BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/20097 21. Wahlperiode 14.02.20 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Michael Kruse und Jennyfer Dutschke (FDP) vom 06.02.20 und Antwort des Senats Betr.: Papierberg voraus – Versenkt der rot-grüne Senat das Kleingewerbe mit der Kassenbonpflicht? (II) Seit dem 01.01.2020 gilt grundsätzlich für alle modernen Registrierkassen beziehungsweise ihre Nutzer eine Belegausgabepflicht. Den meisten Bürgerinnen und Bürgern ist mittlerweile bei Einkäufen aufgefallen, dass sich beispielsweise bei Bäckereien, Imbissen, Kiosken et cetera Papierberge an der Kasse sammeln. Gemäß § 146a Absatz 2 AO können die Finanzbehörden „bei Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen (…) aus Zumutbarkeitsgründen nach pflichtgemäßem Ermessen von einer Belegausgabepflicht (…)“ absehen. Soweit ein Gewerbetreibender nicht aufgrund der Kleinunternehmerregelung, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe (zum Beispiel Ärzte) oder in Sonderfällen nach Absprache mit dem Finanzamt hiervon befreit ist, muss er eine Umsatzsteuervoranmeldung spätestens zum 10. des Folgemonats beziehungsweise Folgequartals abgeben. Die monatliche Umsatzsteuervoranmeldung ist dabei in den ersten zwei Jahren nach einer Existenzgründung Pflicht, soweit nicht die Kleinunternehmerregelung wegen niedriger Umsätze greift. Ebenso ist die monatliche Zahlweise gemäß § 18 Absatz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) die Regel, sofern im Vorjahr – nach Abzug der Vorsteuer – eine Umsatzsteuer von mehr als 7 500 Euro an das Finanzamt zu entrichten war. Die quartalsweise Umsatzsteuervoranmeldung erfolgt bei einer jährlichen Umsatzsteuerlast von weniger als 7 500 Euro. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: In Branchen mit hohem Bargeldanteil stehen die Finanzbehörden bei der Sicherstellung des gleichmäßigen Steuervollzuges vor besonderen Herausforderungen. Die Verifizierung der Aufzeichnungen des Unternehmers durch die Finanzbehörden muss in geeigneter Weise ermöglicht werden, um strukturelle Vollzugsdefizite vermeiden zu können. Die Belegausgabepflicht ist zentraler Bestandteil des Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen und erforderlich, um Steuerhinterziehung bei der Nutzung von elektronischen Kassensystemen wirksam zu bekämpfen . Sie ist ein notwendiger Baustein für mehr Steuergerechtigkeit und für die Beseitigung ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteile unehrlicher Unternehmer. Die Nichterfassung von Umsätzen wird erschwert und das Entdeckungsrisiko erhöht, weil die Hemmschwelle zur Nichterfassung oder nachträglichen Stornierung von Umsätzen angehoben wird. Deshalb haben Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat schon Drucksache 21/20097 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 im Jahr 2016 ein Kassen-Betrugs-Bekämpfungs-Gesetz (Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen) beschlossen, in dem die Belegausgabepflicht die Wirksamkeit des beschlossenen Maßnahmenpaketes sicherstellt. Die Belegausgabe dient insbesondere der externen Sichtbarkeit von Eingaben in die Kasse und schafft Kontrollmöglichkeiten für die Finanzverwaltung. Das Entdeckungsrisiko bei Nichteinsatz eines vorhandenen Kassensystems, bei Einsatz einer Zweitkasse oder bei Nichteingabe von Geschäftsvorfällen ins Kassensystem wird signifikant erhöht, da ohne Eingabe des Geschäftsvorfalls kein Kassenbon erstellt werden kann. Aus diesem Grund war die Aufnahme der Belegausgabepflicht eine zentrale Forderung Hamburgs im damaligen Gesetzgebungsverfahren. Zum 10. Februar 2020 kann die zu Jahresbeginn eingeführte Belegausgabepflicht weder zu höheren