BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/19043 21. Wahlperiode 26.11.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dennis Gladiator (CDU) vom 19.11.19 und Antwort des Senats Betr.: Getunter Sportwagen, aber Hartz IV – Geht die Kontrollgruppe „Autoposer “ auch den Mitgliedern krimineller Banden an den Kragen? (II) Regelmäßig fallen auf Hamburgs Straßen getunte PS-starke Wagen der Oberklasse auf, die oftmals von jungen Männern gefahren werden. Und immer wieder berichten Medien über Mitglieder krimineller Banden, die offiziell zwar arbeitslos sind oder Sozialhilfe beziehen, sich aber teure Sportwagen und Uhren problemlos leisten können. Hier liegt der Verdacht nahe, dass das Geld zur Finanzierung der Luxusautos häufig aus Verbrechen stammt. Um organisierte Kriminalität und Clan-Kriminalität einzudämmen, sind die erweiterten Möglichkeiten seit der Reform zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vollumfänglich zu nutzen. Gleichzeitig ist es von erheblicher Bedeutung, dass die Jobcenter in die Lage versetzt werden, Sozialleistungsmissbrauch zu erkennen und zu melden. Im Positionspapier des Bund Deutscher Kriminalbeamter e.V. (BDK) vom April 2019 heißt es dazu unter Punkt 7.6: „Die betroffenen Jobcenter müssen in die Lage versetzt werden, Sozialleistungsmissbrauch durch Clanangehörige systematisch zu erkennen und zu melden. Um die Haltereigenschaft auffällig hochpreisiger Fahrzeuge zu ermitteln und ggf. auch „Strohmänner“ zu identifizieren, sind regelhaft Abfragen bei der Kraftverkehrszulassungsstelle vorzunehmen. Ein automatisiertes Abgleichverfahren zwischen den Kraftverkehrszulassungsstellen und der Polizei ist zu entwickeln. Außerdem sind automatisierte Abgleichverfahren mit dem Jobcenter zur Verfügung zu stellen , um bei Straßenverkehrskontrollen vor allem bei hochpreisigen Fahrzeugen zu ermitteln, ob ein Sozialleistungsmissbrauch vorliegen könnte. Ziel ist es dabei, die Fahrzeuge in diesen Fällen unverzüglich zu beschlagnahmen bzw. sicherzustellen.“ In der Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage, Drs. 21/13212, gibt der Senat etwas schwammig an, welche Maßnahmen die Polizeibeamten der Kontrollgruppe „Autoposer“ ergreifen; er nennt jedoch konkret das Ziel: „Neben der Verfolgung festgestellter straßenverkehrsrechtlicher Verstöße und Überprüfungen der Fahrtüchtigkeit der Fahrzeugführer haben die Maßnahmen das Ziel, technische Veränderungen an überprüften Fahrzeugen festzustellen.“ Es stellt sich die Frage, inwiefern hier eine ressortübergreifende Kriminalitätsbekämpfung auch im Hinblick auf Sozialleistungsmissbrauch überhaupt stattfindet. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Drucksache 21/19043 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Der Senat beantwortet die Fragen teilweise auf Grundlage von Auskünften von Jobcenter team.arbeit.hamburg (Jobcenter) und der Agentur für Arbeit Hamburg (AA) wie folgt: 1. Wie hat sich die Anzahl der erfassten Fälle wegen Sozialleistungsmissbrauchs in Hamburg seit 2015 jährlich entwickelt? Bitte pro Jahr sowie für die ersten drei Quartale 2019 angeben. 2. Inwiefern sind die Jobcenter in Hamburg in der Lage, Sozialleistungsmissbrauch systematisch zu erkennen und zu melden? a. Welche Verfahren nutzen sie dafür? b. Inwiefern werden Abfragen bei der Kraftverkehrszulassungsstelle vorgenommen? Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Straftaten im Sinne der Fragestellung werden in der PKS als Sozialleistungsbetrug erfasst. Bis zum Jahr 2015 erfolgte bei der PKS-Erfassung eine Differenzierung in Betrug zum Nachteil von Sozialversicherungen und Sozialversicherungsträgern (PKS-Schlüssel 517700) und (sonstiger) Sozialleistungsbetrug (sofern nicht unter PKS-Schlüssel 517700 zu erfassen) (PKS-Schlüssel 517800). Seit dem Jahr 2016 ist der PKS-Schlüssel 517700 weggefallen und die Erfassung erfolgt alleine unter dem PKS-Schlüssel 517800 (Sozialleistungsbetrug). Die erfragten PKS-Daten sind in der