BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/20287 21. Wahlperiode 13.03.20 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Nockemann (AfD) vom 05.03.20 und Antwort des Senats Betr.: Gewalt gegen Frauen und Frauenhäuser für Musliminnen Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist ein Phänomen, das in Deutschland zum Alltag gehört. Mit dem Ziel, die Gesellschaft für Delikte aus diesem Bereich zu sensibilisieren, hatten Fraueneinrichtungen in den 1970er-Jahren erstmals öffentlich auf das Thema hingewiesen. Seither ist Gewalt gegen Frauen weitgehend erforscht.1 Heute weiß man, dass gewalttätige Übergriffe gegen Personen weiblichen Geschlechts überproportional häufig im Verwandtschafts - und Freundeskreis stattfinden. Eine 2004 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) herausgegebene Studie hat gezeigt, dass etwa 25 Prozent der Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch Beziehungspartner erlebt haben.2 Dabei kommt es jeweils zu Angriffen, die sich kaum einheitlich beschreiben lassen, sondern vielmehr verschiedene Formen annehmen. Ferner ist deutlich geworden, dass 37 Prozent der Befragten bis zu ihrem 16. Lebensjahr mindestens einmal körperliche Gewalt erlebt haben. Indes erklärten 13 Prozent, in diesem Zeitraum sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen zu sein, wohingegen 58 Prozent angaben, in unterschiedlicher Weise sexuell belästigt worden zu sein.3 Der Polizeilichen Kriminalstatistik (2019) zufolge, worin häusliche Gewalt in Partnerschaften systematisch untersucht wird, wurden im Jahr 2018 insgesamt 68 500 Frauen zu Opfern von einfacher Körperverletzung. Ferner sind 28 700 Fälle von Bedrohung, Stalking und Nötigung, 12 100 Fälle von gefährlicher Körperverletzung, 1 612 Fälle von Freiheitsberaubung sowie 324 Fälle von Mord und Totschlag registriert worden.4 Hinzu kommt, dass die Opfer von Vergewaltigung und sexueller Nötigung nahezu zu 100 Prozent weiblich sind. Die Vergleichswerte für Bedrohung und Stalking sowie Körperverletzungsdelikten liegen hingegen bei 90 beziehungsweise 80 Prozent.5 Man kann feststellen, dass Gewalt gegen Frauen in Deutschland noch immer ein Phänomen darstellt, von dem ein großer Teil der weiblichen Bevölkerung 1 Hierzu die 2014 im Auftrag der Europäischen Union erstellte Studie „Gewalt gegen Frauen – eine EU-weite Erhebung“. 2 Confer Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Berlin 2004. Seite 8. 3 Confer ibidem Seite 7. 4 Confer Frauen vor Gewalt schützen – Häusliche Gewalt. Abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/mfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeuslichegewalt /haeusliche-gewalt/80642?view=DEFAULT. 5 Confer ibidem. Drucksache 21/20287 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 im Laufe ihres Lebens betroffen ist. Dabei spielt keine Rolle, ob diese Gewalt physischen oder psychischen Ursprungs ist. Hierzu stellt das BMFSFJ fest: „Die Befunde zeigen, dass alle erfassten Formen von Gewalt und Belästigung in hohem Maße zu psychischen Folgebeschwerden führen können, die von Schlafstörungen, erhöhten Ängsten und vermindertem Selbstwertgefühl über Niedergeschlagenheit und Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken , Selbstverletzung und Essstörungen reichen.“6 Um sich effektiv vor solchen Übergriffen zu schützen, haben Frauen mit hoher Gewaltprävalenz nicht selten keine andere Möglichkeit, als sich in sogenannte Frauenhäuser zu flüchten. Dabei handelt es sich um Einrichtungen, die Frauen und Mädchen aufsuchen können, um vorübergehend Unterstützung durch Fachpersonal sowie Schutz vor akuter Bedrohung durch Dritte zu erhalten. Vor diesem Hintergrund sucht die Politik unumwunden nach Mitteln und Wegen, um effektiv gegen Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Dieses Ansinnen manifestiert sich auch im Staatsvertrag, den der Senat im November 2012 mit den muslimischen Glaubensgemeinschaften geschlossen hat. In Artikel 2 (2) heißt es zu den gemeinsamen Wertegrundlagen: „Die Freie und Hansestadt Hamburg und die islamischen Religionsgemeinschaften bekennen sich insbesondere zur Gleichberechtigung der Geschlechter und zur vollständigen und gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Mädchen am gesellschaftlichen und politischen sowie am schulischen und beruflichen Leben. Sie setzen sich für die Verwirklichung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Mädchen ungeachtet ihrer religiösen Überzeugungen an Bildung , Erwerbstätigkeit und gesellschaftlichem Leben ein und wenden sich entschieden gegen jede Art von Diskriminierung.