BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18276 21. Wahlperiode 13.09.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 05.09.19 und Antwort des Senats Betr.: G20 – Gesichtserkennungssoftware Seit dem 01.03.2018 setzt die Polizei Hamburg die Gesichtserkennungssoftware „Videmo 360“ (GAS) im Rahmen der Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel ein. Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) hat die Nutzung der Software zunächst beanstandet und schließlich im Rahmen seiner Anordnungskompetenz am 18.12.2018 die Löschung der zur Softwarenutzung erstellten Referenzdatenbank angeordnet. Gegen diese Anordnung hat die Behörde für Inneres und Sport Klage erhoben. Da die Klage aufschiebende Wirkung hat, darf die Polizei die Referenzdatenbank und die Software bis zu einer gerichtlichen Klärung weiterverwenden. Im Zuge der Novellierung des hamburgischen Polizeirechts soll nach Willen des rot-grünen Senats die Anordnungskompetenz des HmbBfDI abgeschafft und damit die datenschutzrechtliche Kontrolle polizeilichen Handelns erheblich erschwert werden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Im Rahmen des Entwurfes des Dritten Gesetzes zur Änderung polizeirechtlicher Vorschriften werden die Befugnisse der oder des Hamburgischen Beauftragen für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) für den Bereich der Gefahrenabwehr in dem im Abschnitt 6 des Entwurfes zum Gesetz über die Datenverarbeitung bei der Polizei (PolDVG) festgeschrieben. Der oder dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit stehen im Einklang mit dem Europarecht mit der Beanstandung und der Warnung bekannte und bewährte Instrumentarien zu. Eine Erweiterung der Letztentscheidungsund Anordnungsbefugnisse der oder des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit auf den Bereich der Straftatenverhütung und Gefahrenabwehr lassen sich jedoch nicht mit der Sensibilität und Komplexität der entsprechenden Verarbeitungen und dem Bedürfnis nach ständiger Verfügbarkeit rechtmäßig erhobener Daten und Datenverarbeitungsanlagen in Einklang bringen. Daher eröffnen die im Abschnitt 6 des PolDVG gesondert geregelten Befugnisse der oder dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in Abweichung von § 6 des Hamburgischen Gesetz zur Aufsicht über die Anwendung der zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 erlassenen Rechtsvorschriften in Verbindung mit § 43 HmbJVollzDSG und in Einklang mit dem Europarecht keine Durchgriffsbefugnisse. Durch diese Nichterweiterung auf den Bereich der Straftatenverhütung und Gefahrenabwehr ergibt sich jedoch keine Abschaffung der Anordnungsbefugnisse in anderen Bereichen. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt. Drucksache 21/18276 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Wie viele 100 TB Bild- und Videomaterial beziehungsweise wie viele Video- sowie Bilddateien liegen derzeit im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel als Rohmaterial vor? Bitte nach polizeifremdem und polizeieigenem Material differenzieren. Im Videoarchiv der Abteilung für Informationstechnologie der Polizei (IT 421) werden zurzeit etwa 3,57 Terrabyte (TB) an polizeieigenem Bild- und Videomaterial sowie etwa 9,90 TB an polizeifremdem Bild- und Videomaterial mit Bezug zum G20 Gipfel vorgehalten. Weiterhin liegen insgesamt 159 externe Festplatten des Hamburger Verkehrsverbunds (HVV) mit einem Datenvolumen von circa 85 TB und einer Aufzeichnungsdauer von mehr als 460 000 Stunden vor. Dieses Datenmaterial wurde nicht in das System Gesichtsanalysesoftware (GAS) übertragen. a. Wie viele dieser Daten wurden auf den GAS-Server beziehungsweise die Referenzdatenbank aufgespielt beziehungsweise aktualisiert ? Es wurden insgesamt 13,47 TB Bild- und Videodaten eingespielt. b. Wie viele Dateien wurden dort bisher gelöscht? Es wird keine Statistik über die Anzahl der Löschungen in dem System geführt. Bedingt durch Löschen und Hinzufügen von Daten variiert der Datenbestand regelmäßig . Es können daher keine Angaben zur Anzahl der gelöschten Daten gemacht werden. 2. Wie viele Arbeitsstunden fielen nach gegenwärtigem Stand für das Aufspielen beziehungsweise Aktualisieren der Dateien auf dem GAS-Server beziehungsweise der Referenzdatenbank an? Eine Statistik im Sinne der Fragestellung wird bei der Polizei nicht geführt. Im Übrigen siehe Drs. 21/13939. 