BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/18951 21. Wahlperiode 19.11.19 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 11.11.19 und Antwort des Senats Betr.: Geschlechterspezifische Tötungen von Frauen* – Femizide in Hamburg In Deutschland gibt es jeden Tag einen Tötungsversuch an einer Frau*. Jeden dritten Tag gelingt dieser. Die Täter sind oft Partner, Expartner oder Familienangehörige. 123 Frauen* sind im letzten Jahr durch ihren Ehemann, Lebensgefährten oder ehemaligen Partner getötet worden. Die hohe Zahl der durch Männer getöteten Frauen* weist auf ein erhebliches Problem mit patriarchaler Gewalt in der bundesdeutschen Gesellschaft hin. In vielen Ländern wird der vorsätzliche Mord an Frauen* aufgrund ihres (zugeschriebenen) Geschlechts als Femizid oder Feminizid bezeichnet und bekämpft. Teilweise ist der Begriff in die Rechtsprechung eingeflossen. In Deutschland und Hamburg verweigert man sich leider immer noch, die strukturelle Komponente der Problematik anzuerkennen. In der Regel werden Femizide hier als individuelle Einzelschicksale betrachtet und als Beziehungstragödien verharmlost. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die im internationalen Raum geführte Diskussion zu dem Thema geschlechtsspezifischer Tötungen an Frauen, Mädchen sowie selektiver Abtreibung, dem sogenannten Femizid oder Feminizid, ist dem Senat bekannt. Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frau und Mädchen ist dem Hamburger Senat ein wichtiges Anliegen und wird auf der Basis des Hamburger Opferschutzkonzeptes und durch ein umfangreiches Hilfe- und Unterstützungssystem verfolgt, vergleiche Drs. 21/4174 und Drs. 20/10994. Aus der Definition der Weltgesundheitsorganisation (vergleiche https://apps.who.int/ iris/bitstream/handle/10665/77421/WHO_RHR_12.38_eng.pdf?sequence=1&isAllowe d=y) ist erkennbar, dass der Begriff des Femizid oder Feminizid nicht klar konturiert ist, sondern verschiedene Interpretationsmöglichkeiten von einer sehr weiten Auslegung („any killings of women and girls“) bis hin zu einer engen Auslegung („intentional murder of women because they are women“) eröffnet werden. Weiterhin lassen sich unter dem Begriff Femizid unterschiedliche Ausprägungsformen und Typen subsummieren , wie beispielsweise der Mord einer Frau innerhalb und außerhalb einer Partnerschaft oder der Mord „im Namen der Ehre“. Diese Konstellationen zeichnen sich dadurch aus, dass das Geschlecht der Opfer beziehungsweise die ihnen aufgrund ihres Geschlechts zuerkannte gesellschaftliche Stellung für die Tatbegehung mitbestimmend ist; die aufgezeigten Kategorien von Taten werden ausschließlich oder ganz überwiegend zum Nachteil von Frauen begangen. Die Taten werden allerdings nicht ausschließlich deshalb begangen, weil es sich bei den Opfern um Frauen handelt. Vorsätzliche Tötungsdelikte richten sich, auch wenn sie einer typisierbaren Kategorie zuzuordnen sind, stets gegen das Individuum, weil sie das geschützte Individualrechtsgut des Lebens verletzen. Der Senat ist an das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt Drucksache 21/18951 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 (Istanbul-Konvention) gebunden. Die dort fixierten Definitionen zu geschlechtsspezifischer Gewalt sind für die Arbeit des Senats maßgeblich. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Frauen und Trans*frauen sind nach Kenntnis des Senats durch Gewaltanwendung von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner im Jahr 2018 und im laufenden Jahr in Hamburg zu Tode gekommen? Bitte nach Jahr und Tatbestand (Totschlag, Mord, Körperverletzung mit Todesfolge, fahrlässige Tötung et cetera) aufschlüsseln. 