BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/19129 21. Wahlperiode 03.12.19 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Harald Feineis (AfD) vom 25.11.19 und Antwort des Senats Betr.: Ambulantisierung der Pflege per Tablet-Computer. Gibt es bereits Ergebnisse aus dem Modell-Projekt „PAUL“1? Der Begriff der Ambulantisierung bezeichnet die Auslagerung sozialer und gesundheitlicher Versorgungsleistungen aus dem stationären in den ambulanten Bereich und eine allgemeine Bevorzugung ambulanter Versorgung. Mit anderen Worten: Pflegebedürftige Menschen können unter bestimmten Voraussetzungen trotz Pflegebedürftigkeit länger in den eigenen vier Wänden wohnen, dort versorgt werden und eine Heimunterbringung vermeiden. Eine wichtige Voraussetzung, die erfüllt sein muss, damit dies gelingt, besteht zum Beispiel darin, dass Senioren – mit oder ohne Pflegegrad – bedarfsgerecht mit der Außenwelt kommunizieren können. Vor allem bei auftretenden Notfällen ist dies entscheidend, wenn ein allein lebender hochbetagter Mensch in der häuslichen Umgebung stürzt, einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erleidet oder in anderer Weise in gefährliche Situationen gerät. Zwar verfügen heute viele Ältere über installierte Notrufsysteme, doch die Erfahrung hat gezeigt, dass es trotzdem immer wieder Fälle gibt, in denen Senioren nach Stürzen oder bei akut auftretenden gesundheitlichen Problemen stunden- oder gar tagelang in ihren Wohnungen lagen, ohne auf ihre Notsituation aufmerksam machen zu können. Im Unterschied zu Notrufsystemen, die von den Senioren aktiv bedient werden müssen, bietet das Computersystem PAUL die Möglichkeit, von außen auf Not- und Gefahrensituationen zu reagieren, ohne dass der Betroffene selbst irgendetwas tun muss. Ermöglicht wird dies durch ein System aus Bewegungsmeldern, vereinbarten Zeitplänen und Interventionsstufen sowie einer Kommunikationsschnittstelle in Form eines Tablet-Computers. In einem Modellprojekt wurden zahlreiche Seniorenwohnungen in Hamburg- Eimsbüttel ab Januar 2017 mit dem System PAUL ausgestattet2. Federführend ist die Techniker Krankenkasse. Beteiligt sind zudem unter anderem Mediziner des Zentrums für Geriatrie und Gerontologie des Albertinen Hauses , die Barmer, die DAK und die Johanniter-Unfall-Hilfe. Finanziell gefördert wird das Projekt aus einem „Investitionsfonds der Bundesregierung für eine bessere gesundheitliche Versorgung“. 1 PAUL steht für Persönlicher Assistent für unterstütztes Leben und ist ein Modellprojekt unter Federführung der Techniker Krankenkasse. 2 „Hamburger Abendblatt“, 12. Januar 2017. Drucksache 21/19129 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die Laufzeit des Projektes beträgt vier Jahre. Seit Projektbeginn ist nunmehr geraume Zeit vergangen, sodass wahrscheinlich bereits Zwischenergebnisse vorliegen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die drei Kernelemente des Pilotprojekts „NetzWerk GesundAktiv (NWGA)“ zur Stärkung der Prävention für Seniorinnen und Senioren, das 2017 startete und aus Mitteln des Innovationsfonds beim Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert wird, sind individuelle Betreuung, Vernetzung im eigenen Quartier sowie technische Unterstützung. Letztere gewährleistet auch ein für Seniorinnen und Senioren leicht bedienbarer Tablet -PC namens PAUL („Persönlicher Assistent für unterstützendes Leben“). Im Zentrum des NWGA steht als zentraler Anlaufpunkt die „koordinierende Stelle“ im Albertinen-Haus in Hamburg-Schnelsen. Dort durchläuft jeder Projektteilnehmer zunächst umfassende geriatrische Untersuchungen und strukturierte Tests, um seine jeweiligen individuellen Bedürfnisse ermitteln zu lassen. Die Ergebnisse der Tests sind die Basis für die Erstellung eines individuellen Unterstützungsplans. Eine Unterstützung der Umsetzung dieses Plans erfahren die Teilnehmer durch die engmaschige Betreuung von Fallmanagerinnen beziehungsweise Fallmanager, die während der gesamten Projektlaufzeit als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Das Projekt beinhaltet zudem, die behandelnden Hausärzte der Versicherten einzubeziehen und die zahlreichen Hilfen im Umfeld miteinander zu verknüpfen. Bestehende regionale Quartiersangebote wie Wohn- und Betreuungsleistungen, Hauswirtschafts-, Pflegeund Sozialleistungen sowie die bestehenden Pflegestützpunkte sollen verbunden und in das NWGA integriert werden, um so eine Verbesserung der Versorgungsqualität zu erreichen. Die Techniker Krankenkasse (TK) reichte das Projekt als Federführerin beim Innovationsfonds im Bereich Versorgung ein. Konsortialpartner des Projekts sind neben dem Albertinen-Haus als Träger der Koordinierenden Stelle auch CIBEK technology + trading GmbH, die BARMER, die DAK-Gesundheit, die KNAPPSCHAFT, der Johanniter- Unfall-Hilfe e. V., die Universität Bielefeld sowie die Abteilung für klinisch-geriatrische Forschung im Albertinen-Haus, wissenschaftliche Einrichtung an der Universität Hamburg . Die Universität Bielefeld und die Forschungsabteilung des Albertinen-Hauses übernehmen die Evaluation des Projekts. