BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/20153 21. Wahlperiode 18.02.20 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Boeddinghaus (DIE LINKE) vom 11.02.20 und Antwort des Senats Betr.: Schluss für inklusive Bildung an Sonderschulen? Inklusive schulische Bildung bedeutet nicht nur den einen Weg, dass Kinder mit – bisher diagnostizierten – Förderbedarfen mit besonderer Unterstützung auf Regelschulen gehen können. Es heißt auch, dass Kinder ohne sonderpädagogisch diagnostizierte Förderbedarfe auf Sonderschulen gehen können . Vieles spricht auch hier dafür, dass eine Diversität der Schüler-/-innenschaft eine Bereicherung ist. Ich frage den Senat: Im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (kurz UN-Behindertenrechtskonvention) wird inklusive schulische Bildung dahin gehend beschrieben, dass für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen ein uneingeschränkter Zugang zum allgemeinen Schulwesen in Grund- und weiterführenden Schulen zu gewähren ist. Um diesen Anspruch umzusetzen, erfolgte zunächst eine Änderung des Hamburgischen Schulgesetzes (HmbSG) im Jahr 2009. Die Drs. 20/3641 „Inklusive Bildung an Hamburgs Schulen“ setzt die Rahmenbedingungen für die inklusive Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Möglichkeit einer inklusiven Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf an allgemeinen Schulen wird stark genutzt. Gegenüber dieser breit angelegten Entwicklung hin zu einer zunehmend inklusiven Umgestaltung allgemeiner Schulen sind die beiden Schulversuche zur Einrichtung inklusiver Lerngruppen an speziellen Sonderschulen eher als eine Besonderheit sowohl im Schulwesen der Freien und Hansestadt Hamburg als auch allgemein im Bildungswesen aller Bundesländer anzusehen. In der Elbschule BildungsZentrum Hören und Kommunikation gibt es seit dem Schuljahr 2016/2017 einen gemeinsamen, zielgleichen Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit und ohne Hörschädigung aufwachsend ab Klasse 5 in einer Lerngruppe mit 14 Schülerinnen und Schülern, davon sieben ohne einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Dieses Lernmodell hat sich bereits in anderen Schulversuchen im Inund Ausland über Jahre hinweg erfolgreich bewährt und bietet gute Rahmenbedingungen . Es bestehen dieselben Bildungspläne und dieselben Schulabschlüsse wie in allen Stadtteilschulen bis Jahrgang 10, es bestehen sehr gute Lernbedingungen durch eine Doppelbesetzung in den Hauptfächern, moderne Lehrmittelausstattung und beste Raumakustik, es gibt ein kreatives pädagogisches Konzept im Rahmen des Hamburger Kulturschulprogrammes sowie Drucksache 21/20153 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 eine Win-win-Situation im Bereich des sozialen Lernens für alle Beteiligten. Zum Schuljahr 2017/2018 erfolgte die Einrichtung eines entsprechenden Grundschulangebots ab Klasse 1. Zum Schuljahr 2018/2019 erfolgte die Planung der Einrichtung einer vergleichbaren inklusiven Lerngruppe am Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte (BZBS), in der jeweils zwölf Schülerinnen und Schüler (davon sechs ohne sonderpädagogischen Förderbedarf) inklusiv gefördert werden sollten. Die Intention für die Einrichtung dieser Lerngruppen bestand darin, für die Schülerinnen und Schüler der beiden Bildungszentren neue Möglichkeiten der alltagsbezogenen Interaktion mit Gleichaltrigen ohne sonderpädagogischen Förderbedarf herzustellen , um so zu einer Erweiterung der schulischen Erfahrungsräume beizutragen. Das Angebot an der Elbschule BildungsZentrum Hören und Kommunikation wird gut angenommen und der Schulversuch läuft bereits im vierten Jahr erfolgreich, der gemäß § 10 HmbSG entsprechend wissenschaftlich begleitet wird. Anders verlief die Entwicklung am BZBS. Hier wurde in keinem der bisher durchgeführten drei Anmeldeverfahren die eigentlich vorgesehene Anzahl von sechs Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf erreicht. So kam es in den ersten beiden Jahren nur zu deutlich unterfrequenten Aufnahmen, mit der Folge, dass lediglich eine inklusive Lerngruppe entstand, die im Schuljahr 2019/2020 als jahrgangsübergreifende Klasse weitergeführt wird. Als im gesonderten Anmeldeverfahren zum Schuljahr 2020/2021 erneut die erforderliche Anzahl der Anmeldungen von Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf erheblich unterschritten wurde, war deutlich, dass ein Schulversuch mit dem Anspruch der Erprobung neuer Strukturen für inklusives Lernen und der hiermit verknüpften wissenschaftlichen Evaluation entsprechender Unterrichtsmodelle nicht angemessen umzusetzen ist. Vor diesem Hintergrund hat die für Bildung zuständige Behörde Anfang Januar 2020, also rechtzeitig vor Beginn der regulären Schulanmeldung an Grundschulen, die Entscheidung zur Beendigung des Schulversuchs am BZBS getroffen . Die an einer Anmeldung zum Schuljahr 2020/2021 interessierten Sorgeberechtigten wurden hierüber zeitnah informiert. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Kinder ohne Förderbedarfe besuchen Sonderschulen in Hamburg ? (Bitte für die letzten drei Schuljahre für jede Sonderschule und Klassenstufe in einer Excel-Tabelle darstellen.) Für die Anzahl der Schülerinnen und Schüler ohne Förderbedarf an Sonderschulen in den Schuljahren 2017/2018 bis 2019/2020 siehe folgende Übersicht: Schuljahr Schulname Jahrgangsstufe VSK 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 2017/2018 Elbschule BildungsZentrum Hören und Kommunikation - 6 - - - 7 7 - - - - - - 2018/2019 Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte - < 5 - - - - - - - - - - - Elbschule BildungsZentrum Hören und Kommunikation - 6 5 - - 7 8 7 - - - - - 2019/2020 Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte < 5 < 5 < 5 - - - - - - - - - - Elbschule BildungsZentrum Hören und Kommunikation - 7 6 5 - 7 7 8 7 - - - - Quelle: Schuljahresstatistik 2017 – 2019 -= keine Fälle Zahlenwerte unter 5 werden aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht ausgewiesen. 2. Wie viele inklusive Lerngruppen bestehen an welchen Sonderschulen in welchen Klassenstufen mit jeweils welcher Schüler-/-innenzahl? (Bitte für die letzten drei Schuljahre pro Schule in einer Excel-Tabelle ange- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/20153 3 ben. Bitte kenntlich machen, ob die inklusive Lerngruppe ein Modellversuch oder ein Regelangebot ist.) Für die Anzahl der inklusiven Lerngruppen an speziellen Sonderschulen in den Schuljahren 2017/2018 bis 2019/2020 siehe folgende Übersicht: Schuljahr Schulname Jahrgangsstufe VSK 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 2017/2018 Elbschule BildungsZentrum Hören und Kommunikation - 1 - - - 1 1 - - - - - - 2018/2019 Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte - - - - - - - - - - - - - Elbschule BildungsZentrum Hören und Kommunikation - 1 1 - - 1 1 1 - - - - - 2019/2020 Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte 1* - - - - - - - - - - Elbschule BildungsZentrum Hören und Kommunikation - 1 1 1 - 1 1 1 1 - - - - Quelle: interne Daten * Jahrgangsübergreifende Lerngruppe der Klassenstufen VSK, Klassen 1 und 2 3. Wie viele der Kinder ohne Förderbedarfe an Sonderschulen sind Geschwisterkinder von Kindern mit speziellen Förderbedarfen? (Bitte pro Schule so detailliert wie möglich angeben.) Keine. 4. Aus welchen Gründen wurden bestehende inklusive Lerngruppen an welchen Schulen nicht weitergeführt? (Bitte für die letzten drei Schuljahre für jede Schule und Jahrgangsstufe in einer Excel-Tabelle angeben.) a. Wie viele Kinder betrifft diese Entscheidung? (Bitte absolut und pro Schule und Jahrgangsstufe aufführen.) b. Was unternimmt der Senat konkret dafür, diese Kinder nun bestmöglich in ihrem schulischen Bildungsweg zu unterstützen? (Bitte so konkret wie möglich darlegen und gegebenenfalls mit Maßnahmen et cetera hinterlegen.) Keine der bestehenden Lerngruppen wird vorzeitig beendet. Vor diesem Hintergrund ist es auch den Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf, die nach Aufnahme in den Schuljahren 2018/2019 und 2019/2020 am BZBS inklusiv schulisch gefördert werden, möglich, die Primarstufe in ihrer jetzigen Lerngruppe zu besuchen und abzuschließen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 5. Wann ist die Entscheidung gefallen, inklusive Lerngruppen zu beenden, wie wurde diese Entscheidung begründet und wie wurde sie mit den betreffenden Einrichtungen und Personen kommuniziert? (Bitte den Vorgang so konkret wie möglich darstellen, gegebenenfalls pro Schule.) 6. Wie bewertet der Senat das Ende von inklusiven Lerngruppen vor dem Hintergrund seiner Verpflichtung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ? Siehe Vorbemerkung. 7. Wie bewertet der Senat das Ende inklusiver Lerngruppen als Möglichkeit von Geschwisterkindern und Familien, ein inklusives Familienleben zu führen? Die in der Frage 3. unterstellte Geschwisterkonstellation besteht in keiner der bestehenden inklusiven Lerngruppen. 8. Wie bewertet der Senat das Ende inklusiver Lerngruppen vor dem Hintergrund des Vertrauensschutzes für Eltern, die sich ganz bewusst für diese schulische Laufbahn ihrer Kinder entschieden haben? Siehe Vorbemerkung und Antwort zu 4. a. und b.