BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18386 21. Wahlperiode 20.09.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Carl-Edgar Jarchow und Jennyfer Dutschke (FDP) vom 13.09.19 und Antwort des Senats Betr.: „Vergewaltigungsdrogen“ unterschätzt? In den vergangen Jahren sind rezidivierend Medienberichte zu verzeichnen gewesen, die von Vorfällen in Zusammenhang mit sogenannten Vergewaltigungsdrogen 1 berichteten. Diese Substanzen werden körperlich sehr schnell abgebaut, sodass sie bereits nach kurzer Zeit nur noch schwer bis gar nicht im Organismus nachgewiesen werden können. Dennoch berichten neben Mädchen und Frauen auch Männer von Erlebnissen, die in Zusammenhang mit solchen Substanzen gebracht werden. So wird unter anderem berichtet, aus Hamburger Kreisen sei sich derart geäußert worden, es habe diesbezüglich nie ein großes Problem bestanden und Auskünfte zu Statistiken seien durch Systemumstellungen nicht möglich .2 Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wer hat sich gegenüber Medienvertretern im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg diesbezüglich und derart geäußert? 2. Auf Basis welcher Daten beruht die Schlussfolgerung, „Vergewaltigungsdrogen “ seien in Hamburg kein „großes“ Problem? Die Pressestelle der Polizei Hamburg beantwortete im Juli 2019 eine Anfrage eines Journalisten zum Thema „Gamma-Butyrolacton (GBL)/Liquid Ecstasy/K.O.-Tropfen“, die Sicherstellungen und deren rechtliche Grundlagen, Erkenntnisse zu den Täterinnen und Tätern, die auch mit Sexualdelikten in Erscheinung getreten sind, sowie Sachverhalte, in denen ein rechtlich nicht zu beanstandender Verwendungszweck für den Erwerb von GBL angegeben wurde, zum Gegenstand hatte. Die von der Pressestelle der Polizei gegebene Antwort bezog sich alleine auf Sicherstellungen von GBL, zu denen aufgrund einer Umstellung auf ein neues Datensystem derzeit keine aktuellen Daten vorliegen und auf ältere Daten aufgrund von Systemabschaltungen seitens des Bundeskriminalamtes sowie aus Datenschutzgründen nicht mehr zugegriffen werden kann. Darüber hinaus teile die Pressestelle der Polizei mit, dass der Polizei Hamburg Fälle, bei denen Erwerberinnen und Erwerbern einen rechtlich nicht zu beanstandenden Verwendungszweck angaben, nicht bekannt sind. 1 Als Vergewaltigungsdrogen oder auch K.o.-Tropfen (Knockout-Tropfen) werden narkotisierend wirkende Substanzen bezeichnet, die vermehrt im Zusammenhang mit Straftaten wie Sexualstraftaten oder Eigentumsdelikten verwendet werden, um die Opfer zu betäuben und wehrlos zu machen. 2 https://www.buzzfeed.com/de/marcusengert/gbl-ghb-ko-tropfen-vergewaltigungsdroge-nr1. Drucksache 21/18386 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Eine Stellungnahme zu Vorfällen im Zusammenhang mit „Vergewaltigungsdrogen“ in Hamburg sowie die im Artikel genannten, auf Hamburg bezogenen Schlussfolgerungen hat die Pressestelle der Polizei nicht abgegeben. Andere im Kontext stehende Auskünfte von Behörden sind dem Senat nicht bekannt. 3. Werden strafbare Handlungen im Zusammenhang mit „Vergewaltigungsdrogen “ statistisch erfasst? Wenn ja, in welcher Form (Aufschlüsselung nach Art und Zahlen von 2015 bis heute)? Wenn nein, warum nicht und sind solche Erfassungen für die Zukunft geplant? Wenn keine Erfassung geplant ist, worauf stützt der Senat seine Einschätzung dies sei nicht notwendig? 4. Wie viele strafbare Handlungen im Zusammenhang mit „Vergewaltigungsdrogen “ sind dem Senat bekannt? (Bitte jahresweise aufschlüsseln nach Art der strafbaren Handlungen.) Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der bundeseinheitlichen Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Straftaten im Sinne der Fragestellung werden unter der jeweiligen Schlüsselnummer der von der Polizei festgestellten Straftat (zum Beispiel Diebstahl, Raub, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung) erfasst. Das Tatmittel „GBL/Liquid Ecstasy/K.O.-Tropfen“ wird in der PKS nicht erfasst. Eine statistische Auswertung im Sinne der Fragestellungen ist daher in der PKS nicht möglich . Für die Beantwortung der Fragen nach der Anzahl der im Sinne der Fragestellungen festgestellten Straftaten wäre eine manuelle Durchsicht sämtlicher Hand- und Ermittlungsakten der letzten fünf Jahre bei der Kriminalpolizei erforderlich. Die Auswertung von über zweihunderttausend Vorgängen pro Jahr ist in der für eine Parlamentarische Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Änderungen der PKS-Richtlinien unterliegen einem bundeseinheitlichen Beschluss der Kommission PKS (KPKS). Die fachliche Befassung erfolgt zum einen auf Veranlassung übergeordneter Gremien sowie der Arbeitsgemeinschaft der Leiterinnen und Leiter der zentralen Kriminalbehörden der Länder und des Bundes (AG Kripo); alternativ können Themenvorschläge durch die Gremienvertreterinnen und Gremienvertreter in der KPKS eingebracht werden. Änderungen im Sinne der Fragestellungen sind in der PKS derzeit nicht geplant. