BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2761 21. Wahlperiode 12.01.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 06.01.16 und Antwort des Senats Betr.: „Guter Ganztag“ – Wie steht es um die Forderungen der Volksinitiative? Die von Senator Rabe hochgelobte flächendeckende Einführung von Hamburgs Ganztagsschulen stand unter dem Motto „Quantität vor Qualität“. Dadurch mangelt es vielen Ganztagsschulen leider an Räumen, Personal, einer sinnvollen Verzahnung zwischen Vor- und Nachmittag sowie einem ausgewogenen Mittagessen für unsere Kinder. In der gestrigen Sitzung des Schulausschusses erläuterten die Vertrauensleute der Volksinitiative „Guter Ganztag“ ihre berechtigte Kritik und die daraus resultierenden Forderungen an den Senator. Dadurch, dass über 78 Prozent aller Hamburger Grundschüler von Montag bis Freitag bis mindestens 16 Uhr in ihrer Schule nicht nur lernen, sondern in gewisser Weise auch leben, ist es umso wichtiger, dass das Ganztagsangebot auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet ist. Nach Ansicht des Senators sind eine Reihe der Forderungen der Initiative rechtlich nicht oder nur schwer realisierbar. Dabei sind insbesondere eine engere Verzahnung von Lernen und Freizeit und damit eine bessere Kooperation von Lehrern und Erziehern für einen erfolgreichen Ganztag unerlässlich . Der derzeitige Austausch zwischen den Pädagogen über Postfächer und Mitteilungsbücher reicht dazu bei Weitem nicht aus. Nach Angaben des Senators können die Erzieherinnen und Erzieher des Nachmittagsbereichs an den GBS-Schulen zurzeit aus arbeitsrechtlichen Gründen nur sehr schwer am Vormittag eingesetzt werden. Dies wiederum führt auch dazu, dass die Erzieherinnen und Erzieher an Ganztagsschulen nicht in Vollzeit tätig sein können und zu Kitas abwandern. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Da die Angaben zur Beantwortung der Fragen 2. und 6. nicht zentral von der zuständigen Behörde erfasst werden, wurden die Vertragspartner des Landesrahmenvertrages GBS und einzelne nicht verbandlich organisierte Kooperationspartner gebeten, die entsprechenden Auskünfte zu erteilen. Im dafür vorgesehenen Zeitraum haben neun Vertrags- beziehungsweise Kooperationspartner geantwortet. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Was ist mit der Aussage in der Pressemitteilung des Senats gemeint, dass die Erzieherinnen und Erzieher des Nachmittagsbereichs an den GBS-Schulen aus arbeitsrechtlichen Gründen nur sehr schwer am Vormittag im Unterricht eingesetzt werden können? Drucksache 21/2761 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Werden Erzieherinnen und Erzieher des Nachmittagsbereichs an GBS-Schulen am Vormittag in der Schule eingesetzt, muss zwischen Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeit ), Kooperationsverträgen und eigenständigen Arbeitsvertragsverhältnissen unterschieden werden. Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn das Personal weisungsgebunden und in den Dienstbetrieb eingegliedert ist. Bei einem Einsatz im Unterricht nach Stundentafel am Vormittag wäre das Personal in der Regel sowohl weisungsgebunden als auch in den Dienstbetrieb eingegliedert. Für die Arbeitnehmerüberlassung gelten die Vorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Danach ist Arbeitnehmerüberlassung unter anderem rechtlich nur zulässig, wenn der GBS-Träger über eine Erlaubnis (kostenpflichtig) zur Arbeitnehmerüberlassung verfügt. Außerdem ist eine