BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/1984 21. Wahlperiode 27.10.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 20.10.15 und Antwort des Senats Betr.: Erneut entwichener Häftling in Hamburg – Werden die Mitarbeiter ausreichend unterstützt und trainiert? In diesem Jahr mussten bereits wiederholt dringend Tatverdächtige und sogar verurteilte Straftäter in Hamburg aus der Haft entlassen werden, da ein rechtsstaatliches Verfahren aufgrund Überlastung der Gerichte nicht mehr gewährleistet war. Die Nichtrückkehr von vier Häftlingen aus der JVA Billwerder innerhalb einer Woche im August bezeichnete Senator Steffen als „ungewöhnliche Häufung von Einzelfällen“. In der vergangenen Woche gelang nun auch noch einem 19-jährigen Untersuchungsgefangenen die Flucht, nachdem ihn das Amtsgericht Harburg zu zwei Jahren Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt hatte. Er soll sich nach Mitteilung der Justizbehörde vom 15.10.2015 trotz Sicherung aus der Handfessel befreit haben und entwischte danach den beiden ihn sichernden Justizbeamten , die ihn zum Gerichtstermin begleitet hatten. Nach Angabe der Justizbehörde gebe es keinen Anhaltspunkt für ein Fehlverhalten der Beamten . Es erscheint fraglich, wie sich ein ordnungsgemäß mit Handfessel gesicherter Häftling plötzlich und unbemerkt aus der Handfessel befreien und zwei geschulten Justizbediensteten davonlaufen kann. Da die Justizbehörde für Fehlverhalten keinen Anhaltspunkt sieht, drängt sich die Frage auf, ob es sich bei dem Häftling um den legitimen Nachfolger Harry Houdinis handelt oder ob die sichernden Justizbeamten einfach überlastet waren oder ob sie ausreichend vorbereitet und regelmäßig für entsprechende Situationen geschult werden. Vorbereitung und Schulung der AVD-Bediensteten sollen durch das „Eigensicherung - und Transport-Training“ (ETR) gewährleistet werden. Die zuständige Behörde für Justiz und Gleichstellung erklärte im vergangenen Jahr dazu Folgendes: „ETR steht für Eigensicherung und Transport und ist ein Oberbegriff für Lehrinhalte, wie zum Beispiel waffenlose Selbstverteidigung, Helm-, Schildund Pfefferspraytraining, Fesseln, Kommunikation in Stresssituationen, die sowohl in Theorie als auch in Praxis im Bereich der Aus- und Fortbildung vermittelt werden. Gemäß Verfügung des Strafvollzugsamtes hat jeder mit Gefangenen direkt konfrontierte Mitarbeiter des AVD mindestens drei Trainingseinheiten von mindestens 45 Minuten Dauer pro Jahr zu absolvieren. Im April 2013 wurde ein neues ETR-Konzept eingeführt, das vor allem eine Drucksache 21/1984 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 personelle Umstrukturierung vorsah. Erst seit diesem Zeitpunkt konnten die Trainingseinheiten wieder regelmäßig durchgeführt werden. Dies ist einer der Gründe, weshalb die Vorgaben für das Jahr 2013 nicht erreicht werden konnten .“ (Drs. 20/12436). Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie stellt sich der Sachverhalt nach Kenntnis und inzwischen sicherlich abgeschlossener Prüfung der zuständigen Behörde konkret dar? Gegen den in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hahnöfersand untergebrachten jugendlichen Gefangenen fand am 14. Oktober 2015 um 11.30 Uhr die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Hamburg-Harburg statt. Zur Teilnahme an der Hauptverhandlung wurde er daher am 14. Oktober 2015 aus der JVA Hahnöfersand in die Untersuchungshaftanstalt verlegt. Gemäß Verfügung der JVA Hahnöfersand vom 13. Oktober 2015 wurde die gefesselte Vorführung zum Termin durch zwei Begleitbeamte angeordnet , da es sich beim Amtsgericht Hamburg-Harburg um ein Gericht ohne gesicherten Bereich handelt. Die gefesselte Vorführung erfolgte durch zwei Mitarbeiter der Vorführungsabteilung der Untersuchungshaftanstalt. Gegen 16.30 Uhr endete die Verhandlung. Danach verließen die Bediensteten das Nebengebäude des Amtsgerichtes Hamburg-Harburg, wobei ein Bediensteter den Gefangenen mittels Handfessel an sich gefesselt hatte und der andere