BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2578 21. Wahlperiode 18.12.15 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Nockemann (AfD) vom 11.12.15 und Antwort des Senats Betr.: Mangelnde Kontrolle salafistischer Moscheen durch die muslimischen Trägerverbände in Hamburg Die Ermittlungen des Verfassungsschutzes gegen islamischfundamentalistische Vereinigungen in der Hansestadt Hamburg haben ergeben , dass gegenwärtig mehrere Moscheen dem salafistischen Spektrum angehören. Neben Barmbek-Nord, wo im Februar 2015 die As-Sahaba- Moschee wegen der islamistischen Agitation des Salafisten-Predigers Baher Ibrahim1 ins Fadenkreuz der Staatsschützer geriet2, hat nun auch der Stadtteilrat Wilhelmsburg die Existenz dreier salafistischer Moscheen eingeräumt.3 Diese Stellungnahme lässt erkennen, dass sich die im Verfassungsschutzbericht 2014 skizzierte Bedrohungslage in Harburg bis heute offenbar weiter verschärft hat. Wurde zunächst noch die Taqwa-Moschee als „wichtigster Anlaufpunkt“ der Salafisten-Szene Hamburgs genannt4, während man der ebenfalls in Harburg gelegenen Masjid-El-Iman-Moschee lediglich einen signifikanten Anstieg des salafistischen Einflusses diagnostizierte5, ist nun auch ein dritter, bisher nicht namentlich genannter Moscheeverein mit dem Salafismus in Verbindung gebracht worden. Damit zeichnet sich eine Tendenz ab, der zufolge der Süden Hamburgs bereits seit Jahren als Dreh- und Angelpunkt islamistischer Gruppierungen fungiert. Zwar ist es aus heutiger Sicht kaum möglich, diese Entwicklung zeitlich exakt zu bestimmen, wohl aber lassen sich Rahmen setzen, die eine Betrachtung im Grobraster erlauben . Nimmt man zur Kenntnis, dass mit Mohammed Atta und Marwan Al-Shehhi gleich zwei Attentäter des 11. September 2001 in Harburg lebten und Teil von dessen islamischer Community gewesen sind, und berücksichtigt man, dass Pierre Vogel – seit Langem einer der bedeutendsten Protagonisten der deutschen Salafisten-Szene – im Herbst 2014 seinen Wohnsitz vorüberge- 1 Baher Ibrahim alias Abu Abdullah gilt als einer der berüchtigtsten Verfechter des Salafismus in Deutschland. Confer Verfassungsschutzbericht Hamburg 2014 (im Folgenden VSH 2014). Seite 44; weiterführend: „Abu Abdullah“: Salafistischer Prediger in der As-Sahaba-Moschee aktiv. Beitrag der Behörde für Inneres und Sport vom 30.Januar 2015. 2 Confer Barmbeker Moschee schließt Salafisten-Prediger aus. „Hamburger Abendblatt“ Online am 27.2.2015. 3 Wie Salafisten in Wilhelmsburg Einfluss nehmen. Confer Ibidem am 16.10.2015. 4 VSH 2014. Seite 46. 5 Confer Ibidem. Drucksache 21/2578 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 hend nach Harburg verlegte6 wird die Bedeutung der Stadtregion plötzlich klar – bereits vor 15 Jahren ist sie gleichermaßen Rückzugs- wie Aktionsraum internationaler Jihadisten gewesen und wird in dieser Weise noch heute von deutschen Salafisten genutzt. Besorgniserregend ist zudem, dass Salafisten mittlerweile auch außerhalb der oben genannten Moscheen aktiv sind, immer wieder werbend auf Jugendliche zugehen und damit das Straßenbild negativ prägen. Im Staatsvertrag, den die Hansestadt Hamburg im Juni 2013 mit drei islamischen Trägerverbänden7 geschlossen hat, verpflichten sich diese dazu, die „Ziele von Transparenz und Öffnung“ zu verfolgen.8 Man darf annehmen, dass dazu auch die Verpflichtung gehört, die Aktivitäten salafistischer Einzelpersonen beziehungsweise Vereinigungen in Hamburger Moscheen dem Senat gegenüber unverzüglich anzuzeigen. Im Herbst 2014 hat der Senat zudem ein umfangreiches Konzept zur „Vorbeugung und Bekämpfung von religiös motiviertem Extremismus und antimuslimischer Diskriminierung“ vorgelegt, das in enger Zusammenarbeit mit der SCHURA entstanden ist und das Ziel verfolgt, der salafistischen Bedrohung in der Hansestadt Hamburg entgegenzutreten.9 Wie die aktuellen Entwicklungen in Harburg zeigen, greifen die Mechanismen dieses Konzepts jedoch zu kurz. Denn auch der Fall der As-Sahaba-Moschee hat eklatante Mängel der gegenwärtigen Verfahrensweise offenbart – so hat das gegenüber Baher Ibrahim ausgesprochene Lehrverbot lediglich zum Austritt des Moscheevereins aus der SCHURA, nicht aber zu einer Eindämmung oder gar Einstellung der salafistischen Propaganda vor Ort geführt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Welche konkreten Verpflichtungen ergeben sich in Hinblick auf die salafistische Unterwanderung Hamburger Moscheen aus der in Artikel 9, Paragraph 3.1 des Staatsvertrages fixierten Erklärung der islamischen Trägerverbände, die Ziele von „Offenheit und Transparenz“ zu verfolgen ? Eine salafistische Unterwanderung Hamburger Moscheen ist allein aus dem Umstand, dass auch Personen aus der salafistischen Szene diese aufsuchen, nicht abzuleiten. Artikel 9 Absatz 3 Satz 2 Nummer 3 des Vertrages sieht die Verfolgung der Ziele von Offenheit und Transparenz bei Errichtung und Betrieb gemeindlicher Einrichtungen als akzeptanzfördernde Maßnahme für ein gedeihliches Miteinander der muslimischen und nicht muslimischen Bevölkerung vor. Meldepflichten gegenüber den Sicherheitsbehörden sind nicht Gegenstand der Vertragsbestimmung. 