BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2807 21. Wahlperiode 15.01.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, Jennyfer Dutschke und Carl-Edgar Jarchow (FDP) vom 08.01.16 und Antwort des Senats Betr.: Zunehmende Zahl von radikalen Salafisten und Koranständen – Anwerbung in Flüchtlingsheimen? (IV) Nach Medienberichten sollen am 3. Dezember 2015 radikale Islamisten versucht haben, junge Flüchtlinge für die Terrororganisation ISIS in einer Flüchtlingsunterkunft für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge zu gewinnen. Dazu soll ein internes Polizeipapier vorliegen, wonach ein arabischer Dolmetscher drei junge Männer, aus Syrien stammend, aufgefordert habe, nach Syrien zu gehen und sich dort den Terroristen anzuschließen. Dieser Dolmetscher ging in der Unterkunft ein und aus und galt als Vertrauensperson. Zur Anwerbung der jungen Männer soll der Dolmetscher Videos mit ISIS-Kämpfern verwendet haben. Zudem ist der Anstieg der Zahl der gewaltbereiten Salafisten in Hamburg besorgniserregend. Der Verfassungsschutz zählt nun 270 gewaltbereite Jihadisten und 131 Koran-Verteilaktionen, was einen neuen Höchststand bedeutet (siehe Schriftliche Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vom 11.12.2015, Drs 21/2483). Immer häufiger werben salafistische Gruppierungen um Anhänger, insbesondere um junge Frauen oder vor Flüchtlingsheimen . Präventionsarbeit ist daher ein sehr wichtiger Ansatz, der auch verstärkt fortentwickelt werden muss. Deshalb forderte die FDP-Bürgerschaftsfraktion in dem Antrag „Maßnahmen gegen zunehmenden gewaltbereiten Salafismus endlich umsetzen“ (Drs. 21/1954) einen stärkeren Ausbau der Präventionsarbeit in dem bestehenden Beratungsnetzwerk. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Ist dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde bekannt, dass ein Dolmetscher in einer Flüchtlingsunterkunft versucht hat, drei junge Männer aus Syrien für gewaltbereite, terroristische Organisationen anzuwerben? Wenn ja, welche Erkenntnisse hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde zu dem Vorfall in dem Flüchtlingsheim? Seit wann hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde Kenntnis von dem Vorfall? Wie ist der Stand der Ermittlungen? Der in der Vorbemerkung der Fragestellerinnen angesprochene Fall ereignete sich in der Nacht vom 3. auf den 4. Januar 2016 in einer Erstversorgungseinrichtung des Landesbetriebes Erziehung und Beratung (LEB). Ein Dolmetscher eines externen Dienstleisters hat nach Darstellung der betroffenen drei Jugendlichen versucht, sie für das Anliegen des IS zu gewinnen. Die Jugendlichen haben sich an das Betreuungspersonal gewandt. Der Dolmetscher wurde nach Bekanntwerden des Vorfalls nicht Drucksache 21/2807 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 mehr eingesetzt. Darüber hinaus wurden die Polizei und der Arbeitgeber des Dolmetschers über den Vorfall informiert. Dass dieser Dolmetscher Vertrauensperson beim Betreuungspersonal oder der Einrichtungsleitung gewesen sein soll, trifft nicht zu. Im Übrigen siehe auch Antwort zu 6. und 7. Darüber hinaus ist der Sachverhalt Gegenstand eines laufenden Ermittlungsverfahrens . 2. Wie viele Versuche von Anwerbungen in Flüchtlingsheimen in Hamburg, mit dem Ziel eines Beitritts zu gewaltbereiten terroristischen Organisationen , sind dem Senat und der zuständigen Behörde seit 2012 bis 2016 bekannt (bitte monatlich und nach Flüchtlingsheimen in Bezirken sowie nach Unterscheidung der Anwerbungen von Männern, Frauen und jungen Flüchtlinge darstellen)? 3. Wie viele Versuche von Anwerbungen außerhalb von Flüchtlingsheimen in Hamburg, mit dem Ziel eines Beitritts zu gewaltbereiten terroristischen Organisationen, sind dem Senat und der zuständigen Behörde seit 2012 bis 2016 bekannt (bitte Aufstellung von 2012 bis 2016 und nach Örtlichkeiten in Bezirken darstellen)? 4. Wie viele Anwerbungen in den Flüchtlingsheimen in Hamburg haben nach Kenntnissen des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde beziehungsweise zuständiger Stellen tatsächlich zu einer Rückkehr nach Syrien und Beitritt in eine Terrororganisation geführt (bitte von 2014 bis 2016 darstellen)? 5. Wie viele Anwerbungen von Männern, Frauen und Schülerinnen/ Schülern durch Personen von terroristischen Gruppierungen in Hamburg gab es bis 2016 außerhalb von Flüchtlingsheimen in Hamburg (bitte nach Orten, Bezirken und Gruppierungen darstellen)? Was hat der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde bisher gegen solche Anwerbungen unternommen? Über den in der Antwort zu 1. genannten Fall hinaus sind den zuständigen Behörden keine gezielten Anwerbungsversuche im Sinne der Fragestellungen bekannt geworden . Im Übrigen siehe Drs. 21/510, 21/1513, 21/1542, 21/1703, 21/2483, 21/954 und 20/13460. 