3. Wie groß ist die derzeitige Anzahl der Video- sowie Bilddateien, die mit der Gesichtserkennungssoftware verarbeitet wurden? Zum Stichtag 6. September 2019 befanden sich 15 473 Videos und 16 460 Bilder im GAS. 4. Wie viele Gesichter wurden mithilfe der Gesichtserkennungssoftware identifizierbar gemacht und viele Gesichter beziehungsweise Templates sind derzeit auf dem GAS-Server beziehungsweise in der Referenzdatenbank gespeichert? Auf dem GAS-Server werden ausschließlich identifizierbare (das heißt im Rahmen eines Abgleichs kann eine prozentuale Übereinstimmung festgestellt werden) Templates (Gesichter) gespeichert. Eine Anzahl der gespeicherten Templates kann nicht benannt werden, da dies systemseitig nicht vorgesehen ist. 5. Wie viele Personen, die nicht tatverdächtig sind, sind derzeit auf dem GAS-Server beziehungsweise in der Referenzdatenbank gespeichert? Auf dem GAS-Server wird grundsätzlich nur nach Tatverdächtigen recherchiert. Die einzige Ausnahme ist eine Zeugin, die freiwillig einer GAS-Recherche nach ihrem Gesicht zugestimmt hat. Diese Zeugin wurde für diese Recherche als Identität auf dem GAS-Server angelegt und gespeichert, jedoch nicht in der Referenzdatenbank. 6. Was ist dem Senat über die Funktionsweise beziehungsweise den Quellcode der Gesichtserkennungssoftware bekannt? a. Nach welchem Verfahren erfolgte die Identifizierung der Gesichter beziehungsweise Templates? b. Welche Eigenschaften des menschlichen Gesichts wurden dabei verarbeitet (zum Beispiel Augenabstände, Nasenform, Ohr-zu-Ohr, Mundwinkel, Haaransatz)? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18276 3 c. Analysiert die Gesichtserkennungssoftware auch weitere Merkmale einer Person, etwa die Kleidung oder mitgeführte Gegenstände? Die Detektion und Analyse der Fundstellen basiert auf der Leistung der Grafikchips und erfolgt in einem geschlossenen System ohne Netzanbindung. Seitens des Herstellers (Nvidia) werden weder Quellcode noch verwendete Algorithmen offen gelegt. Die Software analysiert keine weiteren Merkmale einer Person. 7. Wie viele tatverdächtige Personen im Zusammenhang mit dem G20- Gipfel konnten bisher durch die biometrische Gesichtserkennung durch Recherchen mit der Gesichtserkennungssoftware namentlich identifiziert werden? Siehe Drs. 21/13939. 8. Bei wie vielen tatverdächtigen Personen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel konnten bisher durch die biometrische Gesichtserkennung durch Recherchen mit der Gesichtserkennungssoftware weitere Straftaten , die im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel stehen, zugeordnet werden? 9. Bei wie vielen tatverdächtigen Personen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel konnten bisher durch die biometrische Gesichtserkennung durch Recherchen mit der Gesichtserkennungssoftware die Beweisführung in dem Verfahren unterstützt werden? 10. Bei wie vielen unbekannten Personen im Zusammenhang mit dem G20- Gipfel konnte durch die Recherchen mit der Gesichtserkennungssoftware geeignetes Bildmaterial für weitere Ermittlungen zu deren Identifizierung erlangt werden? Statistische Daten im Sinne der Fragestellungen werden bei der Polizei nicht erhoben. Zur Beantwortung wäre eine manuelle Durchsicht sämtlicher Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums bei der Ermittlungsgruppe 181 „Schwarzer Block“ erforderlich. Die Auswertung von circa 800 Ermittlungsvorgängen ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 11. Wie viele Recherchen wurden seit dem Nutzungsbeginn bis zur Anordnung des HmbBfDI am 18.12.2018 mit der Gesichtserkennungssoftware durchgeführt? 690 Recherchen. a. Wie viele Recherchen betrafen davon bekannte Tatverdächtige? 248 Recherchen. b. Welche Fälle betrafen die übrigen Recherchen? Die Recherchen betrafen Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Tatverdächtige. 12. Wie viele Recherchen wurden seit der Anordnung des HmbBfDI am 18.12.2018 mit der Gesichtsanalysesoftware durchgeführt? 92 Recherchen. a. Wie viele Recherchen betrafen davon bekannte Tatverdächtige? 72 Recherchen. b. Welche Fälle betrafen die übrigen Recherchen? In 19 Fällen betrafen die Recherchen Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Tatverdächtige . Im Übrigen siehe Antwort zu 5. 