BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/20038 21. Wahlperiode 11.02.20 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 03.02.20 und Antwort des Senats Betr.: Radikalisierungstendenzen bei Gefangenen schneller erkennen – laufen regelmäßige Sicherheitsanfragen? (II) „Islamistische Radikalisierung hinter Gittern ist seit Jahren ein Problem“, sagt der Psychologe und Islam-Experte Ahmad Mansour. „Die Gefängnisse könnten ohne eine richtige Strategie für Prävention und Deradikalisierung zu Fachhochschulen der Radikalen werden.“ In den Vollzugsanstalten treffen Islamisten besonders viele labile Menschen an, Kleinkriminelle und Gewaltaffine auf der Suche nach Orientierung. Auf sie wirke die radikale Ideologie hochattraktiv. „Ihnen wird gesagt, dass sie zu einer auserwählten Elite gehören , sie bekommen feste Verhaltensregeln und eine klare Alltagsstruktur.“ (https://www.n-tv.de/politik/Viele-Islamisten-radikalisieren-sich-hinter-Gitternarticle 20778699.html) Diese Gefahr besteht auch in Hamburgs Justizvollzugsanstalten, weshalb seit März 2017 das Handlungskonzept Maßnahmen gegen gewaltbereite Salafisten und andere extremistische Gefangene im Hamburger Justizvollzug umgesetzt wird. Neben Personen, die wegen Staatsschutzdelikten inhaftiert sind, ist der Blick auch auf die Gefangenen zu richten, die sich wegen anderen Anlasstaten in den JVAs befinden. In der Drs. 21/17710 vom 9. Juli 2019 gibt der Senat an: „Derzeit befinden sich acht Personen im Hamburger Justizvollzug , bei denen es Anzeichen gibt, dass ein islamistisch-extremistischer Hintergrund bestehen könnte, deren Anlassdelikt aber nicht im Bereich des Staatsschutzes liegt oder einen Extremismusbezug aufweist, davon je drei in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel und der Sozialtherapeutischen Anstalt sowie je einer in der JVA Billwerder und der JVA Hahnöfersand.“ Damit die Justizvollzugsbehörden erkennen können, ob von einzelnen Gefangenen Radikalisierungsgefahren ausgehen, auch wenn die Anlasstat nicht dem Bereich der Staatsschutzdelikte zuzuordnen ist oder einen Extremismusbezug aufweist, wurde mit Erlass des Hamburgischen Justizvollzugsdatenschutzgesetzes (HmbJVollzDSG) die Möglichkeit zur Sicherheitsanfrage über Gefangene (und anstaltsfremde Personen) geschaffen. Die Sicherheitsanfrage über Gefangene soll regelmäßig erfolgen. So heißt es in § 15 Absatz 6 Satz 1 HmbJVollzDSG: „Von einer Sicherheitsanfrage über Gefangene soll nach Zulassung eines technischen Verfahrens für Sicherheitsanfragen nach Absatz 14 nur abgesehen werden, wenn im Einzelfall auf Grund einer Gesamtwürdigung eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder eine Gefährdung des Vollzugsziels fernliegt.“ § 15 Absatz 14 HmbJVollzDSG regelt: „Die für die Sicherheitsanfrage erforderlichen personenbezogenen Daten dürfen nach Zulassung eines technischen Verfahrens im Wege eines automatisierten Abrufverfahrens oder einer Drucksache 21/20038 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 regelmäßigen Datenübermittlung abgefragt und übermittelt werden. Der Senat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ein technisches Verfahren zur Datenübermittlung nach Satz 1 zuzulassen. In der Rechtsverordnung werden die Einzelheiten der Datenübermittlung sowie des Verfahrens der Bearbeitung der Anfragen geregelt. Der Senat kann die Ermächtigung nach Satz 2 durch Rechtsverordnung auf die zuständige Behörde weiter übertragen .“ In der Antwort auf meine Schriftliche Kleine Anfrage, Drs. 21/18219, teilte der Senat mit: „Das technische Verfahren für die Sicherheitsanfragen betreffend Gefangene im Sinne des § 15 Absatz 14 HmbJVollzDSG wird in Form einer neuen „Karteikarte“ in dem Buchhaltungs- und Abrechnungssystem im Strafvollzug (BASIS-Web) erfolgen. Darüber können die Justizvollzugsbehörden (das heißt die Anstalten und die Justizbehörde als Aufsichtsbehörde) die Sicherheitsanfragen betreffend Gefangene (§ 15 Absatz 1 HmbJVollzDSG) an die von § 15 Absatz 4 HmbJVollzDSG genannten Behörden mit Sicherheitsaufgaben versenden. Die „Zustellung“ an die angefragten Behörden erfolgt technisch gesehen über eine Art Schnittstelle oder „Verteilerscheibe“, welche die Anfrage an die jeweiligen angefragten Behörden und deren Rückmeldungen an die anfragende Justizvollzugsanstalt weitergibt. Die auf diesem Wege zugelieferten Informationen können zugriffsberechtigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweils anfragenden Justizvollzugsanstalt dann in BASIS-Web einsehen. Nach dem aktuellen Planungsstand soll das beschriebene technische Verfahren für die Sicherheitsanfragen zu den Gefangenen bis Ende des Jahres 2019 zugelassen und zunächst in zwei sowie zeitnah auch in den weiteren Hamburger Justizvollzugsanstalten in Betrieb genommen werden.