BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2484 21. Wahlperiode 11.12.15 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels (FDP) vom 03.12.15 und Antwort des Senats Betr.: Belastung der Hamburger Justiz – Situation der Verwaltungsgerichtsbarkeit Durch die gestiegenen Zahlen in den Asylverfahren steht die Verwaltungsgerichtsbarkeit vor Herausforderungen. Zudem sind die Anforderungen an die Verfahrensbearbeitung stark angestiegen. Die Verfahren sind komplexer geworden und die zunehmende Belastung wird offenkundiger. Verlässliche Standards in der Rechtsprechung und effektivere Verfahrensabläufe durch Eröffnung einer weiteren Instanz (Oberverwaltungsgericht) wurden auf der Justizministerkonferenz am 12. November 2015 in Berlin gefordert. Änderungen im Asylverfahrensrecht sollen Verbesserung bringen. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Wie haben sich die Zahlen der Neuzugänge von 2010 bis zum 3. Quartal 2015 am Hamburger Verwaltungsgericht bezogen auf a. Klagen in allgemeinen Sachen, b. Klagen in Asylsachen, c. Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz in allgemeinen Sachen, d. Verfahren im asylrechtlichen Eilverfahren entwickelt? Die erbetenen Daten ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle: Verwaltungsgericht Hamburg - Neuzugänge- 2010 2011 2012 2013 2014 2015 bis III. Quartal Klagen in allgemeinen Sachen 2.011 1.761 1.858 2.259 1.860 1.241 Klagen in Asylsachen 395 405 783 889 1.386 1.398 Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz in allgemeinen Sachen 3.294 3.319 3.746 3.859 2.952 2.428 Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz in Asylsachen 130 138 301 454 958 1.080 2. Wie stellen sich die durchschnittlichen Verfahrensdauern am Verwaltungsgericht und am Oberverwaltungsgericht von 2010 bis zum 3. Quartal 2015 dar, auch im Vergleich zum Bundesdurchschnitt? Die Daten für das Verwaltungsgericht Hamburg und das Hamburgische Oberverwaltungsgericht sowie die Zahlen im Bundesdurchschnitt sind den folgenden Tabellen zu entnehmen: Drucksache 21/2484 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Verwaltungsgericht Hamburg - Durchschnittliche Verfahrensdauern in Monaten 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Stand im 3. Quartal Klagen in allgemeinen Sachen 14,0 14,3 15,3 13,5 13,9 14,3 Klagen in allgemeinen Sachen Bundesdurchschnitt * 11,0 11,0 9,7 8,6 10,3 Klagen in Asylsachen 19,4 17,4 13,7 10,7 9,7 8,8 Klagen in Asylsachen Bundesdurchschnitt * 9,1 9,2 10,5 9,2 8,6 Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz in allgemeinen Sachen 1,5 1,5 1,5 1,6 1,7 1,3 Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz in allgemeinen Sachen Bundesdurchschnitt * 2,3 2,5 2,5 2,2 2,3 Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz in Asylsachen 0,9 2,1 1,6 1,2 1,6 2,7** Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz in Asylsachen Bundesdurchschnitt * 0,7 1,0 0,7 0,8 1,1 Oberverwaltungsgericht Hamburg - Durchschnittliche Verfahrensdauern in Monaten 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Stand im 3. Quartal Klagen 27,3 27,5 35,6 32,0 18,3 13,3 Klagen Bundesdurchschnitt * 15,7 15,8 14,8 16,2 15,3 Berufungen und Berufungszulassungen in allgemeinen Sachen 15,5 20,5 16,3 13,1 11,7 12,0 Berufungen und Berufungszulassungen in allgemeinen Sachen Bundesdurchschnitt * 10,6 9,9 10,8 10,9 11,1 Berufungen und Berufungszulassungen in Asylsachen 20,4 58,6 39,6 12,3 14,0 0,2 Berufungen und Berufungszulassungen in Asylsachen Bundesdurchschnitt * 10,7 7,4 6,6 5,6 7,2 Beschwerden im einstweiligen Rechtsschutz in allgemeinen Sachen 4,2 3,7 4,2 3,7 2,7 4,4 Beschwerden im einstweiligen Rechtsschutz in allg. Sachen Bundesdurchschnitt * 3,4 3,0 2,9 3,3 3,1 * Bundesdurchschnittswerte liegen für das Jahr 2015 noch nicht vor. ** Längere Verfahrensdauer durch verstärkten Abbau älterer Verfahren, siehe Drs. 21/2272. 