13. Wie viele Recherchen wurden im Gesichtserkennungssystem (GES) des Bundeskriminalamts beantragt? Drucksache 21/18276 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Es wurden 75 Recherchen im Gesichtserkennungssystem (GES) des Bundeskriminalamts beantragt. a. Wie viele Personen konnten dadurch identifiziert werden? In drei Fällen konnten Personentreffer erzielt werden. Die Überprüfungen dieser Personentreffer dauern noch an, sodass eine abschließende Bestätigung noch nicht vorliegt . b. Welche anderen Ergebnisse oder Erkenntnisse konnten durch die Nutzung des Gesichtserkennungssystems des BKA generiert werden ? In 17 Fällen war das vorhandene Bildmaterial nicht für eine GES-Recherche geeignet. 55 Recherchen führten zu keinem Personentreffer. 14. Wie viele „Auswerteberichte GAS-Recherche“ haben die Auswerter bislang verfasst? Es wurden bislang 532 Auswerteberichte zu Recherchen im GAS gefertigt. 15. Wie bewertet der Senat das Verhältnis der Personen, die mithilfe der Gesichtserkennungssoftware identifiziert wurden, zur Anzahl jener Personen , die durch Wiedererkennungsvermögen und Gedächtnisleistung einzelner Auswerter/-innen, Polizeibeamte/-innen oder sogenannter Super Recognizer erkannt wurden? 16. Wie viele Personen wurden erst nach der manuellen Durchsicht des beim G20-Gipfel erlangten Materials durch Auswerter/-innen, Polizeibeamte /-innen oder Super Recognizer in den automatisierten Abgleich mit der Referenzdatenbank für die Gesichtserkennung aufgenommen beziehungsweise mit Gesichtstemplates aus Videosequenzen verknüpft? Die GAS ist auf Grundlage einer Berechnung mathematischer Algorithmen in der Lage, das Vorhandensein von Gesichtern in einer Bild- oder Videodatei zu „erkennen“, die „erkannten“ (berechneten) Gesichter miteinander zu vergleichen und einen prozentualen Wert der Übereinstimmung zu benennen. Die abschließende Bewertung, ob es sich bei den „erkannten“ (berechneten) Gesichtern um die gleiche Person handelt, wird von einem Sachbearbeiter der EG „Schwarzer Block“ vorgenommen. Die Identifizierung von Personen ist daher nur im Zusammenspiel zwischen Technik und manuellem Abgleich möglich. Es kann beispielsweise erforderlich sein, zuerst eine manuelle Auswertung durchzuführen , die hierbei festgestellten Bilder für eine GAS-Recherche zu verwenden und dabei neu festgestellte Bilder oder Videos weiter manuell auszuwerten. Statistiken im Sinne der Fragestellungen werden nicht geführt. Daher können die Fragen nach der Anzahl der Personen und dem Verhältnis der Treffer durch Technikeinsatz zu manuellem Abgleich nicht beantwortet werden. 17. Werden zur Auswertung mithilfe der Gesichtserkennungssoftware auch Lichtbilder aus anderen polizeilichen Dateien herangezogen und um welche handelt es sich dabei? Es werden manuell (nicht automatisiert) und ausschließlich als Grundlage für GAS- Recherchen auch Bilder aus dem polizeilichen Auskunftssystem POLAS und dem elektronischen Informationssystem der Polizei (INPOL) herangezogen. 18. Wurde die Gesichtserkennungssoftware oder die Referenzdatenbank mittlerweile auch für andere Ermittlungen ohne Zusammenhang mit dem G20-Gipfel eingesetzt? Wenn ja, bei welchen Ermittlungen von welcher Abteilung der Polizei? Nein. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18276 5 19. Die SoKo „Schwarzer Block“ ist mittlerweile aufgelöst und in eine Ermittlungsgruppe überführt worden. Wer bedient nun die Gesichtserkennungssoftware und wer hat Zugriff auf die dort gespeicherten Daten? Es bedienen ausschließlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ermittlungsgruppe 181 „Schwarzer Block“ die Gesichtsanalysesoftware. Neben diesen haben nur noch die Administratoren des Systems (IT 421) Zugriff auf die dort gespeicherten Daten. 20. Welchen Stand hat das gerichtliche Verfahren zur Klärung der rechtlichen (Un-)Zulässigkeit der Gesichtserkennungssoftware? a. Gibt es bereits einen Termin für eine mündliche Verhandlung? Wenn ja, wann? Wenn nein, wann wird mit einer gerichtlichen Entscheidung gerechnet ? Von den Beteiligten wurden beim Verwaltungsgericht Hamburg jeweils Schriftsätze eingereicht. Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 3. Mai 2019 darauf hingewiesen, dass Mittwoch, der 23. Oktober 2019 als Termin für eine mündliche Verhandlung vorgesehen ist. Eine Ladung der Beteiligten zur mündlichen Verhandlung war bis zum 6. September 2019 noch nicht erfolgt.