BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/20241 21. Wahlperiode 28.02.20 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 20.02.20 und Antwort des Senats Betr.: Überlastung der Justiz – Wie sieht es mit der Bekämpfung der Alltagskriminalität bei Hamburgs Staatsanwaltschaft aus? (IV) Trotz des erfreulichen und dringend notwendigen Personalzuwachses in der hamburgischen Justiz hört man immer wieder, dass viele Ermittlungsverfahren endlos lange vor sich hin schmoren. Die Zahl der Neuzugänge in Ermittlungsverfahren, auch gegen namentlich bekannte Beschuldigte, stieg in den vergangenen Jahren deutlich an: Gab es im Jahr 2013 noch 144 350 Neuzugänge in Bekanntsachen (Drs. 21/1018), waren es im Jahr 2018 bereits 157 807 (Drs. 21/16069). Aber nicht nur die Eingangszahlen steigen, sondern auch Umfang und Komplexität der Verfahrensbearbeitung nehmen seit Jahren erheblich zu, was die Belastung der Dezernenten, aber auch der Servicekräfte zusätzlich erhöht. Eine Vielzahl der Verfahren betrifft den Bereich der Alltagskriminalität und der Betrugsdelikte, die in den Hauptabteilungen II und III der Staatsanwaltschaft bearbeitet werden. Auch wenn es sich hierbei meist „nur“ um leichte oder mittlere Kriminalität handelt, ist es für die betroffenen Opfer und das Vertrauen in den Rechtsstaat unerlässlich, dass die Ermittlungsverfahren zügig vorangetrieben werden. Allein in der Hauptabteilung II werden schließlich insgesamt mehr als drei Fünftel (61,9 Prozent) aller Verfahren, in denen eine oder mehrere tatverdächtige Personen namentlich ermittelt werden konnten (sogenannte Js-Sachen) der Staatsanwaltschaft Hamburg geführt, Drs. 21/17490. Gerade die Hauptabteilung II der Staatsanwaltschaft ist jedoch seit Jahren völlig am Limit angelangt, sowohl im Bereich der Dezernenten als auch auf den Geschäftsstellen. Die vom Justizsenator nach langem Drängen aus der Staatsanwaltschaft eingesetzte Arbeitsgruppe hat im Frühjahr einen Abschlussbericht zur Belastungssituation und Konsolidierung der Hauptabteilung II vorgelegt, in dem auf 33 Seiten ausgeführt wird, welche Maßnahmen dringend ergriffen werden müssen, um eine ernsthafte Beeinträchtigung der Funktion der Staatsanwaltschaft und nicht mehr beherrschbare Krisen zu verhindern. „Zur raschen Angleichung an bundesweite Belastungsstandards und einer zumindest teilweisen Behebung der Personalunterdeckung benötigt Hauptabteilung II einen Zuwachs von – jedenfalls – 10 Dezernentinnen /Dezernenten und – jedenfalls – 20 Servicekräften.“ (Abschlussbericht Belastungssituation und Konsolidierung der Hauptabteilung II, Seite 18.) Mit Beschluss der Drs. 21/17490 am 25. September 2019 wurden 28 neue Stellen , zehn für Dezernenten und 18 für Geschäftsstellenmitarbeiter geschaffen. Drucksache 21/20241 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Am 1. Juni 2018 wurde eine Zurückstellungsmaßnahme im Hinblick auf Kosten - und BZR-Sachen angeordnet, da auf mehreren Dienstposten der Hauptabteilung 2, besonders in den Abteilungen 21, 23, 24, Rückstände von bis zu zwei Monaten aufgelaufen waren. Diese Maßnahme lief bis zum 31. Oktober 2018. In der Zeit waren 4 805 Bundeszentralregistersachen (BZR) und 11 674 Kostensachen aufgelaufen, die anschließend dienststellenweit abgearbeitet wurden, wie der Senat in der Drs. 21/14779 angab: „Nach Abschluss der Urlaubszeit ab 1. November 2018 werden die Rückstände dienststellenweit , das heißt unter Einbeziehung sämtlicher BZR-Kräfte und Kostensachbearbeiter der Behörde, abgearbeitet. Es ist zudem beabsichtigt, zur Reduzierung sämtlicher Rückstände – auch der im BZR- und Kostenbereich – freiwillige Mehrarbeit zuzulassen.