BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18470 21. Wahlperiode 01.10.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 24.09.19 und Antwort des Senats Betr.: Polizeieinsatz gegen Klimaaktivisten/-innen am 20.09.2019 Nachdem am 20.09.2019 bis zu 100 000 Menschen in Hamburg für eine andere Klimapolitik demonstriert haben, kam es an mehreren Stellen zu Blockadeaktionen von Straßen. Von den friedlichen Blockaden ging nach derzeitigem Kenntnisstand keinerlei Gewalt aus. Die Polizei hat die Blockaden unter Einsatz unmittelbaren Zwangs aufgelöst. Bereits bei den Blockaden wurde erhebliche Kritik an dem teilweise sehr brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Blockierer/-innen geübt. Auch parlamentarische Beobachter/-innen der Fraktion DIE LINKE haben vor Ort Räumungen durch „Schmerzgriffe“ et cetera beobachtet und gegenüber der Polizei versucht, auf den Verzicht dieser Techniken hinzuwirken. Im Nachgang der Blockaden sind etliche Videos im Internet erschienen, die das Vorgehen der Polizei dokumentieren. In der Öffentlichkeit wurden daraufhin starke Vorwürfe gegen die Polizei erhoben, da der Einsatz der angewendeten Techniken von vielen als unverhältnismäßig bewertet wurde. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Am 20. September 2019 fand der Aufzug „Fridays for Future“ mit von der Polizei festgestellten in der Spitze rund 70 000 Teilnehmenden statt. Nach Eintreffen der Aufzugsspitze am Endkundgebungsort um 14.41 Uhr stellte die Polizei ab 15.36 Uhr im Innenstadtbereich rund um die Binnenalster Protestaktionen in Form von Sitzblockaden durch Personengruppen auf Fahrbahnen fest. Diese Sitzblockaden führten zu Behinderungen insbesondere des Kraftfahrzeugverkehrs. Dabei wurden Kraftfahrzeugführer auf der Lombardsbrücke durch zeitgleich erfolgende Sitzblockaden an den Kreuzungen Lombardsbrücke/Ballindamm und Lombardsbrücke/Esplanade eingeschlossen . Das polizeiliche Handeln im Zuge von Versammlungen orientiert sich eng am rechtlichen Rahmen des Versammlungsrechts. Die in Rede stehenden Blockadeaktionen wurden aufgrund der Feststellungen vor Ort und im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG als nicht angemeldete Versammlungen gewertet. Die Abwägung des Schutzgutes der Versammlungsfreiheit mit konkurrierenden Grundrechtsschutzgütern kann im Ergebnis zu versammlungsrechtlichen Auflagen sowie von Versammlungsverboten bis hin zu Versammlungsauflösungen (§ 15 Absatz 1, 3 VersG) führen. Diese Abwägung ist unter folgenden Gesichtspunkten erfolgt: ‐ Dauer der Aktion, ‐ Ausweich- und Umgehungsmöglichkeiten der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer , Drucksache 21/18470 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 ‐ Etwaige Ankündigungen durch die Versammlungsteilnehmerinnen und Versammlungsteilnehmer , ‐ Anzahl der Versammlungsteilnehmerinnen und Verssammlungsteilnehmer/ Betroffenen, ‐ Etwaiges besonderes Verhältnis der Betroffenen zum Versammlungsthema. Unter diesen Gesichtspunkten ist das abgestufte Handeln der Polizei vor Ort unter Abwägung aller Rechtsgüter aller am Vorgang Beteiligten durchgeführt worden. Unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung wurde den Versammlungsteilnehmenden das Verweilen auf der Fahrbahn ermöglicht. Diese Sitzblockaden führten zu Behinderungen insbesondere des Kraftfahrzeugverkehrs, dabei wurden Kraftfahrzeugführer auf der Lombardsbrücke durch zeitgleich erfolgende Sitzblockaden an den Kreuzungen Lombardsbrücke/Ballindamm und Lombardsbrücke/Esplanade eingeschlossen . Im Spannungsfeld der Rechtsgüterabwägung