angemeldeten Umsätzen noch zu einer höheren vereinnahmten Umsatzsteuer führen. Nur ein Teil der Unternehmer, die Umsatzsteuer anmelden und zahlen müssen, nämlich die Betreiber eines elektronischen Kassensystems, sind von der Belegausgabepflicht betroffen. Zudem beinhalten die zum Stichtag 10. Februar 2020 ausgewerteten Daten Umsätze zu Voranmeldungszeiträumen, in denen die Belegausgabepflicht zum weit überwiegenden Teil noch nicht bestand. Vom Unternehmer anzumelden und in den Daten enthalten sind alle Umsätze, die von dem Unternehmer in dem Besteuerungszeitraum erzielt wurden, also auch steuerfreie Umsätze, nicht steuerbare Umsätze oder Umsätze, für die der Leistungsempfänger die Steuer schuldet. Eine Erhöhung oder Verringerung der Umsatzhöhe hat somit nicht zwangsläufig Auswirkungen auf die vereinnahmte Umsatzsteuer. Diese wird außerdem durch die abziehbare Vorsteuer beeinflusst. Zuletzt liegen der zuständigen Fachbehörde nur die Daten zur vereinnahmten Umsatzsteuer für die abgefragten Vorauszahlungszeiträume vor, für die Hamburg durchgehend zuständig war und ist. Daten umgezogener Steuerpflichtiger und Daten, die der regelmäßig durchgeführten Datenverdichtung für abgeschlossene Jahre unterlagen , sind zum Beispiel steuerfallübergreifend einer vollautomatischen Auslesung nicht mehr zugänglich. Für länger zurückliegende Zeiträume können vor diesem Hintergrund Verzerrungen nicht ausgeschlossen werden. Hiervon unabhängig wird aber auch zukünftig keine Aussage darüber getroffen werden können, ob die Belegausgabepflicht ursächlich für Veränderungen der Umsatzhöhe ist. Die Höhe der Umsätze kann durch die Unternehmensführung, Veränderungen im Sortiment und das Marktverhalten beeinflusst sein. Statistische Anschreibungen über Gründe eines Umsatzanstiegs bei Steuerpflichtigen werden nicht geführt und wären aufgrund der multikausalen und nicht zielgenau zu identifizierenden Ursachen für Umsatzänderungen auch nicht sinnvoll beziehungsweise aussagekräftig. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie hoch lagen die in Hamburg mit Frist 10. Februar zur Umsatzsteuer angemeldeten Umsätze sowie die zu diesem Zeitpunkt vereinnahmte Umsatzsteuer jeweils? a. Wie viele Steuerschuldner beziehungsweise Unternehmer im Sinne des UStG lagen den Zahlen zugrunde? b. Wie hoch lagen die vorgenannten Zahlen zum selben Stichtag jeweils in den Jahren seit 2015? (Bitte jeweils jahresweise darstellen.) Anzahl der Unternehmer, die zum Stichtag Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben hatten* Summe der angemeldeten Umsätze Höhe der von der Steuerkasse vereinnahmten USt** 10.02.2015 91 958 41 370 117 447 € 465 514 558,44 € 10.02.2016 93 152 42 524 845 474 € 664 089 726,05 € 10.02.2017 94 561 43 484 917 779 € 809 463 326,58 € Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/20097 3 Anzahl der Unternehmer, die zum Stichtag Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben hatten* Summe der angemeldeten Umsätze Höhe der von der Steuerkasse vereinnahmten USt** 10.02.2018 95 304 42 301 843 825 € 515 393 571,30 € 10.02.2019 95 873 41 788 004 083 € 483 904 151,68 € 10.02.2020 95 410 42 065 567 169 € *** * Mit Frist 10. Februar sind die Umsatzsteuervoranmeldungen Januar desselben Jahres, wenn keine Dauerfristverlängerung besteht, Dezember des Vorjahres, wenn eine Dauerfristverlängerung gewährt wurde, und 4. Quartal des Vorjahres, wenn Unternehmern, die vierteljährlich abgeben, eine Dauerfristverlängerung gewährt wurde, zu übermitteln. Die Daten für den 10.02.2020 betreffen daher überwiegend Umsätze des Jahres 2019. ** Die Höhe der zum Abfragezeitpunkt zu ermittelnden vereinnahmten Umsatzsteuer wird unter anderem entscheidend beeinflusst durch Datenverdichtungen und Verschiebungen der gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkte aufgrund von Wochenenden und Feiertagen. *** Aufgrund des für die technische Verarbeitung bei der zuständigen Fachbehörde benötigten Vorlaufes und der normalen Bankenlaufzeiten können die abgefragten Daten frühestens nach neun Kalendertagen nach dem betreffenden Abgabestichtag bereitgestellt werden und können daher mit dem in der Anfrage gewährten Vorlauf aus technischen Gründen nicht erhoben werden. 