BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2785 21. Wahlperiode 15.01.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dora Heyenn (fraktionslos) vom 07.01.16 und Antwort des Senats Betr.: Neue Warteschleife zehnte Klasse? Mit Einführung der Stadtteilschule ist die (isolierte) Hauptschule abgeschafft worden. Nicht abgeschafft wurde der Hauptschulabschluss, der in Form des ersten allgemeinbildenden Schulabschlusses fortbesteht. Insofern ist es zu begrüßen, dass seit dem Schulabgangsjahr 2012/2013 (so gut wie?) keine Schülerin und kein Schüler nach Klasse 9, sondern alle Schülerinnen und Schüler durchweg erst nach Klasse 10 die Stadtteilschulen verlassen. Unklar ist aber, was die Schülerinnen und Schüler in diesem gewonnenen zehnten Schuljahr machen. Was wir nicht brauchen, ist eine neue Warteschleife zehnte Klasse. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Was waren die Gründe der Schulbehörde, alle Schülerinnen und Schüler von Stadtteilschulen nach der Klasse 9 auch noch ein zehntes Schuljahr besuchen zu lassen? Die Einführung der Stadtteilschule war Teil der Schulreform, die am 7. Oktober 2009 durch die Hamburgische Bürgerschaft beschlossen wurde. Die Einführung der Stadtteilschule erfolgte, um die Wege zu den Schulabschlüssen möglichst lange offen zu lassen und auch Schülerinnen und Schüler, deren Leistungspotentiale sich erst in späteren Schuljahren zeigen, zu dem für sie höchstmöglichen Abschluss zu führen. Mit der Abschaffung der Haupt- und Realschulen sowie der integrierten und kooperativen Gesamtschulen wurde eine Vereinheitlichung der bis dahin unterschiedlich geltenden Abschlussregelungen erreicht, indem der Bildungsgang der Sekundarstufe I der Stadtteilschule von Jahrgang 5 bis 10 definiert wurde. Gleichzeitig wurde die Unterscheidung zwischen Vollzeitschulpflicht und Berufsschulpflicht aufgegeben und den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, ihren Wünschen und ihrer bestmöglichen Förderung entsprechend die Schulpflicht an einer allgemeinbildenden oder beruflichen Schule zu erfüllen. Im Übrigen siehe Drs. 19/3195. 2. Gilt diese Regelung auch für Sonderschulen? Wenn ja, wie sieht die aus? Wenn nein, warum nicht? Auch der Besuch einer Sonderschule erstreckt sich in der Regel über zehn Schuljahre . Die Schülerinnen und Schüler können aber, wie alle Schülerinnen und Schüler, ihren Wünschen und Neigungen entsprechend, zu einem früheren Zeitpunkt in eine berufliche Schule übergehen. 3. Welche Konzepte gibt es für die zehnte Klasse insbesondere für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die sonst nach Klasse 9 abgegangen wären? Sind die Bildungspläne daraufhin geändert worden? Drucksache 21/2785 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, bitte benennen und beifügen. Die Stadtteilschule ist dem Grundsatz des gemeinsamen Lernens und der Chancengerechtigkeit verpflichtet und vermittelt Schülerinnen und Schülern eine grundlegende und vertiefte allgemeine Bildung. Gemäß Bildungsauftrag der Stadtteilschule sind Konzepte immer auf eine breite heterogene Schülerschaft auszurichten mit dem Ziel, allen Schülergruppen gerecht zu werden. Besonders groß sind die Unterschiede der Leistungsfähigkeit und damit verbunden der Übergangsmöglichkeiten im Abschlussjahrgang 10. Daher bedarf es ganz besonders der differenzierten und individualisierten Angebote und Unterrichtsorganisation zur Förderung der fachlichen und überfachlichen Kompetenzen. Schülerinnen und Schüler, die in Jahrgangsstufe 