folgenden Tabelle dargestellt: Jahr Anzahl Fälle PKS-Schlüssel 517700 517800 2015 41 156 2016 entfällt 248 2017 182 2018 156 1. bis 3. Quartal 2019 88 Zur Vermeidung und Aufdeckung nicht gerechtfertigter Leistungszahlungen ist Jobcenter bei der Antragsbearbeitung und während des Leistungsbezugs gehalten, bei Anhaltspunkten eines Sozialleistungsmissbrauchs in den Leistungsunterlagen zu prüfen , ob eine weitere Sachverhaltsaufklärung erforderlich ist. Bei Auffälligkeiten beziehungsweise Verdachtsmomenten sind die Vorgänge zur weiteren Bearbeitung an die Stelle für Ordnungswidrigkeiten beim Jobcenter abzugeben. Der Verfahrensweise liegen die seitens AA entsprechend zur Verfügung gestellten fachlichen Weisungen und Arbeitshilfen zum Ordnungswidrigkeitenverfahren und zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch zugrunde. Das Jobcenter erkennt damit Verdachtsfälle auf Sozialleistungsmissbrauch durch systematische und individuelle Methoden. Die wichtigste Erkenntnisquelle für die Feststellung von Leistungsmissbrauch ist der automatisierte Datenabgleich nach § 52 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Daneben erlaubt § 52a SGB II den Jobcentern, zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch bestimmte Auskünfte über leistungsberechtigte Personen aus dem Zentralen Fahrzeugregister (ZFZR), dem Melderegister sowie dem Ausländerzentralregister (AZR) einzuholen. Die Datenerhebung erfolgt anlassbezogen und ist an eine strikte Zweckbindung geknüpft. Die Auskunftsbefugnis vom Jobcenter nach § 52a Absatz 1 Nummer 1 SGB II beim Zentralen Fahrzeugregister – geführt beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) – erstreckt sich auf Kraftfahrzeughalterdaten wie Art, Hersteller, Typ des Fahrzeugs und Kraftfahrzeugkennzeichen . Die Anfrage, ob noch ein weiteres Fahrzeug zugelassen ist oder ein Fahrzeug veräußert wurde, wird auf § 67a Absatz 2 Satz 2 Nummer 2b SGB Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/19043 3 X in Verbindung mit § 35 Straßenverkehrsgesetz (StVG) gestützt. Entsprechende Abfragen werden aus jeweils gegebenem Anlass im Einzelfall vorgenommen. Im Übrigen siehe zu den Maßnahmen des Senats auch Drs. 21/17817. 3. Wie beurteilen die zuständigen Behörden die Errichtung eines automatisierten Abgleichverfahrens zwischen den Kraftverkehrszulassungsstellen und der Polizei? Abfragen von Kraftfahrzeug- und Halterdaten sind der Polizei nach Bedarf im jeweiligen Einzelfall auch vor Ort über das beim Kraftfahrt-Bundesamt geführte „Zentrale Fahrzeugregister“ (ZFZR/ZEVIS) möglich; ein vollautomatisiertes Verfahren ist daher nach Auffassung der Polizei nicht erforderlich. 4. Wie beurteilen die zuständigen Behörden das automatisierte Abgleichverfahren mit dem Jobcenter, um bei Straßenverkehrskontrollen vor allem bei hochpreisigen Fahrzeugen zu ermitteln, ob ein Sozialleistungsmissbrauch vorliegen könnte, damit in diesen Fällen die Fahrzeuge unverzüglich beschlagnahmt beziehungsweise sichergestellt werden können? Ein Datenabgleich durch die Polizei beim Jobcenter während einer Straßenverkehrskontrolle ist nicht möglich, da der Datenabgleich nur über das Fachverfahren ALLE- GRO im Jobcenter erfolgen kann. Darüber hinaus wäre ein Abgleichverfahren im Rahmen der Vermögungsprüfung für Jobcenter nur aufschlussreif, wenn bewiesen werden kann, dass der Fahrer beziehungsweise die Fahrerin auch Eigentümer beziehungsweise Eigentümerin ist. Soweit der Wert des Kfz für eine leistungsberechtigte Person nicht angemessen ist, würde der Wagen auch nicht beschlagnahmt werden, sondern der übersteigende Wert des Fahrzeugs würde auf die Leistung angerechnet werden. 