BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2408 21. Wahlperiode 04.12.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Jens Meyer und Michael Kruse (FDP) vom 26.11.15 und Antwort des Senats Betr.: Oberbillwerder – Vorortsiedlung auf Kosten der Umwelt und Landwirtschaft Der Vorsitzende der Bergedorfer SPD, Herr Senator Thies Rabe, stellte vor Kurzem Pläne vor, nach denen auf circa 120 ha landwirtschaftlich genutzten Flächen, die sich im Eigentum der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) befinden, Wohnungsbau betrieben werden soll. Die mit diesem Vorstoß einhergehende Neuausrichtung der Hamburger Stadtentwicklungspolitik wurde wenige Tage später von Frau Senatorin Stapelfeld vor dem Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen bestätigt. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Aus welchen konkreten Gründen geht der Senat davon aus, dass die bisherige Stadtentwicklungspolitik der Innenentwicklung den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen nicht mehr gewachsen ist? Der derzeitige und absehbare Einwohnerzuwachs in Hamburg und die besondere Thematik der dauerhaften Unterbringung von Flüchtlingen, verbunden mit einer absehbaren erfolgreichen Ausschöpfung wesentlicher Konversionspotenziale und den im Flächennutzungsplan dargestellten Potentialen, bilden den Anlass, über punktuelle Stadterweiterungen in einer „wachsenden Stadt“ nachzudenken. 2. Liegt dem Senat eine aktuelle Bevölkerungsprognose vor, die bereits den Zuzug von Flüchtlingen und Asylbewerbern berücksichtigt? Wenn ja, bitte beifügen. Wenn nein, auf welcher Grundlage wird der mittel- beziehungsweise langfristig erforderliche Mehrbedarf an Wohnraum und sozialer Infrastruktur ermittelt? Nein. Die 13. Koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung des Bundes (veröffentlicht im April 2015) benennt für Hamburg ein Bevölkerungswachstum bis 2035 auf 1,90 Millionen Einwohner. Hierbei ist der aktuelle Zuzug von Flüchtlingen und Asylbewerbern nicht berücksichtigt. Zur Erläuterung siehe: https://www.statistiknord .de/fileadmin/Dokumente/Statistische_Berichte/bevoelkerung/A_I_8_j_HH/A_I_8_ j15_HH.pdf. Über die bisherige Zielzahl von 6.000 jährlich fertiggestellten Wohnungen hinaus werden weitere intensive Anstrengungen im Wohnungsbau erforderlich sein, um den Herausforderungen der wachsenden Einwohnerzahl und der wachsenden Haushalte wie auch der zusätzlichen Nachfrage durch den Zuzug von Flüchtlingen und Asylbewerbern gerecht zu werden. 3. Welche konkreten Flächen (Lage/Größe) außerhalb zusammenhängender Siedlungsbereiche sollen in den nächsten fünf Jahren für Woh- Drucksache 21/2408 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 nungsneubau sowie für die erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen umgenutzt werden? Welche Nutzung (beispielsweise Ackerland, Grünland ) haben die Flächen derzeit und wie ist die aktuelle Eigentumssituation ? Außerhalb der derzeitigen Siedlungskulisse des Flächennutzungsplans sollen kurzfristig die folgenden Flächen für Flüchtlingsunterkünfte mit der Perspektive Wohnen entwickelt werden. Die Flächen sind derzeit als Grünflächen beziehungsweise Flächen für die Landwirtschaft (Kategorien des Flächennutzungsplans) genutzt. Erforderliche Ausgleichsmaßnahmen werden im weiteren Planungsprozess bestimmt. Siehe Drs. 21/1838. Derzeit werden die Flächen Haferblöcken, Duvenacker, Ohlendieck- Poppenbüttler Berg und Glashütter Landstraße als Ackerland und die Flächen Mittlerer Landweg und Am Rehagen als Grünland genutzt. Belegenheit Fläche in ha ca. Stadtteil Eigentumsverhältnisse Östlich Haferblöcken und Haßloredder Noch nicht konkretisiert Billstedt FHH und privat Duvenacker 1,1 Eidelstedt FHH Ellerbeker Weg 2,3 Schnelsen FHH und privat Rehagen 5,0 Hummelsbüttel FHH Glashütter Landstraße 5,0 Hummelsbüttel FHH Poppenbüttler Berg/ Ohlendiek 8,2 Poppenbüttel FHH Gleisdreieck Billwerder 8,0 Billwerder FHH 4. Welche konkreten Flächen (Lage/Größe) außerhalb zusammenhängender Siedlungsbereiche sollen in den nächsten zehn Jahren für Wohnungsneubau sowie für die erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen umgenutzt werden? Welche Nutzung (beispielsweise Ackerland, Grünland ) haben die Flächen derzeit und wie ist die aktuelle Eigentumssituation ? Konkrete Planungen gibt es hierzu derzeit noch nicht. 