BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2091 21. Wahlperiode 10.11.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 02.11.15 und Antwort des Senats Betr.: Illegale Einreise Wer ohne Pass oder erforderlichen Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet einreist , macht sich gemäß § 95 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) strafbar. Diese notwendige Folge des bestehenden Erfordernisses eines Aufenthaltstitels möchte Justizsenator Steffen nun offenbar abschaffen. Dabei übersieht er, dass schon jetzt weder Asylsuchende noch Flüchtlinge gezwungen sind, illegal einzureisen. Im Gegensatz zu seinem Parteifreund, dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, scheint Steffen die aktuelle Situation noch nicht richtig verinnerlicht zu haben. Anders ist nicht zu erklären, dass er seine Entkriminalisierungsvorstellungen nach Schwarzfahren und Cannabiskonsum nun bei diesem Thema fortsetzt. Im Übrigen entfällt eine Strafbarkeit bei Asylbewerbern wegen unerlaubter Einreise ohne Aufenthaltstitel oder ohne Pass sowie wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Aufenthaltstitel oder ohne Pass, wenn der ausländische Asylbewerber bei seiner Einreise um Asyl nachsucht, weil er hierdurch – zur Durchführung des Asylverfahrens – eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG erlangt und damit gleichzeitig gemäß § 64 Absatz 1 AsylVfG von der Passpflicht des § 3 Absatz 1 AufenthG befreit ist. Für Flüchtlinge dürfte hingegen nach wie vor der Artikel 31 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (GFK) vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559, 560) in Deutschland gelten: 1. Die vertragschließenden Staaten werden wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalts keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängen, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinne von Artikel 1 bedroht waren und die ohne Erlaubnis in das Gebiet der vertragschließenden Staaten einreisen oder sich dort aufhalten, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen . 2. Die vertragschließenden Staaten werden den Flüchtlingen beim Wechsel des Aufenthaltsorts keine Beschränkungen auferlegen, außer denen, die notwendig sind; diese Beschränkungen werden jedoch nur solange Anwendung finden, bis die Rechtsstellung dieser Flüchtlinge im Aufnahmeland geregelt oder es ihnen gelungen ist, in einem anderen Land Aufnahme zu erhalten. Drucksache 21/2091 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die vertragschließenden Staaten werden diesen Flüchtlingen eine angemessene Frist sowie alle notwendigen Erleichterungen zur Aufnahme in einem anderen Land gewähren. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Fälle illegaler Einreise wurden in den letzten Jahren in Hamburg festgestellt? Bitte ab 2010 pro Jahr und für 2015 pro Quartal angeben . In der nachfolgend aufgeführten Anzahl von der Staatsanwaltschaft Hamburg eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurde als Vorwurf ein Delikt gemäß § 95 Absatz 1 Nummer 3 Aufenthaltsgesetz in dem Vorgangserfassungs- und Bearbeitungssystem der Staatsanwaltschaft MESTA notiert1: Az.-Jahrgang Js-Verfahren Anzahl der Beschuldigten 2010 142 146 2011 255 293 2012 281 289 2013 420 437 2014 509 525 2015 1. Quartal 135 139 2. Quartal 176 177 3. Quartal 420 433 4. Quartal 216 235 2. Wie viele der Täter waren jeweils Asylberechtigte, wie viele waren jeweils Flüchtlinge? 