Arbeitnehmerüberlassung nicht dauerhaft , sondern nur „vorübergehend“ möglich. Ergänzt wird das AÜG von der Richtlinie der Freien und Hansestadt Hamburg zur Arbeitnehmerüberlassung vom 2. April 2012. Danach ist Leiharbeit nur in Ausnahmefällen zulässig, insbesondere bei sehr kurzfristig auftretenden personellen Engpässen. Der zeitliche Einsatz ist auf ein Minimum, in der Regel nicht mehr als vier Wochen, zu beschränken. Aufgrund dieser rechtlichen Vorgaben ist Arbeitnehmerüberlassung generell nicht geeignet, einen dauerhaften personellen Bedarf der Schulen am Vormittag zu decken. Ein Einsatz von Erzieherinnen und Erziehern im Vormittag ist regelhaft möglich bei selbständigen und jugendhilfebezogenen Leistungen des Trägers über Kooperationsverträge sowie im Rahmen von eigenständigen Arbeitsvertragsverhältnissen (zweites Arbeitsverhältnis). 2. Wie viele der Erzieherinnen und Erzieher des Nachmittagsbereichs sind aktuell an GBS-Schulen am Vormittag im Unterricht eingesetzt und auf welcher Basis? Gemäß Rückmeldung der Träger werden aktuell 71 Erzieherinnen und Erzieher auf Basis von eigenständigen Arbeitsvertragsverhältnissen (zweites Arbeitsverhältnis) oder Kooperationsverträgen mit Jugendhilfeträgern am Vormittag im Unterricht eingesetzt . 3. Welche einzelnen rechtlichen Probleme bestehen nach Ansicht der zuständigen Behörde im Hinblick auf den Einsatz von Erzieherinnen und Erziehern der Träger am Vormittag? Bitte unter Angabe der betroffenen Rechtsvorschriften darstellen. Siehe Antwort zu 1. 4. Der Senator teilte mit, eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Prüfung dieser Fragen sowie der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen beauftragt zu haben. a. Wie lautet der konkrete Auftrag? Es sollte untersucht werden, welche arbeitsrechtlichen Probleme und Risiken in der Betreuung von Schülerinnen und Schülern entstehen können, wenn die Betreuung nicht vom Personal der Schule, sondern durch Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen oder Erzieherinnen/Erzieher von Trägern der Jugendhilfe durchgeführt werden. b. Wann wurde der Auftrag von wem an welche Kanzlei erteilt? Der Auftrag wurde am 15. Januar 2015 an die Kanzlei Jacobsen + Confurius Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer Partnerschaftsgesellschaft mbB durch die zuständige Abteilungsleitung der für Bildung zuständigen Behörde erteilt. c. Wann ist mit Lösungsvorschlägen der beauftragten Kanzlei zu rechnen ? Das Gutachten der Kanzlei liegt seit dem 1. Dezember 2015 vor und wird derzeit im Hinblick auf mögliche zulässige Einsätze von Beschäftigten der Träger im Detail ausgewertet . d. Welche Kosten sind durch die Beauftragung bereits angefallen und wie hoch werden die dafür entstehenden Gesamtkosten voraussichtlich sein? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2761 3 Es sind Gesamtkosten in Höhe von 6.961,50 Euro angefallen. Weitere Aufträge wurden nicht erteilt. 5. Welche einzelnen Probleme sprechen gegen den Einsatz von Erzieherinnen und Erziehern des Trägers am Vormittag im Rahmen eines zweiten Arbeitsverhältnisses mit der zuständigen Behörde? Siehe Antwort zu 1. a. Welche tatsächlichen steuerlichen Auswirkungen hat ein zweites Arbeitsverhältnis für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Ein zweites Arbeitsverhältnis kann als geringfügige Beschäftigung ausgestaltet werden , sofern das Arbeitsentgelt regelmäßig im Monat 450 Euro nicht überschreitet. In diesem Fall hat