9 den ersten allgemeinbildenden Schulabschluss erworben haben und einen Ausbildungsplatz vorweisen können, verlassen weiterhin nach Jahrgangsstufe 9 die Schule. Schülerinnen und Schüler mit der Abschlussperspektive „erster allgemeinbildender Schulabschluss“ besuchen die Jahrgangsstufe 10, wenn sie in der Jahrgangsstufe 9 den ersten allgemeinbildenden Schulabschluss nicht erworben haben. Darüber hinaus können Schülerinnen und Schüler, die in Jahrgangsstufe 9 den ersten allgemeinbildenden Schulabschluss erworben haben, die Jahrgangsstufe 10 besuchen und am Ende dieser Jahrgangsstufe in einem Fach oder in mehreren Fächern erneut an der Abschlussprüfung für den ersten allgemeinbildenden Schulabschluss teilnehmen, um ihre Abschlussnote zu verbessern, siehe §§ 17, 18 Absatz 2 und 3 Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Grundschule und die Jahrgangsstufen 5 bis 10 der Stadtteilschule und des Gymnasiums (APO-GrundStGy). Mit dem Konzept zur Berufs- und Studienorientierung wird eine individuelle Übergangsbegleitung in Ausbildung oder Schule verbindlich festgeschrieben. Das Konzept sieht in Jahrgangsstufe 8 eine Potenzialanalyse und entsprechende Berufsorientierung vor, setzt in Jahrgangsstufe 9 den Schwerpunkt auf zwei Blockpraktika oder ein Langzeitpraktikum mit ein bis zwei Praxistagen pro Woche und sieht in Jahrgangsstufe 10 ein verstärkt individualisiert begleitetes Übergangsmanagement vor. Für den verpflichtenden „Lerntag“ in Jahrgangsstufe 10 entwickeln die Schulen in eigener Verantwortung weitere Konzepte des fachlichen Lernens besonders für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler oder ermöglichen weitere Praxiserfahrung mit Unterstützung der Berufsschullehrkräfte und der Jugendberufsagentur. Good-Practice-Beispiele werden auf Abteilungsleitersitzungen sowie in den Netzwerktreffen der Berufs- und Studienorientierungsbeauftragten vorgestellt und bearbeitet. In der Jahrgangsstufe 10 erhalten die Schülerinnen und Schüler, die versuchen wollen , ihre Abschlussprüfung zu verbessern, anhand von Schülerarbeitsheften mit Beispielaufgaben , die die zuständige Behörde zur Verfügung stellt (siehe http://www.hamburg.de/ersten-allgemeinbildender-schulabschluss-2016/), die Gelegenheit , ihre kognitiven und fachlichen Kompetenzen eigenverantwortlich zu erweitern . In den Fremdsprachen erlaubt insbesondere das projektorientierte Arbeiten fächerübergreifendes und fächerverbindendes Lernen zu realisieren und die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler in allen Kompetenzbereichen zu fördern. Besondere Bedeutung kommt auch dem „Europäischen Portfolio der Sprachen“ zu, das den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, ihre Fortschritte in Richtung einer mehrsprachigen Kompetenz zu dokumentieren, indem sie ihre Lernerfahrungen in den in der Schule gelernten Sprachen sowie ihrer Herkunftssprache festhalten (siehe: http://www.hamburg.de/contentblob/2372632/data/fremdsprachen-sts.pdf, Seite 17). Der Bildungsplan für die Stadtteilschule musste nicht geändert werden. In den Rahmenplänen der Fächer, Lernbereiche und Aufgabengebiete sind Anforderungen und Inhalte neben anderen bezogen auf den ersten allgemeinbildenden Schulabschluss ausgewiesen. Diese Anforderungen und Inhalte gelten unabhängig von der Jahrgangsstufe , in der der Abschluss erworben wird. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2785 3 4. Wie viele Schülerinnen und Schüler sind seit 2011 nach Klasse 9 und wie viele nach Klasse 10 abgegangen? Bitte absolute Zahlen nennen nach Schuljahrgangsstufe, Schulform und Schulabschluss. Siehe Anlage. 