BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/243 21. Wahlperiode 21.04.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Carsten Ovens (CDU) vom 14.04.15 und Antwort des Senats Betr.: Aufschüttung der Aue Hagendeel zur Errichtung einer Unterkunft für rund 300 Bewohner Die Kollau, insbesondere im Norden des Stadtteils Lokstedt, ist ein idyllisches Gebiet; Einzelhausbebauung mit viel Grün grenzt direkt an das Niendorfer Gehege. Der Wasserlauf ist seit einigen Monaten jedoch in den politischen Fokus gerückt. Es geht um das auszuweisende Überschwemmungsgebiet (ÜSG) entlang der Kollau. Der Senat weist aktuell Überschwemmungsgebiete auf Grundlage behördlicher Ermittlungen nach dem Wasserhaushaltsgesetz aus. Dies soll in sogenannten Risikogebieten erfolgen, also Flächen auf denen ein signifikantes Hochwasserrisiko besteht. Dabei beinhaltet das Risiko sowohl die Wahrscheinlichkeit , mit der das Gebiet von Überflutungen betroffen ist als auch die nachteiligen Folgen einer Überflutung in diesem Gebiet für die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kulturerbe, wirtschaftliche Tätigkeiten und vorhandene Sachwerte. Große Sorge bereitet den Anwohnern im Fall des ÜSG Kollau dabei auch die geplante Aufschüttung der letzten erhaltenen Aue Hagendeel, die als einzig verbleibendes größeres Auffangbecken bei Überflutungen dienen kann. Befürchtet wird, dass die großflächige Versieglung des Bodens die Problematik vor Ort noch verschärfen wird. Diese Aufschüttung soll erfolgen, um eine dringend benötigte Unterkunft für Flüchtlinge errichten zu können. Die bislang vorgelegten Pläne bezogen sich hierbei lediglich auf eine teilweise Aufschüttung dieses Gebietes zur Errichtung einer Unterkunft für rund 300 Bewohner. Nach neuen Plänen, die nun überraschend vorgelegt wurden, soll jedoch noch eine zweite Unterkunft ungefähr gleicher Größe auf der restlichen Aue gebaut werden. Bereits im Winter musste der Senat in Sachen ÜSG Kollau zurückrudern, kündigte eine erneute Überprüfung an, da sich die Einsprüche der Anwohner gegen die Berechnungsgrundlage häuften. Auf Basis dieser mangelhaften Vorberechnungen soll nun offensichtlich dennoch eine noch viel größere Fläche dauerhaft bebaut werden. Die Auswirkungen einer Aufschüttung der Aue Hagendeel für die umliegende Nachbarschaft sind bislang nur unzureichend bekannt. Eine mittels politischen Drucks überhastet durchgesetzte zusätzliche Vergrößerung der aufgeschütteten Fläche kann daher nicht im Sinne des eigenen Senatsanspruchs einer „ordentlichen Regierung“ sein. Drucksache 21/243 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Der Senat plant seit Ende 2013, auf der Fläche am Hagendeel (Flurstück Lokstedt 191) eine Einrichtung zur Unterbringung von Wohnungslosen und Flüchtlingen zu errichten. Zu diesem Vorhaben wurde die Bezirksversammlung Eimsbüttel mit Schreiben vom 20. Dezember 2013 angehört, sie hat in ihrem Beschluss vom 30. Januar 2014 die Einrichtung des Standortes begrüßt. In einer öffentlichen Informationsveranstaltung am 2. Juni 2014 wurde die Öffentlichkeit über das Vorhaben und auch über die wasserwirtschaftlichen Auswirkungen der geplanten Aufschüttung informiert. Zu diesem Zeitpunkt war der Eigentümer der Fläche – ein privater Dritter – bereits seit mehreren Jahren im Besitz einer Baugenehmigung, die die Aufschüttung der Fläche erlaubte. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Einrichtung des Hochwasserschutzgebietes war der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) beauftragt worden, die Auswirkungen der geplanten Aufschüttung auf Hochwasserereignisse zu berechnen. Er war in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die konkret geplante Aufschüttung keine negativen Auswirkungen auf ein Hochwasser der Alten Kollau hat. Die damals vorgestellte Planung für den Unterbringungsstandort umfasste 13 Pavillongebäude , die auf einer Teilfläche der aufzuschüttenden Fläche errichtet werden sollten. Die übrige aufzuschüttende Fläche sollte vom Eigentümer anderweitig genutzt werden. Die nun vorliegende Planung für eine Erweiterung des Standortes bezieht sich auf diese zweite Teilfläche. Die Aufschüttungsfläche, auf die sich die Berechnung des LSBG bezieht, würde damit in keiner Weise verändert. Zusätzliche Auswirkungen auf das Hochwassergeschehen, die in den bisherigen Berechnungen nicht berücksichtigt waren, ergeben sich daher nicht. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Seit wann ist der Anstieg des Unterbringungsbedarfs für Flüchtlinge bekannt? Die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge und Asylbewerber steigt seit 2012 kontinuierlich an. Das Gleiche gilt für die Zahl der in Hamburg unterzubringenden Flüchtlinge. Zum Zeitpunkt der Anhörung der Bezirksversammlung im Dezember 2013 ging die Fachbehörde von einem Bedarf von 3.700 neuen Unterbringungsplätzen für 2014 aus, tatsächlich kamen in diesem Jahr 6.026 Flüchtlinge mit Unterbringungsbedarf nach Hamburg. Auch für das Jahr 2015 erwartet der Senat einen weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen und des Bedarfs an Unterbringungsplätzen, siehe Drs. 21/217. 2. Zu welchem Zeitpunkt war klar, dass zur Unterbringung der zusätzlichen Flüchtlinge die geplante Einrichtung auf dem Hagendeel 60 vergrößert werden soll? Die zuständigen Fachbehörden und die Bezirke haben seit Jahresbeginn 2015 geprüft, welche Flächen durch die Änderung des Baugesetzbuches (BauGB) neu für die öffentlich-rechtliche Unterbringung zur Verfügung stehen, und welche geplanten und bestehenden Standorte der öffentlich-rechtlichen Unterbringung die räumliche Kapazität für mehr als die geplanten Plätze haben. Ein Gespräch zwischen der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI), der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU), der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI), dem Landesbetrieb für Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG), dem Bezirksamt Eimsbüttel und f & w fördern und wohnen AöR (f&w) über mögliche Flächen in Eimsbüttel hat am 5. Februar 2015 stattgefunden. Einer der dabei identifizierten Standorte ist der geplante Standort Hagendeel, bei dem der zweite Teil der bereits genehmigten Aufschüttungsfläche hinzugemietet werden könnte, um weitere Gebäude für die Unterbringung zu errichten. Am 20. Februar 2015 und erneut am 20. März 2015 ist die Lenkungsgruppe „Integration öffentlich-rechtliche Unterbringung und ZEA in die gesamtstädtische Flächenverwertung und Planung“ über den Stand der Sondierungen informiert worden. Die Fraktionen der Bezirksversammlungen wurden am 8. April 2015 über die Ergebnisse unterrichtet. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/243 3 Derzeit laufen Mietvertragsverhandlungen zwischen dem Eigentümer der Fläche und f&w, die noch nicht abgeschlossen sind. 3. Welche Alternativen, beispielsweise in anderen Stadtteilen, wurden geprüft? Wie bewertet der Senat, dass der Stadtteil Lokstedt binnen kürzester Zeit gleich mehrere Unterkünfte, unter anderem eine Zentrale Erstaufnahme sowie mehrere größere Einrichtungen aufgenommen hat – auch im Vergleich zu anderen Stadtteilen? Angesichts des dringenden Bedarfs an weiteren Unterbringungsplätzen können geeignete und verfügbare Grundstücke nicht alternativ geprüft werden. Die zuständige Fachbehörde und die Bezirke sind vielmehr beauftragt, alle für die Unterbringung von Wohnungslosen und Flüchtlingen geeigneten Grundstücke und Immobilien zu prüfen, um möglichst schnell ausreichend viele Plätze schaffen zu können. Zu den derzeit in konkreter Planung befindlichen neuen Standorten siehe Drs. 21/131. Zu den weiteren in Prüfung