BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/240 21. Wahlperiode 21.04.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dora Heyenn (fraktionslos) vom 14.04.15 und Antwort des Senats Betr.: Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Hamburg In Hamburg leben circa 1.300 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Der Fachdienst Asylbewerberbetreuung im Bezirksamt Hamburg-Mitte ist für alle nach Hamburg neu eingereisten minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge die erste zuständige jugendamtliche Stelle und stellt eine erste Beratung und Versorgung sicher. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Nach Anordnung des Senates über Zuständigkeiten im Kinder- und Jugendhilferecht liegt seit dem 1. März 2014 die Zuständigkeit der Inobhutnahme von unbegleiteten Minderjährigen gemäß § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 SGB VIII und der damit verbundenen jugendamtlichen Aufgaben sowie der Beendigung der Inobhutnahme durch Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch oder Übergabe an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten, bei der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. Wahrgenommen wird die Aufgabe durch den Fachdienst Flüchtlinge (FDF) beim Landesbetrieb Erziehung und Beratung. Hierzu siehe auch Drs. 20/8892. Dieses vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen unter anderem auf der Grundlage von Auskünften des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) wie folgt: 1. Wie ist der Fachdienst personell besetzt und wie viele minderjährige unbegleitete Flüchtlinge werden betreut und wie viele waren es zum Zeitpunkt April 2014 und April 2013? Bitte Zahl der Mitarbeiter, Schwerpunkt der Tätigkeit und Qualifikation jeweils zum Zeitpunkt April 2015, April 2014 und April 2013 anführen. Für die Wahrnehmung der Aufgaben der sogenannten Clearingstelle des Bezirksamts Hamburg-Mitte waren im April 2013 zwei pädagogische Fachkräfte mit der Qualifikation Sozialarbeiter/Sozialarbeiterin zuständig. Im April 2013 durchliefen 24 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge die Clearingstelle. Die Personalausstattung des Fachdienstes Flüchtlinge im April 2014 und April 2015 ergibt sich aus der nachfolgenden Tabelle: Anzahl/Qualifikation der Beschäftigten 15.04.2014 15.04.2015 Leitung 1 1 Verwaltung 2 3 pädagogische Fachkräfte 11 18 Betreute unbegleitete Minderjährige 85 529 Qualifikation der Leitung Dipl. Sozialpädagogin Dipl. Sozialpädagogin Drucksache 21/240 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Anzahl/Qualifikation der Beschäftigten 15.04.2014 15.04.2015 Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte 10 x Dipl.Sozialpädagogin/ 1 x Erzieherin plus Studium Rechtswissenschaften 15 x Dipl. Sozialpädagogin/ 1 x Erzieherin plus Studium Rechtswissenschaften/1 x Studium Sozial- u. Gesundheitsmanagement /1 x Studium Erziehungswissenschaften 2. Wie erfolgt die erste Beratung und mit welchem Fachpersonal wird diese durgeführt? 3. Inwieweit werden die kulturellen Besonderheiten der Flüchtlingsländer berücksichtigt? Der Erstkontakt dient der Klärung der Situation der Person und der Prüfung der Voraussetzungen für eine Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Nummer 3 SGB VIII. In einem Gespräch werden folgende Informationen ermittelt:  biografische Fakten, wie altersmäßige Einordnung in die Familienkonstellation, eigene Elternschaft, zeitliche Lage und Dauer eines Schulbesuchs, einer Arbeitstätigkeit oder ähnlicher Lebensphasen,  äußere Erscheinung, insbesondere deutlich postpubertäre Körpermerkmale, soweit im Rahmen einer Inaugenscheinnahme ohne Entkleiden oder Anwendung besonderer Untersuchungsmethoden erkennbar,  gegebenenfalls vorgelegte Dokumente zum Identitätsnachweis, soweit diese nicht offensichtlich für diesen Zweck untauglich sind, also die Identität und damit das Alter nicht glaubhaft feststellen lassen. Das Gespräch und die damit verbundene Alterseinschätzung wird von mindestens zwei sozialpädagogischen Fachkräften oder mindestens einer sozialpädagogischen Fachkraft und einer in der Sache kundigen Verwaltungskraft durchgeführt. Die mit einer Altersschätzung beauftragten Fachkräfte besitzen in der Regel langjährige Berufserfahrung im Umgang mit jungen Menschen. In Fällen, in denen auf ein Alter unter 18 Jahre nicht eindeutig geschlossen werden kann, wird zunächst ein Alter unter 18 Jahren nur angenommen, dieser Sachverhalt jedoch durch eine medizinische Altersfeststellung überprüft. Im Gespräch wird die Person über jede Entscheidung und das damit verbundene weitere Verfahren aufgeklärt. Bei bestehenden Zweifeln an der Minderjährigkeit erfolgt die Inobhutnahme unter Vorbehalt. Hierüber erhält die betroffene Person, wie auch bei der Ablehnung einer Inobhutnahme, einen rechtsmittelfähigen Bescheid. Die betroffene Person wird über Beratungsangebote für Flüchtlinge informiert. Im Gespräch werden für das Gespräch relevante, kulturelle Besonderheiten berücksichtigt . 4. Wie bewertet der Senat der gesundheitlichen Status der minderjährigen unbegleiteten Kinder und Jugendlichen? 