BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18800 21. Wahlperiode 01.11.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Sudmann und Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 24.10.19 und Antwort des Senats Betr.: Unterwirft der Senat das Studierendenwerk den Interessen der Wirtschaft ? Die Drs. 21/18515 sieht eine grundlegende Stärkung des Studierendenwerkes durch die sehr günstige Übertragung von Grundstücken, Bürgschaften und die Schaffung einer neuen Stelle in der zuständigen Wissenschaftsbehörde vor. Die damit verbundene Zielsetzung, zu mehr bezahlbarem Wohnraum insbesondere für Studierende zu kommen, ist unstrittig und dringend erforderlich. Das Studierendenwerk konnte seiner Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum für Studierende zu schaffen, in den letzten zehn Jahren nicht in ausreichendem Maße nachkommen. Zahlreiche kommerzielle Anbieter/ -innen mit hochpreisigen Angeboten sind mittlerweile in diesem Marktsegment aktiv. Gleichzeitig sieht die Drucksache jedoch vor, dass sich das Studierendenwerk als neuer Anbieter auch im Bereich des Wohnraums für Auszubildende etablieren und damit die Fachkräftestrategie des Senates unterstützen soll. Hier stellt sich die Frage, inwieweit dieses Engagement künftig zulasten der Studierenden geht und ob der Senat das Studierendenwerk als traditionelle Selbsthilfeeinrichtung der Studierenden nun den Interessen der Hamburger Wirtschaft unterwirft. Bisher sind im Bereich der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für Auszubildende vor allem gemeinnützige Einrichtungen wie die Stiftung Auszubildendenwerk aktiv. Gerade die Stiftung Auszubildendenwerk wird in ihren Angeboten auch von der Hamburger Wirtschaft finanziell unterstützt . Darüber hinaus sind mit der Drucksache beihilferechtliche Fragestellungen verbunden. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Das Studierendenwerk Hamburg (StW) erbringt zur Betreuung und Förderung von Studierenden eine Vielzahl von Dienstleistungen entsprechend dem gesetzlichen Auftrag (§ 2 StWG). Hierzu gehören unter anderem auch die Errichtung und das Betreiben von Wohnheimen. In 25 Wohnanlagen werden aktuell 4 364 Plätze für Studierende angeboten. In den letzten Jahren wurden circa 125 Millionen Euro in die Modernisierung und den Neubau von Wohnanlagen investiert und so seit 2012 circa 1 200 Plätze modernisiert und circa 650 neue Plätze geschaffen (zur Kostenstruktur sowie zum Gesamtangebot der Leistungen siehe auch https://www.studierendenwerkhamburg .de/studierendenwerk/de/downloads/unternehmen/ Broschuere_STWHH_BauenSanieren_2019_08.pdf?m=1565275371). Drucksache 21/18800 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die Neubauten wurden im Rahmen des öffentlich geförderten Wohnungsbauprogrammes der Stadt Hamburg nach den Förderrichtlinien der Hamburgischen Investitions - und Förderbank AöR (IFB) für den Neubau von Wohnungen für Studierende und Auszubildende erstellt und sehen eine 30-jährige Miet- und Zweckbindung vor. Als Auszubildende, die nach den Förderrichtlinien der IFB berücksichtigt werden können, gelten Personen, die eine Ausbildung in Hamburg in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf oder an einer Berufsfachschule mit Schüler-BAföG-Anerkennung absolvieren. Die Höhe der Miete und mögliche Mietsteigerungen werden auf Basis der sich nach den Förderrichtlinien ergebenden Mietkalkulation von der IFB vorgegeben und unterscheiden zwischen den Angebotsformen, nicht aber zwischen den jeweiligen Zielgruppen, also Studierenden oder Auszubildenden. Durch die Schaffung neuer Wohnheimplätze auch für Auszubildende wird es nicht weniger Plätze für Studierende geben. Das Kapazitätsaufbauprogramm bündelt Kräfte : Die von der Stadt zur Verfügung gestellten Grundstücke sollen beide Zielgruppen unterstützen und entlasten so den Wohnungsmarkt insgesamt. Die Erfahrungen des Studierendenwerks als Investor und Betreiber von Wohnheimen werden nun auch für Auszubildende genutzt. Hinzu kommt eine größere Flexibilität bei Veränderungen der standortbezogenen Nachfrage, wobei die Höhe der tatsächlichen Nachfrage von Auszubildenden auf einen Wohnheimplatz beim Studentenwerk Hamburg (StW) derzeit noch nicht zu beziffern ist, und das zusätzlich geschaffene Wohnplatzangebot wird ein zusätzlicher Baustein im Angebot für Auszubildende sein. Das Zusammenleben von Studierenden und Auszubildenden ist bundesweit ein innovativer Ansatz. Dies vorausgeschickt beantwortet der Senat die Fragen auf der Grundlage von Auskünften des StW wie folgt: 1. Inwieweit war die Hamburger Wirtschaft an der Erstellung der Drucksache beteiligt? 