BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18503 21. Wahlperiode 08.10.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Sudmann (DIE LINKE) vom 30.09.19 und Antwort des Senats Betr.: Paulihaus – Büroklotz an der Budapester Straße statt St.-Pauli-Code Der nächste Büroklotz im Stadtteil St. Pauli droht. Sechsgeschossig, mit einer Höhe von rund 20 Metern und einer Länge von rund 100 Metern sowie einer ortsunspezifischen, monotonen Fassade ist das Gebäude parallel zur Budapester Straße/Ecke Feldstraße geplant. Der Blick auf die dahinter liegende , geschwungene Fassade der denkmalgeschützten Rindermarkthalle wird weitgehend versperrt. Was unzutreffend als sich einfügend in die umgebende Bebauung beschrieben wird, ist real ein riesiger Klotz, der den Blick vom Arrivati-Park aus auf die Rindermarkthalle verunstaltet, breitere Fußwege an der Budapester Straße unmöglich macht, den Baumbestand gefährdet und für die gegenüberliegende Wohnbebauung ein Verkehrslärmverstärker sein wird. Zunächst als „Randbebauung Budapester Straße“ betitelt wurde das nachfolgend thematisierte Immobilienprojekt in einem ersten Flyer aus 2017 als Konzeptidee mit dem Titel „Built-in-St. Pauli“ von drei Firmen vorgeschlagen. Die drei Firmen waren: steg Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH, HTP HAMBURG TEAM Gesellschaft für Projektentwicklung mbH, ARGUS Stadt und Verkehr Partnerschaft mbB. Ziel des Projektes sollte – nach Information der Projektträger/-innen – sein: „Dabei geht es um einen innovativen Neubau, welcher zur Eigennutzung hergestellt werden soll.“ Von einem Wirtschaftsförderungsfall, der eine Vergabe des Grundstückes ohne weitere Ausschreibung ermöglichen könnte, war zu diesem Zeitpunkt keine Rede. Einige Zeit später wurde jedoch bekannt gemacht, dass das Projekt verändert wurde und nun eine vierte Firma, die PAHNKE MARKEN- MACHEREI GmbH & Co. KG aus der Werbebranche, in die Projektgesellschaft aufgenommen wurde. Kurze Zeit später wurde das Projekt umgetauft und erhielt die derzeitige Bezeichnung als sogenanntes Paulihaus. Das Grundstück wurde den nunmehr vier Firmen im Oktober 2018 als Wirtschaftsförderungsfall anhand gegeben – trotz der Kritik aus dem Quartier und der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte. Der Quartiersbeirat Karolinenviertel hatte am 24.04.2017 einstimmig beschlossen und der Bezirksversammlung (BV) und dem Bezirksamt Hamburg-Mitte empfohlen, dass „(...) keine Förderung des Projektes mit öffentlichen Geldern und keine Anerkennung als Wirtschaftsförderungsfall erfolgt, so lange nicht deutlich ist, welches „Gemeinwohlinteresse das Projekt“ erfüllt, eine Gefährdung der bestehenden Läden in der Marktstraße und Glashüttenstraße nicht ausgeschlossen werden kann und solange das „Gemeinwohlinteresse des Projektes“ nicht mit anderen Mit- Drucksache 21/18503 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 teln leichter oder kostengünstiger erfüllt werden kann.“ (Drs. 21-3325.1, BV Hamburg-Mitte.) Die BV hat den Beschluss des Quartiersbeirats am 22.06.2017 bestätigt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Entwurf für das „Paulihaus“ ist aus dem Ergebnis eines städtebaulichhochbaulichen Werkstattverfahrens (2018) mit mehreren teilnehmenden Büros hervorgegangen . Die Jury hat sich dabei einstimmig für den Entwurfsverfasser ausgesprochen und die Qualitäten der Arbeit positiv gewürdigt. Es wurden dabei unter anderem die Gliederung der Raumkante, der städtebauliche Kontext, die Gemeinschaftsorientierung der Nutzungen und nicht zuletzt der Denkmalschutz berücksichtigt. An dem Werkstattverfahren