BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2149 21. Wahlperiode 17.11.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Daniel Oetzel und Jennyfer Dutschke (FDP) vom 09.11.15 und Antwort des Senats Betr.: Übernahme des Sorgerechts durch Geschwister von minderjährigen Flüchtlingen? In einigen Fällen ist es in der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) dem Vernehmen nach dazu gekommen, dass das Sorgerecht beziehungsweise die Personensorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ihren älteren (über 18 Jahre alten), ebenfalls (mit ihnen) geflüchteten Geschwistern übertragen wurde, da hierdurch die Minderjährigen nicht in Obhut genommen werden brauchten. Dazu wurde beziehungsweise wird von den erwachsenen Geschwistern angeblich ein Formular unterschrieben, wonach sie sich zu dieser Übernahme bereit erklären. Dieser Vorgang wäre ungewöhnlich, da das Sorgerecht und die damit ebenfalls einhergehende „Sorgepflicht“ aus Artikel 6 Absatz 2 GG (erwachsenen) Geschwistern nicht zugesprochen werden kann. Diese können lediglich die Übernahme der Vormundschaft für ihre minderjährigen Geschwister beantragen, wozu allerdings formal ein entsprechender Beschluss des Familiengerichtes notwendig ist. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Ist es zutreffend, dass in der FHH älteren Geschwistern von minderjährigen Flüchtlingen durch Dienststellen beziehungsweise Einrichtungen der FHH Formulare vorgelegt wurden und/oder werden, wonach sie sich mit ihrer Unterschrift zur Übernahme der Personensorge für ihre jüngeren Geschwister bereit erklären? a. Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte beziehungsweise erfolgt dies? Um wie viele Fälle minderjähriger Flüchtlinge handelt es sich in den Jahren seit 2013 circa? (Bitte jahresweise auflisten.) b. Wenn nein, wie verhält es sich dann? Nein. Die Personensorge kann nur von einem Familiengericht übertragen werden. Das SGB VIII definiert einen unbegleiteten minderjährigen Ausländer als eine Person, die sich minderjährig und ohne Personensorge- oder Erziehungsberechtigen in Deutschland aufhält. Erziehungsberechtigter ist nach § 7 SGB VIII der Personensorgeberechtigte und jede sonstige Person über 18 Jahre, soweit sie aufgrund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur vorübergehend und nicht nur für einzelne Verrichtungen Aufgaben der Personensorge wahrnimmt. Insofern ist bei jeder Inobhutnahme zu prüfen, ob die oder der Minderjährige sich unbegleitet in Deutschland aufhält oder ob eine Familienzusammenführung stattfinden kann und die oder der Minderjährige einem Erziehungsberechtigten übergeben werden kann (§ 42a Absatz1 Ziffer 2 sowie § 42a Absatz 6 SGB VIII). Im Fachdienst Flüchtlinge wird in diesen Fällen in einem Gespräch unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers überprüft, ob eine familiäre Verbindung glaubhaft und die Drucksache 21/2149 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 verwandte Person in der Lage ist, als Erziehungsberechtigter zum Wohle des Minderjährigen nach § 7 Absatz SGBVIII zu fungieren. Die Beteiligten zeichnen nach der Rückübersetzung schriftlich gegen, dass es sich tatsächlich um einen Familienverbund handelt und die Person die Erziehungspflicht für den Minderjährigen übernehmen kann. Unabhängig hiervon ist auch in diesen Fällen das Familiengericht zur Bestellung eines Vormunds zu informieren. Hierbei ist auch zu prüfen, ob der Erziehungsberechtigte als Privatvormund infrage kommt. Eine Statistik bezüglich der Übergabe von minderjährigen Flüchtlingen an Erziehungsberechtigte wird nicht geführt. Zur Beantwortung der Fragen wäre eine händische Auswertung von circa 4.000 Fallakten erforderlich. Dies wäre in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 2. Sollte es sich um einen Antrag auf Übernahme der Vormundschaft handeln : Wie viele dieser Anträge wurden in den Jahren seit 2013 circa gestellt? (Bitte jahresweise auflisten.) a. Wie viele von ihnen wurden in den genannten Jahren von den Gerichten positiv, wie viele abschlägig beschieden? b. Wie viele derartige Anträge wurden durch die Gerichte in den genannten Jahren noch nicht entschieden? Die Daten werden statistisch nicht erfasst. Zur Beantwortung der Fragen wäre eine händische Auswertung von Verfahrensakten im vierstelligen Bereich erforderlich. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Nach Einschätzung der gerichtlichen Praxis spielen die Anträge auf Bestellung eines Geschwisters zahlenmäßig keine große Rolle. c. Wie lange dauert es im Durchschnitt, bis ein solcher Antrag durch ein Gericht entschieden wurde? Wer ist in dieser Zeit Vormund der oder des Minderjährigen, sofern keine staatliche Inobhutnahme erfolgt und keine Erziehungsberechtigten auffindbar sind? Das Familiengericht beraumt nach Eingang des Jugendamtsberichts regelmäßig binnen weniger Tage einen Anhörungstermin an und entscheidet anschließend über die Vormundschaft. Vor der Bestellung eines Vormunds durch das Familiengericht hat das Kind keinen Vormund. Eine gesetzliche Vormundschaft gibt es nach gegenwärtiger Rechtslage nicht. Während einer vorläufigen Inobhutnahme durch das Jugendamt ist dies grundsätzlich auch nicht erforderlich, weil in dieser Zeit das Jugendamt berechtigt und verpflichtet ist, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen notwendig sind (§ 42a Absatz 3 S. 1 SGB VIII). Im Übrigen hat das Familiengericht die Möglichkeit, im Wege einer einstweiligen Anordnung erforderliche Maßnahmen zu treffen, sofern ein dringendes Bedürfnis für ein Tätigwerden besteht, wozu auch die Bestellung eines vorläufigen Vormunds gehören kann. 3. Gab es Fälle, in denen es sich bei mindestens einem der Geschwisterteile um einen Menschen mit Behinderung handelte? a. Wenn ja, um wie viele Fälle handelte es sich etwa in den Jahren seit 2013? (Bitte jahresweise auflisten.) b. Was sind in diesen Fällen die üblichen Gründe, aus denen eine staatliche Inobhutnahme nicht erfolgte? Sowohl bei der Feststellung der Erziehungsberechtigung als auch bei der Übertragung einer Vormundschaft durch das Familiengericht stehen Aspekte der Sicherung des Kindeswohls im Mittelpunkt. Eine mögliche Behinderung findet hierbei nur dann Berücksichtigung, wenn durch die Art der Behinderung Zweifel an der Erziehungsfähigkeit oder der Ausübung der Vormundschaft geboten sind.