BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/19775 21. Wahlperiode 24.01.20 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 17.01.20 und Antwort des Senats Betr.: Mündlich versus schriftlich – Wie gewichten die Schulen schriftliche Arbeiten und Beteiligung im Unterricht? Die Qualität des Schulunterrichts in Hamburg und insbesondere des Hamburger Abiturs wird vielfach bemängelt. „Die Abiturregelungen tolerieren zu viele schwache Leistungen und unterlaufen so den Anspruch an allgemeine Bildung“, heißt es beispielsweise in einem Positionspapier der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS). Ein Aspekt, der „durchmogeln“ auch für relativ schwache Schüler ermöglicht, ist die unterschiedliche Gewichtung mündlicher und schriftlicher Leistungen: Während in Niedersachsen beispielsweise für alle Gymnasien einheitlich und transparent geregelt ist, in welchem Verhältnis mündliche und schriftliche Leistungen zu bewerten sind, obliegt diese Entscheidung in Hamburg jeder Schule individuell. Es gibt lediglich die Vorgabe, das Mündliche sei stets mehr zu gewichten als das Schriftliche. Die Konsequenz: An vielen Schulen – auch Gymnasien – wird in Fächern wie Physik, Chemie, Biologie, Politik, Musik oder Religion nur eine Arbeit pro Halbjahr geschrieben und das Mündliche mit 70 Prozent mehr als doppelt so hoch wie das Schriftliche gewertet. Ist ein Schüler also eher schüchtern, hat aber eine Eins oder Zwei in der schriftlichen Arbeit geschrieben, wird die Endnote auf dem Zeugnis schnell eine Drei sein, was natürlich nicht motivierend wirkt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Es gehört zu den Kernaufgaben der Lehrkraft, im Unterricht vielfältige Lernsituationen zu organisieren, die der Schülerin beziehungsweise dem Schüler ermöglichen, ihr Leistungspotenzial zu zeigen. Ziel bleibt es, dass alle Schülerinnen und Schüler – also auch vermeintlich eher „schüchterne“ – ihr tatsächliches Leistungsvermögen bestmöglich einbringen können. Die laufende Unterrichtsarbeit und damit auch ihre Bewertung, die sogenannte mündliche Note, umfasst weit mehr als das Unterrichtsgespräch in der Lerngruppe oder auch einzelne mündliche Präsentationen. Die Leistungsfähigkeit kann sich in vielfältigen weiteren Aktivitäten zeigen. Dies sind beispielsweise schriftliche Beiträge, die Erledigung von Hausaufgaben, die Erstellung von Readern oder Materialdossiers, die Dokumentation von Lern- und Arbeitsprozessen (zum Beispiel Protokolle, Portfolios, Lesetagebücher), Rechercheaufgaben, Erstellung von medialen Produkten (zum Beispiel Drehbücher, Dossiers, Audio- oder Videoclips), Mitarbeit an fachspezifischen oder fachübergreifenden Projekten und in Ausstellungs- oder Wettbewerbsbeiträgen. Gegenstand der Leistungsbewertung sind die schriftlichen, mündlichen und praktischen Einzelleistungen unter Berücksichtigung ihrer Anteile an der Gesamtleistung (Grundschule, Sekundarstufe I der Stadtteilschule und des Gymnasiums, § 2 Absatz 1 Drucksache 21/19775 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 APO-GrundStGy). Die Anforderungen, auf die sich die Leistungsbewertung bezieht, ergeben sich aus den Bildungsplänen. Darüber hinaus wird in § 10 Absatz 1 APO-AH für die Oberstufe ausgeführt, dass die erbrachten Leistungen im Rahmen einer pädagogisch-fachlichen Gesamtbewertung aufgrund der Leistungen in den Klausuren und den ihnen gleichgestellten Arbeiten sowie der dokumentierten mündlichen, schriftlichen und praktischen Leistungen in der laufenden Unterrichtsarbeit festgesetzt werden. Die Fachlehrkräfte erläutern den Schülerinnen und Schülern zu Beginn eines jeden Halbjahres die wesentlichen Bewertungskriterien und insbesondere die Anteile der Einzelleistungen an der Gesamtleistung. Im Kapitel 1.4 des Bildungsplans für die gymnasiale Oberstufe ist festgelegt, dass die für ein Semester vergebenen Gesamtnoten sich nicht überwiegend auf die Ergebnisse der Klausuren und der ihnen gleichgestellten Leistungen beziehen dürfen. Damit ist eine hälftige Gewichtung von Klausuren und laufender Unterrichtsarbeit durchaus möglich und auch üblich. Im Rahmen der Vereinbarung zur Sicherung des Schulfriedens wurde festgehalten, dass die mündlichen Abiturprüfungen leistungsgerechter gestaltet werden sollen. Während die Präsentation bisher rund die Hälfte der Prüfung umfasst, soll die Präsentation künftig auf ein Drittel der Zeit beschränkt werden. In Bezug auf die Abschlussnote darf die Präsentation selbst nicht mehr als ein Drittel der Note prägen. Die Ausbildungs - und Prüfungsordnung ist in diesem Sinne zu überarbeiten. Für alle Schulformen gilt, dass weitere Kriterien der Leistungsbewertung durch die Lehrerkonferenz bestimmt werden, die diese Aufgabe in der Regel an die jeweilige Fachkonferenz als Ausschuss der Lehrerkonferenz delegiert, siehe § 59 Absatz 2 Hamburgisches Schulgesetz. Diese Kriterien enthalten – unter Berücksichtigung des genannten Rahmens – auch Festlegungen zur prozentualen Gewichtung der Leistungen aus schriftlichen Lernerfolgskontrollen und laufender Unterrichtsarbeit. Die allgemeinen Regelungen zur Leistungsbewertung sind in § 2 der Ausbildungsund Prüfungsordnung für die Grundschule und die Jahrgangsstufen 5 bis 10 der Stadtteilschule und des Gymnasiums (APO-GrundStGy), in § 10 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife (APO-AH) sowie jeweils im Kapitel 1.4 der Bildungspläne für die Grundschulen, Stadtteilschulen Jahrgangsstufen 5 bis 11, Gymnasien Sekundarstufe I und für die gymnasiale Oberstufe niedergelegt, siehe Drs. 21/14495. