BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2306 21. Wahlperiode 24.11.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Daniel Oetzel und Jennyfer Dutschke (FDP) vom 18.11.15 und Antwort des Senats Betr.: Verteilungsentscheidung für minderjährige Flüchtlinge in Begleitung von Angehörigen Medienberichten zufolge werden minderjährige Flüchtlinge auf ihrer Flucht von Familienangehörigen begleitet, die nicht die elterliche Sorge ausüben. Dabei kann es sich beispielsweise um Onkel, Tanten oder andere Angehörige der Minderjährigen handeln. In der Zentralen Erstaufnahme wird von den Einreisenden ein Anmeldeformular ausgefüllt, das die Rubrik „Verwandte/Familie“ enthält. Übernimmt der Angehörige nicht die elterliche Sorge für den Minderjährigen, wird der Minderjährige vom KJND in Obhut genommen und für den Angehörigen eine eigene Verteilungsentscheidung getroffen. Da die elterliche Sorge von den im Heimatland verbliebenen Eltern aufgrund der Trennung längere Zeit tatsächlich nicht ausgeübt werden kann (§1674 BGB), bestellt das Familiengericht einen Vormund. Dieser kann beim Einwohner -Zentralamt eine Weiterleitung des Minderjährigen an den Aufenthaltsort des Angehörigen beantragen. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Bei der Einreise von ausländischen Minderjährigen mit einem erziehungsberechtigten Verwandten oder wenn eine erziehungsberechtigte Person bereits im Inland lebt, ist vom zuständigen Jugendamt zu prüfen, ob eine vorgetragene Erziehungsberechtigung tatsächlich gegeben ist (siehe Drs. 21/2149). Liegt die Erziehungsberechtigung vor, so handelt es sich bei dem Minderjährigen nicht um einen unbegleiteten Minderjährigen , eine Inobhutnahme und gegebenenfalls Verteilung in ein anderes Land im Rahmen des § 42b SGB VIII findet somit nicht statt. Eine Verteilentscheidung für den Erziehungsberechtigten nach dem Asylgesetz würde den gesamten Familienverband umfassen. Unabhängig hiervon entscheidet ausschließlich das Familiengericht über die Bestellung einer Vormundschaft und ob hierfür gegebenenfalls der Erziehungsberechtigte infrage kommt. Bei unbegleitet eingereisten minderjährigen Flüchtlingen hat das Jugendamt seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher am 01.11. 2015 während der vorläufigen Inobhutnahme (§ 42a SGB VIII) zusammen mit dem Kind oder dem Jugendlichen einzuschätzen, ob sich eine verwandte Person im Inland oder im Ausland aufhält und die Möglichkeit einer Familienzusammenführung zu realisieren ist. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: Drucksache 21/2306 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 1. Wie viele minderjährige Flüchtlinge sind seit 2012 in Begleitung von volljährigen Angehörigen, die ursprünglich nicht die elterliche Sorge ausübten , in Hamburg erfasst worden? (Bitte jährlich aufschlüsseln.) 2. Um welche Verwandtschaftsbeziehung handelt es sich dabei im Einzelnen ? a. Geschwister b. Onkel/Tanten (1. Grad, 2. Grad) c. Großeltern d. Cousin/Cousine (1. Grad, 2. Grad) e. Andere Entsprechende Angaben werden nicht statistisch erfasst. Eine nachträgliche Ermittlung würde eine händische Auswertung aller ausländerbehördlichen Datensätze erfordern und ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Im Übrigen siehe Drs. 21/2149. 3. Wird die Angabe von Verwandtschaftsverhältnissen zwecks Vormundschaftsübernahme geprüft? a. Wenn ja: Wie erfolgt die Überprüfung der Angaben? b. Wenn nein: Wie stellt der Senat sicher, dass zum Wohle des Kindes die Übernahme der Vormundschaft gestattet beziehungsweise nicht gestattet wird? 4. Wie viele Angehörige haben nach der Einreise in Hamburg die Vormundschaft für die mit ihnen eingereisten Minderjährigen übernommen? Siehe Drs. 21/2149. 