BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2223 21. Wahlperiode 17.11.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien und Dennis Gladiator (CDU) vom 11.11.15 und Antwort des Senats Betr.: Nach welchen Richtlinien wird in Hamburg abgeschoben? (III) Bereits in Drs. 21/1804 wurde nachgefragt, wonach sich die Beamten der Behörde für Inneres und Sport (BIS) in ihrer Verwaltungspraxis bei der Rückführung und Abschiebung richten. In seiner Antwort verwies der Senat auf folgende Dienstanweisungen, ohne jedoch deren Inhalt preiszugeben: Dienstanweisung für das „Vorgehen bei Abschiebungs- und Verbringungshaft “, Dienstanweisung für das „Verfahren der Freiheitsentziehung bei Personen , Dienstanweisung für „Vollziehungsbeamtinnen, Vollziehungsbeamte nach § 6 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG)“, Dienstanweisung zur „Ausweisung und Aussetzung von Abschiebungen bei der Betreuung eines deutschen Kindes“, Dienstanweisung „Umgang mit ärztlichen Attesten“. Auch auf erneute Nachfrage in Drs. 21/1947 verweigerte der Senat die Vorlage. Nach Erörterung im Ältestenrat bitten wir nunmehr den Senat, den Inhalt der Dienstanweisungen im Einzelnen darzulegen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Welchen Inhalt haben die in Drs. 21/1804 genannten sowie gegebenenfalls danach erlassenen Dienstanweisungen jeweils im Einzelnen? Die Dienstanweisungen haben den im Folgenden dargestellten Inhalt. Soweit Rechtsvorschriften aufgeführt werden, handelt es sich um den jeweiligen Stand zum Zeitpunkt des Erlassens der Dienstanweisungen. 1. Dienstanweisung für das Vorgehen bei Abschiebungs- und Verbringungshaft vom 1. April 2005: wöchentliche Kontrolle und Meldung der Haftplatzkapazität, Prioritäten bei der Inhaftnahme (Vorrang von BTM- und sonstigen Straftätern, Ablehnung von Amtshilfeersuchen), Abschiebungshaft auch bei anhängigem Asylantrag möglich, nicht jedoch bei konkretem Asylerstbegehren vor richterlicher Haftanordnung, Abschiebungshaft auch für männliche Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren möglich, für weibliche Jugendliche nur mit Ausnahmegenehmigung der Justizbehörde , internes Monitoring bei Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus, keine Abschiebungshaft soweit vorrangige sonstige Haftgründe bestehen, Verbringungshaft nach Verstoß gegen räumliche Beschränkung vorrangig bei BTM-Tätern, Drucksache 21/2223 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 bei Ablehnung des Haftantrags prüft Rechtsabteilung Haftbeschwerde, Nutzung von Abschiebehaftplatzkapazitäten in Eisenhüttenstadt, Meldepflicht für besondere Vorkommnisse (zum Beispiel Hungerstreik) an Abteilungsleitung , Inkrafttreten, Außerkrafttreten der Vorgängerregelung. 2. Dienstanweisung für das Verfahren der Freiheitsentziehung bei Personen, die in Abschiebhaft genommen werden sollen vom 30. November 2006 Bei Personen im Besitz einer Duldung soll vor der beabsichtigten Freiheitsentziehung ein Antrag auf Anordnung der einstweiligen Freiheitsentziehung nach § 11 Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen gestellt und der Verzicht auf vorherige Anhörung wegen Gefahr im Verzug beantragt werden, Personen, die nicht (mehr) im Besitz einer Duldung sind, sollen aufgrund von § 13 Absatz 1 Nummer 2 SOG in Gewahrsam genommen werden, wenn im Einzelfall deutliche Hinweise auf eine Verweigerung beziehungsweise ein Untertauchen aktenkundig gemacht werden Ingewahrsamnahme unterliegt dem Zustimmungsvorbehalt der Abschnittsleitung, nach vorläufiger Freiheitsentziehung sowie nach Gewahrsamnahme sind die Betroffenen unverzüglich dem Amtsgericht Hamburg mit dem Antrag auf Abschiebungshaft vorzuführen. 3. Dienstanweisung für Vollziehungsbeamtinnen, Vollziehungsbeamte nach § 6 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) vom 17. Januar 2008 Vollziehungsbeamtinnen und Vollziehungsbeamte werden als solche ernannt und erhalten einen entsprechenden Dienstausweis, Anordnung von Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung sowie nach dem SOG nur durch hierfür schriftlich und namentlich sowie unter Aufführung der anwendbaren Zwangsmittel ermächtigte Vollziehungsbeamtinnen und Vollziehungsbeamte (Aufbewahrungsfrist ein Jahr), Verantwortlichkeit des Anordnenden für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme, nachträgliche Anordnung einer Maßnahme ist zulässig, wenn vorhergehende Anordnung aus Zeitgründen ausgeschlossen war und darf nur abgelehnt werden, wenn Zweifel an der Rechtsmäßigkeit bestehen oder vorher offenkundig genügend Zeit für vorhergehende Anordnung