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Es sind bereits jetzt unterschiedliche Maßnahmen in Kraft, um Gefangene zu identifizieren , deren Anlassdelikte zwar keinen Extremismusbezug aufweisen, die aber bereits beim Zugang oder erst im Verlauf der Haft mindestens erste Anzeichen aufweisen , sich in einem Radikalisierungsprozess zu befinden: Vollzugsspezifische sogenannte Basis-Fortbildungen der Bediensteten durch das Projekt Legato PräJus – Islamismusprävention im justiziellen Feld – vermitteln Grundkenntnisse zum Themenfeld. Auf diese Weise wird für eine erhöhte Sensibilität des Vollzuges im Hinblick auf mögliche Anhaltspunkte gesorgt. Liegen Hinweise auf eine derartig kritisch politische oder religiöse Motivation vor, wird im Rahmen eines engen Austausches des Justizvollzuges mit den Sicherheitsbehörden eine Erkenntnisseanfrage an die zuständigen Abteilungen gerichtet. In den Anstalten sind zudem Beauftragte für Extremismus beschäftigt, die dort als zentrale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner fungieren. Sie stellen den regelmäßigen Informationsfluss zwischen Justizvollzugsanstalt, Aufsichtsbehörde und gegebenenfalls den Sicherheitsbehörden sicher. Ein besonders geschulter Psychologe in der Justizbehörde ist zuständig für die Erstellung einer extremismusspezifischen Risikoeinschätzung bei rechtskräftig verurteilten Gefangenen, deren Anlassdelikt einen Extremismusbezug aufweist, sowie bei Gefangenen, deren Anlassdelikt in einem anderen Bereich liegt, bei denen sich aber Hinweise auf einen Radikalisierungsprozess häufen. Die so gewonnene professionelle, strukturierte Einschätzung des Risikopotenzials dient der Planung vollzuglicher Maßnahmen und Entscheidungen . Im Übrigen siehe auch Drs. 21/14037. Die zuständige Behörde arbeitet darüber hinaus weiterhin mit Nachdruck an der Schaffung der notwendigen rechtlichen und technischen Voraussetzungen für eine ebenso funktionstüchtige wie sichere Inbetriebnahme des automatisierten Abrufverfahrens . Zu diesem Zweck finden nach wie vor ein intensiver Austausch und regelmäßige Besprechungen zwischen den beteiligten Stellen statt. Auch der Austausch mit Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/20038 3 den in den Justizvollzugsanstalten für die Sicherheitsanfragen zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde fortgeführt. Nach dem aktuellen Planungsstand soll das in Drs. 21/18219 beschriebene technische Verfahren für die Sicherheitsanfragen zu den Gefangenen bis Mitte des Jahres 2020 zugelassen und zunächst in zwei sowie zeitnah auch in den weiteren Hamburger Justizvollzugsanstalten in Betrieb genommen werden. Für die Umsetzung des beschriebenen technischen Verfahrens muss eine neue Version von BASIS-Web implementiert werden. Die im März 2019 in Betrieb genommene Testversion wies noch Fehler auf, sodass der Hersteller des Programmes nachbessern musste. Anfang des Jahres wurde eine angepasste Testversion installiert. Die Testung wird voraussichtlich binnen der nächsten zwei Monate erfolgen. Nach erfolgreichem Abschluss kann eine Freigabe erfolgen. Die Ende des Jahres 2019 noch ausstehende Freigabe durch das Informationssicherheitsmanagement der Polizei ist Anfang Februar 2020 erfolgt, sodass diese nunmehr zur Durchführung des automatisierten Abrufverfahrens in der Lage ist. Die Rechtsverordnung gemäß § 15 Absatz 14 HmbJVollzDSG ist unterschriftsreif vorbereitet. Sie wurde lediglich noch nicht erlassen, da sie als Grundlage für ein einsatzbereites technisches Verfahren dient. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Gefangene mit einer Anlasstat, die dem Bereich der Staatsschutzdelikte zuzuordnen ist oder die einen Extremismusbezug aufweist, befinden sich aktuell in den Hamburger Justizvollzugsanstalten? Bitte pro JVA zum Stichtag 31. Januar 2020 angeben. Zum Stichtag 31. Januar 2020 befanden sich in der Untersuchungshaftanstalt sechs, in der Justizvollzugsanstalt Billwerder einschließlich der Teilanstalt für Frauen drei sowie in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel zwei Gefangene mit einer Anlasstat, die dem Bereich der Staatsschutzdelikte zuzuordnen ist oder einen Extremismusbezug aufweist. 2. Wie viele Gefangene, von denen Radikalisierungsgefahren ausgehen, bei denen die Anlasstat nicht dem Bereich der Staatsschutzdelikte zuzuordnen ist oder einen Extremismusbezug aufweist, befinden sich aktuell in den Hamburger Justizvollzugsanstalten? Bitte pro JVA zum Stichtag 31. Januar 2020 angeben. Liegen zu Gefangenen, bei denen die Anlasstat nicht dem Bereich der Staatsschutzdelikte zuzuordnen ist oder einen Extremismusbezug aufweist, Hinweise von dritten Stellen oder Wahrnehmungen des Vollzuges auf eine mögliche Radikalisierung vor, werden diese besonders beobachtet. Zum Stichtag 31. Januar 2020 befanden sich in der Justizvollzugsanstalt Billwerder neun, in der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand zwei, in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel drei, in der Sozialtherapeutischen Anstalt zwei und in der Justizvollzugsanstalt Glasmoor zwei solcher Beobachtungsfälle. 3. Wurde das automatisierte Abrufverfahren beziehungsweise die regelmäßige Datenübermittlung – wie angekündigt bis Ende 2019 – mittlerweile zugelassen? a. Falls ja, in welchen Hamburger Justizvollzugsanstalten wurde das Verfahren bereits in Betrieb genommen und wie sind die ersten Erfahrungen damit? b. Falls ja, wann soll eine Ausweitung auf die weiteren Hamburger Justizvollzugsanstalten erfolgen? c. Falls nein, weshalb nicht und wann wird es zugelassen beziehungsweise in Betrieb genommen? 4. Wurde die Rechtsverordnung gemäß § 15 Absatz 14 HmbJVollzDSG mittlerweile erlassen? Falls ja, wann und welchen Inhalt hat sie? Drucksache 21/20038 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Falls nein, weshalb nicht? Siehe Vorbemerkung. 5. An den ehemaligen Gefangenen, den Terrorhelfer al-Motassadeq, wurden rechtswidrig 7 194,43 Euro ausgezahlt. Er wurde in der Liste der Personen, Gruppen und Organisationen in Anhang I der EG-VO Nummer 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 geführt und unterliegt somit sanktionsrechtlichen Beschränkungen. Der Justizsenator teilte in der Beratung des Justizausschusses am 20. August 2019 (Ausschussprotokoll Nr. 21/36), mit „(…) Insofern gibt es für mich gegenwärtig keinen Anlass, irgendetwas nachzubessern, zumal es im gesamten Justizvollzug wie gesagt keinen zweiten derartigen Gefangenen gibt.“ a. Wie viele Gefangene befinden sich aktuell (31. Januar 2020) in Hamburgs Justizvollzugsanstalten, die sanktionsrechtlichen Beschränkungen unterliegen? Keine. b. Wie und durch wen erfolgt die Prüfung, ob ein neuer Gefangener auf der Liste in Anhang I der EG-VO Nummer 881/2002 steht? Wie und durch wen werden Alias-Identitäten überprüft? Welche Vorgaben gibt es hier seitens der Justizbehörde? Die Prüfung erfolgt durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Vollzugsgeschäftsstellen im elektronischen Prüfverfahren innerhalb von BASIS-Web. Dieser Abgleich erfolgt täglich, und umfasst auch die Alias-Identitäten. Sobald bei diesem elektronischen Abgleich ein Treffer gemeldet wird, erfolgt die weitere Bewertung und Prüfung durch die Sicherheitsdienstleitungen der Anstalten. c. In der Drs. 21/16406 teilte der Senat mit, dass die Justizvollzugsanstalten über den Umgang mit Sanktionsmaßnahmen zur Terrorbekämpfung mit Schreiben der Justizbehörde vom 19. Januar 2007 unterrichtet wurden, das eine Handlungsanleitung zu Rechtsgrundlagen und Inhalt von Sanktionen, der Umsetzung (einschließlich des Verfahrens zur Einholung von Sondergenehmigungen) und Folgen bei Verstößen enthielt. Hat es als Reaktion auf die Panne bei der Auszahlung an den Gefangenen al-Motassadeq eine Aktualisierung der Handlungsanweisung seitens der Justizbehörde gegeben? Falls nein, weshalb nicht? Welche sonstigen Maßnahmen wurden seitens der Justizbehörde getroffen? Siehe Protokoll des Ausschusses für Justiz und Datenschutz Nr. 21/39.