“ Es stellt sich die Frage, wie sich die Situation entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der von den Leitungen der Hamburger Staatsanwaltschaften vorgelegte Abschlussbericht „Belastungssituation und Konsolidierung der Hauptabteilung II“ basiert auf den Untersuchungen einer im August 2018 eingesetzten Arbeitsgruppe, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und der Justizbehörde Ursachen und Abhilfemöglichkeiten der Belastung der Hauptabteilung II untersuchten, wobei sie auf Zwischenergebnisse einer seit Frühjahr 2018 eingesetzten internen Arbeitsgruppe der Staatsanwaltschaft zurückgreifen konnten. Die Umsetzung der zur Konsolidierung notwendigen Maßnahmen hat unmittelbar nach Vorlage des Abschlussberichts begonnen. Sie erfolgt in enger Abstimmung zwischen der zuständigen Behörde und den Staatsanwaltschaften. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie hat sich die Zahl der Neuzugänge in Bekanntsachen (Js) sowie in Unbekanntsachen (UJs) im Jahr 2019 entwickelt? Anzahl der Neuzugänge bei der Staatsanwaltschaft Hamburg 2019* Bekanntsachen 155 623 Unbekanntsachen 141 713 * Die Zahlen stehen unter dem Vorbehalt einer abschließenden Qualitätssicherung durch das Statistische Landesamt und können sich noch geringfügig ändern. 2. Wie hat sich die Zahl der Erledigungen in Bekanntsachen sowie die durchschnittliche Dauer der Verfahren im Jahr 2019 entwickelt? Erledigung von Bekanntsachen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg 2019* Anzahl 150 404 durchschnittliche Verfahrensdauer in Monaten 2,0 * Die Zahlen stehen unter dem Vorbehalt einer abschließenden Qualitätssicherung durch das Statistische Landesamt und können sich noch geringfügig ändern. 3. Wie hat sich die Anzahl der Dezernentenstellen, differenziert nach Amtsund Staatsanwälten entwickelt? Wie viele der Stellen sind besetzt? (Bitte zum Stichtag 1. Februar 2020 angeben.) Wie stellt sich die Situation laut interner Geschäftsverteilung (ohne Differenzierung nach Staats- und Amtsanwälten) jeweils in den Hauptabteilungen II und III dar? Stellen 01.02.2020 Stellen- Soll Davon besetzt für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte 213,01 * für Amtsanwältinnen und Amtsanwälte 44,75 * * Der aktuelle Besetzungsstand kann aufgrund von systembedingten Buchungsrückständen zurzeit nicht valide dargestellt werden. Im Jahresgeschäftsverteilungsplan 2020 sind für die Hauptabteilung II 57,35 Stellen und für die Hauptabteilung III 31,50 Stellen ausgewiesen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/20241 3 4. Wie hat sich die durchschnittliche Anzahl der Neuzugänge pro Staatsund Amtsanwalt im Jahr 2019 entwickelt? Bitte in AKA angeben. Die Werte werden über die Justizstatistik und die Personalverwendung aus den bundeseinheitlichen Personalübersichten (PÜ) ermittelt. Die Personalverwendung arbeitet mit Arbeitskraftanteilen (AKA). Dabei entspricht 1,0 AKA einer Vollzeitstelle, die für die Aufgabe im Berichtszeitraum tatsächlich zur Verfügung stand. Eine Vergleichbarkeit zum Stellenplan ist aufgrund der unterschiedlichen Ansätze nicht gegeben. Neuzugänge Bekanntsachen je Staatsanwältin und Staatsanwalt 492* Neuzugänge Unbekanntsachen je Staatsanwältin und Staatsanwalt 520* Neuzugänge Bekanntsachen je Amtsanwältin und Amtsanwalt 1 994* Neuzugänge Unbekanntsachen je Amtsanwältin und Amtsanwalt 1 586* * Die Zahlen stehen unter dem Vorbehalt einer abschließenden Qualitätssicherung durch das Statistische Landesamt und können sich noch geringfügig ändern. 