2. Wie viele versuchte Tötungen und wie viele versuchte Morde an Frauen und Trans*frauen durch ihren aktuellen oder ehemaligen Partner gab es in Hamburg im Jahr 2018 und im laufenden Jahr? Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Für die Erfassung des Geschlechts sieht die PKS bisher lediglich eine Unterscheidung zwischen männlich und weiblich vor. Der Begriff „Trans*frauen“ findet keine Verwendung . Daten zu Opfern werden in der PKS nur bei Delikten erfasst, für die im Straftatenkatalog eine Opfererfassung vorgesehen ist. Nach den aktuellen bundeseinheitlich geltenden PKS-Richtlinien betrifft dies grundsätzlich Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre, sexuelle Selbstbestimmung ). Im Gegensatz zur „Echttäterzählung“ der Tatverdächtigen in der PKS handelt es sich bei der Opfererfassung um sogenannte Opferwerdungen, das heißt wenn eine Person im Laufe eines Jahres mehrfach Opfer von Straftaten geworden ist, wird sie auch mehrfach in der PKS erfasst. Daten zum Opfer werden nicht auf Basis der Fälle, sondern auf Basis der Erfassungen der Opferwerdungen ausgewertet. Eine Verknüpfung mit Fallzahlen ist nicht möglich. Die Aussagekraft der PKS ist auf Jahresauswertungen ausgelegt. Innerhalb eines Berichtsjahres unterliegt der PKS-Datenbestand einer ständigen Pflege, zum Beispiel durch Hinzufügen von nachträglich ermittelten Tatverdächtigen oder der Herausnahme von Taten, die sich im Nachhinein nicht als Straftat erwiesen haben. Um ein Minimum an Validität zu gewährleisten, werden die Daten für das laufende Jahr als Dreivierteljahreszahlen (Januar bis September) dargestellt. Im Übrigen siehe Anlage. 3. Hat der Senat Kenntnis darüber, dass sich unter diesen Fällen (versuchte ) Femizide befinden? Falls nicht, wie möchte er sich darüber Kenntnis verschaffen? Statistiken im Sinne der Fragestellung werden bei der Polizei nicht geführt. Zur Beantwortung wäre eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums bei der zuständigen Dienststelle des Landeskriminalamtes (LKA 41 – Fachkommissariat Tötungsdelikte/Todesermittlungen) erforderlich. Die Auswertung von mehreren Hundert Vorgängen ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen trifft die Polizei unabhängig von der Motivlage des Täters sämtliche im jeweiligen Einzelfall erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung , eine statistische Erfassung ist daher aus polizeilicher Sicht nicht erforderlich. 4. Welche Maßnahmen ergreift der Hamburger Senat, um Femizide zu verhindern ? a) Gibt es ein explizit auf die Problematik zugeschnittenes Präventionskonzept ? b) Gibt es wissenschaftliche Studien, die die Situation in Hamburg in Hinblick auf Femizide untersuchen? c) Gibt es in Hamburg unabhängige Monitoringstellen zur Datenerhebung von geschlechterspezifischen Tötungen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/18951 3 Der Senat begegnet geschlechtsspezifischer Gewalt auf der Basis der im Konzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Menschenhandel und Gewalt in der Pflege (Drs. 20/10994) dargelegten Maßnahmen und Handlungsansätze, sowie des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), siehe Drs. 21/14972. Grundsätzlich wird präventiv an der Verhinderung jeglicher Gewalt gearbeitet, wissenschaftliche Studien zur Situation in Hamburg sind nicht bekannt. Unabhängige Monitoringstellen im Sinne der Fragestellung gibt es in Hamburg nicht. 