2. Wie hat der Senat auf das offenkundige Unvermögen der SCHURA reagiert , salafistische Aktivitäten in Moscheen zu unterbinden, die ihr angehören und zu deren Kontrolle sie sich im Staatsvertrag mit der Hansestadt Hamburg verpflichtet hat? Entgegen der Annahme des Fragestellers stehen SCHURA als religiösem Dachverband keine Zwangsbefugnisse zur „Unterbindung“ bestimmter Aktivitäten angeschlossener Gemeinden zu. Im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten hat sich SCHURA von salafistischen Aktivitäten in der verbandsangehörigen El-Iman-Moschee und der 6 Confer VSH 2014. Seiten 4, 46; weiterführend: Umstrittener Salafist Pierre Vogel versucht sich an neuer Wirkungsstätte in Hamburg. Beitrag der Behörde für Inneres und Sport vom 17. Juli 2014. 7 Zu diesen zählen der DITIB-Landesverband Hamburg, die SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. sowie der Verband der Islamischen Kulturzentren. 8 Artikel 9, Paragraph 3.1 des Konkordats zwischen der Hansestadt Hamburg und den islamischen Trägergemeinden. 9 Confer Drs. 20/13460. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2578 3 As-Sahaba-Moschee distanziert und im Fall der El-Iman-Moschee in Zusammenarbeit mit den Gemeindeorganen auf personelle und strukturelle Veränderungen sowie im Fall der As-Sahaba-Moschee auf den Ausschluss eines salafistischen Predigers hingewirkt . Dass mit dem Austritt einer Gemeinde aus einem Dachverband dessen Einflussmöglichkeiten enden, ist Folge staatlichen Rechts und nicht verbandlichen Unvermögens. 3. Wie erklärt der Senat in Hinblick auf die bisher umgesetzten Präventionskonzepte , dass Harburg Salafisten seit 15 Jahren als Refugium dient und sich bis heute als zentraler Ausgangspunkt für die Aktivitäten islamistischer Vereinigungen erweist, die ihren Aktionsraum mittlerweile bis auf die Innenstadt ausgedehnt haben?10 Die Wohnorte und Aktivitäten von Salafisten liegen in verschiedenen Stadtteilen Hamburgs , eine alleinige Fokussierung auf Harburg entspricht nicht der Einschätzung der Sicherheitsbehörden. 4. Zieht der Senat angesichts der akuten Verschärfung der salafistischen Bedrohungslage eine Überarbeitung der bisher beschlossenen Konzepte zur Eindämmung und Bekämpfung islamistischer Gruppierungen in Erwägung? Das vorhandene Präventionskonzept stellt einen geeigneten Rahmen dar, aus dem heraus die erforderlichen Maßnahmen stets aktuellen Entwicklungen angepasst werden können. Interventive Maßnahmen der Sicherheitsbehörden werden zudem unabhängig von vorhandenen Konzepten flexibel der Sicherheitssituation angepasst. 5. Warum sieht der Senat eine vermeintliche „Islamfeindlichkeit und Diskriminierung “ seitens der für ihre Toleranz und Weltoffenheit bekannten Bevölkerung Hamburgs für die Ausbreitung des Salafismus als ursächlich 11, wo doch erwiesen ist, dass dessen Ablehnung der freiheitlichdemokratischen Grundordnung einen immanenten Faktor darstellt? Verschiedenste Analysen von Radikalisierungsverläufen belegen, dass Diskriminierungserfahrungen insbesondere bei sehr jungen Menschen zu einer Hinwendung zum Salafismus und infolgedessen zu einer Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung führen können (siehe unter anderem Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung: Salafistische Radikalisierung – und was man dagegen tun kann, http://www.bpb.de/politik/extremismus/islamismus/193521/salafistischeradikalisierung -und-was-man-dagegen-tun-kann). Deshalb sind die Prävention und Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit wichtige Bausteine zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung des Salafismus (vergleiche auch Verfassungsschutzbericht 2014, Seite 183; http://www.hamburg.de/contentblob/ 4509404/data/verfassungsschutzbericht-2014-bericht-lfv.pdf). 10 Seit 2012 finden an mehreren Stellen im Stadtzentrum immer wieder Koranverteilungsaktionen an den Informationsständen verschiedener Organisationen (LIES, Siegel des Propheten et cetera) statt, deren Häufigkeit bis 2015 stark zugenommen hat. Confer Drs. 21/114, 21/1278. 11 Confer Drs. 20/13460. Seite 4.