5. Nicht nur im Hinblick auf Clan-Mitglieder, sondern auch im Bereich der sonstigen Kriminalität kann es Verbindungen zum Sozialleistungsmissbrauch geben. Welche Vorgaben zur Mitteilung von Straftaten an das Jobcenter gibt es für die Polizei und die Staatsanwaltschaft? Eine Datenübermittlung durch die Polizei erfolgt auf Grundlage des § 18 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei. In Fällen des Verdachts des Betruges zum Nachteil des Sozialamtes ist häufig das Sozialamt/Jobcenter selbst Anzeigender oder aber die Polizei tritt im Rahmen der Ermittlungen zur Beiziehung für die Beweisführung relevanter Unterlagen an das Sozialamt/Jobcenter heran. In beiden Konstellationen hat/erhält das Sozialamt/Jobcenter vom Sachverhalt Kenntnis. Die Mitteilungspflichten der Staatsanwaltschaften richten sich einzelfallabhängig nach der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra). Sobald sich Ansätze für einen Betrug betreffend Sozialleistungsbezüge oder eine anderweitige Betroffenheit des Jobcenters ergeben, wird das Jobcenter in die Ermittlungen von Amts wegen einbezogen . 6. Auch in den Justizvollzugsanstalten befinden sich regelmäßig Personen, die Sozialleistungen beziehen. a. Wie lange haben Untersuchungshaftgefangene und Strafgefangene trotz Inhaftierung gesetzlichen Anspruch auf Sozialleistungen? b. Wie erfährt das Jobcenter bei Erlöschen des Anspruchs auf Sozialleistungen von der Inhaftierung? c. Inwiefern ist sichergestellt, dass inhaftierte Personen keinen Sozialleistungsmissbrauch begehen können? Gemäß § 7 Absatz 4 Satz 2 SGB II sind Inhaftierte vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Bezüglich der Mitteilung einer Inhaftierung greift grundsätzlich die Mitwirkungspflicht des Kunden beziehungsweise der Kundin gemäß § 60 SGB I. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, im Einzelfall eine Anfrage im Rahmen eines Amtshilfeersuchens nach § 3 SGB X an eine Justizvollzugsanstalt (JVA) zu stellen. Drucksache 21/19043 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Für die Veränderungsmitteilung sind die Leistungsempfänger selbst verantwortlich. Der Justizvollzug informiert Gefangene bei Aufnahme darüber, dass sie die zuständige Stelle zu informieren haben. Bei Bedarf händigen die Justizvollzugsanstalten hierzu Merkblätter und notwendige Formulare aus. Sofern die Gefangenen über keine Mittel zum Absenden der Veränderungsmitteilung verfügen, können die Portokosten von der Justizvollzugsanstalt übernommen werden. Bei Minderjährigen werden zudem die Eltern informiert. Soweit im Einzelfall ein begründeter Verdacht besteht, dass die inhaftierte Person ihren Meldepflichten gemäß § 60 Absatz 1 Nummern 1 und 2 SGB I bezüglich des Umstands der Inhaftierung gegenüber dem Jobcenter nicht nachkommt, kann auch eine Justizvollzugsanstalt ein Jobcenter informieren. Auf der Basis der §§ 67 fortfolgende in Verbindung mit § 4 der DVO SGB XII in Verbindung mit § 35 SGB XII können Bedarfe für Unterkunft während kurzfristiger Haftstrafen für einen Zeitrahmen von bis zu einem Jahr gewährt werden. Diese Leistungen dienen der Prävention von Wohnungsverlust, damit werden die Voraussetzungen für das Gelingen der Resozialisierung von Untersuchungsgefangenen sowie verurteilten Strafgefangenen geschaffen. Dem Missbrauch von Sozialleistungen wird vorgebeugt, indem die Bedarfsermittlung und die Befürwortung des Antrags auf Übernahme der Bedarfe für die Unterkunft während der Haft durch das Fachamt Straffälligen- und Gerichtshilfe erfolgen. Anträge werden nur dann befürwortet, wenn keine Selbsthilfemöglichkeiten wie zum Beispiel die Untervermietung der Wohnung während der Haft bestehen. Die Leistung ist befristet und an die Vorgaben der Fachanweisung zur Bewilligung der Bedarfe für Unterkunft gebunden. Der Lebensunterhalt während der Haft wird für Strafgefangene durch die Justizvollzugsanstalt sichergestellt. Bei Untersuchungshäftlingen ist davon auszugehen, dass die lebensnotwendigen Bedarfe durch die Justizvollzugsanstalt gedeckt werden. Daneben erhalten mittellose Untersuchungshäftlinge, die vor dem Haftantritt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Hamburg hatten, einen Barbetrag nach dem SGB XII in Höhe von 8,6 Prozent des Eckregelsatzes. Aktuell ist dies ein Betrag von 36,46 Euro.