darüber hinaus sieht der Senat von der Beantwortung dieser Frage ab, da eine Beantwortung die Funktionsfähigkeit der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden gefährden würde. 9. Betreffend § 32 PolDVG-E: § 32 PolDVG-E sieht vor, dass richterliche Anordnungen anderer Bundesländer, die personenbezogene Datenerhebung nach § 20 , § 21 oder §§ 28 bis 30 PolDVG-E betreffen, als nach Drucksache 21/18273 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 dem PolDVG erlassene Maßnahmen anerkannt werden, wenn sie auch nach dem PolDVG unter Einsatz derselben Befugnisse hätten angeordnet werden dürfen. Welche Voraussetzungen bestehen hinsichtlich der Observation, der Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel, des Einsatzes von V-Leuten, des Einsatzes von verdeckten Ermittlern/-innen und der EAÜ in den anderen Bundesländern und wie unterscheiden sie sich von den in Hamburg geplanten Regelungen? Siehe Vorbemerkung. a. Auf welche Weise erhält die Polizei Hamburg Kenntnis davon, dass in einem anderen Bundesland eine entsprechende richterliche Anordnung besteht? Die Polizei Hamburg erhält grundsätzlich schriftlich (Fax) davon Kenntnis. b. In welchem Umfang erhält die Polizei Hamburg Kenntnis über den Sachverhalt und die richterliche Anordnung (zum Beispiel durch Übersendung des richterlichen Beschlusses oder Übersendung ganzer Akten et cetera)? Die Polizei Hamburg bekommt grundsätzlich eine Kopie des richterlichen Beschlusses übermittelt, aus dem der zugrundeliegende Sachverhalt hervorgeht. c. Durch wen soll die Prüfung erfolgen, ob die erlassene Maßnahme unter Einsatz derselben Befugnisse nach dem PolDVG hätte angeordnet werden dürfen? Die Prüfung, ob die Maßnahme auch nach Hamburger Landesrecht hätte angeordnet werden dürfen, obliegt wie für alle polizeilichen Maßnahmen der jeweils durchführenden Stelle. 10. Betreffend § 66 PolDVG-E: § 66 Absatz 2 PolDVG-E sieht vor, dass Auskünfte nach §§ 69, 70 PolDVG-E (also Anträge von Betroffenen auf Auskunft über die bei der Polizei gespeicherten Daten) verweigert werden oder mit einer Gebühr belegt werden können, sofern es sich um einen „offenkundig unbegründeten oder exzessiven“ Antrag handelt. Wie definiert der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die Begriffe „offenkundig unbegründet“ und „exzessiv“? Das zentrale Auskunftsrecht betroffener Personen auf Auskunft über die von ihnen gespeicherten Daten bleibt gewahrt. Ausnahmetatbestände werden im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts allgemein restriktiv ausgelegt. Nach Artikel 12 Absatz 4 der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI (Richtlinie (EU) 2016/680; im Folgenden DS-RL), kann der oder die Verantwortliche bei offenkundig unbegründeten oder – insbesondere im Fall von häufiger Wiederholung – exzessiven Anträgen einer betroffenen Person entweder eine angemessene Gebühr verlangen, bei der die Verwaltungskosten für die Unterrichtung oder die Mitteilung oder die Durchführung der beantragten Maßnahme berücksichtigt werden oder er kann sich weigern aufgrund des Antrags tätig zu werden. Der Richtliniengeber führt in Erwägungsgrund 40 Satz 3 ergänzend aus, dass eine offenkundige Unbegründetheit oder ein exzessiver Antrag zum Beispiel angenommen werden kann, wenn die betroffene Person ungebührlich und wiederholt Informationen verlangt oder wenn die betroffene Person ihr Recht auf Unterrichtung missbraucht, beispielsweise indem sie in ihrem Antrag falsche oder irreführende Angaben macht. Die zuständige Behörde wird sich bei ihrer Einzelfallbewertung primär hieran orientieren und ergänzend einschlägige Ausführungen aus Kommentarliteratur und Rechtsprechung heranziehen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18273 5 a. Auf welche Weise soll die Prüfung erfolgen, ob ein Antrag „offenkundig unbegründet“ oder „exzessiv“ gestellt wurde? Die für die Bearbeitung der Auskunftsanträge zuständige Dienststelle wird zwecks Prüfung der Einzelfälle auf einen offenkundig unbegründeten oder exzessiven Antrag die in der Antwort zu 10. genannten Kriterien jeweils heranziehen, anhand der vorliegenden Erkenntnisse untersuchen und fachlich bewerten. b. Welche Fallkonstellationen sind dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde bekannt, die mit der Regelung über „offenkundig unbegründete“ oder „exzessive“ Antragstellung verhindert werden sollen? Siehe Antwort zu 10.