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen auf der Grundlage von Auskünften der Träger des Projektes NetzWerk GesundAktiv, des Albertinen-Hauses und der Techniker Krankenkasse wie folgt: 1. Wie viele ältere Menschen beziehungsweise Einzelhaushalte nehmen seit Beginn des Projekts am Modellversuch PAUL teil? Nach Abschluss der Rekrutierungszeit waren 963 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingeschrieben. Aufgrund von Todesfällen und Austritten hat sich die Zahl auf aktuell (26.11.2019) 873 reduziert. Davon sind 393 Teilnehmer mit einem PAUL-Tablet ausgestattet worden. 18 Teilnehmer sind darüber hinaus mit einem umfangreichen Sicherheitspaket bestehend aus Inaktivitäts- und Hilflosigkeitssensoren sowie einem Hausnotrufgerät ausgestattet worden. Dieser Geräteverbund ermöglicht das Absetzen eines Hausnotrufsignals ohne aktives Handeln des Teilnehmers beispielsweise im Falle einer Bewusstlosigkeit. Insgesamt besteht eine hohe Akzeptanz und ein großes Interesse gegenüber den Angeboten des NWGA: sowohl bei Veranstaltungen zum Thema PAUL (Café PAUL, spezifischen Thementage und so weiter) als auch bei anderen Angeboten im NWGA (Bewegungsangebote, Sommerfest und so weiter) besteht eine rege Teilnahme. 2. Gab es angesichts der langen Projektlaufzeit Fluktuationen größeren Ausmaßes unter den Versuchspersonen? Nein – siehe Antwort zu 1. Die Anzahl freiwilliger Austritte durch die Teilnehmenden ist seit vielen Monaten auf nahe Null gesunken. Das NWGA ist unter den aktuellen Teilnehmern hoch akzeptiert. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/19129 3 3. Gab es bisher Fälle, in denen während der Projektlaufzeit Pflegebedürftigkeit eingetreten ist und die Betroffenen aufgrund des Systems PAUL dennoch in ihrer häuslichen Umgebung wohnhaft bleiben konnten? Das Projekt startete in 2017 mit den Vorbereitungen, im Jahr 2018 fand die Rekrutierung statt und im laufenden Jahr wurde die Durchführung aufgenommen. Daher kann noch keine Aussage zur Wirksamkeit getroffen werden. 4. Gab es unter den Versuchspersonen bisher Notfälle, deren Folgen mithilfe des Systems PAUL besser zu bewältigen waren als mit herkömmlichen Notrufsystemen? Es gab Fälle, in denen Inaktivität vom System erkannt und Maßnahmen ergriffen wurden . 5. Zeichnet sich bereits ab, ob das Modellprojekt langfristig ausgerollt und das System PAUL flächendeckend angeboten werden soll? Die Projektpartner prüfen derzeit, welche Bestandteile und Module des Förderprojekts NetzWerk GesundAktiv ab 2021 gegebenenfalls im Rahmen eines Selektivvertrages zur besonderen Versorgung nach § 140a SGB V von den Krankenkassen übergangsweise fortgeführt werden können, bis das Versorgungsmodell eventuell Einzug in die Regelversorgung erhält. Im nächsten Schritt wäre dann zu prüfen, ob das Versorgungsmodell auf andere Standorte ausgedehnt werden kann. Dabei kommt es besonders darauf an, welche Strukturen jeweils schon vor Ort vorhanden sind und welche Netzwerkstrukturen erst neu aufgebaut werden müssen. Um speziell das PAUL- System als einen Bestandteil des Förderprojekts flächendeckend auszurollen, bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Die Aufnahme in das Pflegehilfsmittelverzeichnis oder die Zulassung als digitale Gesundheitsanwendung nach dem Digitalen- Versorgungs-Gesetz. Beide Möglichkeiten werden von den Projektpartnern erörtert. Ob einer dieser Wege erfolgreich sein wird und zu welchem Zeitpunkt sich das realisieren lässt, ist derzeit noch nicht absehbar. Das Pflegehilfsmittelverzeichnis müsste um eine neue Produktgruppe für intelligente Notfallerkennungssysteme erweitert werden und die Verfahren des beschlossenen Digitale-Versorgung-Gesetzes müssen erst noch in der Praxis etabliert werden. 6. In welcher Form hat die zuständige Behörde das Projekt verfolgt beziehungsweise den Projektverlauf begleitet? Die zuständige Behörde stellte der TK als Konsortialführung und Antragssteller ein Unterstützungsschreiben zur Verfügung, welches dem Antrag auf Förderung durch den Innovationsfonds beigefügt wurde. Nach Ausstellung des Förderbescheids wurde zwischen der TK und der zuständigen Behörde eine Absichtserklärung abgeschlossen , wonach sich beide Parteien regelmäßig zu einem fachlichen Austausch über den Projektverlauf treffen und die zuständige Behörde das Projekt weiterhin unterstützt. Darüber hinaus ist die zuständige Behörde Mitglied im Beirat des NWGA.