waren Vertreterinnen und Vertreter des Sanierungsbeirats Wohlwillstraße und der weiteren lokalen Öffentlichkeit als Sachverständige beziehungsweise Gäste beteiligt. Der Quartiersbeirat Karolinenviertel sah von einer Beteiligung am Verfahren ab, wurde jedoch wiederholt über das Ergebnis des Wettbewerbs und über den laufenden Projektfortschritt informiert. Die an der Dispositionsrunde Gewerbegrundstücke beteiligten Behörden und Dienststellen (Bezirksamt Hamburg-Mitte, Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation und Hamburgische Gesellschaft für Wirtschaftsförderung) haben bereits am 07. September 2016 die Disposition des Grundstücks für 18 Monate zugunsten der jetzigen vier Konsortialpartner - PAHNKE MARKENMACHEREI GmbH & Co. KG, - STEG Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH, - HTP Hamburg Team Gesellschaft für Projektentwicklung mbH, - ARGUS Stadt und Verkehr Rothfuchs | Buch | Partnerschaft mbB beschlossen. Die Kommission für Bodenordnung hat am 27. September 2018 der Anhandgabe zugunsten der oben genannten Konsortialpartner bis zum 31. Dezember 2019 zur Aufnahme von Verhandlungen über eine Erbbaurechtsbestellung für eine Laufzeit von 60 Jahren zum Zwecke der Wirtschaftsförderung zugestimmt und im Oktober 2018 gegenüber den Konsortialpartnern ausgesprochen wurde. Durch die Anhandgabe übernimmt die Stadt keine Verpflichtung, das Grundstück zu veräußern, daran ein Erbbaurecht zu bestellen oder anderweitig zu überlassen. Die Bestellung eines Erbbaurechtes bedarf zusätzlich der Zustimmung der Kommission für Bodenordnung. Diese Zustimmung bleibt ausdrücklich vorbehalten. Sie kann erst eingeholt werden, nachdem über die Bedingungen des Erbbaurechtsvertrages Einvernehmen erzielt worden ist und der Bauantrag gestellt wurde. Die Stadt zahlt für Aufwendungen während der Anhandgabe (Architektenhonorar, Zeichnungen, Gebühren , Bodenuntersuchungen und so weiter) oder für einen Gewinnausfall keine Entschädigung . Dies gilt auch für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen. Die beteiligten Firmen beabsichtigen noch eine Projektgesellschaft zu gründen, die als Erbbauberechtigter auftreten wird. Nach derzeitigem Stand wird der entsprechende Vertrag im ersten Halbjahr 2020 beurkundet. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Für das betroffene Gebiet gibt es keinen Bebauungsplan, sondern nur einen Baustufenplan von 1955. Bereits für die Aufstockung des Bunkers an der Feldstraße, der auch in dem Gebiet dieses Baustufenplans liegt, erfolgte die Genehmigung nach § 34 Baugesetzbuch (BauGB). Als Maßstab für die städtebauliche Verträglichkeit wurde bei dem Immobilienprojekt der Bunkeraufstockung nicht die direkte Nachbarbebauung, sondern der gesamte Baublock 111-003, Heiligengeistfeld, gewählt und dabei formuliert: „Das Gebiet ist geprägt durch Solitärgebäude wie das St. Pauli Stadion, das Bürogebäude der „Teleko“, das Hallenbad, die Schul- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18503 3 gebäude, die Rindermarkthalle.“ Die extensiven Freiflächen, der Baumbestand sowie kleinere, niedrigere Gebäude wie der Recyclinghof, das Gebäude der U-Bahn-Station Feldstraße, die Tankstelle oder die Gebäude an der Budapester Straße mit Autowerkstatt, Tonstudio und Restaurant wurden bei der oben genannten Beschreibung des Bezirksamtes Hamburg-Mitte ausgeblendet. a. Soll als städtebaulicher Zusammenhang erneut das gesamte Heiligengeistfeld und damit erneut nur größere Bauwerke als Maßstab herangezogen werden, selbst wenn die dort errichteten Gebäude teilweise sehr weit vom Baugrundstück entfernt