2. Haben zum Inhalt der Drucksache Gespräche mit der Handelskammer, der Handwerkskammer oder der Vereinigung der Unternehmensverbände stattgefunden? Wenn ja, wann (jeweils) und mit welchen Ergebnissen? 3. Hat sich die zuständige Teilprojektgruppe „Wohnraum für Auszubildende “ des Hamburger Fachkräftenetzwerkes mit den Inhalten der Drucksache befasst? Wenn ja, mit welchen Ergebnissen? Wenn nein, warum nicht? Eine förmliche Beteiligung im Zusammenhang mit der Erstellung der Drs. 21/18515 ist nicht erfolgt. Die zuständigen Behörden sind jedoch regelmäßig – im Rahmen ihrer Routinegespräche – mit der Handelskammer Hamburg und der Handwerkskammer Hamburg im Gespräch über Möglichkeiten der Verbesserung der Wohnsituation von Auszubildenden . Auch die Lenkungsgruppe und die Projektgruppe des Hamburger Fachkräftenetzwerks , in der die Wirtschafts- und Sozialpartner vertreten sind, befassen sich fortgesetzt mit dieser Thematik. Die Teilprojektgruppe „Wohnraum für Auszubildende“, die insbesondere den Aufbau und die Begleitung der ersten Jahre des Auszubildendenwohnheims für vorrangig Minderjährige in Wandsbek begleitet hat, hat auf einstimmigen Beschluss der Projektgruppe des Hamburger Fachkräftenetzwerks am 13.9.2019 ihre Arbeit eingestellt und tagt gegebenenfalls anlassbezogen. 4. Ist eine finanzielle Beteiligung der Hamburger Wirtschaft an der Schaffung von bezahlbaren Wohnraum für Auszubildende durch das Studierendenwerk geplant? Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, weshalb nicht? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18800 3 Nein. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 5. Gemäß der Drucksache ist „eine Leistungserbringung des Studierendenwerks für Auszubildende zu Lasten der aus dem Semesterbeitrag vereinnahmten Gelder vom Studierendenwerk auszuschließen“. Durch welche konkreten Maßnahmen soll dies sichergestellt werden? Über die Vermietung von Wohnheimplätzen hinausgehende Leistungen sind nicht vorgesehen . Sollen weiter gehende Leistungen angeboten werden, setzt dies eine entsprechende Kostenerstattung durch Dritte voraus (§ 2 Absatz 6 StWG). Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 6. Wie soll sichergestellt werden, dass nicht aus Semesterbeiträgen bezahltes Personal, zum Beispiel in der Geschäftsführung, der Presseabteilung , der Buchhaltung oder der Bauabteilung des Studierendenwerkes , auch Leistungen für Auszubildende erbringt? In der Miete ist bereits eine anteilige Finanzierung von Verwaltungskosten mit einkalkuliert . 7. Sind für Auszubildende höhere Mieten oder Gebühren für Leistungen des Studierendenwerkes geplant als diese von den Studierenden gefordert werden? Wenn ja, in welcher Form? Nein, Studierende und Auszubildende zahlen für die jeweilige Wohnform die gleiche Miete. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 8. Gemäß der Drucksache „könnte der Verkauf der Erbbaurechtsgrundstücke an das Studierendenwerk zum Buchwert eine den Wettbewerb verfälschende und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellen, so dass sie gemäß Artikel 107 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) grundsätzlich untersagt wäre, wobei die europäischen Regelungen Ausnahmetatbestände vorsehen“. Wie kommt der Senat zu dieser Einschätzung? Wie ist sie begründet? Nach Artikel 107 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) setzen Beihilfen die Begünstigung eines Unternehmens voraus. Eine Begünstigung im Sinne dieser Vorschrift ist jeder geldwerte Vorteil beziehungsweise jede wirtschaftliche Vergünstigung, für die keine marktübliche Gegenleistung erbracht wurde. Auch bei dem Verkauf von Erbbaugrundstücken der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) liegt die Möglichkeit einer Begünstigung vor, wenn der Verkauf zu günstigeren Konditionen als den Marktbedingungen erfolgt. Nicht jede Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 ist jedoch verboten. Sie kann unter anderem beihilfenrechtskonform als Ausgleichsleistungen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) nach dem DAWI-Beschluss der Europäischen Kommission (2012/12/EU) ausgestaltet werden (siehe dazu auch Drs. 21/18515). 