5. Ist es möglich, Angehörige von eingereisten Minderjährigen in anderen Bundesländern zu ermitteln? a. Wenn ja: Welcher Aufwand ist dafür erforderlich? Wie viele Minderjährige konnten seit 2012 ihren Angehörigen in anderen Bundesländern zugeführt werden? War dafür die Übernahme der Vormundschaft die Bedingung für die Weiterleitung? b. Wenn nein: warum nicht? Gibt es eine Zusammenarbeit mit privaten Angehörigen-Suchdiensten? Wenn ja, in welchem Umfang? Sofern von den Betroffenen konkrete Angaben darüber gemacht werden, dass sich Teile der Kernfamilie im Zuständigkeitsbereich eines anderen Landes befinden, wird Kontakt zum auswärtigen Jugendamt und gegebenenfalls der auswärtigen Aufnahmeeinrichtung aufgenommen, um die Familienzusammenführung im Einzelfall zu prüfen. Ist eine Familienzusammenführung kurzfristig nicht möglich, zum Beispiel wenn der Aufenthaltsort der Angehörigen nicht zu ermitteln ist oder ein Kontakt zu diesen Personen nicht hergestellt werden kann, fällt der unbegleitete Minderjährige unter die Verteilungsregelungen des § 42 fortfolgende SGB VIII. Der Versuch einer Zusammenführung soll dann im Aufnahmejugendamt fortgeführt werden. Fallzahlen liegen der zuständigen Behörde nicht vor, siehe Antwort zu 1. und 2. 6. Hat das Einwohner-Zentralamt Hamburg seit 2012 Anträge auf Weiterleitung abgelehnt? a. Wenn ja: wie viele und aus welchen Gründen? Wer war jeweils der Antragsteller (Minderjähriger, Vormund, Beistand, Andere)? Eine Familienzusammenführung kann im Rahmen des SGB VIII zu jedem Zeitpunkt erfolgen. Ebenso kann eine länderübergreifende Verteilung gemäß § 51 AsylG ohne Fristbindung grundsätzlich immer beantragt werden. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2306 3 Statistiken hierzu liegen der zuständigen Behörde nicht vor, siehe Antwort zu 1. bis 2. e). 7. Kann eine Weiterleitung auch an den Aufenthaltsort des Minderjährigen (zum Beispiel nach Hamburg) beantragt werden, wenn die Angehörigen in ein anderes Bundesland verteilt wurden? a. Wenn ja: Gibt es eine Antragsfrist? Wie viele positive und negative Entscheidungen wurden seit 2012 getroffen? b. Wenn nein: warum nicht? Aufgrund welcher gesetzlichen Grundlage erfolgt die Ablehnungsentscheidung? Über einen Antrag nach § 51 AsylbG entscheidet nach Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen die zuständige Behörde des Landes, für das der weitere Aufenthalt beantragt ist. Im Übrigen siehe Antworten zu 5. und zu 6. 8. Wie begründet und bewertet der Senat die gegenwärtige Praxis der Trennung einer Familienbande, wenn der Angehörige die Übernahme der elterlichen Sorge ablehnt, vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Dezember 2008 (Bundesverfassungsgericht , Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 1 BvR 2604/06)?1 Die Übernahme der Personensorge ist keine Voraussetzung für eine Familienzusammenführung . Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 9. Sofern eine getrennte Verteilungsentscheidung zwischen Angehörigen und Minderjährigen erfolgt, bestehen von staatlicher Seite Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung der Beziehung (zum Beispiel Übernahme von Kosten für gegenseitige Besuche)? a. Wenn ja: Welche und nach welchem Verfahren laufen diese jeweils ab? Gibt es Fälle, in denen eine Ablehnung des Gesuches erfolgte? Wenn ja: wie viele? Was waren die Gründe dafür? b. Wenn nein: warum nicht? Die Frage von Besuchskontakten unbegleiteter Minderjähriger zu Angehörigen, zu denen keine Familienzusammenführung erfolgen kann, ist Bestandteil der jugendamtlichen Hilfeplanung im jeweiligen Einzelfall. 1 „Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umfasst das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zumindest – auch – nahe Verwandte – zum Beispiel Großeltern und Enkel –, da sie innerhalb der Familie eine beachtliche Rolle spielen können. Die Achtung des so verstandenen Familienlebens begründet für den Staat die Verpflichtung, in einer Weise zu handeln, die die normale Entwicklung dieser Beziehung ermöglicht“ (vergleiche EGMR, Urteil vom 13. Juni 1979, NJW 1979, S. 2449 <2452>).