sind? Wenn ja, warum? Wenn nein, welcher städtebauliche Zusammenhang wird diesmal gewählt? b. Welche Rolle und Bedeutung hat die unmittelbar angrenzende, historisch mit der Randbebauung an der Budapester Straße verknüpfte dreigeschossige Rindermarkthalle bei einer Beurteilung des Bauvorhabens auf Basis von § 34 BauGB in Bezug auf den Maßstab und die Geschossigkeit? c. Weshalb hat sich das Bezirksamt bislang bei diesem innerstädtischen , immer wieder von Bauprojekten betroffenen Umfeld entlang Feldstraße, Neuer Kamp und Budapester Straße gegen eine langfristige verlässliche städtebauliche Ordnung entschieden und bis heute noch keinen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan der Bezirkspolitikvorgeschlagen? Das Maß der baulichen Nutzung wurde bislang nicht geprüft, daher können die Fragen zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Die bislang im Bereich des Heiligengeistfelds beantragten Vorhaben konnten nach jeweils eingehender Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit auf Grundlage des bestehenden Planungsrechts genehmigt werden. Eine Änderung des Planungsrechts war daher bislang nicht erforderlich (vergleiche § 1 Absatz 3 Satz 1 BauGB). 2. Welche Anträge, die im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben „Paulihaus “ stehen, wurden bisher beim Bezirksamt eingereicht (Bauvorbescheid , Bauantrag, Abrissantrag et cetera)? Bitte jeweils benennen, um welchen Antrag mit welchem genauen Inhalt es sich handelt, wann der Antrag jeweils gestellt wurde, wie der Bearbeitungsstand ist und wann ggfs. mit einer Entscheidung zu rechnen ist. Am 7. März 2019 wurde ein Bauantrag zur „Mantelbebauung Paulihaus; Neubau eines Büro- und Gewerbehauses“ eingereicht, der sich noch in der Prüfung befindet. Der Zeitpunkt der Entscheidung ist derzeit nicht vorhersehbar. 3. Welche Gutachten wurden beziehungsweise werden im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben „Paulihaus“ in Auftrag gegeben? Bitte jeweils das Gutachten mit genauem Inhalt/Auftrag, das Datum der Auftragserteilung, den Abgabetermin und den/die Auftraggeber/in benennen. Es liegen insgesamt drei Gutachten vor: - „Geotechnische Untersuchung, Festlegung der charakteristischen Werte und Gründungsempfehlung“ durch die Firma Kempfert Geotechnik GmbH beauftragt, die mit Datum vom 28. April 2017 vorliegt. - Gutachterliche Wertermittlung für die 21 zur Fällung vorgesehenen Bäume auf öffentlichem Grund im Bereich der Budapester Straße. Das Datum der Auftragserteilung ist nicht bekannt. Das Gutachten wurde am 2. Juni 2017 abgegeben. - Verkehrliche Kurzstellungnahme zur Erschließung des Neubaus unter Sicherung der Erschließung der Rindermarkthalle. Das Datum der Auftragserteilung ist nicht bekannt. Das Gutachten wurde am 29. August 2017 abgegeben. Drucksache 21/18503 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 4. Ein besonderes Problem stellt die Lärmreflektion durch den geplanten Büroklotz dar, insbesondere für die gegenüberliegende Wohnbebauung an der Budapester Straße, Wohlwillstraße und beim Grünen Jäger. Wie lautet der Gutachtenauftrag für dieses Lärmproblem? Falls kein Gutachten hierzu vergeben wurde beziehungsweise vergeben werden soll: weshalb nicht? Ein Gutachten im Sinne der Fragestellung ist dem zuständigen Bezirksamt nicht bekannt. Aufgrund der Beurteilung des Vorhabens nach § 34 BauGB im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens ist davon auszugehen, dass sich die Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht verschlechtern. Da die Abstände zwischen der neu entstehenden Bebauung und dem Bestand zudem circa 40 m (Budapester Straße) beziehungsweise sogar mehr als 100 m (Beim Grünen Jäger, Wohlwillstraße) betragen, wird eine Verschlechterung der Situation nicht angenommen. Daher wurde im Baugenehmigungsverfahren kein Gutachten zu dem Thema gefordert. 