9. Sind zu dieser Fragestellung vom Senat externe Rechtsgutachten eingeholt worden? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Wenn nein, warum nicht? Die Förderung des Studierendenwerks Hamburg durch die FHH erfolgt als Ausgleichsleistung für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nach den Voraussetzungen des DAWI-Beschlusses der Europäischen Kommission (2012/12/EU). Die Prüfung und Umsetzung der Voraussetzungen, die unter anderem den Erlass eines Betrauungsakts beinhalten, wurde und wird für die FHH durch die Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung (BWFG) mit Unterstützung der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) vorgenommen, darüber hinaus sind keine externen beihilferechtlichen Gutachten beauftragt. 10. Wer könnte gegebenenfalls eine Überprüfung dieser Frage seitens der Europäischen Union veranlassen beziehungsweise in dieser Frage vor Drucksache 21/18800 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 welchem Gericht Klage gegen die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) erheben? 11. Welche Risiken bestehen konkret für die FHH und das Studierendenwerk , falls es sich um „eine den Wettbewerb verfälschende und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe“ handeln würde? Von der Beantwortung hypothetischer Fragen sieht der Senat ab. 12. Welche Alternativen zum Verkauf der Erbbaurechtsgrundstücke wurden durch den Senat geprüft? Der Senat hat sich für den Ausbau der Wohnheimkapazitäten beim Studierendenwerk Hamburg, Anstalt des öffentlichen Rechts, unter Anwendung der bestehenden Förderrichtlinien entschieden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 13. Wie passt der geplante Verkauf in die vermeintliche Neuausrichtung der Bodenpolitik des Senats mit einer „verstärkten“ Berücksichtigung des Erbbaurechts (Drs. 21/18514)? Siehe Drs. 21/18558. 14. Ist die neue Formulierung in § 2 Absatz 7 Studierendenwerksgesetz so zu verstehen, dass die Wohnheime und Einrichtungen des Studierendenwerkes weiterhin vorrangig für Studierende zur Verfügung stehen müssen? Ja, die Aufgabe des StW ergibt sich aus § 2 Absatz 3 StWG, der explizit auf Studierende abstellt. Die Vermietung von Wohnheimplätzen an Auszubildende soll einen Umfang von maximal 30 Prozent nicht übersteigen (siehe dazu auch Drs. 21/18515). 15. Welche konkreten Pläne verfolgt der Senat mit der neuen Verordnungsermächtigung in § 2 Absatz 8 Studierendenwerksgesetz? Warum ist der Drucksache nicht bereits der Entwurf einer entsprechenden Verordnung beigefügt? Dem Senat wird mit der Rechtsverordnung die Möglichkeit eingeräumt, zukünftig auf Erfordernisse anderer Personengruppen ohne Novellierung des StWG eingehen zu können. Da weder die Personengruppen noch die Erfordernisse bereits bekannt sind, wurde lediglich das Instrument im StWG implementiert. 16. Gemäß der Drucksache wird der Senat auch weiterhin andere Investoren /-innen bei der Errichtung von Wohnraum für Auszubildende unterstützen . Wie soll dies konkret erfolgen? Der Senat unterstützt Investoren über die IFB Förderrichtlinie „Neubau von Wohnungen für Studierende und Auszubildende“ bereits seit mehreren Jahren. Darüber hinaus setzt sich die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) im Rahmen der behördenübergreifenden Abstimmung über den Verkauf öffentlicher Grundstücke für die Anhandgabe geeigneter Objekte an Investoren ein, die Wohnraum für Auszubildende errichten wollen. Der Senat hat in der Drs. 21/17583 umfassend dargelegt, wie er die Wohnsituation von Auszubildenden in Hamburg weiter verbessern will. 17. In welcher Form beabsichtigt der Senat andere Investoren/-innen bei der Errichtung von bezahlbarem Wohnraum für Studierende zu unterstützen ? Der Senat fördert die Sanierung beziehungsweise Instandsetzung, wozu auch die energetische Modernisierung gehört, von Bestandswohnheimen von gemeinnützigen Trägern, die sich einer Preis- und Belegungsbindung unterwerfen, und dem StW auf der Grundlage der „Förderrichtlinie für die Bezuschussung der Träger von Studierendenwohnheimen “. Darüber hinaus bietet die IFB Eigentümern und Erbbauberechtigten über die Richtlinie „Modernisierung von Wohnungen für Studierende und Auszubildende “ eine Fördermöglichkeit. Eine Finanzierung von Neubauvorhaben ist ebenfalls durch die IFB möglich, wenn die Vorgaben der „Förderrichtlinie Neubau von Wohnungen für Studierende und Auszubildende“ vom Antragsteller umgesetzt werden können.