2. Wie hoch lagen die in Hamburg mit Frist 10. April zur Umsatzsteuer angemeldeten Umsätze sowie die zu diesem Zeitpunkt vereinnahmte Umsatzsteuer jeweils in den Jahren seit 2015? a. Welcher Anteil daran entfiel jeweils auf die monatliche, welcher auf die quartalsweise Abrechnung? b. Wie viele Steuerschuldner beziehungsweise Unternehmer im Sinne des UStG lagen den vorgenannten Zahlen jeweils zugrunde? (Bitte jahresweise darstellen.) Anzahl der Unternehmer, die zum Stichtag Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben hatten* Summe der angemeldeten Umsätze Höhe der von der Steuerkasse vereinnahmten USt** 10.04.2015 Davon monatlich: Davon vierteljährlich: 76 512 56 746 19 566 35 194 627 650 € 33 360 672 817 € 1 833 954 833 € 999 360 757,29 € 495 317 684,19 € 504 043 073,10 € 10.04.2016 Davon monatlich: Davon vierteljährlich: 77 861 57 987 19 874 33 811 447 582 € 32 226 794 246 € 1 584 653 336 € 602 788 854,67 € 298 476 975,14 € 304 311 879,53 € 10.04.2017 Davon monatlich: Davon vierteljährlich: 78 509 59 006 19 503 34 498 874 151 € 32 922 333 862 € 1 576 540 289 € 1 886 126 595,13 € 938 470 682,28 € 947 655 912,85 € 10.04.2018 Davon monatlich: Davon vierteljährlich: 78 383 59 333 19 050 36 984 792 548 € 35 521 089 081 € 1 463 703 467 € 2 465 464 214,66 € 1 227 858 884,49 € 1 237 605 330,17 € Drucksache 21/20097 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Anzahl der Unternehmer, die zum Stichtag Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben hatten* Summe der angemeldeten Umsätze Höhe der von der Steuerkasse vereinnahmten USt** 10.04.2019 Davon monatlich: Davon vierteljährlich: 78 486 59 961 18 525 32 640 785 327 € 31 305 767 558 € 1 335 017 769 € 2 478 639 345,37 € 1 234 128 489,69 € 1 244 510 855,68 € * Mit Frist 10. April sind die Umsatzsteuervoranmeldungen 1. Quartal desselben Jahres, wenn keine Dauerfristverlängerung besteht, Februar desselben Jahres, wenn eine Dauerfristverlängerung gewährt wurde, und März desselben Jahres, wenn keine Dauerfristverlängerung vorhanden ist, zu übermitteln. Daher liegen die Werte dieser Voranmeldungen den Daten zugrunde. ** Siehe Anmerkung zu der vereinnahmten USt bei Antwort zu 1. 3. Ist der Senat der Auffassung, dass die Einführung einer Bagatellgrenze für die Belegausgabepflicht, wie Frankreich sie nunmehr eingeführt hat, sinnvoll ist? Wenn nein, warum nicht? Der Senat hat sich damit nicht befasst und wird die Erfahrungen mit der neuen Rechtsfolge vor einer Meinungsbildung abwarten. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 4. Wurden mittlerweile Anträge auf Befreiung von der Belegausgabepflicht bei Hamburger Dienststellen gestellt? Wenn ja, etwa wie viele? Welcher Anteil davon wurde positiv beschieden ? a. Welcher Bearbeitungsaufwand ging mit der Bearbeitung entsprechender Anträge bislang einher? b. Mit wie vielen Anträgen auf Befreiung von der Belegausgabepflicht und welchem damit einhergehenden Bearbeitungsaufwand rechnen die zuständigen Dienststellen noch? Der Finanzbehörde liegen derzeit 103 Anträge auf Erleichterungen von der Belegausgabeverpflichtung vor. In drei Fällen wurden die Anträge positiv beschieden. Im Übrigen siehe Drs. 21/19375.