5. Wie viele Amtsanwaltsstellen sind aktuell mit Amtsanwälten aus der Rechtspflegerlaufbahn besetzt? Bitte Stellen-Soll und Besetzungsumfang in VZÄ angeben. Mit Stand vom 24.02.2020 sind in der Hauptabteilung II 20 Amtsanwältinnen und Amtsanwälte (Stellenanteil: 18,7 VZÄ) mit einer Rechtspflegerausbildung tätig. 6. Wie viele neu eingestellte Amtsanwälte/Staatsanwälte wurden den Hauptabteilungen II und III im Jahr 2019 sowie bislang in 2020 zugewiesen , wie viele befinden sich aktuell in der Gegenzeichnung? Der Hauptabteilung II wurden im Jahr 2019 zwei neu eingestellte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und neun Amtsanwältinnen und Amtsanwälte zugewiesen. Im Jahr 2020 kamen bislang drei weitere Amtsanwältinnen und Amtsanwälte hinzu. In der Gegenzeichnung befinden sich dort zurzeit fünf Amtsanwältinnen und Amtsanwälte. Der Hauptabteilung III wurden 2019 sieben neu eingestellte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zugewiesen. Im Jahr 2020 war es bisher eine weitere Staatsanwältin. Vier Gegenzeichnungen dauern zurzeit noch an. 7. Wie hat sich die Anzahl der Stellen (Stellen-Soll und Besetzungsumfang) auf den Geschäftsstellen bei der Staatsanwaltschaft sowie der Generalstaatsanwaltschaft entwickelt? Bitte unter Angabe der Besoldungs-/ Entgeltgruppe zum Stichtag 1. Februar 2020 angeben. 01.02.2020 Aufgabenbereich 234 Besoldungs-/Entgeltgruppe Stellen-Soll davon besetzt Generalstaatsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft A 9 18 * A 8 31,5 * A 7 47 * E 9 13 * E 8 33,55 * E 6 115,96 * Gesamt 259,01 * * Der aktuelle Besetzungsstand kann aufgrund von systembedingten Buchungsrückständen zurzeit nicht valide dargestellt werden. Eine getrennte Angabe von Generalstaatsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft ist nach einer Systemumstellung nicht mehr möglich. 8. Wie hat sich die durchschnittliche Fehlzeitenquote auf den Geschäftsstellen bei der Staatsanwaltschaft sowie der Generalstaatsanwaltschaft im zweiten Halbjahr 2019 sowie bislang 2020 entwickelt? Fehlzeitenquote der Bürofachkräfte und Bürohilfskräfte Jan 19 Feb 19 Mrz 19 Apr 19 Mai 19 Jun 19 Jul 19 Aug 19 Sep 19 Okt 19 Nov 19 Dez 19 General-StA* 4,0 % 8,0 % 10,0 % 11,2 % 4,1 % 2,3 % 9,4 % 1,0 % 4,5 % 3,1 % 17,6 % 30,2 % StA 11,0 % 14,0 % 15,3 % 12,8 % 9,7 % 10,9 % 9,4 % 7,6 % 9,4 % 10,0 % 11,6 % 10,9 % * Bei der Generalstaatsanwaltschaft waren 2019 im Mittel sechs Personen beschäftigt. Drucksache 21/20241 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Daten zu den Fehlzeiten im Jahr 2020 liegen noch nicht vor. 9. Wie viele Langzeiterkrankte (länger als 75 Tage) gab es auf den Geschäftsstellen im Jahr 2019 sowie bislang in 2020? Im Jahr 2019 waren von den bei der Staatsanwaltschaft Hamburg beschäftigten Servicemitarbeiterinnen und -mitarbeitern 21 mehr als 75 Arbeitstage krankheitsbedingt abwesend. Im Jahr 2020 waren es bisher vier. 10. Wurden alle im Jahr 2018 zurückgestellten BZR- und Kostensachen zwischenzeitlich abgearbeitet? Falls ja, wann ist das geschehen? Falls nein, wie viele sind noch offen? Von den im Jahre 2018 zurückgestellten Kostensachen waren am 11.02.2020 noch 298 unerledigt. Von den im selben Jahr zurückgestellten BZR-Sachen waren an diesem Stichtag noch 110 unbearbeitet. Von den seit 2019 aufgrund erneuter Anordnung laufend zurückgestellten Kostensachen sind noch 2 100, von den entsprechenden BZR-Sachen 225 Verfahren offen. 