5. Welche Erkrankungen werden bei minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen besonders häufig diagnostiziert? Bitte für den Zeitraum März 2013 bis März 2015 aufschlüsseln. Alle jungen Flüchtlinge werden nach § 36 Infektionsschutzgesetz und § 62 Asylverfahrensgesetz auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Röntgenaufnahme der Atmungsorgane untersucht. In diesem Zusammenhang werden der allgemeine Gesundheits- und der Impfstatus festgestellt, Impfungen angeboten sowie gegebenenfalls weitere diagnostische Abklärungen empfohlen. Bezüglich der meldepflichtigen Krankheiten nach dem Infektionsschutzgesetz gibt es für den erfragten Zeitraum folgende Diagnosen: 131 Fälle von Krätze, drei TBCVerdachts - und zwei -Erkrankungsfälle, drei Fälle von Infektionen mit multiresistenten Keimen sowie jeweils ein Fall von Lausbefall, Malaria und Borkenflechte. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/240 3 6. Inwieweit wird der volle Zugang zu medizinischen Leistungen entsprechend des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes gewährleistet? Die Erstversorgung unbegleiteter Minderjähriger findet im rechtlichen Rahmen einer Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII statt. Nach § 42 Absatz 2 ist während einer vorläufigen Schutzmaßnahme Krankenhilfe sicherzustellen. Diese Regelung gilt unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsstatus. Der in § 40 SGB VIII beschriebene Leistungsumfang entspricht dem der gesetzlichen Krankenversicherung. 7. Was waren die am häufigsten gewährten medizinischen Leistungen im Zeitraum März 2013 bis März 2015? Eine Dokumentation der im Einzelfall gestellten Diagnosen und erfolgten Behandlungen erfolgt ausschließlich beim behandelnden Arzt. Eine Statistik über medizinische Diagnosen und daraus resultierende medizinische Behandlungen von Minderjährigen in der Jugendhilfe, wird nicht geführt. 8. Wie viele minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sind derzeit in der geschlossenen Kinder und Jugendpsychiatrie untergebracht und wie viele waren es zum Zeitpunkt April 2014 und April 2013? Derzeit sind nach Auskunft der Krankenhäuser in den Kinder- und Jugendpsychiatrien des Katholischen Kinderkrankenhauses Wilhelmstift und dem Asklepios Klinikum Harburg keine unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in einer geschlossenen Abteilung untergebracht. Angaben zu 2014 und 2013 sind nicht möglich, da es im Dokumentationssystem der Krankenhäuser das Merkmal „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ nicht gibt. In der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik (KJP) des UKE befindet sich zum Stichtag 15. April 2015 kein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling in geschlossener Unterbringung. Im Monat April 2015 gab es bislang insgesamt zwei Fälle der geschlossenen Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in der KJP, im Monat April 2014 gab es zwei Fälle und im Monat April 2013 einen Fall. 9. Welche Traumazentren in Hamburg versorgen Flüchtlingskinder, einschließlich jener, die aus Ländern kommen, in denen kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden, und wie viele minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sind derzeit dort in Behandlung und wie viele waren es zum Zeitpunkt April 2014 und April 2013? In der Flüchtlingsambulanz des Ambulanzzentrums des UKE besteht ein ambulantes Angebot aus psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung auch für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Nach Auskunft des Ambulanzzentrums des UKE konnte eine Auswertung anhand der verfügbaren Datenlage nur im Hinblick auf minderjährig eingereiste, unbegleitete Flüchtlinge (Dateikriterium „nicht familienversicherte Flüchtlinge“) mit einer Altersgrenze bis zum vollendeten 20. Lebensjahr erfolgen, eine Differenzierung nach der Altersgrenze des vollendeten 18. Lebensjahres ist nicht möglich. Unter Maßgabe dieser Rahmenvorgaben befinden sich in der Flüchtlingsambulanz des UKE im Monat April 2015 bislang insgesamt 87 minderjährig eingereiste, unbegleitete Flüchtlinge in ambulanter Behandlung. Im Monat April 2014 waren es insgesamt 45 Fälle und im Monat April 2013 insgesamt 89 Fälle. Darüber hinaus befinden sich in der KJP des UKE unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in (nicht geschlossener) stationärer Behandlung. Im Monat April 2015 sind dies bisher zwei Fälle, im Monat April 2014 waren es ebenfalls zwei Fälle, im Monat April 2013 drei Fälle. 10. Auf welche therapeutischen/traumatherapeutischen Angebote beziehungsweise Hilfeleistungen können minderjährige unbegleitete Flüchtlinge zugreifen und unter welchen Voraussetzungen? Der Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) verfügt über ein eigenes Angebot einer Traumaerstberatung für junge Flüchtlinge. Drucksache 21/240 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die Flüchtlingsambulanz des Ambulanzzentrums des UKE ist auf die Erkennung und Behandlung von Traumafolgestörungen bei Minderjährigen spezialisiert. Darüber hinaus können alle kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen in Hamburg sowie alle niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten konsultiert werden. Im Übrigen siehe Drs. 20/13705. 11. Wie viele minderjährige unbegleitete Flüchtlinge und wie viele Kinder von Flüchtlingsfamilien werden zurzeit jeweils beschult und wie viele waren es jeweils zum Zeitpunkt April 2014 und April 2013? Das Merkmal „Flüchtling“ wird in der Schulstatistik nicht erhoben, da es kein relevantes Merkmal im Hinblick auf die Schulpflicht nach § 37 Hamburgisches Schulgesetz beziehungsweise das Recht auf einen Schulplatz bildet, siehe auch Drs. 20/13705 und 21/129.