5. Bei wie vielen Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 beziehungsweise 10 ist in den Zeugnissen zur Schullaufbahn vermerkt beziehungsweise prognostiziert worden, ob sie bei gleichbleibender Leistungsentwicklung voraussichtlich den ersten allgemeinbildenden Schulabschluss , den mittleren Schulabschluss oder die Versetzung in die gymnasiale Oberstufe erreichen werden. Wie viele haben eine gesonderte schriftliche Warnung erhalten? Bitte absolute Zahlen nennen ab 2011 nach Schuljahrgangsstufe, Schulform und Vermerk beziehungsweise Prognose. 6. Bei wie vielen der unter 0. genannten Schülerinnen und Schüler hat sich der Schulabschluss von Klasse 9 nach 10 verbessert? Bitte absolute Zahlen nennen ab 2011 für (gegebenenfalls Schulform,) Vermerk beziehungsweise Prognose nach Schuljahrgangsstufe 9 und Schulabschluss nach Klasse 10. Die erfragten Daten werden von der zuständigen Behörde nicht zentral erfasst. Eine Schulabfrage hätte zur Folge, dass allein für das Schuljahr 2014/2015 circa 15.000 Schülerakten der Jahrgänge 9 und 10 händisch ausgewertet werden müssten. Dies ist in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Drucksache 21/2785 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Anlage Schulentlassene (SEL) nach Jahrgangstufe 9 und 10 nach Schulform1) und Schulabschluss in den Schuljahren 2010/11 bis 2013/14 Rechtsform Schuljahr Jahrgangsstufe Schulform1) erster allgemein - bildender Schulabschluss mittlerer Schulabschluss ohne Schulabschluss 2) SEL insgesamt staatlich 2010/11 9 Stadtteilschule 983 - 251 1.234 Gymnasium 4 - 1 5 Sonderschule 83 - 326 409 9 insgesamt 1.070 - 578 1.648 10 Stadtteilschule 797 2.267 103 3.167 Gymnasium 18 39 0 57 Sonderschule 37 11 230 278 10 insgesamt 852 2.317 333 3.502 2010/11 insgesamt 1.922 2.317 911 5.150 2011/12 9 Stadtteilschule 1.037 - 230 1.267 Gymnasium - 2 2 Sonderschule 83 - 317 400 9 insgesamt 1.120 - 549 1.669 10 Stadtteilschule 992 2.252 144 3.388 Gymnasium 10 39 49 Sonderschule 35 11 243 289 10 insgesamt 1.037 2.302 387 3.726 2011/12 insgesamt 2.157 2.302 936 5.395 2012/13 9 Stadtteilschule 115 - 47 162 Gymnasium - 1 1 Sonderschule 118 - 169 287 9 insgesamt 233 - 217 450 10 Stadtteilschule 1.000 2.021 188 3.209 Gymnasium 15 38 0 53 Sonderschule 28 12 184 224 10 insgesamt 1.043 2.071 372 3.486 2012/13 insgesamt3) 1.276 2.071 589 3.936 2013/14 9 Stadtteilschule 105 - 21 126 Gymnasium 1 - 0 1 Sonderschule 51 - 97 148 9 insgesamt 157 - 118 275 10 Stadtteilschule 1.929 1.800 309 4.038 Gymnasium 6 193 0 199 Sonderschule 81 13 224 318 10 insgesamt 2.016 2.006 533 4.555 2013/14 insgesamt 2.173 2.006 651 4.830 staatlich insgesamt 7.528 8.696 3.087 19.311 Quelle: Schuljahresstatistik 2011 bis 2014 - = trifft nicht zu 1) Ohne Erwachsenenbildung und Berufliche Bildungsgänge an Sonderschulen. 2) Diese Zahl enthält auch Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Ein erheblicher Teil dieser Schülerinnen und Schüler erreicht infolge der jeweiligen Lernbeeinträchtigungen keinen ersten allgemeinbildenden- oder höherwertigen Abschluss. 3) Im Schuljahr 2012/13 besuchte der erste Jahrgang, der nach der seit 2011 gültigen APO-GrundStGy beschult wurde, die Jahrgangssturfe 9; diese Schülerinnen und Schüler sind zum Schuljahresbeginn 2013/14 überwiegend in die Jahrgangsstufe 10 übergegangen. Es gibt deshalb insgesamt deutlich weniger Abgänge als in den Vor- und Folgejahren.