11. Wie hoch sind aktuell die Bearbeitungsrückstände auf den Geschäftsstellen in den einzelnen Abteilungen der HA II? a. Was sind die Gründe für die Bearbeitungsrückstände? Es besteht nach wie vor ein hoher Krankenstand, insbesondere in Form von Dauererkrankungen . Die neu geschaffenen Stellen konnten bereits zu einem Großteil, aber noch nicht sämtlich besetzt werden. Zum Teil sind Bewerberinnen und Bewerber ausgewählt worden, die ihren Dienst nicht zeitnah nach dem Einstellungsgespräch aufnehmen konnten, weil zum Beispiel Kündigungsfristen zu beachten waren. Neu eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen auch aus justizfernen Berufen, wodurch sie erst nach einer längeren Einarbeitungszeit in der Lage sind, die Hauptabteilung tatsächlich zu verstärken. Die der Staatsanwaltschaft zugewiesenen Absolventen des letzten Ausbildungsjahrgangs für Justizfachangestellte werden erst ab dem 26.02.2020 zur Verfügung stehen. Schließlich wirkt sich der Rückstandsabbau auch auf das Tagesgeschäft aus. b. Zu welchen Auswirkungen führen diese? Siehe Drs. 21/16038, 21/15058 und Drs. 21/14779. c. Welche Maßnahmen werden zum Abbau der Rückstände ergriffen? Neben den laufenden Maßnahmen zur Realisierung einer besseren personellen Ausstattung werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der HA II von anderen Hauptabteilungen im regulären Dienstbetrieb unterstützt. Zudem wurde am 14.02.2020 mit dem Personalrat der Hamburger Staatsanwaltschaften erneut eine Dienstvereinbarung zum Abbau der Rückstände in der Hauptabteilung II geschlossen, die wiederum freiwillige Mehrarbeit zum Gegenstand hat. 12. Wie viele Ermittlungsverfahren in den HA II und III gibt es jeweils aktuell, die nach neun Monaten noch nicht erledigt sind? Wie viele waren es im Jahr 2019? 2019 waren in der Hauptabteilung II durchschnittlich 1 335, in der HA III 948 Verfahren länger als neun Monate unerledigt. Vergleichbar aussagekräftige Zahlen können für Januar und Februar 2020 wegen der quartalsweisen Erfassung nicht mitgeteilt werden . 13. Im Februar 2019 startete der Aufbaulehrgang Justiz für Quereinsteiger. Von den ursprünglich 25 Teilnehmern sollten nach Angaben des Senats in der Drs. 21/19128 23 Teilnehmer im Dezember 2019 beziehungsweise Januar 2020 an den Prüfungen zum/zur Justizfachangestellten teilnehmen . a. Wie viele der Teilnehmenden haben die Prüfung bestanden? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/20241 5 b. Wie viele Teilnehmer nehmen an dem im Februar 2020 begonnenen nächsten Aufbaulehrgang teil? Die Prüfung haben 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestanden. An dem im Februar begonnenen Aufbaulehrgang nehmen 16 Personen teil. 14. Zu wann wurden beziehungsweise werden die in der Drs. 21/17490 genannten Ausbildungsgeschäftsstellen eingerichtet? Die Ausbildungsgeschäftsstellen sind noch nicht eingerichtet worden. Die Planung und Ausgestaltung erfolgt im Rahmen des Projekts zur Neuorganisation der Hauptabteilung II der Staatsanwaltschaft Hamburg, das am 1. Januar 2020 angelaufen ist. Die Mitarbeiterauswahl läuft bereits. 15. Wie ist der Sachstand zur beabsichtigten Neustrukturierung der Hauptabteilung II? Am 1. Januar 2020 ist eine neue Hauptabteilung gegründet worden. Die weitere Neuorganisation ist Gegenstand eines Projekts. Die in diesem Rahmen erforderlichen Stellen befinden sich bereits in der Ausschreibung.