BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18697 21. Wahlperiode 25.10.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 17.10.19 und Antwort des Senats Betr.: Rolle rückwärts des Generalstaatsanwalts – Wird die Staatsanwaltschaft nun in für justizfremde Zwecke missbraucht oder nicht? Gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“ (HA vom 16. Oktober 2019) erklärte Hamburgs Generalstaatsanwalt, dass er „Vernehmungstendenzen“ der Justizverwaltungen, die Staatsanwaltschaft fester an die Exekutive zu binden , registriere. „Dahinter stecke das Interesse von Regierungspolitikern, an strategisch wichtige Informationen zu gelangen. Schließlich verfügten Anklagebehörden im Zuge von Ermittlungen häufig über politisch hochbrisante Erkenntnisse und sind damit ein sehr wichtiges Institut zum Machterhalt.“ Weiter wird er zitiert: „Wir als Staatsanwälte haben das Gefühl, dass man uns zunehmend in unserer originären Rolle entmündigt und für justizfremde Zwecke missbraucht.“ Sein Wunsch sei, so Fröhlich, die Staatsanwaltschaften vielmehr als Bestandteil der Judikative zu sehen. Zu Ende gedacht würde es bedeuten, „die Berichtspflicht aufzuheben oder jedenfalls stark einzugrenzen .“ Nach einem Gespräch mit dem Justizsenator heißt es nunmehr: „Ich möchte klarstellen, dass es in Hamburg keine Einflussnahme seitens der Politik auf die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaften gegeben hat. Auch einen Missbrauch der Berichtspflicht gibt es in der Hamburger Praxis nicht.“ (https://www.hamburg.de/justizbehoerde/pressemeldungen/13078324/ 2019-10-16-jb-justizsenator-und-generalstaatsanwalt-zum-abendblatt/.) Dieses Zurückrudern des Generalstaatsanwalts wirft erhebliche Fragen auf. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Staatsanwaltschaften der Länder sind durch die §§ 144 bis 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in einen hierarchischen Behördenaufbau eingegliedert und damit über die Dienst- und Fachaufsicht an ihre Oberbehörden gebunden. Über diese Anbindung an die demokratisch legitimierte Leitung der Landesjustizverwaltung wird das Grundprinzip der parlamentarischen Verantwortung realisiert. Als der Exekutive zugeordnetes Organ der Rechtspflege unterliegen sie dem Legalitätsprinzip in all seinen Auswirkungen (§ 152 Absatz 2 StPO) und der Bindung des Staates an Recht und Gesetz (Artikel 20 Absatz 3 GG). Diese Prinzipien binden die Landesjustizverwaltung in der Ausübung der Dienst- und Fachaufsicht ebenso. Die Ausübung der Fachaufsicht erfolgt teils im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung durch bundesweit geltende, von den Landesjustizverwaltungen gemeinsam entschiedene Regelungen, so durch die Richtlinien für das Strafverfahren und Drucksache 21/18697 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 das Bußgeldverfahren (RiStBV)1 sowie die Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra)2. Landesspezifisch erfolgt sie insbesondere durch die jeweiligen Anordnungen über Mitteilungen in Strafsachen (BeStra); in Hamburg gilt insoweit seit dem 1. Juli 2016 die Allgemeine Verfügung (AV) der Justizbehörde Nummer 11/2016 vom 23. Mai 20163. Durch die Berichte soll die Justizbehörde in die Lage versetzt werden, zeitnah die Sach- und Rechtslage zu beurteilen, die ihr von Gesetzes wegen obliegende Aufsicht auszuüben und auf berechtigte Nachfragen von dritter Seite Auskunft zu geben. In Ziffer 1. der AV legt diese fest, dass der Justizbehörde über Strafsachen zu berichten ist, die a) wegen der Persönlichkeit oder der Stellung der Beteiligten, wegen der Art oder des Umfanges der Beschuldigung oder aus anderen Gründen weitere Kreise, vor allem parlamentarische Gremien oder die Medien, beschäftigen oder voraussichtlich beschäftigen werden oder b) von der Justizbehörde allgemein oder im Einzelfall als Berichtssachen bezeichnet wurden. Die Berichtspflicht obliegt der Behördenleitung der Staatsanwaltschaft Hamburg, in Fällen erstinstanzlicher Zuständigkeit des Oberlandesgerichts der Behördenleitung der Generalstaatsanwaltschaft. Der Generalstaatsanwalt oder die Generalstaatsanwältin nimmt, soweit erforderlich, zu den Berichten Stellung. Vor dem 1. Juli 2016 galt die AV der Justizbehörde Nummer 28/2004 vom 22. Dezember 20044. Betreffend die oben genannten aktuellen Inhalte sind die beiden Verfügungen identisch. Um eine sinnvolle Gesetzgebung gewährleisten zu können, bedarf es seitens der Justizverwaltung zudem einer Beteiligung der Staatsanwaltschaften durch Einholung der dortigen fachlichen Expertise und der dort vorhandenen Informationen. Dies erfolgt sowohl über die Beteiligung im Rahmen von Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen der Bundesregierung oder Gesetzesinitiativen aus den Ländern, Initiativen im Rahmen der Justizministerkonferenzen als auch im monatlichen Austausch über fachlich und personell relevante Themen. Aufgrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung zum Europäischen Haftbefehl, dass der entsprechende Rahmenbeschluss die Ausstellung durch eine unabhängige Justizbehörde erfordere, wurde die Diskussion über die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften und die derzeitige bundesrechtliche Regelung des § 147 GVG erneut entfacht . Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie kam der Generalstaatsanwalt zu seiner Einschätzung, dass es das Interesse von Regierungspolitikern sei, an strategisch wichtige Informationen zu gelangen? 2. Wie kam der Generalstaatsanwalt zu seiner Einschätzung, dass Staatsanwälte zunehmend in ihrer originären Rolle entmündigt und für justizfremde Zwecke missbraucht werden? 3. Worauf basiert die anschließende Aussage des Generalstaatsanwalts, dass es in Hamburg keine Einflussnahme seitens der Politik auf die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaften gegeben hat? 1 http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/ bsvwvbund_01011977_420821R5902002.htm. 2 http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_27032019_ RB414313R2122019.htm. 3 http://daten.transparenz.hamburg.de/Dataport.HmbTG.ZS.Webservice.GetRessource100/ GetRessource100.svc/75065b8d-36e5-4db9-97e8-da36e583a2a2/Akte_4107_2.pdf. 4 http://daten.transparenz.hamburg.de/Dataport.HmbTG.ZS.Webservice.GetRessource100/ GetRessource100.svc/4b8da432-c579-4758-9456-3c256cb5bc20/Akte_4107_2.pdf. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18697 3 Siehe gemeinsame Presseerklärung des Justizsenators und des Generalstaatsanwalts vom 17. Oktober 20195. 4. Welche Regelungen bestehen zur Berichtspflicht der Staatsanwaltschaft gegenüber der Justizbehörde? a. Was für Verfahren sind davon umfasst? b. Wie ist die Berichtspflicht ausgestaltet? Siehe Vorbemerkung. c. Wie viele Verfahren, die der Berichtspflicht unterliegen, gibt es aktuell bei der Staatsanwaltschaft Hamburg? Im Aktenverwaltungssystem der Justizbehörde wird nicht erfasst, ob ein Vorgang noch offen – also „aktuell“ – ist. Seit Beginn der 21. Legislaturperiode sind allein 556 Berichtsvorgänge angelegt worden, wobei auch Verfahren aus den vorhergehenden Legislaturperioden noch der Berichtspflicht unterliegen können. Welche Vorgänge aktuell (noch) geführt werden, kann nur im Rahmen einer nicht automatisierten Auswertung geprüft werden, die in der für eine Parlamentarische Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist. Auch im Vorgangsbearbeitungs- und Vorgangsverwaltungssystems der Staatsanwaltschaften MESTA wird nicht erfasst, ob ein Verfahren aktuell der Berichtspflicht unterliegt . Es müssten daher alle Akten der Staatsanwaltschaften händisch ausgewertet werden. Dies ist innerhalb der für eine Parlamentarische Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Eine interne Auswertung hat ergeben, dass sich in einem elektronischen Verzeichnis der Behördenleitung der Staatsanwaltschaft für das Jahr 2018 insgesamt 478 und für das Jahr 2019 bislang 257 Erst-, Folge- und Schlussberichte zu Verfahren feststellen ließen, die im Zusammenhang mit der Berichtspflicht – gemeint sind Berichte gemäß AV 11/2016 – gefertigt wurden. Diese Zahlen sind allerdings nicht mit der Anzahl von Verfahren, zu welchen berichtet wurde, gleichzusetzen, sondern gehen darüber hinaus . 5. In wie vielen und welchen Ermittlungsverfahren seit dem Jahre 2015 wurden seitens der Justizbehörde Weisungen erteilt? Um was für Weisungen handelte es sich hierbei jeweils? In keinem Ermittlungsverfahren seit dem Jahre 2015 wurden seitens der Justizbehörde Weisungen erteilt. Auch in dem Ermittlungsverfahren gegen Dr. Gregor Gysi war dies nicht der Fall. Tatsächlich hatte der damalige leitende Oberstaatsanwalt als Leiter der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen eine Weisung des damaligen Generalstaatsanwalts remonstriert. Nach Übersendung der Akten an die für die Entscheidung über Remonstration zuständige Justizbehörde hat der Generalbundesanwalt Schriftstücke zur Akte übersandt, die weder der Staatsanwaltschaft noch der Generalstaatsanwaltschaft zum Zeitpunkt ihrer jeweiligen Entscheidung bekannt waren. Der Präses der zuständigen Justizbehörde hat entschieden, die Weisung des Generalstaatsanwalts nicht zu bestätigen; zugleich hat er – lediglich – darauf hingewiesen, dass sich aus diesen Schriftstücken neue Ermittlungsansätze ergeben könnten. 5 https://www.hamburg.de/justizbehoerde/pressemeldungen/13078324/2019-10-16-jbjustizsenator -und-generalstaatsanwalt-zum-abendblatt/.