BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18487 21. Wahlperiode 04.10.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Stephan Jersch (DIE LINKE) vom 26.09.19 und Antwort des Senats Betr.: Wie hält es der Senat mit den Klimazielen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV)? Pünktlich zum Klimastreik am 20. September hat die ADV das Klagelied angesichts der ohnehin völlig unzureichenden Beschlüsse des Klimakabinetts angestimmt. Die ADV spricht sich unter anderem gegen eine „Zweckentfremdung “ der Luftverkehrssteuer zur Mehrwertsteuersenkung der Bahn aus, vertritt die doch recht „steile“ These, dass der Luftverkehr die einzige nutzerfinanzierte Verkehrsart sei und weder aus Steuergeldern noch durch Subventionen unterstützt wird. Hingegen verlangt die ADV die öffentliche Finanzierung klimaschützender Maßnahmen der Luftverkehrswirtschaft. Neben diversen anderen Aussagen in dieser Klagemitteilung (ADV- Pressemitteilung Nr. 20/2019), die zumindest angesichts der Bekundung des Senats zum Klimaschutz mehr als fragwürdig erscheinen, stellt sich natürlich die Frage, wie sich die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) als Mehrheitseignerin des Flughafens positioniert. Der Flughafen Hamburg ist Mitglied der ADV in der Mitgliedergruppe „Internationale Verkehrsflughäfen“ (hinzu kommt der Flughafen Finkenwerder in der Gruppe „Regionale Verkehrsflughäfen und -landeplätze“), die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) ist außerordentliches Mitglied der ADV. Im Gegensatz zu älteren (Web-)Auftritten des ADV werden nur noch die Vorsitzenden der jeweiligen Fachausschüsse im Internet publiziert, die Einzelmitglieder der Fachausschüsse und demzufolge auch die Mitarbeit der aus Hamburg kommenden Vertreterinnen und Vertreter ist daher nicht mehr transparent. Daher frage ich den Senat: Der Hamburger Senat erkennt die Herausforderungen des Klimawandels und hat sich die Notwendigkeit einer nachhaltigen Reduktion von CO2-Emissionen zum Ziel gesetzt. Dabei wird das Ziel des emissionsfreien Fliegens bis zum Jahr 2050 und Klimaschutzmaßnahmen im Luftverkehr, die ihren Beitrag zur Klimaneutralität leisten, befürwortet. Im Bereich des Luftverkehrs am Standort Hamburg werden bereits zahlreiche Klimaschutzmaßnahmen durch die Flughafen Hamburg GmbH (FHG) durchgeführt . Die FHG setzt sich für umweltfreundliche Technologien im Betrieb ein und konnte ihren CO2-Ausstoß in den vergangenen Jahren um 11 600 t jährlich vermindern. Des Weiteren hat sich die FHG gegenüber dem Hamburger Senat verpflichtet, pro Jahr weitere 1 700 t CO2 einzusparen. Im Jahr 2013 beschloss die FHG zum Beispiel das sogenannte Mobilitätskonzept 2020. Inhalt des Konzeptes ist unter anderem, dass jedes neu angeschaffte Fahrzeug am Hamburg Airport grundsätzlich mit einem alternativen und umweltfreundlichen Antriebssystem ausgestattet sein muss. Ziel ist es, dass 50 Prozent des gesamten Fuhrparks am Flughafen alternativ angetrieben werden . Ein weiteres Beispiel ist das im Zuge der Vorfeldsanierung umgesetzte Projekt „Follow-the-Greens“. Die FHG investiert rund 6,7 Millionen Euro in ein intelligentes Befeuerungs- und Leitverfahren. Durch einen optimierten Rollverkehr werden einer- Drucksache 21/18487 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 seits deutliche Zeitersparnisse für Airlines und Passagiere erzielt und andererseits können bis zu 30 Prozent des Treibstoffverbrauchs am Boden reduziert werden. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen teilweise auf der Grundlage von Auskünften der FHG und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen e.V. (ADV) wie folgt: 1. Wer und in welchen Gremien der ADV vertritt derzeit die Interessen des Flughafens Hamburg und der BWVI? Die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) ist außerordentliches Mitglied der ADV und wird durch die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) vertreten. Die BWVI ist Mitglied im Verwaltungsrat der ADV und vertritt die FHH in der Mitgliederversammlung der ADV. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der FHG ist stellvertretender Vorsitzender des Präsidiums der ADV. Die FHG entsendet zudem unterschiedliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter funktionsabhängig in verschiedene Arbeitsgremien der ADV. Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden die Namen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern , welche in internen ADV-Arbeitskreisen mitwirken, nicht genannt. 2. Waren an der Erstellung der angeführten Pressemitteilung (20/2019) der ADV Vertreterinnen und/oder Vertreter des Flughafens Hamburg, der BWVI oder anderer Behörden der Stadt unmittelbar oder mittelbar (zum Beispiel durch Freigabe der Pressemitteilung) beteiligt? Wenn ja: Wer und wie konkret sah die Beteiligung aus? Nein. 3. Wie positionieren sich der Senat einerseits und die Vertreter der FHH beziehungsweise des Flughafens zu den in der Pressemitteilung geäußerten Behauptungen, Feststellungen oder Forderungen, insbesondere zu den folgenden Punkten: a. Bewertet der Senat die Nutzung der Luftverkehrssteuer zur Förderung des Bahnverkehrs als Zweckentfremdung? Wenn ja: Bitte darlegen, welche Gründe dafür vorliegen. Steuern sind Abgaben, die zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staates erhoben werden. Sie unterliegen daher keiner Aufgaben- oder Zweckbindung. b. Ist der Senat der Meinung, dass der Luftverkehr der einzige nutzerfinanzierte Verkehrsträger ist: Wenn ja: Wie fließt eine Bewertung unter anderem des Verzichts auf die Kerosinsteuer, der Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur (zum Beispiel eines S-Bahn-Anschlusses) in diese Bewertung mit ein? Der Luftverkehr ist im Gegensatz zu anderen Verkehrsträgern vollständig nutzerfinanziert . Die Bundesrepublik Deutschland hat das sogenannte Chicagoer Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt im Jahr 1956 unterzeichnet. Dieses geht vor dem Hintergrund der grenzüberschreitenden und internationalen Ausrichtung des Luftverkehrs davon aus, dass der Luftverkehr über kostendeckende Nutzerentgelte statt über Steuern finanziert wird. Tatsächlich dienen die von den Luftverkehrsgesellschaften gemäß § 19b Luftverkehrsgesetz (LuftVG) zu entrichtenden Entgelte dazu, die Errichtung und Nutzung der Flughafeninfrastruktur zu finanzieren. Die Erhebung einer Kerosinsteuer auf internationalen Verbindungen scheidet überdies aufgrund von Artikel 24 des Chicagoer Abkommens aus. Danach haben sich die Unterzeichnenden darauf verständigt, Flugkraftstoffe von staatlichen Abgaben und Gebühren zu befreien. Möglich wäre danach lediglich die Erhebung einer Kerosinsteuer für Inlandsflüge. Eine nationale Kerosinsteuer würde allerdings nichts an dem Prinzip der Nutzerfinanzierung ändern. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18487 3 Die finanzielle Verantwortung des Luftverkehrs hört zudem dort auf, wo das System Luftverkehr endet. So ist auch die Frage der Finanzierung anderer Verkehrsträger hiervon abzugrenzen, entsprechend der auch im Übrigen geltenden differenzierten finanziellen Zuständigkeiten zum Beispiel zwischen Straße und Schiene. Beispielsweise liegt die Finanzierungsverantwortung für einen Anschluss an schienengebundene Verkehrsträger bei den jeweils für diesen Verkehr zuständigen Baulastträgern. c. Ist der Senat der Auffassung, dass klimaschützende Maßnahmen der Luftverkehrswirtschaft durch Steuereinnahmen aus selbiger (Luftverkehrssteuer) refinanziert werden sollen? Wenn ja: Für welche Wirtschaftsbereiche erachtet der Senat ebenfalls eine steuerbasierte Finanzierung von klimaschützenden Maßnahmen für sinnvoll beziehungsweise notwendig? Steuern werden nicht zweckgebunden erhoben. Die Verwendung von Steuereinnahmen wird in der Abgabenordnung dem Grunde nach geregelt. Die zuständige Behörde setzt sich grundsätzlich dafür ein, dass die Bundesregierung die finanzielle Förderung im Bereich der Luftfahrtforschung aufstockt, um die Luftfahrtindustrie bei ihrem Ziel, perspektivisch klimaneutrales und leiseres Fliegen zu ermöglichen, maßgeblich zu unterstützen. Die zuständige Behörde hat sich im Übrigen mit dieser Fragestellung noch nicht befasst. d. Ist der Senat der Auffassung, dass die CO2-Bepreisung des Luftverkehrs im Rahmen des Emissionshandels eine bislang wirksame Maßnahme zur Emissionsreduzierung war? Wenn ja: Wie haben sich die CO2-Emissionen in absoluten Werten seit 2012 beim Luftverkehr verändert? Aus Sicht der zuständigen Behörde ist die Einbeziehung des Luftverkehrs in den Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) im Jahr 2012 ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaneutralität. Laut einer Studie von Eurocontrol wird bis zum Jahr 2040 (im Vergleich zu 2017) eine weitere Steigerung des Flugaufkommens zu verzeichnen sein. Daraus wird für diesen Bereich ein steigender CO2-Ausstoß resultieren, soweit der Betrieb von Flugzeugen nicht klimaneutral erfolgt (etwa durch alternative Treibstoffe oder andere Antriebe). Beim EU-ETS wird die Emissionsreduzierung aber nicht branchenbezogen, sondern in einem Gesamtsystem erreicht. Der europäische Zertifikatehandel führt dazu, dass der europäische Luftverkehr seit dem Jahr 2012 CO2-neutral wächst. Die Gesamtmenge der ausgegebenen Zertifikate wird im Rahmen des ETS-Systems auf EU-Ebene begrenzt und EU-ETS-pflichtigen Unternehmen anteilig zur Verfügung gestellt. Erweisen sich für ein Unternehmen die zugewiesenen Zertifikate als nicht ausreichend, muss das Unternehmen entweder auf das Emittieren verzichten oder Zertifikate am Markt kaufen. Damit wird sichergestellt, dass die zugelassene CO2-Menge nicht überschritten wird. Zudem wird das EU-Gesamtbudget der Zertifikate jährlich gesenkt und die Preise regelmäßig angepasst. Ziel ist es, CO2 dort einzusparen, wo es am einfachsten möglich ist, sodass die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 43 Prozent gesenkt werden können. e. Welche auszuspielenden Stärken des Luftverkehrs sieht der Senat bei Verbindungen über 400 Kilometer unter Einbeziehung der Empfehlungen des Flughafens, zwei Stunden vor Abflug am Flughafen zu erscheinen und für welche Entfernungen sieht der Senat „ausspielbare Vorteile“ des Luftverkehrs? Der Luftverkehr findet überwiegend auf langen Distanzen statt. Der größte Anteil im Flugverkehr findet auf Mittel- und Langstrecken statt. Insbesondere im Mittel- und Langstreckenverkehr spielt der Luftverkehr seine Vorteile gegenüber anderen Verkehrsträgern aus, mit denen viele Ziele nicht oder nur unter großem zeitlichen Aufwand zu erreichen wären. Der Luftverkehr leistet so einen wichtigen Beitrag zur Mobilität sowohl auf dem Gebiet der geschäftlich bedingten Reisen als auch bei der Gewährleistung von privater Mobilität der Nutzerinnen und Nutzer. Weiterhin verbindet die Luftfahrt, speziell die Luftfracht, deutsche Unternehmen mit internationalen Absatzmärkten. Drucksache 21/18487 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 f. Hat die Einschätzung der ADV zumindest bezüglich der Entfernungen unter 400 Kilometer für die einzige relevante Flugstrecke unter 400 Kilometer Entfernung, Hamburg – Kopenhagen, eine Auswirkung für das zukünftige städtische Handeln? Wenn