konkurrierender Rechtsgüter der Versammlungsteilnehmenden und der Verkehrsteilnehmenden erhielten die Versammlungsteilnehmenden zunächst den Vorrang und die Möglichkeit, die Versammlung für eine angemessene Zeit durchzuführen. Nach Ablauf dieser Zeit erhielten die Versammlungsteilnehmenden die Auflage, die Versammlung auf dem Gehweg fortzusetzen. Anstelle einer ansonsten erforderlichen Auflösung der Versammlung sollten die Versammlungsteilnehmenden dadurch die Möglichkeit bekommen, ihre Versammlung durch die Auflage einer örtlichen Verlagerung weiter fortzusetzen. Die Auflage sowie die Androhung der Durchsetzung mittels Zwangsmaßnahmen bei Nichtbefolgung wurden den Versammlungsteilnehmenden mehrfach über Lautsprecher mitgeteilt. Diese Auflage wurde von der Mehrheit der Versammlungsteilnehmenden nicht befolgt. Grundsätzlich erfolgte die Vornahme des unmittelbaren Zwangs stufenweise und auf den Einzelfall bezogen in Abhängigkeit zu der Reaktion des Versammlungsteilnehmenden und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit. Hierbei bestimmt das Verhalten des Versammlungsteilnehmenden den Grad der Eingriffsmaßnahme. Wenn möglich, wurde der oder die Versammlungsteilnehmende, nach erneuter Ansprache und Aufforderung sich auf den Gehweg zu begeben, aufgehoben und die Auflage durchgesetzt . Sofern sich der oder die Versammlungsteilnehmende durch Ein-/Unterhaken, auf den Händen sitzend oder durch sonstiges gruppendynamisches und erschwerendes Handeln gegen die Maßnahme sperrte, wurden Hebeltechniken auf Grundlage des Einsatztrainings angewendet. Bei der Polizei Hamburg werden einheitliche Standardtechniken für das Auflösen von Sitzblockaden unter Beachtung der bundesweit gültigen und nur für den internen Dienstgebrauch bestimmten Polizeidienstvorschrift 201 sowie der nur für den internen Dienstgebrauch bestimmten Leitfäden 290 und 371 angewandt. Die für das Auflösen von Sitzblockaden erforderlichen Eingriffstechniken sind Bestandteil der Ausbildung. Um unterschiedliche Anwendungen der Eingriffstechniken und mögliche Verletzungsgefahren beim polizeilichen Gegenüber zu vermeiden, werden seitens der Polizei Hamburg zwei Standardeingriffstechniken verwendet. Die Anwendung der Standardtechniken zum Aufheben und Wegführen von Personen ist auf die Durchführung der jeweiligen Maßnahme ausgerichtet; dem Betroffenen dabei grundsätzlich Schmerzen zuzufügen, ist nicht Zielrichtung der Standardtechniken. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Gegen wie viele Polizeikräfte wurde bisher aufgrund des Polizeieinsatzes im Zusammenhang mit dem Klimastreik und den anschließenden Blockaden am 20.09.2019 wegen welcher strafrechtlichen Vorwürfe ein Ermittlungsverfahren eingeleitet? 2. Wie viele der unter 1. genannten Ermittlungsverfahren wurden von Amts wegen, wie viele aufgrund von Anzeigen von Hinweisgebern, die sich an das Dezernat Interne Ermittlungen wenden, wie viele aufgrund von Anzeigen von Geschädigten, wie viele durch Hinweise von Polizeikräften und wie viele aufgrund von Selbstanzeigen eingeleitet? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18470 3 3. Wurden die auf „Twitter“ und in auf anderen Plattformen veröffentlichten Videos der Polizeieinsätze als Beweismittel gesichert? Das Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) führt mit Stand vom 25. September 2019 vier Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gemäß § 340 StGB. Den Ermittlungsverfahren liegt jeweils eine Anzeige von Dritten zugrunde . Die Anzahl der beteiligten Polizeibediensteten und die im Sinne der Strafanzeigen von den Maßnahmen Betroffenen sind Gegenstand der Ermittlungen. Die abschließende rechtliche Beurteilung obliegt der Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Sachleitungsbefugnis . Videos, die dem DIE im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren zur Kenntnis gelangten, sind gesichert worden. 