BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18937 21. Wahlperiode 15.11.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein und Daniel Oetzel (FDP) vom 08.11.19 und Antwort des Senats Betr.: Gewalt in Hamburger Studentenwohnheimen – Wie ist die aktuelle Situation ? In der Studierendenwohnanlage in Borgfelde wurde eine Studentin im Oktober 2019 getötet. Eine weitere Leiche wurde gefunden. Die Mordkommission ermittelt. Nach ersten Erkenntnissen soll ein Streit zwischen einem Studenten und einer Studentin tödlich geendet haben. Mitbewohner erlitten Schocks und mussten psychologisch betreut werden. Studentenwohnheime sollten sichere Orte sein und vor Gewalttaten geschützt werden. Insofern ist die Situation im Hamburg zu hinterfragen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Das Studierendenwerk Hamburg (StW) bietet derzeit in 25 Wohnanlagen 4 364 Plätze für Studierende und zum Teil auch volljährigen Auszubildenden an, die als Mieter in einem Mietverhältnis mit entsprechendem Mietvertrag zum StW als Vermieter stehen. Dazu kommen aktuell weitere 1 272 Wohnheimplätze bei den gemeinsamen Trägern. Bei den regelhaft volljährigen Bewohnerinnen und Bewohnern handelt es sich um Studierende , die primär günstigen Wohnraum in einer angenehmen Umgebung suchen. In den Wohnheimen herrscht innerhalb der internationalen Bewohnerschaft in der Regel ein positives Klima der Gemeinschaft, Gegenseitigkeit und des Respekts füreinander vor. Zur Lösung von Konflikten bieten sowohl das StW als auch die gemeinsamen Träger Unterstützung an. In jedem Wohnheim gibt es eine Hausverwaltung beziehungsweise Heimleitung, die regelhaft in – oft jedoch auch außerhalb – den Sprechstunden erreichbar ist. Bei Vorfällen, die das gemeinschaftliche Zusammenleben gefährden, werden normenvermittelnde Gespräche geführt (unter anderem Einhaltung der Hausordnung ) und in letzter Konsequenz auch fristlose Kündigungen ausgesprochen. Darüber hinaus haben sich in den Wohnheimen eine Hausselbstverwaltung der Bewohnerinnen und Bewohner sowie regelmäßig stattfindende Heimvollversammlungen etabliert, die ein Forum für die Erörterung und Lösung grundlegender Probleme bieten. Regelhaft wohnen in den Wohnanlagen Tutorinnen und Tutoren (bei StW zurzeit insgesamt 35) und Protektorinnen und Protektoren (bei StW zurzeit 15), die den Studierenden in vielfältiger Form als Unterstützung zur Verfügung stehen. Tutorinnen und Tutoren bieten insbesondere für die Integration internationaler Studierender und den interkulturellen Austausch individuelle Unterstützung und Veranstaltungen an. Die Ansprache ist grundsätzlich zumindest in deutscher und englischer Sprache möglich. Für die Tutorinnen und Tutoren werden vom StW regelmäßig Schulungsprogramme (zum Beispiel mit den Schwerpunkten „Kommunikation“, „Konflikt und Krise“ sowie „Werkstatt Zusammenleben“) organisiert. Drucksache 21/18937 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die vom StW angebotene Sozialberatung steht allen Studierenden und insbesondere in den Wohnanlagen bei Konflikten und auf Nachfrage zur Unterstützung und individuellen Hilfe zur Verfügung. Im Beratungsgespräch können daneben bedarfsgerechte externe Beratungen und Hilfsangebote vermittelt werden. Zur allgemeinen Gewaltprävention und dem Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner finden im StW regelmäßig Besprechungen der geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Sozialberatung der Abteilung Soziales & Internationales mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abteilung Wohnen statt. Zudem bietet das StW gezielt für Frauen einen sechsstündigen WenDo-Kurs an. Die Teilnehmerinnen können hierbei die Selbstbehauptung und -verteidigung mithilfe von Stimme und Körper lernen. Thematisiert wird „der Umgang mit körperlicher Bedrängung , penetranten Blicken oder zweideutigen Kommentaren“. In jeder Wohnanlage sind aktuelle Listen mit Notfalltelefonnummern ausgehängt. Diese Listen informieren über Kontaktstellen (zum Beispiel Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst , Ärztliche Notdienste, Giftinformationszentrum, studentische Telefonseelsorge, Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, Notruf für vergewaltigte Frauen, Opfer-Notruf des WEISSEN RINGS und andere) und werden regelmäßig aktualisiert. Beim StW als auch bei den gemeinsamen Trägern konnte kein Anstieg von Gewaltdelikten festgestellt werden. In dem konkreten Fall, der nicht dem Jahr 2019, sondern dem Jahr 2018 zuzuordnen ist, hat das Studierendenwerk für die betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner unmittelbar Unterstützung angeboten und organisiert. Die Familienangehörigen sowie die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner wurden vom Kriseninterventionsteam (KIT) des Deutschen Roten Kreuzes betreut. Es hat zudem eine Sprechstunde für die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner direkt vor Ort in der Wohnanlage gegeben, die auch von verschiedenen Bewohnerinnen und Bewohnern genutzt wurde. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung Soziales & Internationales haben Kontakt zu den psychologischen Beratungsstellen der Universität Hamburg und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg aufgenommen. Es wurde mit den psychologischen Beratungsstellen der Hochschulen vereinbart, dass betroffene Personen sich direkt an diese Beratungsstellen wenden konnten und ohne Wartezeit einen Termin erhalten haben. Die Beschäftigten des Studierendenwerks werden durch eine externe Sozialberatung unterstützt, die im vorliegenden Fall ebenfalls für Gespräche vor Ort anwesend war. Dies vorausgeschickt beantwortet der Senat die Fragen auf der Grundlage von Auskünften des StW wie folgt: 1. Welche Kenntnisse haben das Studierendenwerk und die zuständige Behörde über Meldungen beziehungsweise Anzeigen von physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt sowie anderen Gewalttaten mit Todesfolge gegenüber Studenten und Kindern in Studierendenwohnheimen in Hamburg? a. Wie viele Straftaten wurden in den letzten fünf Jahren an welche zuständige Stelle gemeldet? b. Wie viele Androhungen von Gewalt wurden in den letzten fünf Jahren an welche zuständige Stelle gemeldet? c. Von wem gingen diese Meldungen aus und welche Schritte/Maßnahmen wurden daraufhin von welcher zuständigen Stelle unternommen ? Das StW erfasst keine Daten oder Statistiken zu Straftaten oder Delikten, die eine Straftat beinhalten könnten. Es meldet Straftaten nur, wenn sich diese gegen das Studierendenwerk richten. Die Anzeige anderweitiger Straftaten erfolgt durch die jeweils Geschädigten. Die Ermittlung und Verfolgung möglicher Straftaten obliegt der Polizei und Staatsanwaltschaft. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18937 3 Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die räumliche Erfassung des Tatortes erfolgt in der PKS in der kleinsten Einheit nach Ortsteilen (OT). Seit dem 1. Januar 2017 werden in Hamburg ausgewählte Tatörtlichkeiten in der PKS gesondert erfasst. Dies beinhaltet jedoch keine Erfassung von Wohnanlagen für Studierende. Daher sind die in der Anfrage genannten Tatörtlichkeiten nicht mit der PKS auswertbar. Darüber hinaus werden Statistiken im Sinne der Fragestellungen bei der Polizei nicht geführt. Im Übrigen trifft die Polizei in allen ihr im Sinne der Fragestellung zur Kenntnis gelangenden Sachverhalten sämtliche im jeweiligen Einzelfall erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung . Die Staatsanwaltschaft Hamburg nutzt das Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA, in dem jedoch nicht erfasst wird, ob es