BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/20003 21. Wahlperiode 07.02.20 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dirk Nockemann und Harald Feineis (AfD) vom 30.01.20 und Antwort des Senats Betr.: Verstöße gegen die Erziehungs- und Fürsorgepflicht (§ 171 StGB) durch IS-Rückkehrer In Drs. 21/19758 hat der Senat erklärt, die unlängst aus der Türkei nach Hamburg abgeschobenen Frau werde der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§§ 129a, 129b StGB) sowie des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz beschuldigt. Ferner sei die Tatverdächtige gemeinsam mit ihren beiden im Ausland geborenen Kindern im Alter von zwei und vier Jahren in Hamburg angekommen. Unklar ist, ob auch wegen des Verbots gegen die Erziehungs- und Fürsorgepflicht ermittelt wird, die besagt: „Wer seine Fürsorge- oder Erziehungspflicht gegenüber einer Person unter sechzehn Jahren gröblich verletzt und dadurch den Schutzbefohlenen in die Gefahr bringt, in seiner körperlichen oder psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu werden, einen kriminellen Lebenswandel zu führen oder der Prostitution nachzugehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Soweit die erfragten Informationen personenbezogene Daten aus dem Bereich der Jugendhilfe betreffen, handelt es sich um Sozialdaten (§ 67 Absatz 2 Satz 1 SGB X), die der Senat gemäß § 67b Absatz 1 SGB X nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Übermittlungsbefugnis im SGB oder gemäß Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe a DSGVO mit Einwilligung der Betroffenen weitergeben darf. Das SGB enthält keine Übermittlungsbefugnis zugunsten der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen. Einwilligungen zur Datenübermittlung liegen nicht vor. Hinsichtlich der erfragten Informationen , die personenbezogene Daten aus dem Bereich der Jugendhilfe betreffen, ist der Senat daher aus Gründen des Sozialdatenschutzes nach § 35 SGB I, §§ 61 fortfolgende SGB VIII, §§ 67 fortfolgende SGB X an der Beantwortung der Fragen gehindert . Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wird die Tatverdächtige beschuldigt, die Erziehungs- und Fürsorgepflicht für ihre beiden Kinder verletzt zu haben (§ 171 StGB)? Falls nein, warum nicht? Ja. 2. In wie vielen Fällen ist mit Kindern aus dem Ausland heimkehrenden IS-Anhängerinnen bis heute ein Verstoß gegen § 171 StGB vorgeworfen worden? Bitte jeweils Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit der Beschuldigten sowie Anzahl, Alter und Geburtsort der Kinder nennen. Drucksache 21/20003 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Dem Senat sind im eigenen Zuständigkeitsbereich bisher zwei Fälle im Sinne der Fragestellung bekannt: Ein Ermittlungsverfahren gegen eine 35 Jahre alte deutsche Staatsangehörige mit insgesamt vier Kindern im Alter von zwölf, sechs, fünf und drei Jahren und ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen eine 30 Jahre alte deutsche Staatsangehörige mit insgesamt zwei Kindern im Alter von fünf und drei Jahren. Darüber hinaus sieht Senat vor dem Hintergrund der Beachtung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen von der Mitteilung weiter gehender Angaben ab. Im Übrigen wird im Vorgangserfassungs- und Vorgangsverwaltungssystem MESTA der Staatsanwaltschaften Hamburg nicht erfasst, ob und gegebenenfalls welcher terroristischen Vereinigung im Ausland sich eine Beschuldigte angeschlossen hat, ob sie einen Rückkehrwillen geäußert hat beziehungsweise zurückgekehrt ist und ob und gegebenenfalls wie viele Kinder sie hat. Für eine vollständige Beantwortung der Fragen müssten daher alle Akten mit Staatsschutzbezug sowie alle Verfahren mit einem Vorwurf nach § 171 StGB gesondert auf etwaige Hinweise durchgesehen werden. Dies ist in der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Allein bei der Generalstaatsanwaltschaft handelt es sich insoweit um eine dreistellige Verfahrenszahl. Noch weitaus höher liegt der Anteil der in der Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft Hamburg geführten Verfahren. Eine Durchsicht aller bei der Staatsanwaltschaft geführten Verfahren mit einem Vorwurf gemäß § 171 StGB ist ebenfalls in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, es handelt sich allein im Zeitraum seit 2015 um circa 300 Verfahren mit mehr als 400 Beschuldigten. 