4. Von wie vielen Personen wurden aufgrund des Klimastreiks und der daran anschließenden Blockaden am 20.09.2019 die Personalien durch die Polizei festgestellt? Im Sinne der Fragestellung hat die Polizei mit Stand 26. September 2019 insgesamt 44 Identitätsfeststellungen durchgeführt; davon 22 Identitätsfeststellungen anlässlich eines Verkehrsunfalls im räumlichen Zusammenhang mit einer Sitzblockade am Stephansplatz . Die hohe Zahl der Identitätsfeststellungen anlässlich des Verkehrsunfalles ist durch die Feststellung von 19 Zeuginnen und Zeugen bedingt. 5. Wurden weitere polizeilichen Maßnahmen (zum Beispiel Ingewahrsamnahmen , Platzverweise et cetera) gegen geräumte Teilnehmer/-innen der Blockaden durchgeführt? Wenn ja, welche und gegen wie viele Personen? Im Sinne der Fragestellung hat die Polizei mit Stand 26. September 2019 insgesamt 15 Personen Platzverweise erteilt; darüber hinaus hat die Polizei keine weiteren Maßnahmen im Sinne der Fragestellung getroffen. 6. Gegen wie viele Personen wurde aufgrund des Klimastreiks und der daran anschließenden Blockaden am 20.09.2019 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet? Bitte strafrechtlichen Vorwurf benennen und Kurzsachverhalt angeben. Im Sinne der Fragestellung hat die Polizei mit Stand 26. September 2019 bisher gegen sieben namentlich bekannte Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet: ‐ Gegen drei Personen jeweils wegen eines Verstoßes gemäß §§ 17 a, 27 VersG (Führen von Gegenständen, die die Feststellung der Identität verhindern). Alle drei Personen befanden sich unter den Teilnehmenden der Sitzblockade Lombardsbrücke /Neuer Jungfernstieg und hatten sich vermummt. ‐ Gegen eine Person wegen eines Verstoßes gemäß § 185 Strafgesetzbuch (StGB) (Beleidigung). Die Person war Teilnehmer der Sitzblockade Lombardsbrücke/ Neuer Jungfernstieg. Sie beleidigte Polizeibeamte durch verbale Äußerungen und spuckte ihnen hinterher. Später wurde die Person in der Sitzblockade Lombardsbrücke /Ballindamm/Ferdinandstor erneut angetroffen. Bei der polizeilichen Räumung dieser Kreuzung spuckte sie Einsatzkräften vor die Füße. ‐ Gegen eine Person wegen eines Verstoßes gemäß § 114 StGB (Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte). Die Person befand sich unter den Teilnehmenden der Sitzblockade im Bereich Dammtordamm/Theodor-Heuss-Platz. Die Teilnehmenden wurden polizeilich aufgefordert, die Fahrbahn zu verlassen. Die Person reagierte auch auf persönliches Ansprechen nicht. Als Polizeibeamte zum Abtransport der Person versuchten die verschränkten Arme zu lösen, schlug sie mit dem Arm in Richtung des Kopfes eines Polizeibeamten. ‐ Anlässlich eines Verkehrsunfalls am Stephansplatz gegen eine Person ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen §§ 142, 229 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und fahrlässiger Körperverletzung) sowie ein weiteres Strafverfahren gegen eine weitere Person wegen eines Verstoßes gegen § 240 StGB (Nötigung). Nach derzeitigem Kenntnisstand der Polizei kam es während der Blockade an der Drucksache 21/18470 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Kreuzung Stephansplatz zu einem Verkehrsunfall zwischen einem angetrunken Fußgänger, der nicht Teilnehmer der Versammlung war und einem wendenden