befindlichen Standorten nach Änderung des Baugesetzbuches siehe Drs. 21/217. Aus dem Bezirk Eimsbüttel liegen derzeit keine weiteren Flächenvorschläge vor, deren Verwirklichung bereits absehbar ist. In Lokstedt befinden sich mit den Standorten Niendorfer Straße (ZEA, 320 Plätze), Lokstedter Höhe (140 Plätze), Grandweg/An der Lohbek (150) und Lohkoppelweg (38) derzeit insgesamt 648 Plätze. Der Standort Lokstedter Höhe wird zum Ende des Jahres abgebaut werden, der Standort Hagendeel wird nach den aktuellen Planungen 2016 eröffnet werden. Während es in Hamburg eine Reihe von Stadtteilen gibt, in denen keine oder weniger Plätze zur Unterbringung von Flüchtlingen existieren, finden sich in anderen Stadtteilen deutlich mehr Plätze. Die zuständigen Behörden sind bemüht, eine gleichmäßige Verteilung der Plätze über das gesamte Stadtgebiet zu erreichen, angesichts des dringenden Platzbedarfes kann das aber nur ein Auswahlkriterium von vielen sein. 4. Welche Maßnahmen hat der Senat getroffen, um direkte Anwohner rechtzeitig zu informieren und in die Planungsprozesse einzubeziehen? Inwiefern haben Senat und Bezirksamt hier im Sinne einer bürgerorientierten Politik Hand in Hand gearbeitet? Grundsätzlich werden die Anwohner neuer Standorte der öffentlich-rechtlichen Unterbringung im Rahmen des Anhörungsverfahrens in Informationsveranstaltungen informiert . Zur Information der Anwohner über die bisherigen Planungen am Hagendeel siehe Vorbemerkung. Eine weitere Information der Anwohner ist geplant, wenn sich die Pläne für eine Erweiterung konkretisieren. Fachbehörden und Bezirksverwaltung arbeiten bei der Schaffung neuer Unterbringungskapazitäten in enger Abstimmung. 5. Wie schätzt der Senat die Stimmung vor Ort ein? Bislang zeigt sich der Stadtteil Lokstedt in Sachen bürgerliches Engagement zur Unterstützung der vor Ort untergebrachten Flüchtlinge sehr vorbildlich. Sieht der Senat Risiken, dass sich dieser Zustand durch die vollzogene Bürgerinformation und -beteiligung ändern könnte? Der Senat begrüßt das Engagement vieler Lokstedter Bürgerinnen und Bürger bei der Integration der im Stadtteil untergebrachten Flüchtlinge und dankt den Ehrenamtlichen für ihre Tätigkeit. Von Spekulationen über Stimmungen in der Bevölkerung sieht der Senat ab. Im Übrigen siehe Antwort zu 3. und Vorbemerkung. 6. Beabsichtigen der Bürgermeister und der Senat, sich an ihr Versprechen aus dem Ende der letzten Legislaturperiode zu halten und Baumaßnahmen auf der Fläche Hagendeel 60 erst auf der Basis einer neuen, sachgerechten wasserwirtschaftlichen Berechnung vorzunehmen und nicht vor der Fertigstellung dieser Berechnungen vollendete Tatsachen schaffen zu lassen? Drucksache 21/243 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Die wasserwirtschaftliche Berechnung des vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebietes der Kollau ist sachgerecht und hat Bestand. Die Berechnung wird derzeit mit einer neuen Berechnungsmethode überprüft, die die bisherige Berechnungsmethode ergänzt und verfeinert. Hierdurch wird eine noch genauere Ermittlung der Wasserstände bei Hochwasser erreicht, siehe auch Drs. 20/14394. Eine Zurückstellung der beabsichtigten Baumaßnahmen ist deshalb weder beabsichtigt, noch wurde eine solche vom Senat oder auch durch den Ersten Bürgermeister versprochen. Die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten erfolgt im Übrigen nach sorgfältiger Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und Prüfung ihrer Anregungen und Einwendungen . Dazu werden aktualisierte zweidimensionale Berechnungen durchgeführt. Es wird auch geprüft, ob im Einzelfall durch bauliche Maßnahmen (Rückhaltebecken) die Überschwemmungsgefahr vermindert werden kann. Der Senat wird gewährleisten, dass in den Verordnungen generelle Ausnahmetatbestände festgeschrieben werden.