die Arbeitgeberin beziehungsweise der Arbeitgeber einen pauschalen Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung von 15 Prozent und gegebenenfalls zur Krankenversicherung von 13 Prozent sowie eine einheitliche Pauschsteuer von 2 Prozent des Arbeitsentgelts abzuführen. Kommt eine Pauschalierung nicht Betracht, ist der Arbeitslohn auf der Grundlage der Steuerklasse VI zu versteuern. b. Werden etwaige steuerliche Nachteile, die aufgrund der Steuerklasse VI entstehen, im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs vollständig kompensiert? Ja. c. Wie beurteilt die zuständige Behörde die Möglichkeit, mit den Beschäftigten der Träger für den Einsatz am Vormittag ein zweites Arbeitsverhältnis abzuschließen? Die für Bildung zuständige Behörde ist grundsätzlich bereit, mit geeigneten, interessierten Beschäftigten des Trägers für den Einsatz am Vormittag bei entsprechenden vorhandenen Ressourcen an der Schule ein zweites Arbeitsverhältnis abzuschließen. 6. Welche Erkenntnisse liegen der zuständigen Behörde darüber vor, in welchem Umfang Erzieherinnen und Erzieher, die bei den freien Trägern beschäftigt und an den GBS eingesetzt sind, ihre Arbeitszeit aufstocken wollen? Bei den neun Kooperationspartnern, von denen eine Rückmeldung auf die Trägerabfrage vorliegt, haben 135 im Rahmen von GBS Beschäftigte angegeben, insgesamt 1.768 Wochenstunden aufstocken zu wollen, was circa 13 Wochenstunden pro Person entspricht. 7. Um eine bessere Verzahnung von Vor- und Nachmittag zu erzielen, fordern die Initiatoren ein Mitbestimmungsrecht von Eltern und Erziehern bei Fragen der Ganztagsbetreuung, entweder in der Schulkonferenz oder in einem weiteren zu errichtenden Gremium. Die Zusammensetzung der Schulkonferenz ist in § 55 Hamburgisches Schulgesetz geregelt . a. Senator Rabe wies darauf hin, dass es „mit einer Änderung des Schulgesetzes nicht getan sei.“ Welche weiteren rechtlichen Regelungen stehen der Aufnahme der Träger in die Schulkonferenz entgegen ? Bitte unter Angabe der konkreten Rechtsvorschriften nennen . b. Inwiefern und mit welchem Ergebnis hat die zuständige Behörde die Einbeziehung der Träger in die für das Ganztagsangebot zuständigen Gremien geprüft? c. Welche rechtlichen Probleme sprechen gegen die Einrichtung eines weiteren Gremiums, in dem die Träger berücksichtigt werden? Bitte unter Angabe der konkreten Rechtsvorschriften nennen. Gemäß § 52 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG) ist die Schulkonferenz das oberste Beratungs- und Beschlussgremium der allgemeinbildenden Schulen. Die Schulkonferenz ist drittelparitätisch besetzt, gegen die Stimmen von Eltern und Schülerinnen Drucksache 21/2761 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 und Schüler sind wichtige Beschlüsse nicht möglich. Zu den Beschlussrechten der Schulkonferenz zählen ausdrücklich auch Anträge auf „Führung der Schule als Ganztagsschule “, die „Kooperation mit externen Partnern“ und die „Grundsätze für Arbeitsgemeinschaften , Neigungsgruppen und Wahlangebote“. Die Mitwirkung von Eltern und Schülerinnen und Schülern an der Gestaltung des Schullebens einschließlich des Nachmittags und der Ferienangebote ist in Hamburg vorbildlich und hat sich in Jahrzehnten bewährt. Soweit Nachmittagsangebote im Rahmen von GBS angeboten werden , gelten zusätzlich die bewährten Mitwirkungsrechte gemäß Hamburger Kinderbetreuungsgesetz . Nach Artikel 7 Grundgesetz steht das Schulwesen unter der Aufsicht des Staates; wichtige