BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18868 21. Wahlperiode 12.11.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 04.11.19 und Antwort des Senats Betr.: Vollstreckung der Abschiebehaft in Krankenhäusern Die deutsche Abschottungspolitik führt unter anderem dazu, dass Abschiebungen ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Betroffenen um jeden Preis durchgeführt werden. Durch mehrere Anfragen von uns ist in der Vergangenheit deutlich geworden, dass Hamburg selbst vor der Abschiebung schwer erkrankter Personen mittels Ambulanzflugzeugen nicht zurückschreckt . Quellen berichten davon, dass bei Personen, gegen die Abschiebehaft vollzogen wird, im Falle einer Haftunfähigkeit die Abschiebehaft in Krankenhäusern (weiter-)vollzogen wird. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die zuständige Behörde ist gemäß § 58 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) gesetzlich dazu angehalten, eine vollziehbare Ausreisepflicht durch eine Abschiebung durchzusetzen, wenn die Betroffenen nicht innerhalb der ihnen gesetzten Ausreisefrist freiwillig ausgereist sind. Zur Sicherung der Abschiebung kann Abschiebungshaft (§ 62 Absatz 3 AufenthG) oder Ausreisegewahrsam (§ 62b AufenthG) gerichtlich angeordnet werden. Diese werden, unabhängig von dem Ort ihrer Vollstreckung, nur vollzogen, wenn die betroffenen Personen haft- und verwahrfähig sind. Abschiebungen sind dabei auch bei gesundheitlichen Einschränkungen unter den Voraussetzungen des § 60a Absätze 2c und 2d AufenthG möglich. Vorgetragene gesundheitliche Einschränkungen werden ärztlich überprüft, siehe auch Drs. 21/440, 21/11110, 21/12635 und 21/16555. Die Strafvollstreckung erfolgt wiederum grundsätzlich durch die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde (vergleiche § 451 Absatz 1 der Strafprozessordnung (StPO)). Das Gesetz sieht dabei vor, dass diese unter bestimmten Umständen einen Strafausstand wegen Vollzugsuntauglichkeit gewähren kann oder sogar muss (vergleiche § 455 StPO). So hat sie etwa die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aufzuschieben, wenn der Verurteilte psychisch erkrankt oder bei anderen Krankheiten, wenn von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr für den Verurteilen zu besorgen ist (vergleiche § 455 Absatz 1 und Absatz 2 StPO). Sie kann die Strafvollstreckung dann aufschieben , wenn sich die/der Verurteilte in einem körperlichen Zustand befindet, bei dem eine sofortige Vollstreckung mit der Einrichtung der Strafanstalt unverträglich ist (vergleiche § 455 Absatz 3 StPO). Aus ähnlichen Gründen kann die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe auch unterbrechen (vergleiche § 455 Absatz 4 Satz 1 StPO). Die Vollstreckung darf jedoch nicht unterbrochen werden, wenn überwiegende Gründe, namentlich die öffentliche Sicherheit, entgegenstehen (vergleiche § 455 Absatz 4 Satz 2 StPO). Ist die/der Verurteilte also aus gesundheitlichen Gründen bereits nicht in der Lage, die Vollstreckung anzutreten, kann die Staatsanwaltschaft als zuständige Vollstreckungsbehörde einen Strafaufschub beschließen, dessen Dauer sich bis zum Wiedereintritt Drucksache 21/18868 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 der Vollzugstauglichkeit bemisst. Erst wenn die Tauglichkeit (wieder) festgestellt wurde , tritt die/der Gefangene dann ihre/seine Haft in einer Justizvollzugsanstalt an. Die Vollstreckungsbehörde entscheidet dabei auf Antrag der/des Verurteilten oder von Amts wegen. Bei der Aufnahme eines Untersuchungs- oder Strafgefangenen in den Hamburger Justizvollzugsanstalten wird in der Regel am folgenden Werktag eine ärztliche Zugangsunteruntersuchung durchgeführt. Diese erfolgt aspekt- und systembezogen, das heißt der Umfang der Untersuchung ist abhängig vom offensichtlichen oder erklärten Gesundheitszustand der/des Gefangenen. Bei offensichtlicher problematischer Gesundheit erfolgt der ärztliche Erstkontakt sofort. In der Untersuchungshaftanstalt besteht hierfür eine ärztliche Rund-um-die-Uhr-Präsenz. Die weiteren aufnehmenden Anstalten können in solchen Fällen die Ärztinnen und Ärzte des Zentralkrankenhauses der Untersuchungshaftanstalt kontaktieren, oder alternativ der/den Gefangenen in ein externes Krankenhaus ausführen. In seltenen Fällen, in denen eine Unterbringung aus medizinischen Gründen weder im Regelvollzug noch im Zentralkrankenhaus möglich ist, wird der betroffene Gefangene in einem externen Krankenhaus untergebracht und dort in der Regel von Bediensteten des Allgemeinen Vollzugsdienstes bewacht, bis die Unterbringung in der zuständigen Justizvollzugsanstalt wieder möglich ist. Erkrankt die/der Verurteilte während des Vollzuges so schwer, dass die dargestellten Möglichkeiten nicht in Betracht kommen (Zentralkrankenhaus, externes Krankenhaus unter Bewachung), kann – wie zuvor beschrieben – nur die Staatsanwaltschaft über die Unterbrechung des Vollzuges beschließen. Über Einwendungen gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft entscheidet das Gericht (§ 458 Absatz 2 StPO). Gegen die Entscheidung des Gerichts ist sofortige Beschwerde (§ 311 StPO) statthaft. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Auf welche Weise erfolgt eine Prüfung der Haftfähigkeit von inhaftierten Personen? Bitte gegebenenfalls zwischen Untersuchungshaft, Strafhaft und Abschiebehaft differenzieren. 2. Welche Folgen ergeben sich, wenn eine Haftunfähigkeit festgestellt wird? Bitte gegebenenfalls zwischen Untersuchungshaft, Strafhaft und Abschiebehaft differenzieren. Im Fall eines gerichtlichen Beschlusses über die Verhängung von Abschiebungshaft oder Ausreisegewahrsam erfolgt gemäß § 3 Absatz 2 Hamburgisches Abschiebungshaftvollzugsgesetz eine ärztliche Überprüfung der Haft- und Verwahrfähigkeit im Rahmen des Aufnahmeverfahrens in der Rückführungseinrichtung. Sofern eine Haftund Verwahrfähigkeit nicht (mehr) gegeben ist, erfolgt die unverzügliche Entlassung aus der Abschiebungshaft oder dem Ausreisegewahrsam. Im Übrigen siehe Vorbemerkung . 3. Wie häufig wurde in der Abschiebehaftanstalt seit dem 01.04.2018 bei wie vielen Personen festgestellt, dass sie haftunfähig sind? In neun Fällen. 4. Wie häufig wurde im Ausreisegewahrsam seit dem 01.10.2016 bei wie vielen Personen festgestellt, dass sie nicht „gewahrsamsfähig“ sind? In keinem Fall. 5. In wie vielen Fällen wurde seit dem 01.01.2016 Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam in Krankenhäusern vollstreckt? Bitte nach Jahren differenzieren . Dies wird statistisch nicht erfasst. Eine Auswertung bedarf der händischen Durchsicht mehrerer Hundert in Frage kommender Ausländerakten. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich . 6. Wie oft wurde seit dem 01.01.2015 die Abschiebehaft trotz festgestellter Haftunfähigkeit in Krankenhäusern (weiter-)vollstreckt? Bitte nach Jahren differenzieren. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18868 3 7. Wie häufig wurde seit dem 01.01.2015 Ausreisegewahrsam trotz festgestellter Gewahrsamsunfähigkeit in Krankenhäusern vollzogen? Bitte nach Jahren differenzieren. In keinem Fall, siehe auch Antwort zu 2. 8. Trifft es zu, dass die „Überwachung“ der betroffenen Personen durch einen privaten Sicherheitsdienst erfolgt? Wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage wird die Vollstreckung der Abschiebehaft auf private Sicherheitsdienste beziehungsweise dessen Mitarbeiter/-innen übertragen? Wenn nein, auf welche Weise und durch wen erfolgt die „Überwachung“ der Betroffenen? Ja. Der private Sicherheitsdienst handelt als Verwaltungshelfer nach Weisung der zuständigen Behörde. Hierfür ist eine entsprechende Dienstanweisung erlassen worden . Sofern keine Behördenmitarbeitenden direkt vor Ort sind und eine Weisung erforderlich ist, wird diese auch fernmündlich erteilt. 9. Sind die Krankenhäuser dazu verpflichtet, die Anwesenheit des privaten Sicherheitsdienstes zu dulden? Wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage? Nein. 10. Inwieweit wird bei dem Vollzug der Abschiebehaft in Krankenhäusern die ärztliche Schweigepflicht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen gewahrt? Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens in der Rückführungseinrichtung wird jedem Untergebrachten eine Erklärung zur ärztlichen Schweigepflichtentbindung vorgelegt mit dem Ziel, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte Auskunft über die gesundheitliche Situation der/des Betroffenen gegenüber Behördenmitarbeitern erteilen dürfen . Hierzu zählt unter anderem die Auskunft über Behandlungsdauer und -methodik sowie etwaige medizinische Folgemaßnahmen. Sofern eine Haft- und Verwahrunfähigkeit während des Krankenaufenthaltes festgestellt wird, siehe Antwort zu 2. 11. Wie schätzt der Senat die gesundheitlichen Folgen der permanenten Anwesenheit von Sicherheitsdienstmitarbeitern/-innen auf einer Krankenhausstation ein? Ob sich die Beschäftigten des Sicherheitsdienstes durchgängig im Zimmer der betroffenen Personen aufhalten, hängt im Einzelfall auch von den räumlichen Gegebenheiten ab. Sofern der Raum keine anderweitige Fluchtmöglichkeit bietet, erfolgt die Postierung grundsätzlich vor der Tür. Insofern schließt die zuständige Behörde einen Einfluss auf die gesundheitliche Situation der weiterhin haft- und verwahrfähigen Person aus.