5. Sowohl dem früheren Betreiber des Restaurants Feuerstein als auch den jetzigen Betreibern/-innen des Restaurants Maharaja wurde die Aufstellung eines Raucher-/-innenzelts verboten. Als Begründung soll der § 9 Bundesfernstraßengesetz, nach dem Hochbauten an einer Bundesfernstraße (wie die Budapester Straße) in einer Entfernung von bis zu 20 Metern nicht errichtet werden dürfen, gedient haben. a. Entspricht es den Tatsachen, dass die Aufstellung eines Raucher-/ -innenzelts abgelehnt wurde? Wenn ja, mit welcher Begründung? Dem zuständigen Bezirksamt ist eine Ablehnung eines Raucher-/-innenzeltes nicht bekannt. b. Welche Auswirkung hat der § 9 Bundesfernstraßengesetz auf den geplanten Büroklotz? Der § 9 Bundesfernstraßengesetz (FStrG) entfaltet Wirkung auf das geplante Vorhaben , als dass dieses einer Zustimmung der obersten Landesstraßenbaubehörde bedarf. Die Zustimmung darf jedoch nur versagt oder mit Bedingungen und Auflagen erteilt werden, soweit dies wegen der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs, der Ausbauabsichten oder der Straßenbaugestaltung nötig ist (gemäß § 9 Absatz 3 FStrG). 6. Wie erfolgte die Prüfung der Forderungen des Quartiersbeirats und der Bezirksversammlung a. nach dem Gemeinwohlinteresse des Projekts „Paulihaus“, b. danach, ob das Gemeinwohlinteresse des Projektes nicht mit anderen Mitteln leichter oder kostengünstiger erfüllt werden kann? Wie sah das Ergebnis aus? Falls es keine Prüfung gab, weshalb nicht? Zu den Anliegen des Quartiersbeirats Karolinenviertel und der Bezirksversammlung hatte der Senat in seiner Stellungahme zeitnah und ausführlich die Gründe für die Anerkennung des Vorhabens als Wirtschaftsförderungsfall erläutert. Diese sind der Stellungnahme (Drs. 21/3325.1 – https://sitzungsdienst-hamburg-mitte.hamburg.de/bi/ vo020.asp?VOLFDNR=1009255) zu entnehmen und haben nach wie vor Gültigkeit. 7. Im Mai 2015 sagte der damalige Bezirksamtsleiter Andy Grote zu, dass bei allen künftigen größeren Bauvorhaben auf St. Pauli der „St.-Pauli- Code“ angewendet wird. Weshalb erfolgt das nicht bei dem Vorhaben „Paulihaus“? Die geplante Bebauung ersetzt ein bestehendes Gewerbegebäude durch eine neue Gewerbebebauung, die nicht ohne Weiteres als größeres Bauvorhaben einzuordnen ist und sich außerhalb der Wohnbebauung im Randbereich des Heiligengeistfelds Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18503 5 befindet. Im Übrigen schließt sich der St.-Pauli-Code, der im Kontext der Planung des Paloma Viertels (ehemalige ESSO-Häuser) entwickelt wurde, mittelgroße Gewebeeinheiten keineswegs aus. 8. Das Grundstück wurde laut Angaben auf den Internetseiten von der steg und dem „Paulihaus“ im Oktober 2018 anhand gegeben. a. Seit wann ist das Grundstück im Besitz der Stadt Hamburg? Das aktuelle Grundbuchblatt wurde am 11. Oktober 1979 angelegt, mindestens seit diesem Zeitpunkt ist die Stadt Eigentümerin. b. Für welchen Zeitraum erfolgte jetzt die Anhandgabe an wen? c. Ist ein Erbbaurecht oder ein Verkauf geplant? d. Wann soll der Erbbaurechtsvertrag oder Kaufvertrag nach derzeitigem Stand abgeschlossen werden? e. Welche Verpflichtungen ist die Stadt Hamburg mit der Anhandgabe eingegangen? f. Kann die Stadt aus der geplanten Vergabe des Grundstücks an die vier Firmen aussteigen? Wenn ja, zu welchen Konditionen? Wenn nein, weshalb nicht? Siehe Vorbemerkung.