3. Wie stellt sich die Entwicklung bei der Richterbesetzung beim Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht von 2010 bis zum 3. Quartal 2015 dar, auch im Vergleich zu den anderen Bundesländern? Auf Basis der Personalverwendungsstatistik hat sich die Richterbesetzung wie folgt entwickelt: Richterbesetzung * 2010 2011 2012 2013 2014 2015 bis 3. Quartal  Richter gesamt am Verwaltungsgericht Hamburg 46,1 44,9 45,7 45,3 44,2 46,5  Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2484 3 Richterbesetzung * 2010 2011 2012 2013 2014 2015 bis 3. Quartal  Richter gesamt am Oberverwaltungsgericht Hamburg 17,5 16,6 16,4 15,1 15,4 15,9  * Die Daten der anderen Länder liegen außerhalb des Verantwortungsbereichs des Senats und der parlamentarischen Kontrolle der Bürgerschaft und werden daher vom parlamentarischen Fragerecht nicht erfasst. 4. Welche krankheitsbedingte Fehlzeitenquote ist für das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht in den Jahren 2010 bis 2015 für die Richterinnen und Richter sowie für das Personal im Servicebereich festgestellt worden, auch im Vergleich zum Durchschnitt in der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit der Freien und Hansestadt Hamburg? Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Geschäftsstellen der Gerichte werden in dem Datenauswertungssystem in der Berufsgruppe „Bürofach- und Bürohilfskräfte“ erfasst. Nach mehreren Systemumstellungen ergibt sich folgende Situation: Es stehen keine Daten zu Fehlzeiten vor 2011 zur Verfügung. Für die Jahre 2011 und 2012 liegen die Daten nur in der unten aufgeführten Struktur vor und sind daher lediglich bedingt mit den Folgejahren vergleichbar. Ab dem Jahr 2013 sind die Daten konsolidiert für Verwaltungsgericht (VG), Oberverwaltungsgericht (OVG), Amtsgericht (AG), Landgericht (LG) und Oberlandesgericht (OLG) – jeweils bezogen auf die jeweilige Berufsgruppe – abrufbar. 2011 Bürofach- und Bürohilfskräfte Richterinnen und Richter VG (ohne Leitungsbereich) 10,0% 2,3% OVG (ohne Leitungsbereich) 9,2% 0,6% AG-Mitte (ohne Leitungsbereich) 9,3% 2,3% AG-Altona 9,6% 0,9% AG-Barmbek 9,5% 1,0% AG-Bergedorf 6,3% 2,6% AG-Blankenese 5,7% 0,3% AG-Harburg 7,3% 3,3% AG-St. Georg 8,5% 2,4% AG-Wandsbek 10,6% 0,7% LG (ohne Leitungsbereich) 11,0% 1,7% OLG (ohne Leitungsbereich) 9,5% 2,2% 2012 Bürofach- und Bürohilfskräfte Richterinnen und Richter VG (ohne Leitungsbereich) 10,0% 2,6% OVG (ohne Leitungsbereich) 8,4% 0,3% AG- Mitte (ohne Leitungsbereich) 7,7% 1,6% AG-Altona 11,6% 1,2% AG-Barmbek 7,4% 2,0% AG-Bergedorf 9,9% 3,3% AG-Blankenese 7,3% 0,5% AG-Harburg 8,2% 1,6% AG-St. Georg 8,2% 1,0% AG-Wandsbek 9,4% 1,3% LG (ohne Leitungsbereich) 8,1% 1,5% Drucksache 21/2484 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 2012 Bürofach- und Bürohilfskräfte Richterinnen und Richter OLG (ohne Leitungsbereich) 11,2% 1,9% 2013 Bürofach- und Bürohilfskräfte Richterinnen und Richter VG 12,4% 3,9% OVG 12,6% 2,3% AG 8,4% 1,8% LG 9% 1,4% OLG 8% 2,2% 2014 Bürofach- und Bürohilfskräfte Richterinnen und Richter VG 11,8% 3,7% OVG 22% 0,9% AG 7,8% 2% LG 8,6% 1% OLG 9,2% 2,3% 2015 (bis Oktober) Bürofach- und Bürohilfskräfte Richterinnen und Richter VG 13,5% 3,6% OVG 16,2% 1,3% AG 8,4% 1,8% LG 9% 1,4% OLG 8% 1% 5. Wie viele Ausbildungsplätze für Justizvollzugsangestellte gibt es am Verwaltungsgericht? Justizvollzugsbedienstete gibt es nur im Justizvollzug, nicht im Verwaltungsgericht. a. Wie hat sich die Zahl der Ausbildungsplätze von 2010 bis 2015 verändert ? b. Gibt es ausreichend Zahl an Bewerberinnen und Bewerber für die Ausbildungsplätze? Welche Maßnahmen plant die zuständige Behörde, um mehr Bewerberinnen und Bewerber zu gewinnen? c. Gibt es Ausbildungsplätze die unbesetzt sind? Wenn ja, wie viele und warum? d. Wie ist die Besoldung geregelt im Vergleich zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes? e. Wie hoch ist die krankheitsbedingte Fehlzeitenquote für Justizvollzugsangestellte am Verwaltungsgericht? Wie hat sich diese in den Jahren 2010 bis 2015 entwickelt, auch im Vergleich zu Justizfachangestellten in der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit? Entfällt. 