gewesen wäre, Referatsleitung ist unverzüglich über Ablehnung zu informieren, Vorgaben für die über die Maßnahme aufzunehmende Niederschrift (Aufbewahrungsfrist ein Jahr), über besondere Vorkommnisse bei Vollziehungsmaßnahmen (erheblicher Widerstand , Verletzungen Sachschäden et cetera) ist ein schriftlicher Vermerk zu fertigen und der anordnenden Stelle sowie der Referatsleitung parallel zuzuleiten, Auflistung der folgenden Vollstreckungsmaßnahmen beim Einwohner-Zentralamt : Überprüfung der Personalien durch Außendienst außerhalb der Dienststelle , Ingewahrsamnahme zur Überstellung an die Dienststelle, Ingewahrsamnahme in der Dienststelle zur Vorführung beim Amtsgericht Hamburg, Durchsuchung von Personen (nur von Personen gleichen Geschlechts und im Beisein mindestens einer weiteren Vollstreckungsbeamtin beziehungsweise eines Vollstreckungsbeamten, es sei denn sofortige Durchsuchung ist zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ) und Sachen sowie Sicherstellung, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2223 3 Durchsuchung zur Eigensicherung nach § 15 Absatz 2 SOG Durchsuchung von Mobiltelefonen (gespeicherte Telefonnummern nach § 48 Absatz 3 AufenthG, für Verbindungsdaten ist gegebenenfalls ein richterlicher Beschluss erforderlich), Durchsuchung zur Identitätsfeststellung nach § 15 Absatz 4 AsylVfG beziehungsweise § 48 Absatz 3 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 15 Absatz 1 Nummer 2 SOG, Vollstreckung zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen nach § 10 VwVG, Definition der Nachtzeit (1. April bis 30. September 21 bis 4 Uhr, 1. Oktober bis 31. März 21 bis 6 Uhr), Anwendungsfall frühmorgendliche Begleitung zum Flughafen, falls bereits einmal nicht zum Termin erschienen oder bei systematischer Identitätsverschleierung im Vorwege, vorherigem Untertauchen, mehrmaligem Verstoß gegen Residenzpflicht, Betreten und Durchsuchen von Wohnungen (§ 7 VwVG) mit/ohne Einverständnis des Betroffenen, Zwangsmittel und unmittelbarer Zwang (§§ 14, 18 VwVG, § 23 SOG), auch dienstlich zugewiesene Hand- und Fußfesseln, Maßnahmen müssen in Vollstreckungsanordnung benannt sein, Hinzuziehung eines Zeugen kann nur in den Fällen des § 27 VwVG unterbleiben, Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist vor Ort zu beachten, Maßnahme ist mündlich anzudrohen, soweit nicht sofort nötig zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr, möglichst kein Zusammenschluss von Personen verschiedenen Geschlechts, Personenbeförderungen im Rahmen von Vollstreckungsmaßnahmen erfordern mindestens eine Person gleichen Geschlechts wie der Ausländer beziehungsweise die Ausländerin als Begleitperson auf Transportfahrzeug, Maßnahmen zur Sicherheit der Beteiligten, Gefahren sind zu vermeiden, Durchführung der Maßnahme steht hinter Schutz von Leib und Leben der Beteiligten sowie unbeteiligter Dritter zurück, gegebenenfalls Polizei hinzuziehen, vorab Durchsuchung zur Eigensicherung, verdeckt zu tragende dienstlich zugewiesene Schutzwesten bei Einsätzen in Wohnungen, Regelungen zum Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Sicherheitsfirmen als Verwaltungshelfer, Regelungen zur Mitwirkungspflicht der Ausländerin beziehungsweise des Ausländers bei der Identitätsfeststellung, Aufhebung bisheriger Regelungen und Inkrafttreten, Anlage: Benennung der anordnenden Stellen. 4. Dienstanweisung zur Ausweisung und Aussetzung von Abschiebungen bei der Betreuung eines deutschen Kindes vom 16. September 2009 Hinweis auf Rechtsprechung, nach der die Betreuung eines deutschen Kindes ein sehr gewichtiges Abschiebungshindernis darstellt, Voraussetzungen, unter denen die Betreuung eines deutschen Kindes anzunehmen ist, Vaterschaft gemäß § 1592 BGB, bei Vätern von noch nicht geborenen Kindern, wenn mit der Mutter verheiratet oder wenn Vaterschaft gemäß § 1594 Absatz 4 BGB anerkannt, Drucksache 21/2223 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 von tatsächlicher Verantwortung für Betreuung des Kindes ist grundsätzlich auszugehen bei häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind, es sei denn es bestehen dagegen sprechende Anhaltspunkte, volle Darlegungs- und Beweislast für Betreuungsverhältnis bei Fehlen der häuslichen Gemeinschaft, eidesstattliche Versicherung der Mutter ist zu verlangen, Stellungnahme des Jungendamts soweit möglich, bei noch nicht geborenen Kindern ist Prognose zu treffen, Maßstab für zu treffende Abwägung zwischen Interesse des Kindes an einer Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft einerseits und Interesse an der Durchsetzung