Pkw. Der Fußgänger wurde leicht verletzt, der Pkw-Fahrer entfernte sich vom Unfallort und sprach Polizeikräfte an. 7. Die Polizei ist an die strikte Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gebunden. Das heißt, dass unter verschiedenen Mitteln immer das jeweils mildeste Mittel eingesetzt werden muss. Soweit möglich ist das mildeste polizeiliche Mittel zur Auflösung von Blockaden das „Wegtragen “ der Person. a. Wie viele Personen wurden ohne die Anwendung von sogenannten Schmerzgriffen, Hand(beuge)hebeln et cetera weggetragen? b. Bei wie vielen Personen wurden sogenannte Schmerzgriffe, Hand(beuge)hebel et cetera angewandt? c. Bei wie vielen Personen wurde durch Griffe ins Gesicht oder den Hals (zum Beispiel Mund zudrücken, Würgegriffe et cetera) die Atmung der betroffenen Personen beeinträchtigt? Bitte immer nach dem Ort der jeweiligen Blockade differenzieren. Statistische Daten im Sinne der Fragestellungen wurden nicht erfasst. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 8. Inwieweit wurde bei der Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit der Räumung der Blockaden berücksichtigt, dass es sich bei vielen der Blockierern /-innen um augenscheinlich minderjährige Personen gehandelt hat? 9. Inwieweit wurde bei der Entscheidung über den Einsatz von „Schmerzgriffen “ et cetera berücksichtigt, dass es sich bei vielen der Blockierer/ -innen um augenscheinlich minderjährige Personen gehandelt hat? Siehe Vorbemerkung. Die Polizei hat bei den Entscheidungen, ob und wie die Räumung einer Fahrbahn durchgeführt wurde, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stets beachtet. Das Alter der Teilnehmenden der Sitzblockaden stand einer Durchführung der Maßnahmen und einer Anwendung unmittelbaren Zwangs nicht entgegen. 10. Durch wen wurde die Räumung der Blockaden zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen angeordnet? Der Gesamteinsatzleiter ordnete als Polizeiführer der anlässlich des Einsatzes „Klima- Streik“ eingerichteten Besonderen Aufbauorganisation nach Feststellung der ersten Sitzblockade am Stephansplatz am 20. September um 15.36 Uhr folgende Vorgehensweise an: ‐ Kontaktaufnahme mit den Versammlungsteilnehmenden, ‐ Feststellung eines Versammlungsleiters, ‐ Kooperation einer örtlichen Auflage des Versammlungsortes auf dem Gehweg, ‐ Durchsetzung der Auflage bei Nichtbefolgen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 11. Mindestens eines der Videos vermittelt den Eindruck, dass der einen Schmerzgriff ausführende Polizist dabei von einer danebenstehenden Polizistin angeleitet wurde, weil er den Schmerzgriff noch nicht beherrschte. Wie werden Polizeibedienstete zur Anwendung von Schmerzgriffen ausgebildet, sodass sie die Verletzungen von Betroffenen vermeiden lernen? Die für das Auflösen von Sitzblockaden erforderlichen Standardtechniken sind Bestandteil der Aus- und Fortbildung an der Akademie der Polizei Hamburg und dar- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18470 5 über hinaus fester Bestandteil der Fortbildung der Einsatzkräfte in der Landesbereitschaftspolizei . Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 12. Der Pressesprecher der Polizei führt in einem per Twitter verbreiteten Statement unter anderem aus, dass es bundeseinheitliche Standards zur Auflösung von Sitzblockaden gebe. Welchen Inhalt haben diese bundeseinheitlichen Standards zur Auflösung von Sitzblockaden? Bitte im Wortlaut wiedergeben. Siehe Vorbemerkung. Darüber hinaus berührt die Frage die Einsatztaktik der Polizei, über die der Senat grundsätzlich keine Auskunft gibt.