“7 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die konsequente Durchsetzung des Opferschutzes ist in erster Linie eine staatliche Aufgabe. Hamburg fördert daher eine vielfältige Opferhilfelandschaft, die allen Gewaltbetroffenen unabhängig vom Einkommen, sozialen Status, aber auch Herkunft, Religion oder Weltanschauung offen steht und auch anonym in Anspruch genommen werden kann. Neben dem Staat kann – im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen und ganzheitlichen Verständnisses von Opferschutz – auch die Zivilgesellschaft in eigener Verantwortung einen Beitrag zur Verhütung von Gewalt leisten (siehe Drs. 20/10994, 21/4174, 21/10281). Der Senat hat insoweit bereits mehrfach dargelegt, dass die Arbeit der islamischen Religionsgemeinschaften und der ihnen angehörenden Gemeinden über die religiöse Betreuung der Gemeindemitglieder hinausgeht, ohne dass die einzelnen Aktivitäten systematisch erfasst oder bewertet werden (siehe Drs. 21/9053 und 21/4035). In Umsetzung der Verträge mit den Religionsgemeinschaften sind die zuständigen Behörden regelmäßig im Gespräch zu verschiedensten fachbehördlichen Aspekten und Fragen des Zusammenlebens, siehe hierzu auch Drs. 21/13288 und 21/11794. Auch zu der gemeinwesenorientierten Arbeit der Religionsgemeinschaften hat der Senat wiederholt berichtet. Im Übrigen siehe auch Drs. 21/19491, 21/16268, 21/14950 und 21/11156. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Frauenhäuser8 werden gegenwärtig von den im Staatsvertrag als „islamische Religionsgemeinschaften“ bezeichneten Organisationen Schura Hamburg e.V. – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg , Islamische Religionsgemeinschaft DITIB Hamburg und Schleswig- Holstein e.V. und dem Verband der Islamischen Kulturzentren e.V. in Hamburg betrieben beziehungsweise unterstützt? 6 Confer Lebenssituation. Seite 13. 7 Confer Staatsvertrag Artikel 2 (2). 8 Gemeint sind Einrichtungen, in denen Frauen anonym Schutz vor Gewalt durch Dritte finden können. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/20287 3 2. Wie viele Fälle sind dem Senat bekannt, in denen Frauen aus muslimischem Migrationskontext in der 21. Wahlperiode von gegen sie gerichteter Gewalt Strafanzeige erstattet haben? 3. Welche Bemühungen haben die oben genannten Organisationen seit November 2012 proaktiv unternommen, um Frauen zu unterstützen, die Opfer von folgender Gewalt geworden sind: a) physische/häusliche Gewalt durch Angehörige beziehungsweise Ehepartner; b) sexuelle Gewalt durch Angehörige, Ehepartner beziehungsweise Fremde; c) psychische Gewalt durch Angehörige, Ehepartner beziehungsweise Fremde? 4. Wie viele Projekte, die Frauen die Möglichkeit bieten, sich häuslicher Gewalt zu entziehen, werden gegenwärtig von den oben genannten Organisationen unterhalten? 5. Wie viele Frauentelefone werden gegenwärtig von ihnen betrieben? 6. Wie lange bestehen diese und unter welchen Bedingungen sind sie erreichbar? Siehe Vorbemerkung sowie Drs. 21/19491, 21/16268, 21/14950 und 21/11156. Darüber hinaus liegen der zuständigen Behörde keine neueren Erkenntnisse vor. 7. Wie bewertet der Senat die subordinierte Rolle, die der Frau im Islam gegenüber dem Mann einnimmt? Siehe Drs. 21/11156. 8. Welche Möglichkeiten haben muslimische Frauen gegenwärtig in Hamburg , sich innerhalb ihrer Gemeinden vor gegen sie gerichteter Gewalt zu schützen, ohne ihre Identität öffentlich preiszugeben? Siehe Vorbemerkung sowie Drs. 21/19491, 21/16268, 21/14950 und 21/11156. Darüber hinaus liegen der zuständigen Behörde keine neueren Erkenntnisse vor. 9. Welche Schritte hat der Senat seit November 2012 unternommen, um die islamischen Religionsgemeinschaften für das Thema „Gewalt gegen Frauen“ zu sensibilisieren? Falls ja, jeweils wann? Falls nein, warum nicht? 10. Wie haben die Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften darauf reagiert und welche Initiativen haben sie daraufhin ergriffen? Siehe Drs. 21/19491, 21/16268, 21/14950 und 21/11156.