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Stimmt es, dass Grundschulen, Stadtteilschulen und Gymnasien in Hamburg die Gewichtung mündlicher und schriftlicher Leistungen eigenverantwortlich festlegen können? Wer genau legt dies an den Schulen fest? 2. Wenn jede Schule eigenverantwortlich und individuell festlegen kann, wie mündliche und schriftliche Leistungen gewertet werden: Sind die Schulen verpflichtet, dies gegenüber der Schüler- und Elternschaft transparent darzustellen? Wenn ja, in welcher Form? Siehe Vorbemerkung. 3. Wie werten beispielsweise die Hamburger Gymnasien mündliche und schriftliche Leistungen prozentual in Nebenfächern und Hauptfächern beziehungsweise in den unterschiedlichen Stufen? Sollte es keine Regelhaftigkeit geben, bitte für jede Schule einzeln aufführen, wie in welcher Fächerart und in welcher Klassenstufe mündliche und schriftliche Leistungen prozentual gewertet werden. Von der für Bildung zuständigen Behörde wird eine prozentuale Gewichtung der Leistungen im Unterricht der einzelnen Fächer an den Hamburger Gymnasien nicht zentral erfasst. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/19775 3 4. Wie beurteilt der Senat die Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse und insbesondere des Abiturs in Hamburg, wenn an den Schulen mündliche und schriftliche Leistungen unterschiedlich gewichtet werden? Die Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse in Hamburg wird durch die allgemeinen und fachspezifischen Anforderungen der Bildungspläne gewährleistet, die Grundlage jeglicher Leistungsbewertung nicht nur, aber auch in zentralen und dezentralen schriftlichen sowie mündlichen Prüfungen für alle Schulabschlüsse sind. Um die Vergleichbarkeit der Anforderungen noch besser zu gewährleisten, wurden in Hamburg beispielsweise die zentralen schriftlichen Abiturprüfungen auf derzeit 30 Fächer ausgeweitet und ab 2017 ländergemeinsam entwickelte Aufgaben in der Abiturprüfung in Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch übernommen. 5. Wie beurteilt der Senat die Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse und insbesondere des Hamburger Abiturs mit dem Abitur zum Beispiel in Schleswig-Holstein und Niedersachsen, wenn mündliche und schriftliche Leistungen unterschiedlich gewichtet werden? Die Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse und insbesondere des Hamburger Abiturs wurde in den vergangenen Jahren durch die Einführung von Bildungsstandards für den ersten allgemeinbildenden und den mittleren Schulabschluss sowie für die allgemeine Hochschulreife in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch beziehungsweise Französisch maßgeblich erhöht. Darüber hinaus bestehen für den mittleren Schulabschluss Bildungsstandards in den Fächern Biologie, Chemie und Physik und für das Abitur einheitliche Prüfungsanforderungen der Kultusministerkonferenz in weiteren 42 Fächern. An diesen länderübergreifenden Vorgaben orientieren sich die Anforderungen in den Hamburger Bildungsplänen und zentralen Prüfungen, insbesondere in den schriftlichen Abiturprüfungen, die zum Teil ländergemeinsam verwendete Aufgaben beinhalten. Im Übrigen äußert sich die für Bildung zuständige Behörde nicht zu Regelungen anderer Länder. 6. Stimmt es, dass Grundschulen, Stadtteilschulen und Gymnasien in Hamburg selbst festlegen können, wie viele schriftliche Arbeiten pro Halbjahr und Klassenstufe geschrieben werden? Wer legt dies genau fest – jede Lehrkraft individuell? Muss dies vom Schulleiter genehmigt werden? Nein. Grundschulen, Stadtteilschulen und Gymnasien in Hamburg richten sich bei der Anzahl schriftlicher Lernerfolgskontrollen pro Halbjahr und Klassenstufe nach den Vorgaben des jeweiligen Bildungsplans. Dort ist beispielsweise festgelegt, dass im Fach Deutsch in den Jahrgangsstufen 5 bis 8 an Stadtteilschule und Gymnasium pro Schuljahr mindestens sechs schriftliche Lernerfolgskontrollen bewertet werden, davon zwei Klassenarbeiten, die der Überprüfung der Rechtschreibung dienen. Die Entscheidung, über diese Mindestvorgaben hinaus weitere schriftliche Lernerfolgskontrollen durchzuführen , obliegt der einzelnen Lehrkraft beziehungsweise der jeweiligen Fachkonferenz . Dabei sind die von der Schulkonferenz beschlossenen Grundsätze unter Einbeziehung des Lernstands und der Förderbedarfe der Lerngruppe zu berücksichtigen.