Bedienstete die Transportleitung übernahm. Die Handfessel befand sich am linken Handgelenk des Bediensteten und am rechten Handgelenk des Gefangenen. Auf dem Weg zum Hauptgebäude des Amtsgerichtes Hamburg-Harburg riss sich der Gefangene mit seiner linken Hand die Fessel mit einer ruckartigen Bewegung vom rechten Handgelenk und rannte sofort davon. Obwohl die Bediensteten ihn zum Anhalten aufforderten, lief der Gefangene, der inzwischen einige Meter Vorsprung hatte, in einem sehr schnellen Tempo weiter. Die Bediensteten verfolgten den Flüchtigen noch circa 400 Meter bis zum nahe gelegenen Park Schwarzenberg (Richtung Bleicherweg), verloren ihn dann jedoch aus dem Blickfeld. Unmittelbar danach informierten die Bediensteten die Polizei, die etwa fünf Minuten später vor Ort war und sich mit mehreren Polizeifahrzeugen und Spürhunden auf die Suche machte. Am selben Tag noch wurde zudem das Fahndungsersuchen durch die JVA Hahnöfersand an das Polizeipräsidium Hamburg per Telefax versendet. Die Bediensteten haben angegeben, die Fesselung nach der Handlungsanleitung für Fesselungen bei Aus- und Vorführungen von Gefangenen ordnungsgemäß vorgenommen und dies auch überprüft zu haben. Der Gefangene, der am 19. Oktober 2015 durch die Bundespolizei in Dortmund festgenommen worden ist, konnte noch nicht zum Sachverhalt befragt werden, weil er sich noch nicht wieder im Hamburger Vollzug befindet. 2. Haben alle der mit Gefangenen direkt konfrontierten Mitarbeiter des AVD seit April 2013 mindestens drei ETR-Trainingseinheiten pro Jahr von mindestens 45 Minuten Dauer absolviert? Nein. Falls nein: a. Wie viele dieser Mitarbeiter haben die drei ETR-Trainingseinheiten pro Jahr nicht absolviert? Bitte in absoluten und prozentualen Zahlen darstellen. Jahr zu schulende Bedienstete 3 ETR-Einheiten absolviert In % 2013 838 195 23,26 % 2014 802 402 50,12 % 2015 (I – III. Q) 785 251 * * Die Prozentangabe kann erst nach Ende des Jahres 2015 ermittelt werden. Das Fortbildungsjahr 2015 ist noch nicht abgeschlossen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/1984 3 b. Aus welchen Gründen wurden die ETR-Trainings nicht im vorgegebenen Umfang absolviert? Die Durchführung der in den Anstalten geplanten und durchgeführten ETR-Einheiten hängt insbesondere von der am Trainingstag bestehenden Personalsituation in den Anstalten ab. Die Aufrechterhaltung des laufenden Dienstbetriebes hat Vorrang. Insbesondere kann es den Bediensteten der Vorführungsabteilung der Untersuchungshaftanstalt aufgrund der aktuellen Terminlagen bei den Gerichten nicht immer ermöglicht werden, die ETR-Termine wahrzunehmen. Auch beispielsweise Lang- und Kurzzeiterkrankungen oder Elternzeitzeiten können dazu führen, dass Bedienstete nicht an allen drei pro Jahr vorgesehenen ETR-Trainings teilnehmen können. c. Wann haben die beiden Justizbeamten, die den entwichenen Häftling zum Amtsgericht Harburg begleiteten, jeweils ihre letzten drei ETR-Trainings absolviert? Die beiden betreffenden Bediensteten haben seit 2013 jeweils an insgesamt 3 ETRSchulungen wie folgt teilgenommen: 2013 0 0 2014 2 2 2015 1 1 d. Wie will die zuständige Behörde sicherstellen, dass die Mitarbeiter künftig den Vorgaben entsprechend ETR-Training in diesem Umfang erhalten? Der Anstieg der Teilnehmerzahlen am ETR-Training ist durch eine Erhöhung des Angebotes von ETR-Schulungen im letzten Jahr erreicht worden. Die Anzahl der Ausbilder wurde schrittweise von 15 Ausbildern im Jahr 2013 auf nunmehr 22 Ausbilder im Jahr 2015 erweitert. Derzeit befinden sich weitere 15 Bedienstete in einer Ausbildung zum ETR-Trainer. Dadurch stehen den Bediensteten auch zukünftig wesentlich mehr Termine im Jahr zur Verfügung, um ihrer Ausbildungsverpflichtung nachzukommen beziehungsweise ausgefallene Termine nachzuholen. Darüber hinaus wird derzeit zusammen mit den Anstaltsleitungen ein Konzept erarbeitet, das darauf abzielt, über Controllingmaßnahmen und optimierte Dienstplangestaltung die Ausbildungszahlen im Bereich ETR weiter zu erhöhen.