BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/231 21. Wahlperiode 21.04.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Karl-Heinz Warnholz (CDU) vom 13.04.15 und Antwort des Senats Betr.: Abschiebehaft faktisch ausgesetzt? Seitdem der Europäische Gerichtshof die Unterbringung von Abschiebehäftlingen in gewöhnlichen Strafvollzugsanstalten für unzulässig erklärt hat, muss Hamburg Abschiebehäftlinge im Wege der Amtshilfe in anderen Bundesländern unterbringen, was die Durchsetzung der Ausreisepflicht erheblich erschwert. Dies wird deutlich, wenn man die stetig zunehmende Anzahl von vermeintlich Asylsuchenden in Hamburg mit den sinkenden Abschiebungshaftzahlen vergleicht : Im Jahr 2013 verblieben 3.619, im Jahr 2014 6.638 Personen in Hamburg. Zugleich befanden sich gemäß der Antworten zu den Anfragen Drs. 20/10236 und Drs. 20/12654 im Jahr 2011 insgesamt 173, im Jahr 2012 insgesamt 149 und im Jahr 2013 lediglich insgesamt 116 Personen in Abschiebehaft. Indes verbleiben unmittelbar ausreisepflichtige Personen häufig in Hamburg. Zentrale Vollzugshindernisse bei der Abschiebung sind Probleme der Identitätsfeststellung und eine taktische Nutzung rechtlicher Mittel, die oftmals unbegründet sind, aber die Abschiebung – wie intendiert – langfristig verzögern. Bis es zu einem Vollzug kommen kann, tauchen die Betroffenen häufig ab. Dabei ist ihnen nur ein Leben in der Illegalität möglich, was kriminelles Verhalten durch solche Personen und auch gegen sie befördern kann. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Abschiebehaft in Härtefällen als unersetzbares Instrument zur Durchsetzung der Ausreisepflicht dar. In der Antwort zur Anfrage Drs. 20/12654 wird lediglich der längere Fahrtweg zur Haftanstalt als praktische Konsequenz aus der neuen Rechtsprechung genannt. Tatsächlich ist aber anzunehmen, dass notwendige Transfers in die Haftanstalten erhebliche Kapazitäten binden und zudem die Unterbringungskapazitäten in den kooperierenden Bundesländern selbst an ihre Grenzen stoßen. Die in der besagten Anfrage genannte Kooperation mit SchleswigHolstein dürfte nach Schließung der Haftanstalt Rendsburg zum November 2014 ausgesetzt sein, was die Problematik noch verschärft. Fraglich ist daher, ob das Instrument der Abschiebehaft überhaupt noch zur Sicherstellung der Ausreisepflicht angewendet werden kann oder nicht vielmehr langsam faktisch ausgesetzt wird. Daran schließt sich die Frage an, ob effektive Alternativen zur Abschiebehaft umgesetzt oder zumindest geplant sind. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie viele Personen befanden sich in den vergangenen Jahren seit 1998 bis März 2015 monatlich im Durchschnitt in Abschiebehaft? Drucksache 21/231 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Zur Zahl der sich in Abschiebungshaft befindlichen Personen in Hamburg jeweils am Stichtag des Monatsersten siehe Anlage. Eine Auswertung der Vollzugsstatistik nach dem monatlichen Durchschnitt ist nicht möglich. 2. Wie viele Abschiebehäftlinge aus Hamburg wurden seit Juli 2014 in Haftanstalten anderer Bundesländer untergebracht? Bitte nach Haftanstalten differenzieren. Drei Personen in der Abschiebehafteinrichtung Rendsburg und zwölf Personen in der Abschiebehafteinrichtung Berlin. 