der Ausreisepflicht andererseits sind die von der Rechtsprechung zur Ausweisung von Unionsbürgern und von vom Beschluss Nummer 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 2009 über die Entwicklung der Assoziation begünstigten türkischen Staatsbürgern entwickelten Kriterien, Rechtsfolgen für die Ausweisung, bei inhaftierten Straftätern wird die Entscheidung über die Ausweisung im Hinblick auf Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bis zum 2/3-Zeitpunkt der Haftverbüßung zurückgestellt, es sei denn, das öffentliche Interesse an einer Ausweisung auch aus generalspräventiven Gründen überwiegt die Schutzgründe der EMRK (regelmäßig der Fall bei Strafmaß von mehr als fünf Jahren oder einschlägigen Vorstrafen), in diesen Fällen sofortige Ausweisung aus Spezial- und generalpräventiven Gründen, bei zurückgestellter Entscheidung kommt es auf die Sozialprognose an. Ist sie positiv, verbleibt es bei einer ausländerbehördlichen Verwarnung nebst Prüfungsvorbehalt, bei negativer Prognose und mithin keiner Entlassung zum 2/3-Zeitpunkt ist Ausweisung unverzüglich zu verfügen, Rechtsfolgen für die Abschiebung, die Abschiebung ist auszusetzen, sobald überschlägig von der Betreuung eines deutschen Kindes auszugehen ist, vorbereitende Maßnahmen zur Klärung der Identität und der Staatsangehörigkeit sowie zur Passbeschaffung sind erst auszusetzen, wenn feststeht , dass die Voraussetzungen für die Betreuung eines deutschen Kindes vorliegen. 5. Dienstanweisung Umgang mit ärztlichen Attesten vom 15. Dezember 2010 Anlass: Neufassung der bisherigen Regelung, bei Vorlage eines ärztlichen Attests im Rahmen eines Asylverfahrens oder im Anschluss daran, ist das BAMF zuständig für die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 60 Absatz 2 bis 5 und 7 AufenthG, hat die Ausländerbehörde parallel die Reisefähigkeit zu prüfen, deshalb wird der ärztliche Dienst des Einwohner-Zentralamts parallel befasst, der bei Bedarf weiteren fachärztlichen Sachverstand heranziehen kann, informiert der ärztliche Dienst die Ausländerabteilung über das Ergebnis der Prüfung der Reisefähigkeit (Flug, Land, Wasser), informieren der ärztliche Dienst und die Ausländerabteilung auf Anfrage das BAMF über bestehende Möglichkeiten der Ausländerbehörde zur Ermöglichung oder Unterstützung einer Behandlung im Heimatland, kann das aufenthaltsrechtliche Verfahren parallel fortgesetzt werden, soweit die Frage des Abschiebungsschutzes für das Verfahren unerheblich ist, außerhalb eines Asylverfahrens, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2223 5 ist die Ausländerabteilung zuständig für die Feststellung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 60 Absatz 2 bis 5 und 7 AufenthG, wird der ärztliche Dienst des Einwohner-Zentralamts befasst, der bei Bedarf weiteren fachärztlichen Sachverstand heranziehen kann, informiert der ärztliche Dienst die Ausländerabteilung über das Ergebnis der Prüfung der Reisefähigkeit (Flug, Land, Wasser) sowie über bestehende Möglichkeiten der Ausländerbehörde zur Ermöglichung oder Unterstützung einer Behandlung im Heimatland, ist das BAMF zu beteiligen, soweit Anhaltspunkte für das Vorliegen von zielstaatbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 60 Absatz 7 AufenthG bestehen, entscheidet die Ausländerabteilung, ggfs. unter Berücksichtigung einer Stellungnahme des BAMF, über das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 60 Absatz 2 bis 5 und 7 AufenthG, wird bei Vorliegen eines Abschiebungshindernisses, im Anschluss an die Entscheidung geprüft, ob eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wird bei Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses die Rückführung weiter betrieben. mit der Klärung der Schlüssigkeit von ärztlichen Attesten wird der ärztliche Dienst des Einwohner-Zentralamts vor Weitergabe der Unterlagen an das BAMF befasst, um die gesundheitlichen Belange der Betroffenen im Verwaltungsverfahren angemessen zu berücksichtigen, Gesundheitsdaten, die für das aufenthaltsrechtliche Verfahren nicht von Belang sind, werden vom ärztlichen Dienst nicht an die Ausländerabteilung zwecks Aufnahme in die elektronische Ausländerakte gegeben, sondern gesondert aufbewahrt und nur bei Anforderung durch bevollmächtigte Ärzte oder Gerichte verschlossen an diese übermittelt, in die Ausländerakte aufgenommen werden die vom Betroffenen eingereichten ärztlichen Atteste, die Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht sowie die Rückmeldungen vom ärztlichen Dienst an die Ausländerabteilung, Aufhebung der bisherigen Regelung und Inkrafttreten.