ja: Welche? Wenn nein: Warum nicht? Der Hamburger Flughafen ist Teil einer öffentlichen Infrastruktur und hat eine korrespondierende Betriebspflicht. Es steht den Luftverkehrsunternehmen daher frei, im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten Slots einzuwerben und Verbindungen anzubieten . Seitens der FHG und FHH kann auf einzelne Flugstreckenangebote von den Fluggesellschaften kein Einfluss genommen werden. Die konkret angesprochene Verbindung nach Kopenhagen ist zwar kürzer als 400 km, dauert zurzeit mit der Bahn durch die notwendige Querung des Fehmarnbelts circa fünf Stunden. Von Kopenhagen werden viele Umsteigeverbindungen erreicht. Auch vor dem Hintergrund der Klimaziele befürwortet der Senat die Ertüchtigung der schienengebundenen Infrastruktur, die es Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht, Ziele in kurzer Zeit auch mit der Bahn zu erreichen. So wird mit Fertigstellung der festen Querung des Fehmarnbelts (FQFB) und dem Ausbau der Schienen- und Straßenanbindungen des Hinterlands beiderseits des Belts die natürliche Barriere des Fehmarnbelts überwunden und die letzte große Lücke im grenzüberschreitenden Verkehrsnetz Nordeuropas geschlossen. Damit wird die sogenannte Vogelfluglinie als kürzeste Verbindung zwischen Skandinavien und dem Festland zu einer der leistungsstärksten Transportachsen von und nach Skandinavien. Die Reisezeit zwischen Kontinentaleuropa und Skandinavien wird deutlich verkürzt und der Austausch sowie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Regionen Norddeutschland, östlicher Teil Dänemark und Südschweden weiter gestärkt. g. Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) hat mit CORSIA (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) lediglich ein Programm beschlossen, mit dem die zusätzlichen Emissionen des steigenden Luftverkehrs ab 2020 nach Möglichkeit klimaneutral sein sollen. Nach Aussage in der ADV-Pressemitteilung ist das Ziel der gesamten Branche aber ein emissionsfreier Luftverkehr ab 2050. An welcher Stelle wurde dieses Ziel verbindlich vereinbart und mit welchen Maßnahmen kann es (ohne Emissionshandel ) erreicht werden? CORSIA stellt den Einstieg in ein globales Klimainstrument dar. Ziel ist es, international einen Minderungspfad einzuschlagen. Daneben stehen Ziele anderer Akteure, unter anderem der ADV. Laut ADV ist ein „emissionsfreier Luftverkehr 2050“ nicht verbindlich vereinbart worden, sondern vielmehr als äußerst ambitioniertes Ziel gesetzt worden, das mit alternativem Kerosin realisierbar wäre. Die Flughäfen haben die eigenen Daten analysiert und anschließend das Mittelfristziel für das Jahr 2030 (minus 50 Prozent gegenüber dem Jahr 2010) formuliert. Damit war der Weg für das Ziel für das Jahr 2050 geebnet. Zusammen mit dem europäischen Verband Airports Council International Europe (ACI-Europe) wurde dieses Ziel in diesem Jahr gesetzt. h. In welcher Form haben sich die Vertreter beziehungsweise Vertreterinnen der FHH (sowohl als Anteileigner des Flughafens wie als BWVI) in der ADV für eine Übertragung der Klimaziele Hamburgs auf die ADV-Zielsetzung eingesetzt und sieht der Senat Widersprüche zwischen der Position der ADV und der des Senats? Wenn ja: Wo und wie beeinflusst dies das Verhältnis zur ADV? Der Zertifikatehandel auf europäischer (EU-ETS) und künftig auf globaler (CORSIA) Ebene wird als positiv bewertet. Die zuständige Behörde wird in die derzeitige Fortschreibung des Hamburger Klimaplans unter anderem einbringen, dass der Luftverkehr auf der Grundlage von erzielten Fortschritten auf internationaler Ebene klimafreundlich ausgestaltet sein wird. Insofern ist kein Widerspruch zur Position der ADV erkennbar. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.