3. Wie bewertet der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die Effektivität des Instruments Abschiebehaft bei deutlich verlängerten Transportwegen? Die Abschiebehaft bleibt trotz der deutlich verlängerten Wege als Instrument zur Sicherung der Abschiebung erforderlich. 4. Inwieweit kann zukünftig auf die in der Anfrage Drs. 20/12497 erwähnte Kooperation mit Schleswig-Holstein nach Schließung der Haftanstalt Rendsburg gesetzt werden? Die Gespräche über eine Kooperation der norddeutschen Länder sind noch nicht abgeschlossen. Gegenwärtig besteht die Möglichkeit, Abschiebungshafteinrichtungen in Berlin und Eisenhüttenstadt in Amtshilfe zu nutzen. 5. Der Vorrang milderer Mittel ist in § 62 Absatz 1 AufenthG ausdrücklich verankert. Der Senat sieht beispielsweise eine gezielte Beratung über finanzielle Rückkehrhilfe und negative Folgen einer Abschiebung, die Erteilung von Meldeauflagen sowie einen Direktvollzug gemäß seiner Antwort zur Anfrage Drs. 20/10236 als mögliche Alternativen zur Abschiebehaft. a. Haben sich die Alternativen bisher als praxistauglich bewährt? Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht? Die Alternativen haben sich in der Praxis bewährt, weil durch sie als den gemäß der gesetzlichen Vorgabe in § 62 Absatz 1 Satz 1 AufenthG gebotenen milderen Mitteln Abschiebungshaft vermieden werden konnte. b. Welche weiteren Alternativen kommen nach Meinung des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde in Betracht? Keine. c. Basieren die Einschätzungen des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde auf konkreten (gegebenenfalls empirischen) Untersuchungen der Problematik? Wenn ja, auf welchen? Die Einschätzung beruht auf langjährigen Praxiserfahrungen der zuständigen Behörde . 6. Welche Kapazitäten werden bei der Inanspruchnahme der Haftanstalt Eisenhüttenstadt gebunden? Wie ist dies zu bewerten? Die Abschiebehafteinrichtung Eisenhüttenstadt wird derzeit nicht genutzt. 7. Welche Überlegungen zur Einrichtung einer eigenen Haftanstalt in Hamburg , die die Anforderungen der EU-Richtlinie 2008/115/EG und der Rechtsprechung des EuGH erfüllt, zieht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde in Betracht? Siehe Antwort zu 4. 8. Wie viele aus Hamburg überstellte Abschiebehäftlinge vermögen die genutzten Anstalten kooperierender Bundesländer insgesamt zu fassen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/231 3 Die Möglichkeit einer Aufnahme eines Hamburger Abschiebungshaftgefangenen in Amtshilfe wird im Einzelfall angefragt; dafür standen bislang ausreichende Kapazitäten zur Verfügung. 9. Wie viele Abschiebungen wurden in den vergangenen Monaten seit 2011 vollzogen? Bitte nach Überstellungen nach dem Dubliner Übereinkommen und gewöhnlichen Abschiebungen in Heimatländer differenzieren und nach Jahren auflisten. 10. Wie viele Abschiebungen sind in den vergangenen Monaten seit 2011 gescheitert? Bitte nach (gescheiterten) Überstellungen nach dem Dubliner Übereinkommen und (gescheiterten) gewöhnlichen Abschiebungen in Heimatländer differenzieren und nach Jahren auflisten. 