BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/20268 21. Wahlperiode 06.03.20 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 27.02.20 und Antwort des Senats Betr.: Gibt es genügend Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose? Das von der schwarz-roten Bundesregierung beschlossene und im Jahr 2019 in Kraft getretene Teilhabechancengesetz soll Langzeitarbeitslosen die Möglichkeit für eine echte Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt mit einer sinnvollen Tätigkeit ermöglichen. „Etwa 4.000 Kundinnen und Kunden von Jobcenter kommen aufgrund der formalen Fördervoraussetzungen und ihrer persönlichen Situation für eine Förderung nach § 16 i SGB II in Frage und werden hierzu von Jobcenter sukzessive kontaktiert.“ Generell sei „festzustellen, dass das Interesse an den neuen Förderinstrumenten sowohl auf Seiten der Arbeitgeber als auch auf Seiten der Langzeitleistungsbezieherinnen und -bezieher hoch“ sei, so der rot-grüne Senat im „Lebenslagenbericht: Zur Situation von Leistungsberechtigten im Rechtskreis des Sozialgesetzbuches, Zweites Buch (SGB II)“. An dem Instrument interessierte Langzeitarbeitslose aus dem Wahlkreis des Fragestellers berichten allerdings, dass das Jobcenter ihnen mitgeteilt habe, dass es nicht ausreichend Beschäftigungsverhältnisse geben würde. Auch sei für sie nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien aus den 4 000 infrage kommenden Personen jene ausgewählt würden, die von den vorhandenen Plätzen profitieren dürfen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Mit dem Teilhabechancengesetz hat die Bundesregierung zum 1. Januar 2019 zwei neue Förderinstrumente geschaffen. Ziel ist, arbeitslosen Menschen neue Perspektiven zu ermöglichen, die ohne Unterstützung absehbar keine realistische Chance auf einen regulären Arbeitsplatz hätten. Die neuen Förderinstrumente beziehen dabei alle Arbeitgeber ein – unabhängig von ihrer Art, Rechtsform, Branche und Region. Zudem entfallen die Kriterien Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse und Wettbewerbsneutralität . Es besteht die Möglichkeit der Finanzierung eines Coachings, mit dessen Hilfe die Arbeitsverhältnisse vorbereitet, unterstützt und stabilisiert werden. Die Voraussetzungen für Förderungen gemäß § 16e beziehungsweise § 16i Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unterscheiden sich deutlich und richten sich an unterschiedliche Zielgruppen. Voraussetzung für eine Förderung in beiden Instrumenten ist ein konkretes Arbeitsverhältnis. Im Übrigen siehe hierzu https://www.hamburg.de/arbeitsmarktpolitik/13508776/ sozialer-arbeitsmarkt/ und Drs. 21/19580. Die im „Lebenslagenbericht: Zur Situation von Leistungsberechtigten im Rechtskreis des Sozialgesetzbuches, Zweites Buch (SGB II)“ – Drs. 21/19580 – erwähnten 4 000 Personen stellen eine Momentaufnahme der Menschen dar, die die formalen Voraussetzungen für eine Förderung nach § 16i SGB II erfüllen. Grundsätzlich werden mit allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten Beratungsgespräche zur Auswahl der Leistungen im Rahmen des Eingliederungsprozesses geführt (§ 14 SGB II). Im Rah- Drucksache 21/20268 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 men dieser Gespräche werden mit allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten Potenzialanalysen durchgeführt und für ihre Eingliederung erforderliche Leistungen geplant. Bei Personen, die formal die Voraussetzungen für eine Förderung gemäß § 16e oder § 16i SGB II erfüllen, ist zu prüfen, ob eine Förderung gemäß § 16e oder § 16i SGB II zielführend erscheint oder eine der vielen anderen Maßnahmen, die das SGB II kennt, Erfolg versprechender ist. Da potenziell förderfähige Kundinnen und Kunden und nachgefragte Arbeitsplätze häufig nicht korrespondieren, ist es weiterhin notwendig, geeignete Arbeitsplätze zu akquirieren. Durch intensive Arbeitgeberansprachen über Betriebsakquisiteure von Jobcenter team.arbeit.hamburg (Jobcenter) und den gemeinsamen Arbeitgeber- Service (gAG-S) sollen mehr Arbeitgeber – vor allem aus der Privatwirtschaft – für das neue Förderinstrument gewonnen werden. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen zum Teil auf Grundlage von Auskünften von Jobcenter wie folgt: 1. Wie viele Arbeitsverhältnisse nach § 16i SGB II „Teilhabe am Arbeitsmarkt “ (TaM) und dem § 16e SGB II „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen “ wurden bisher jeweils begründet? Mit Datenstand aus Februar 2020 und Jahresfortschrittswert aus November 2019 sind für Hamburg bis zum 30. November 2019 64 Eintritte gemäß § 16e SGB II und 614 Eintritte gemäß § 16i SGB II zu verzeichnen, siehe https://statistik.arbeitsagentur.de/nn_1251812/SiteGlobals/Forms/Rubrikensuche/Rubr ikensuche _Form.html?view=processForm&resourceId=210368&input_=&pageLocale=de&to picId=1569074&year_month=201911&year_month.GROUP=1&search=Suchen (vergleiche dort Reiter 1a, 4a, 5a). Etwa 4 000 Kundinnen und Kunden von Jobcenter kommen aufgrund der formalen Fördervoraussetzungen und ihrer persönlichen Situation für eine Förderung nach § 16e und § 16i SGB II infrage und wurden hierzu von Jobcenter sukzessive kontaktiert . Zentral für den Erfolg dieses Instrumentes ist dabei ein gezieltes Matching zwischen den Arbeitgebern und den künftigen Beschäftigten. Zur Einordnung der bislang begründeten Beschäftigungsverhältnisse nach § 16e ist zu berücksichtigen, dass Ende 2018 weitestgehende Verlängerungen von Beschäftigungsverhältnissen nach dem bisherigen Instrument (Förderung von Arbeitsverhältnissen (FAV) § 16e alt) ausgesprochen worden sind, die auch noch in das Jahr 2020 hineinlaufen. 2. Wie viele der Beschäftigungsverhältnisse sind jeweils nach Mindestlohn und wie viele nach Tariflohn bezahlt? 3. Wie viele der Beschäftigungsverhältnisse sind in der Privatwirtschaft, wie viele bei sozialen Trägern? Siehe Drs. 21/19906. Eine aktuellere statistische Auswertung hinsichtlich der Lohnart und in Bezug auf die Unterscheidung nach Arbeitgebern steht nicht zur Verfügung. Dies wird von der Statistik der Bundesagentur für Arbeit nicht erhoben. Eine händische Erhebung dieser Daten für mehrere Hundert Fälle kann in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht erfolgen. 4. In welchen Branchen/Berufen wurden die Beschäftigungsverhältnisse geschaffen? Siehe Antwort zu 1. In den Reitern „4a _Eintritte_Berufe“ und „5a_Eintritte_WZ08“ (der dort verlinkten Tabelle) sind die Eintritte für § 16i SGB II und § 16e SGB II jeweils nach Berufshauptgruppen beziehungsweise Wirtschaftsabschnitten ausgewiesen. Bis November 2019 sind gemäß § 16i SGB II die meisten Eintritte in der Berufshauptgruppe Schutz-, Sicherheits-, Überwachungsberufe und dem Wirtschaftsabschnitt Erziehung und Unterricht zu verzeichnen. Gemäß § 16e SGB II sind die meisten Eintritte in der Berufshauptgruppe Gebäude- und versorgungstechnische Berufe und dem Wirtschaftsabschnitt Erbringung wirtschaftlicher Dienstleistungen zu verzeichnen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/20268 3 5. Bei wie vielen Beschäftigungsverhältnissen, die offiziell der Privatwirtschaft zugeschrieben werden, handelt es sich um jeweils welche städtischen Unternehmen? Siehe Antwort zu 3. 6. Vor allem die Stadtreinigung Hamburg AöR und die SAGA Unternehmensgruppe , hier durch die Einstellung von Hausmeistergehilfen, würden die Förderung aus dem Teilhabechancengesetz sehr intensiv nutzen. Wie viele Beschäftigungsverhältnisse sind dort jeweils und mit welchen Tätigkeiten entstanden? Mit der CHANCE Beschäftigungsgesellschaft mbH Hamburg als Teil der SAGA wurden zum 1.3.2020 138 Beschäftigungsverhältnisse begründet. Hausbetreuer: 137 (§ 16i SGB II), 1 (§ 16e SGB II) Mit der Stadtreinigung Hamburg Anstalt öffentlichen Rechts wurden 32 Beschäftigungsverhältnisse begründet: Entsorger/-in – Reinigung: 1 (§ 16i SGB II) Helfer/-in – Ver- und Entsorgung: 31 (19 gemäß § 16e SGB II, zwölf gemäß § 16i SGB II) 7. Laut Senat kommen 4 000 Personen für die Förderung infrage. Gibt es nicht mehr Personen, die die Förderungsbedingungen bezüglich Länge der Arbeitslosigkeit erfüllen? Warum dann nur 4 000 Personen? Siehe Vorbemerkung. 