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. und 2 und Drs. 20/6997, 21/5580. 5. Wie viele Verurteilungen wegen strafbarer Handlungen im Zusammenhang mit „Vergewaltigungsdrogen“ gab es in der Freien und Hansestadt Hamburg) (Bitte jahresweise aufschlüsseln nach Strafmaß und Art der strafbaren Handlungen) Die zur Beantwortung dieser Frage erforderlichen Daten, insbesondere die jeweils eingesetzten Tatmittel (K.O.-Tropfen oder ähnlich wirkende narkotisierende Substanzen ) werden im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem der Staatsanwaltschaft MESTA nicht erfasst. Für eine zuverlässige Auskunft müssten sämtliche Verfahrensakten der jeweiligen Aktenzeichenjahrgänge, in denen als Delikte die §§ 177, 224 oder 250 StGB notiert wurden, händisch ausgewertet werden, die sich pro Jahr allein für § 177 StGB im oberen dreistelligen Bereich bewegen. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Siehe auch Drs. 20/6997. 6. Wie groß wird das Dunkelfeld der tatsächlich strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit „Vergewaltigungsdrogen“ vermutet? Woraus bezieht der Senat hierzu seine Informationen? Siehe Drs. 21/10674, 21/5580 und 20/6997. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18386 3 7. Werden seitens des Senats Informationen zur Verfügung gestellt, die über die Risiken von „Vergewaltigungsdrogen“ aufklären? In welcher Form werden diese der Öffentlichkeit zugänglich gemacht? 8. Gibt es seitens des Senats eigene Aufklärungskampagnen oder unterstützt der Senat andere Institutionen bei Aufklärungskampagnen hinsichtlich der Gefahren von „Vergewaltigungsdrogen“? Welche Kampagnen dieser Art gab es in der Vergangenheit und wie viele? (Bitte Aufschlüsselung nach Art und Anzahl im Zeitraum von 2015 bis heute.) Die vom Senat geförderte Beratungsstelle „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen Hamburg e.V.“ informiert und berät seit Jahren umfassend zu den sogenannten K.O.-Tropfen und stellt diverse Infomaterialien hierüber zur Verfügung, siehe https://www.frauennotruf-hamburg.de/erste-informationen/k-o-tropfen. Mitarbeiterinnen des Notrufs sind regelmäßig auf Festivals mit Informationsmaterialien zu den Angeboten der Fachberatungsstelle und insbesondere mit Aufklärungsmaterialien zur Wirkungsweise der K.O.-Tropfen präsent. Im Rahmen des Reeperbahnfestivals war der Notruf mit einem großen Bauzaunbanner zur Prävention von K.O.-Tropfen sichtbar. Um das Reeperbahnfestival herum wurden in 2018 zudem in einem Zeitraum von vier Wochen Infomaterialien zu dem Thema verteilt. Im Rahmen der schulischen Alkoholpräventionsangebote für weiterführende Schulen des Suchtpräventionszentrums (SPZ) am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) werden kritische und bedrohliche Situationen rund um den Alkoholkonsum bearbeitet und Jugendliche darüber informiert, wie sie sich vor „Vergewaltigungsdrogen “ schützen können beziehungsweise wo sie Hilfe bekommen. Dazu gehören Unterrichts- und Projektmaterialien wie zum Beispiel das Lernarrangement „Nikotin, Alkohol, Cannabis“ für die Sekundarstufe 1, „Was geht?!“ Alkoholprävention ab Jahrgangsstufe 10 oder der Stationen-Parcours „Alles im Griff?!“, der schwerpunktmäßig an Berufsbildenden Schulen eingesetzt wird. In den Fortbildungen für Lehrkräfte zum Thema „Hinschauen und Handeln“ und auf Elterninformationsabenden zur Suchtprävention werden regelhaft auch K.O.-Tropfen angesprochen. Darüber hinaus stellt das SPZ den Flyer „K.O.cktail? – Fiese Drogen im Glas“ des Frauennotrufs zur Verfügung (siehe https://li.hamburg.de/contentblob/12951308/ b360e68de9f01d91bc287c1b3ffc1a53/data/pdf-frauennotruf-info-ko-tropfen.pdf). Das Thema wird ebenfalls in Beratungen, Fortbildungen und Fachveranstaltungen zur schulischen Sexualerziehung in Kooperation mit den Hamburger Fachberatungsstellen zur sexuellen Bildung und zur sexualisierten Gewalt aufgegriffen. Außerdem erhalten Jugendliche Hinweise auf dem Hamburger Jugendserver unter der Kategorie „Rat und Hilfe“ (siehe http://www.jugendserver-hamburg.de/?tid=92). Die von der BGV geförderte Fachstelle „Sucht.Hamburg“ verweist auf ihrer Internetseite auf den folgenden Link der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: https://www.drugcom.de/drogenlexikon/buchstabe-g/ghb/. In der von der Polizei bereitgestellten und über das Internet abrufbaren sowie an jeder Hamburger Polizeidienststelle als Druckversion zur Verfügung stehenden Broschüre „Opferhilfeeinrichtungen und Beratungsstellen“3 finden sich Einträge zu Fachberatungsstellen für sexualisierte Gewalt, die auch zum Thema „K.O.