sich bei dem Tatort um ein Studierendenwohnheim und bei dem Opfer um eine Studentin oder einen Studenten handelt. Zur Beantwortung der Fragen müssten sowohl bei der Polizei als auch der Staatsanwaltschaft Hamburg alle Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums durchgesehen werden. Die Auswertung von mehreren Hunderttausend Akten ist in der für die Beantwortung Parlamentarischer Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 2. Ist der Gewaltschutz und ist die Gewaltprävention strukturell im Studierendenwerk Hamburg sowie den Studierendenwohnheimen verankert? a. Wenn ja, wie und wo genau? b. Wenn nein, warum nicht und gibt es Planungen, dies zu ändern? 3. Inwieweit gibt es ein Gewaltschutzkonzept für Studierendenwohnheime? a. Wenn ja, was beinhaltet dieses Konzept genau und wer prüft dies regelhaft? b. Wenn nein, warum bisher nicht? Siehe Vorbemerkung. 4. Wie ist der Meldeprozess, wenn es zu einer Meldung über eine Gewalttat kommt? a. Inwiefern ist den studentischen Selbstverwaltungen (Heimräten, Haussprecher, Protektoren) dieser Prozess bekannt? b. Was wird von der zuständigen Stelle unternommen, damit dieser Prozess bekannt ist? Informationen über eine Gewalttat gehen im Regelfall bei der Hausverwaltung beziehungsweise Heimleitung, der Heimselbstverwaltung, Tutorinnen und Tutoren, Protektorinnen und Protektoren und beim StW bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abteilung Wohnen ein. Die einzuleitenden notwendigen Unterstützungsmaßnahmen hängen vom jeweiligen Einzelfall ab. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 5. Werden Mitarbeiter des Studierendenwerks Hamburg, Protektoren und Vertreter der studentischen Selbstverwaltung zum Thema Gewaltschutz, Gewaltprävention, Konfliktmanagement, Kinderschutz und darüber hinaus geschult? a. Wenn ja, wie häufig fanden die Schulungen in den letzten fünf Jahren statt? b. Wer übernimmt die Kosten für solche Schulungen? c. Wenn nein, warum nicht? Siehe Vorbemerkung. Drucksache 21/18937 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 6. Welche Maßnahmen werden seitens des Studierendenwerkes und der zuständigen Behörde ergriffen, um besonders schutzbedürftige Gruppen , wie Studentinnen und Kinder, in den Wohnheimen zu schützen? Es gibt für die genannten Bewohnergruppen gesonderte Belegungsmöglichkeiten. So ist beispielsweise die Wohnanlage Bornstraße nur für Studierende mit Kind(ern) anmietbar. Die Wohnanlage Armgartstraße wird ausschließlich von Studentinnen bewohnt. In anderen Wohnanlagen besteht bei Bedarf und Verfügbarkeit die Möglichkeit , Ein- oder Zwei-Zimmer-Appartements zu mieten beziehungsweise Wohngemeinschaften ausschließlich für weibliche Studierende zu ermöglichen. 7. Gibt es in den Studierendenwohnheimen eine Struktur, die gewährleistet , dass Opfer physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt schnell und unbürokratisch an Organisationen und Vereine der Opferhilfe zu jeder Tageszeit weitergeleitet werden können? a. Wenn ja, wie kann diese schnelle Hilfe gewährleistet werden? b. Wenn ja, an welchen Stellen gibt es noch Verbesserungsbedarf? c. Wenn nein, warum bisher nicht? 8. Arbeitet das Studierendenwerk mit Hilfsorganisationen der Opferhilfe und des Opferschutzes oder Frauenhäusern zusammen? a. Wenn ja, wie und mit welchen Organisationen, Verbänden, Vereinen des Opferschutzes und der Opferhilfe? b. Wenn nein, warum bisher nicht? 9. Welche Kenntnisse hat das Studierendenwerk über den Zugang von Wohnheimbewohnern zu Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen zum Thema Gewaltschutz? a. Wie und durch wen erhalten die Bewohner Informationen über mögliche Hilfsangebote? b. Welche Hilfsangebote seitens des Studierendenwerks gibt es für Opfer von Gewalttaten? Wie unterstützt dabei die zuständige Behörde? Siehe Vorbemerkung.