6. Wird dem Hamburger Verwaltungsgericht Personal aus dem zentralen Stellenpool noch im Jahr 2015 zugewiesen (Drs. 21/1979 vom 20.10.2015)? Wenn ja, wie viele Stellen und wohin? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2484 5 Wenn nein, warum nicht und hat der Senat bisher geplant dem Hamburger Verwaltungsgericht Stellen aus dem Pool zuzuweisen (bitte begründen )? Nein, da die Verwaltungsgerichte direkt verstärkt wurden, zuletzt über die Maßnahmen aus der Drs. 21/1395. 7. Wie bewertet der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die Belastungssituation am Verwaltungsgericht anhand a. der zunehmenden Verlagerung der Hauptlast der Ermittlungstätigkeit in das gerichtliche Verfahren, b. der gestiegenen Komplexität der gerichtlichen Verfahren? Die Belastungssituation der Gerichte – auch der Verwaltungsgerichte – ist zurzeit Gegenstand eines Bewertungsprozesses, der noch nicht abgeschlossen ist (siehe Drs. 21/2307). 8. Wie viel zusätzliches Personal benötigt das Verwaltungsgericht, um die Neuzugänge, insbesondere im Asylverfahren und in asylrechtlichen Eilverfahren , besser bearbeiten zu können? Zu Beginn des Jahres 2016 werden die in 2015 beschlossenen Personalverstärkungen im richterlichen und nichtrichterlichen Bereich umgesetzt sein. Die zuständige Behörde wird die Entwicklung weiter laufend beobachten und gegebenenfalls nachsteuern . 9. Wie bewertet der Senat die Belastungssituation am Oberverwaltungsgericht , gerade vor dem Hintergrund der überproportional aufwändiger gewordenen Verfahren, wie zum Beispiel im Medienrecht, im Telekommunikationsrecht , in Normkontrollverfahren gegen Bebauungspläne sowie im Hochschulzulassungsrecht? Welche Konsequenzen zieht die zuständige Behörde daraus? Welche Veränderungen, Verbesserungen in der Binnenorganisation könnten zu mehr Effektivität beitragen? Siehe Antwort zu 7. a. und. 7. b. 10. Gibt es aus Sicht des Senats in der Freien und Hansestadt Hamburg bei den Behörden im Laufe von Prozessen die Tendenz, Verfahren nach der VwGO trotz Niederlagen in der Vorinstanz und trotz geringer Erfolgsaussichten bis in die letzte Instanz weiterzuverfolgen? Wenn ja, in wie vielen Fällen? Wie wird dem vonseiten des Senates beziehungsweise der zuständigen Behörde im Interesse einer handlungsfähigen Justiz entgegengewirkt? Auch diese Frage ist Gegenstand des unter 7. a und 7. b. beschriebenen Bewertungsprozesses . 11. Wie ist der aktuelle Stand zur Forderung auf der Justizministerkonferenz vom 12. November 2015, bei asylrechtlichen Eilverfahren eine weitere Instanz (Oberverwaltungsgericht) zu eröffnen? Wodurch soll damit eine Entlastung herbeigeführt werden? Die von der Justizministerkonferenz zum Thema „Asylprozess“ eingesetzte Arbeitsgruppe hat ihre Arbeit am 25. November 2015 aufgenommen. Der zwischenzeitlich von Niedersachsen und Hamburg vorgelegte Gesetzesvorschlag zur Einführung einer Zulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung in asylrechtlichen Eilverfahren wird dort in der Unterarbeitsgruppe „Rechtsmittel“ unter Beteiligung Hamburgs behandelt. Ein Bericht der Arbeitsgruppe soll bis März erarbeitet werden. Ob und gegebenenfalls in welcher Form der hamburgisch/niedersächsische Vorschlag davon unabhängig weiterverfolgt wird, soll nach einer Bewertung durch die Unterarbeitsgruppe entschieden werden. Drucksache 21/2484 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 Die Entlastungswirkung einer solchen Beschwerdemöglichkeit liegt darin, dass durch schnellere obergerichtliche Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen Rechtsklarheit und -einheit geschaffen wird, was die Arbeit für die Eingangsinstanz erleichtert.