5. Inwiefern hat der Senat mit den aktuellen Pächtern der Hamburger Staatspachthöfe, die von den Planungen zu Oberbillwerder betroffen sind, über die voraussichtlich anstehenden Nutzungsänderungen gesprochen? a. Bis wann laufen die aktuellen Pachtverträge für die Hamburger Staatspachthöfe? b. Plant der Senat diese Pachtverträge zu verlängern? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Wenn nein, warum nicht? Aufgrund der bisher noch nicht abgeschlossenen und nicht konkretisierten Planungen sind bisher keine Gespräche mit den betroffenen Pächtern geführt worden. Die Pachtverträge laufen regulär zum Ende des Jahres 2016 aus. Im Übrigen hat sich der Senat hiermit nicht befasst. 6. Wie bewertet der Senat die Widersprüche, die sich aus den aktuellen Planungen zur verstärkten Nutzung von Flächen außerhalb zusammenhängender Siedlungsbereiche und dem im BauGB verankerten Grundsatz der Flächensparsamkeit (Innenentwicklung vor Außenentwicklung) ergeben? (Auszug BauGB: §1a Absatz 2 BauGB - Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden; dabei sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen. Landwirtschaftlich, als Wald Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2408 3 oder für Wohnzwecke genutzte Flächen sollen nur im notwendigen Umfang umgenutzt werden. (…) Die Notwendigkeit der Umwandlung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen soll begründet werden ; dabei sollen Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung zugrunde gelegt werden, zu denen insbesondere Brachflächen, Gebäudeleerstand, Baulücken und andere Nachverdichtungsmöglichkeiten zählen können.“) 7. Wie bewertet der Senat die Widersprüche, die sich aus den aktuellen Planungen zur verstärkten Nutzung von Flächen außerhalb zusammenhängender Siedlungsbereiche und den Aussagen des Koalitionsvertrages ergeben? (Auszug Koalitionsvertrag: „Innenentwicklung hat Vorrang. Um den galoppierenden Flächenfraß zu stoppen, muss Innenentwicklung Vorrang vor Außenentwicklung haben. Flächenverschwendendes Bauen, Leerstand und Zweckentfremdung müssen wirksam eingedämmt werden . Qualitätsziele für die Innenentwicklung sind Flächeneffizienz, bevorzugte Nutzung von Konversionsflächen, urbane Dichte mit hoher Freiraumqualität.“) Das Ziel der Innenentwicklung gilt unverändert. Das Leitziel „Mehr Stadt in der Stadt“ gilt. Darüber hinaus wird auch bei Stadtentwicklungsflächen auf eine möglichst flächensparende und den Naturraum schonende Bauweise geachtet. Im Übrigen siehe Antwort zu 1. 8. Wie bewertet der Senat die Widersprüche, die sich aus den aktuellen Planungen zur verstärkten Nutzung von Flächen außerhalb zusammenhängender Siedlungsbereiche und den Zielstellungen des agrarpolitischen Konzeptes des Senats ergeben? (Auszug agrarpolitisches Konzept: „Der Senat wird zur Wahrung agrarstruktureller Belange, zur Aufrechterhaltung der wirtschaftspolitischen Handlungsfähigkeit der Stadt und zur auch zukünftig gesetzeskonformen Umsetzung der naturschutzfachlichen Ausgleichsregelung die knappe Ressource „Agrarflächen“ möglichst flächensparend nutzen. Bei der Bewirtschaftung stadteigener Flächen sollen die Möglichkeiten ausgeschöpft werden, den Betrieben der Agrarwirtschaft ein hohes Maß an betrieblicher Planungssicherheit zu gewährleisten.“) Zur Zeit der Beschlussfassung des „Agrarpolitischen Konzepts 2020“ waren die aktuellen Entwicklungen, die sich aus der Notwendigkeit der Flüchtlingsunterbringung ergeben, noch nicht absehbar. Aufgrund des akuten Raumbedarfs für die Unterbringung von Flüchtlingen ist es erforderlich, dass auch die Landwirtschaft einen Beitrag leistet. Im Rahmen eines fairen Lastenausgleichs streben die zuständigen Behörden sozialverträgliche Lösungen mit den betroffenen landwirtschaftlichen Betrieben an und werden soweit wie möglich Ersatzflächen zur Verfügung stellen.