2014 Jan Feb Mrz 2015 20 14 20 13 20 12 20 11 1 vorbereitete Rückführungen 183 150 167 500 2001 1187 832 626 1.1 gescheiterte Rückführungen 91 81 103 275 697 463 319 181 1.2 vollzogene Rückführungen gesamt 92 69 64 225 1304 724 513 445 1.2.1 davon Abschiebungen 31 28 42 101 334 233 204 206 1.2.2 davon Zurückschiebungen in Drittstaat 9 8 3 20 118 86 55 78 Eine gesonderte Statistik zu den Überstellungen nach der sogenannten DublinVerordnung wird nicht geführt. Ebenfalls liegt keine Statistik über die beabsichtigten Zielstaaten der gescheiterten Rückführungen vor. 11. Inwieweit wird nach Ansicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde die Ausreisepflicht mit Ausnahme von Überstellungen nach dem Dubliner Übereinkommen in Hamburg noch sichergestellt? Durch selbstbestimmte Ausreise, selbstbestimmte Meldungen am Flughafen zur Abschiebung, Direktabschiebungen, Abschiebungen aus der Abschiebungs- und aus der Strafhaft. Drucksache 21/231 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Anlage 1. Wie viele Personen befanden sich in den vergangenen Jahren seit 1998 bis März monatlich im Durchschnitt in Abschiebehaft? 1998 Anzahl 2001 Anzahl 2004 Anzahl Jan 98 95 Jan 01 92 Jan 04 86 Feb 98 107 Feb 01 91 Feb 04 81 Mrz 98 100 Mrz 01 96 Mrz 04 70 Apr 98 91 Apr 01 97 Apr 04 75 Mai 98 95 Mai 01 89 Mai 04 96 Jun 98 84 Jun 01 86 Jun 04 74 Jul 98 102 Jul 01 113 Jul 04 65 Aug 98 90 Aug 01 125 Aug 04 52 Sep 98 93 Sep 01 100 Sep 04 70 Okt 98 75 Okt 01 99 Okt 04 57 Nov 98 99 Nov 01 105 Nov 04 85 Dez 98 94 Dez 01 113 Dez 04 69 1999 Anzahl 2002 Anzahl 2005 Anzahl Jan 99 79 Jan 02 93 Jan 05 60 Feb 99 93 Feb 02 105 Feb 05 80 Mrz 99 82 Mrz 02 106 Mrz 05 76 Apr 99 79 Apr 02 108 Apr 05 55 Mai 99 91 Mai 02 101 Mai 05 82 Jun 99 110 Jun 02 113 Jun 05 80 Jul 99 85 Jul 02 100 Jul 05 70 Aug 99 104 Aug 02 94 Aug 05 56 Sep 99 90 Sep 02 108 Sep 05 78 Okt 99 102 Okt 02 84 Okt 05 67 Nov 99 99 Nov 02 91 Nov 05 58 Dez 99 89 Dez 02 105 Dez 05 80 2000 Anzahl 2003 Anzahl 2006 Anzahl Jan 00 83 Jan 03 99 Jan 06 77 Feb 00 98 Feb 03 100 Feb 06 61 Mrz 00 98 Mrz 03 94 Mrz 06 61 Apr 00 102 Apr 03 94 Apr 06 82 Mai 00 84 Mai 03 95 Mai 06 67 Jun 00 84 Jun 03 96 Jun 06 59 Jul 00 97 Jul 03 97 Jul 06 68 Aug 00 84 Aug 03 104 Aug 06 72 Sep 00 87 Sep 03 83 Sep 06 59 Okt 00 98 Okt 03 106 Okt 06 51 Nov 00 99 Nov 03 92 Nov 06 44 Dez 00 89 Dez 03 91 Dez 06 45 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/231 5 1. Wie viele Personen befanden sich in den vergangenen Jahren seit 1998 bis März monatlich im Durchschnitt in Abschiebehaft? 2007 Anzahl 2010 Anzahl 2013 Anzahl Jan 07 60 Jan 10 32 Jan 13 4 Feb 07 61 Feb 10 30 Feb 13 4 Mrz 07 72 Mrz 10 39 Mrz 13 8 Apr 07 68 Apr 10 31 Apr 13 11 Mai 07 75 Mai 10 29 Mai 13 4 Jun 07 60 Jun 10 23 Jun 13 3 Jul 07 55 Jul 10 23 Jul 13 6 Aug 07 51 Aug 10 20 Aug 13 4 Sep 07 44 Sep 10 22 Sep 13 12 Okt 07 46 Okt 10 16 Okt 13 6 Nov 07 55 Nov 10 19 Nov 13 3 Dez 07 63 Dez 10 14 Dez 13 6 2008 Anzahl 2011 Anzahl 2014 Anzahl Jan 08 56 Jan 11 7 Jan 14 3 Feb 08 54 Feb 11 12 Feb 14 0 Mrz 08 58 Mrz 11 17 Mrz 14 3 Apr 08 64 Apr 11 16 Apr 14 6 Mai 08 51 Mai 11 8 Mai 14 8 Jun 08 59 Jun 11 22 Jun 14 8 Jul 08 51 Jul 11 14 Jul 14 3 Aug 08 38 Aug 11 19 Ende AH Sep 08 37 Sep 11 12 Okt 08 32 Okt 11 28 Nov 08 35 Nov 11 9 Dez 08 44 Dez 11 8 2009 Anzahl 2012 Anzahl Jan 09 31 Jan 12 7 Feb 09 43 Feb 12 11 Mrz 09 42 Mrz 12 8 Apr 09 29 Apr 12 5 Mai 09 22 Mai 12 1 Jun 09 30 Jun 12 6 Jul 09 23 Jul 12 12 Aug 09 27 Aug 12 6 Sep 09 33 Sep 12 13 Okt 09 30 Okt 12 11 Nov 09 33 Nov 12 10 Dez 09 33 Dez 12 8