5. Wie viele Verurteilungen von Tötungsdelikten nach a) dem Mordmerkmal der Heimtücke, b) dem Mordmerkmal der niederen Beweggründe, c) dem Tatmotiv Frauenhass sind dem Senat für den Zeitraum von 2015 bis heute in Hamburg bekannt. Bitte nach Jahr, Geschlecht und Beziehungsstatus aufschlüsseln . Im Vorgangsverwaltungs- und -bearbeitungssystem MESTA der Staatsanwaltschaft Hamburg wird das Geschlecht des Opfers nicht zuverlässig und die gesetzlichen Mordmerkmale, der „Beziehungsstatus“ der Beteiligten und der Umstand, ob aus „Frauenhass“ heraus gehandelt wurde, nicht erfasst. Es müssten daher zur Beantwortung der Frage alle Verfahren beigezogen und händisch ausgewertet werden, in denen in MESTA als Tatvorwurf die §§ 211–213 des Strafgesetzbuchs (StGB) und eine rechtskräftige Verurteilung verzeichnet sind. Dabei handelt es sich im Anfragezeitraum (2015 bis zum Stichtag 13. November 2019) um insgesamt 146 Verurteilungen. Die Beiziehung und Auswertung dieser Verfahren ist innerhalb der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 6. Auch außerhalb von Beziehungen, werden Frauen aufgrund ihres Frauseins getötet. Neben Rassismus und Antisemitismus, werden etwa dem Attentäter von Halle (und ebenso den Attentätern von Christchurch, Toronto und Utoya) auch Antifeminismus und Misogynie als leitende Motive für sein Handeln zugeschrieben (vergleiche https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2019/Rechte-Terroristen-Hassauf -Frauen,frauenhass100.html). Liegen dem Hamburger Senat Erkenntnisse über die Verknüpfung von Rechtsterrorismus und Frauenhass vor? Welche Präventionsmaßnahmen gibt es in diesem Bereich? Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung liegen dem Senat nicht vor. Im Rahmen des Landesprogramms zur Prävention und Bekämpfung von Rechtsextremismus 2019 „Hamburg – Stadt mit Courage“ (Drs. 21/18643) arbeiten unter anderem die vom Senat geförderten Bildungs- und Beratungsprojekte zu diesem Thema. Das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus des Trägers Arbeit und Leben Hamburg hat beispielsweise Veranstaltungen zum Thema Antifeminismus und reaktionäre Sexualpolitiken durchgeführt und eine Handreichung für pädagogische Fachkräfte zu Sexualpädagogik in Bildungseinrichtungen herausgegeben, siehe: https://hamburg.arbeitundleben.de/img/daten/D393105639.pdf. Das Modellprojekt „Dekonstrukt“, das mit der Zielgruppe „Neue Rechte“ arbeitet, hat zudem die Broschüre „Von Helden, Denkern und Barbaren“ – eine Analyse der Neuen Rechten und ihrer Männlichkeiten herausgegeben, siehe: http://dekonstrukt.org/wpcontent /uploads/2019/08/impulse_6.pdf. Im Übrigen siehe Drs. 21/14972. insgesamt davon Partnerschaften insgesamt (inklusive ehemalige Partnerschaften) davon Versuch 010000 Mord 11 4 0 020000 Totschlag/Tötung a. Verlangen 12 9 4 030000 Fahrlässige Tötung 5 0 0 221010 Körperverletzung mit Todesfolge 0 0 0 insgesamt davon Partnerschaften insgesamt (inklusive ehemalige Partnerschaften) davon Versuch 010000 Mord 5 1 1 020000 Totschlag/Tötung a. Verlangen 6 3 1 030000 Fahrlässige Tötung 3 0 0 221010 Körperverletzung mit Todesfolge 0 0 0 PKS- Schlüssel Delikt Anzahl weibliche Opfer Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung -formal- PKS- Schlüssel Delikt Partnerschaften insgesamt (inklusive ehemalige Partnerschaften) 01.01.2019 - 30.09.2019 01.01.2018 - 31.12.2018 Anzahl weibliche Opfer Drucksache 21/18951 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Anlage 18951ska_Text 18951ska_Anlage