3. In wie vielen Fällen hat es auf dieser Grundlage Verurteilungen gegeben ? In den beiden in Antwort 2. mitgeteilten Fällen hat es bisher keine Verurteilungen im Sinne der Fragestellung gegeben. Im Übrigen siehe Antwort zu 2. 4. Spielt der Geburtsort von Kindern, deren deutsche oder ausländische Eltern sich im Ausland einer terroristischen Vereinigung wie dem IS angeschlossen haben, eine Rolle für die Verfolgung von Vergehen im Zusammenhang mit § 171 StGB? Falls ja, inwiefern? Nein. 5. Von welchen Kriterien hängt ab, ob die Kinder von deutschen oder ausländischen Eltern, die sich im Ausland einer terroristischen Vereinigung wie dem IS angeschlossen haben, nach deren Rückkehr nach Hamburg in staatliche Obhut beziehungsweise Pflegefamilien gegeben werden? Die bezirklichen Jugendämter betreuen jede in Hamburg lebende Familie gemäß des Regelsystems des Jugendamtes, sofern Bedarfe bestehen. Diese Familien beziehungsweise Personensorgeberechtigten sind Anspruchsberechtigte im Sinne des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII). So steht es den sorgeberechtigten Eltern zu, Anträge auf Hilfe zur Erziehung in Form einer Unterbringung der Kinder zum Beispiel in einer Wohngruppe oder in einer Pflegefamilie zu beantragen. Die Bedarfe ergeben sich hierbei jeweils aus dem Einzelfall und müssen individuell geprüft werden . Auch für die Inobhutnahme gelten die allgemeinen Regelungen des Jugendamtes. Die Kriterien ergeben sich aus den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), insbesondere aus den Bestimmungen zu den Sorgerechtsverhältnissen und Eingriffen in die elterliche Sorge gemäß § 1666 BGB. Eine Inobhutnahme kommt nur dann in Betracht, - wenn das Kind oder der Jugendliche um Inobhutnahme bittet, - wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes die Inobhutnahme erfordert, - wenn die elterliche Sorge vorübergehend nicht ausgeübt werden kann. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/20003 3 6. In wie vielen Fällen sind die Kinder von deutschen oder ausländischen Eltern, die sich im Ausland einer terroristischen Vereinigung wie dem IS angeschlossen haben, nach deren Rückkehr nach Hamburg in staatliche Obhut beziehungsweise Pflegefamilien gegeben worden? 7. In wie vielen Fällen sind die Kinder von deutschen oder ausländischen Eltern, die sich im Ausland einer terroristischen Vereinigung wie dem IS angeschlossen haben, nach deren Rückkehr nach Hamburg bei ihren Eltern verblieben? 8. In wie vielen Fällen sind die Kinder von deutschen oder ausländischen Eltern, die sich im Ausland einer terroristischen Vereinigung wie dem IS angeschlossen haben, nach deren Rückkehr nach Hamburg zunächst bei ihren Eltern geblieben, später jedoch in staatliche Obhut beziehungsweise Pflegefamilien überführt worden? 9. Was waren die jeweiligen Gründe hierfür? 10. In wie vielen Fällen haben die betroffenen Eltern Rechtsmittel gegen solche Entscheidungen eingelegt und wie häufig waren sie damit erfolgreich ? Siehe Vorbemerkung. Die Gesamtzahl der Fälle ist so gering, dass durch die Nennung der jeweiligen Anzahl in Verbindung mit den weiteren erfragten Informationen die betroffenen Personen, zumindest für Personen mit Zusatzkenntnissen, identifizierbar wären. Der Senat ist daher im Hinblick auf den Sozialdatenschutz gehindert, die Fragen zu beantworten (vergleiche § 67 Absatz 2 S. 1 SGB X i.V.m. Artikel 4 Nummer 1 DSGVO).