schulische Entscheidungen muss der Senat gegenüber der Bürgerschaft rechtfertigen können (Artikel 33 Absatz 2 Hamburgische Verfassung (HV)), denn der Senat muss während der gesamten Legislaturperiode von der Mehrheit der Bürgerschaft getragen werden, Artikel 36 HV. Diese Letztverantwortung des Senats gegenüber der Bürgerschaft aber auch das mit dem Lebensalter aufwachsende Selbstbestimmungsrecht aus Artikel 2 Grundgesetz (Schülervertreter in der Schulkonferenz ) und das Erziehungsrecht aus Artikel 6 Grundgesetz (Elternvertreter in der Schulkonferenz) verbieten einen maßgeblichen Einfluss Dritter auf die Gestaltung des Schullebens, wie hier von Jugendhilfeträgern und ihren Beschäftigten. 8. Welche Kosten würden bei Umsetzung der Forderungen der Volksinitiative im Einzelnen entstehen a. hinsichtlich der geforderten Räume? b. hinsichtlich der Forderung, dass das Essen an allen Schulen vor Ort frisch zubereitet wird? c. hinsichtlich der Verbesserung des Personalschlüssels? Die nachfolgenden Berechnungen beruhen auf dem Text der Forderungen, mit der die Initiative am 4. April 2015 offiziell die Sammlung von Unterschriften gemäß § 3 Absatz 1 Volksabstimmungsgesetz angezeigt hat sowie den Ausführungen der Vertrauensleute der Volksinitiative im Schulausschuss am 5. Januar 2016. Dabei wurden bei den Berechnungen die Kosten von der VSK bis einschließlich Jahrgangsstufe 10 berücksichtigt . a. Einmalkosten in Höhe von rund 2 Milliarden Euro, davon rund 1,8 Milliarden Euro Investitionskosten für Schulbau und rund 166 Millionen Euro an Investitionskosten für Grundstücke sowie eine jährliche Dauerbelastung (Mietnebenkosten) in Höhe von rund 39 Millionen Euro, b. Einmalkosten in Höhe von 125 Millionen Euro für den Bau von Produktionsküchen und eine jährliche Dauerbelastung in Höhe von rund 22,3 Millionen Euro für einen zusätzlichen Nachmittagssnack, c. eine jährliche Dauerbelastung in Höhe von rund 66,8 Millionen Euro für Personal. 9. Wie viele Erzieherinnen und Erzieher werden aktuell von der Behörde für Schule und Berufsbildung beschäftigt und welche Kosten entstehen dafür pro Jahr? Aktuell (Stand: 12/2015) werden von der für Bildung zuständigen Behörde 929 Erzieherinnen und Erzieher im Umfang von 757,5 Vollkräften beschäftigt. Dies ist mit kalkulatorischen Personalkosten in Höhe von 36,9 Millionen Euro verbunden (Basis: PKV Verrechnungssätze). 10. Welche Erkenntnisse liegen der zuständigen Behörde über akuten Raummangel an einzelnen Schulstandorten vor und welche Maßnahmen werden dagegen in welchem Zeitrahmen ergriffen? Bitte pro Schulstandort , an dem akuter Raummangel herrscht, darstellen. An allen Schulstandorten kann das Unterrichts- oder Ganztagsangebot mit den vorhandenen Räumen angemessen realisiert werden. Bezüglich der Zubaumaßnahmen und des Sanierungsbedarfs einzelner Schulen wird auf den Schulentwicklungsplan 2012 (http://www.hamburg.de/schulentwicklungsplan/), den Rahmenplan Schulbau (http://www.hamburg.de/contentblob/3631372/data/20121002-download-rahmenplan- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2761 5 schulbau.pdf) und die aktuelle Berichterstattung über die Planungen und Realisierung von Schulbaumaßnahmen (Drs. 21/1282) verwiesen. 11. Wird die zuständige Behörde mit der Volksinitiative „Guter Ganztag“ in Verhandlungen eintreten? Falls ja, wann und in welcher Weise? Die zuständige Behörde beabsichtigt, kurzfristig ein Gespräch mit den Vertrauenspersonen der Initiative zu führen.