3. Wie viele der Täter reisten jeweils aus sicheren Drittstaaten ein? Die erfragten Daten werden in dem Vorgangserfassungs- und Bearbeitungssystem der Staatsanwaltschaft MESTA statistisch nicht erfasst. Zur Beantwortung der Fragen müssten mehrere Tausend Verfahrensakten händisch ausgewertet werden. Das ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die begehrten Daten werden im Übrigen auch nicht in der PKS gesondert statistisch erfasst. Insoweit müssten mehrere Hunderttausend Vorgänge einzeln ausgewertet werden. Das ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 4. Wie viele der Verfahren wurden jeweils a. nach § 170 Absatz 2 StPO, b. nach § 153 StPO, c. nach § 153a StPO eingestellt? Die in der Frage aufgeführten Verfahrensbeendigungen erfolgten – bezogen auf die in der Antwort zu 1. aufgeführten Ermittlungsverfahren – in der folgenden Anzahl von Verfahren: Erledigungsart 2010 2011 2012 2013 2014 2015 § 170 Abs. 2 StPO 20 29 33 41 80 171 1 Die aufgeführten Verfahren können darüber hinaus weitere Vorwürfe betreffen, auch solche nach dem AufenthG. Alle genannten Daten stehen unter dem Vorbehalt der vollständigen und richtigen Erfassung in MESTA. Stand der Auswertung: 03.11.2015. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2091 3 Erledigungsart 2010 2011 2012 2013 2014 2015 § 153 StPO2 59 109 144 192 263 367 § 153a StPO3 20 30 21 25 4 2 5. In wie vielen Fällen endete das Verfahren a. durch Strafbefehl? b. durch Urteil? Die zur Beantwortung dieser Frage erforderlichen Daten werden statistisch nicht gesondert erfasst. Es kann lediglich mitgeteilt werden, in wie vielen Fällen durch die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren durch einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls (insofern kommt dennoch eine Erledigung durch Urteil in Betracht, wenn der Angeklagte gegen den Strafbefehl Einspruch einlegt) beziehungsweise durch eine Anklage beendet wurden . Da die benannten Verfahren jeweils auch weitere Vorwürfe betreffen können, muss nicht zwingend wegen des Straftatbestands der illegalen Einreise Anklage erhoben oder Strafbefehlsantrag gestellt worden sein. Dabei handelt es sich um die folgende Anzahl von Verfahren: Erledigungsart 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Strafbefehlsantrag - 9 12 10 7 11 Anklage4 14 15 5 4 3 4 Zur vollständigen Beantwortung der Frage müssten die genannten Verfahrensakten aus dem Archiv beziehungsweise von dem Gericht angefordert werden und sodann händisch ausgewertet werden. Die ist in der für die Beantwortung einer schriftlichen kleinen Anfrage zu Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 6. Wie soll nach Ansicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde das Erfordernis eines Aufenthaltstitels durchgesetzt werden, wenn es nicht strafbewehrt ist? Der Senat hat sich mit der Frage noch nicht abschließend befasst. Die aktuelle Situation stellt die Strafverfolgungsbehörden vor erhebliche Probleme, da gegen alle hier ohne entsprechende Papiere einreisenden Flüchtlinge der Anfangsverdacht einer illegalen Einreise gemäß § 95 Absatz 1 Nummer 3 Aufenthaltsgesetz besteht. Für Flüchtlinge und Asylsuchende besteht derzeit überwiegend nicht die Möglichkeit, sich bereits an der Grenze registrieren zu lassen und somit unmittelbar vor der Einreise einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Inwiefern die Voraussetzungen des Artikels 31 GFK vorliegen, ist vielfach erst nach umfangreichen Ermittlungen und Beendigung des ausländerrechtlichen Verfahrens feststellbar. In Anbetracht der Tatsache, dass es – auch in der vergangenen Jahren – nur in einem sehr geringen Anteil der Verfahren zu einer Klageerhebung gekommen ist, und im Lichte der aktuellen Flüchtlingssituation, wird in der Fachöffentlichkeit erörtert, ob dem Verwaltungsunrecht der Einreise ohne Papiere oder Aufenthaltstitel, nicht besser mit den Mitteln des Aufenthaltsrechts begegnet werden sollte. 2 Hier sind staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Einstellungen (§ 153 Absatz 1 beziehungsweise Absatz 2 StPO) berücksichtigt, wobei unter die staatsanwaltschaftlichen aufgrund der Kategorisierung in MESTA auch Einstellungen nach § 45 Absatz 1 JGG fallen können. 3 Hier sind ebenfalls die staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Einstellungen (§ 153a Absatz 1 beziehungsweise Absatz 2 StPO) berücksichtigt. 4 Hier sind Anklagen zum Amtsgericht sowie Anträge gemäß §§ 417 StPO oder 76 JGG berücksichtigt.