-Tropfen“ informieren. Auf der Internetseite des Programms Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (polizei-beratung.de) wird das Risiko von K.O.-Tropfen im Rahmen der Informationen zu Sexualstraftaten dargestellt.4 Außerdem werden von dort jedes Jahr 3 Das entsprechende PDF findet sich im Downloadbereich der Seite https://www.polizei.hamburg/opferhilfeeinrichtungen. 4 https://www.polizei-beratung.de/opferinformationen/sexualstraftaten/. Drucksache 21/18386 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 zur Faschingszeit Pressemitteilungen veröffentlicht, die ausdrücklich auch Bezug auf K.O.-Tropfen nehmen.5 In konkreten Verdachtsfällen und in persönlichen Gesprächen mit Opfern/Zeugen von Sexualstraftaten klärt die Polizei über die Risiken von K.O.-Tropfen auf und nutzt beziehungsweise verweist dabei auf das Faltblatt „K.O.cktail, Fiese Drogen im Glas, Informationen zu K.O.-Tropfen“ der Fachberatungsstelle FRAUEN NOTRUF des „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen e. V.“, Hamburg.6 Darüber hinaus informiert der Fachstab Jugend, Opferschutz und Prävention des Landeskriminalamtes in themenbezogenen internen und externen Fortbildungsveranstaltungen zur Symptomatik und Nachweisbarkeit von K.O.-Tropfen. Im Übrigen Siehe Drs. 21/5580. 9. Befindet sich der Senat im Austausch mit anderen Institutionen, wie beispielsweise Frauenberatungsstellen, um die Dunkelziffer von strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit „Vergewaltigungsdrogen“ zu ermitteln ? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, mit welchen Stellen kooperiert der Senat in diesem Zusammenhang ? Der Senat steht im regelmäßigen engen Austausch mit den Fachberatungsstellen Hamburgs, insbesondere über den Runden Tisch gegen häusliche Gewalt aber auch über diverse regelmäßige Fachaustausche und Trägergespräche. Dem Senat ist daran gelegen, durch den stetigen Austausch zwischen der BASFI und den Fachberatungsstellen aktuelle Bedarfe der Betroffenen von sexueller Gewalt aufzugreifen und diese in fachlichen Konzepten zu berücksichtigen. Der Fokus der Fachberatungsstellen liegt darin, Menschen die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind zu beraten und das Erlebte zu verarbeiten, unabhängig davon, wie sich die Straftaten ereigneten . Die Polizei steht im Rahmen des allgemeinen Austausches mit Einrichtungen aus dem Netzwerk Hamburger Beratungsstellen gegen sexualisierte Gewalt | NEXUS7 im Kontakt und wirbt regelmäßig für eine Förderung der Bereitschaft zur Erstattung von Anzeigen, um das Hellfeld in diesem Deliktsbereich zu erhöhen. Im Übrigen siehe Drs. 20/6997. 10. Welche Beratungsmöglichkeiten haben Personen, die vermuten, Opfer von „Vergewaltigungsdrogen“ geworden zu sein in der Freien und Hansestadt Hamburg? Siehe Antwort zu 7. und 8. sowie Drs. 21/10674, 21/5580 und 20/6997. 11. Arbeitet der Senat mit Clubs, Bars oder Diskotheken zusammen, um die Verwendung von „Vergewaltigungsdrogen“ zu verhindern? Wenn ja, mit welchen? Wenn nein, warum nicht? Die Fachberatungsstelle Notruf steht im fachlichen Austausch mit dem Verein Safe Hamburg, in dem sich mehrere Clubs zusammengeschlossen haben, https://dede .facebook.com/safenighthamburg/. 5 So zuletzt in der Pressemitteilung vom 01.03.2019: https://www.polizei-beratung.de/ startseite-und-aktionen/aktuelles/detailansicht/schutz-vor-k-o-tropfen-in-derfaschingszeit /. 6 http://www.frauennotruf-hamburg.de/wp-content/uploads/Informationsflyer-KO- Tropfen-4.pdf. 7 https://nexus-hamburg.de (17.09.2019). Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18386 5 12. In welcher Häufigkeit werden (mutmaßliche) Opfer von „Vergewaltigungsdrogen “ in Hamburger Krankenhäusern behandelt? (Bitte jahresweise aufschlüsseln nach Krankenhäusern von 2015 bis heute.) Daten im Sinne der Fragestellung werden statistisch nicht erfasst. Im Übrigen siehe Drs. 20/6997, 21/5580, 21/10674.