8. Anhand welcher Kriterien (wie Dauer der Arbeitslosigkeit, Schwerbehinderung und so weiter) wählt das Jobcenter aus, welche der für die Förderung infrage kommenden 4 000 Kunden zuerst angesprochen werden? Die tatsächliche Ansprache der Kundinnen und Kunden erfolgt bedarfs- und chancenorientiert anhand der vorliegenden Interessenbekundungen der Arbeitgeber. Siehe hierzu auch Vorbemerkung. 9. Können sich für die Förderung infrage kommende Kunden auch selbstständig beim Jobcenter für eine schnelle Realisierung eines Beschäftigungsverhältnisses melden? Gibt es Interessentenlisten? Wenn ja, wie viele Personen sind hier vermerkt und werden sie vorrangig bedacht? Interessierte Kundinnen und Kunden können sich jederzeit selbstständig bei Jobcenter melden und ihr Interesse an einem geförderten Arbeitsplatz signalisieren. Die Beratung zum Teilhabechancengesetz erfolgt grundsätzlich durch alle Integrationsfachkräfte . Für alle Interessentinnen und Interessenten an einer Förderung gemäß § 16e SGB II können speziell gekennzeichnete Stellengesuche angelegt werden. Jobcenter orientiert sich dabei ausschließlich am vorliegenden arbeitgeberseitigen Angebot und arbeitnehmerseitigen Bedarfen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 10. Laut Jobcenter team.arbeit.hamburg (Drs. 21/19906) gab es Stand Dezember 2019 sieben Abbrüche im Instrument § 16e SGB II (Gesamtbestand Dezember 1: 54) und 24 Abbrüche im Instrument § 16i SGB II (Gesamtbestand Dezember 1: 581). Wie viele Abbrüche gab es aktuell bisher jeweils insgesamt und wie ist die Abbruchquote im Vergleich zu anderen Förderinstrumenten in diesem Bereich? Derzeit steht, über die in der Drs. 21/19906 getätigten Angaben hinaus, keine statistische Erhebung mit aktuelleren Daten zur Verfügung. Eine Abbruchquote zu Förderinstrumenten wird in den veröffentlichten Statistiken der Bundesagentur für Arbeit nicht ausgewiesen. Ein Vergleich mit anderen Förderinstrumenten ist daher nicht möglich. Drucksache 21/20268 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 11. Werden aktuell alle Beschäftigungsverhältnisse mit Coachings begleitet? Wenn nein, wie viele warum nicht? Grundsätzlich wird in allen Förderungen auf Basis von §§ 16i und 16e SGB II ein begleitendes Coaching angeboten. Eine statistische Auswertung zur Dimension von Förderungen und zu Gründen, warum Coachings gegebenenfalls nicht genutzt werden , erfolgt nicht. 12. Im Lebenslagenbericht ist auch von 600 Interessensbekundungen von Arbeitgebern die Rede. Warum handelt es sich bisher nur um Interessenbekundungen ? Wie schnell ist nach einer Anfrage eines potenziellen Arbeitgebers eine Realisierung möglich beziehungsweise welche Gründe verhindern eine schnelle Realisierung aktuell? Als Interessenbekundungen werden die Angebote bezeichnet, bei denen es konkrete Absichtserklärungen von Arbeitgebern gibt, Beschäftigte nach §§ 16e oder 16i SGB II einstellen zu wollen und Jobcenter einen Vermittlungsauftrag erhalten hat. Die Zeit bis zur Realisierung einer Vermittlung ist einzelfallabhängig. Insbesondere hängt eine konkrete Arbeitsaufnahme vom Zusammenspiel von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern beziehungsweise Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ab, die durch das Jobcenter lediglich begleitet und unterstützt werden kann. Die Entscheidung zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses fällt letztlich zwischen diesen Vertragspartnern . 13. Gibt es aktuell mehr interessierte Langzeitarbeitslose als Beschäftigungsverhältnisse ? Wenn dem so ist: Wie sollen mehr Arbeitgeber vor allem aus der Privatwirtschaft für das neue Förderinstrument gewonnen werden? Siehe Antwort zu 8. und Vorbemerkung. 14. Welche Probleme gibt es aktuell bei der Umsetzung des Teilhabechancengesetzes ? Die Herausforderung bei der Umsetzung des Teilhabechancengesetzes bleibt weiterhin , den passenden Arbeitsplatz mit Blick auf die Potenziale und Einschränkungen der jeweiligen Arbeitnehmerin/des jeweiligen Arbeitnehmers zu identifizieren, gegebenenfalls bedarfsgerechte Stellen zu akquirieren und anschließend Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfolgreich zusammenzuführen .