6. Wie oft werden Dolmetscher in den Flüchtlingsheimen in Hamburg überprüft ? Wer überwacht und kontrolliert die Auswahl und Überprüfungen der Dolmetscher in den Flüchtlingsheimen? 7. Nach welchen Kriterien werden die Dolmetscher in den Flüchtlingsheimen in Hamburg eingestellt (bitte die Kriterien beifügen)? Dolmetscherinnen und Dolmetscher, die in den Erstaufnahmeeinrichtungen eingesetzt werden sollen, werden von den Betreibern ausgewählt und in der Regel auf Honorarbasis beschäftigt. f & w fördern und wohnen AöR (f & w) sowie das Deutsche Rote Kreuz Kreisverband Hamburg-Harburg e.V. haben mitgeteilt, dass Bewerberinnen und Bewerber ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen müssen. Eine behördliche Auswahl , Überprüfung oder Kontrolle erfolgt nicht. Kriterien bei der Auswahl von Dolmetscherinnen und Dolmetschern, die in Erstaufnahmen eingesetzt werden sollen, sind dabei das sichere Beherrschen der deutschen Sprache sowie der gewünschten Zielsprache, das persönliche Auftreten, der Lebenslauf und der allgemein positive Eindruck aus dem persönlichen Gespräch. Der LEB (zuständig für die Aufnahme und Betreuung von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen) beschäftigt Dolmetscher nur über freiberufliche Dienstleistungsverträge mit Einzelpersonen oder als Angestellte von Dolmetscherdiensten, mit denen eine rahmenvertragliche Vereinbarung besteht. In den Verträgen ist geregelt, dass ein eingesetzter Dolmetscher über ein erweitertes Führungszeugnis ohne Eintrag verfügen muss und eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnet hat, die unter ande- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2807 3 rem den Verzicht auf Überzeugung von Betreuten von der eigenen religiösen oder ideologischen Haltung beinhaltet. Die persönliche Eignung wird bei freiberuflich tätigen Dolmetschern in einem Kennenlerngespräch festgestellt und in der Folge im Einrichtungsalltag beobachtet. Bei einer Abforderung von einem Dolmetscherdienst obliegt die Auswahl nach festgelegten Kriterien beim Dienstleister und wird während des Einsatzes überprüft. Die Zusammenarbeit kann aus wichtigem Grund umgehend beendet werden. Dolmetscher, die beim LEB zum Einsatz kommen, müssen in der Lage sein, gesprochenes Wort und behördliche sowie alltagsweltliche Schriftstücke mündlich und wort- und inhaltsgetreu zu übersetzen. Sie müssen gegenüber den Betreuten in den Einrichtungen, dem Personal des Auftraggebers sowie Dritten im Rahmen der Leistungserbringung angemessen auftreten und sich verhalten. Im Übrigen siehe Drs. 21/328 und 21/1006. 8. Welche Konsequenzen zieht der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde aus dem Vorfall vom 3. Dezember 2015? Welche konkreten Maßnahmen werden von welcher Stelle nun ergriffen, um zukünftige Anwerbeversuche in Flüchtlingsheimen und an anderen Orten in Hamburg zu verhindern? Der Wachdienst und die übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Erstaufnahmeeinrichtungen sind nach wie vor angehalten, sensibel für das Auftreten von Extremisten zu sein und diese unverzüglich zu melden, damit entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können. Sollte das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg im Rahmen der Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben entsprechende Informationen erhalten, werden die jeweiligen Einrichtungen informiert. Außerdem wird das LfV Hamburg in Kürze eine Informationsbroschüre für Betreuerinnen und Betreuer von Flüchtlingen und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter veröffentlichen, um vor den Gefahren durch Salafisten noch effektiver zu warnen. Im Übrigen siehe Antwort zu 9. und Drs. 21/1542. 9. Welche Konzepte hat der Senat bisher, um ISIS-Anwerber oder andere gewaltbereite Anwerber zu identifizieren beziehungsweise Anwerbungen zu vereiteln? Wo liegen aus Sicht des Senats offenkundige Defizite, insbesondere beim Fall vom 3. Dezember 2015? Siehe Drs. 20/13460, 21/510, 21/954, 21/1306, 21/1703, 21/1542 und 21/2081, 21/2303, 21/2483 und Antwort zu 1. 10. Wie viele gewaltbereite Islamisten halten sich nach Informationen des Senats, der zuständigen Behörde beziehungsweise der zuständigen Stelle derzeit in Hamburg auf (bitte aufschlüsseln nach Altersgruppen unter 18 Jahren, 18 – 24, 25 – 34, 35 und älter sowie nach Geschlecht)? Nach Definition des Verfassungsschutzverbundes ist eine Person oder Gruppe als gewaltbereit einzustufen, wenn sie für sich selbst gewalttätiges Handeln zur Durchsetzung politischer Ziele als legitimes Mittel ansieht. In diesem Sinne antwortet der Senat wie folgt: Alter Männlich Weiblich Unter 18 Jahre 6 4 18 – 24 Jahre 89 6 25 – 34 Jahre 90 10 35+ Jahre 64 1 Im Übrigen siehe Drs. 21/2483. 11. Wie hat sich die Anzahl von gewaltbereiten Islamisten in den Jahren von 2010 bis 2016 verändert (bitte für jedes Jahr angeben)? Stand 2016: 270 Personen. Im Übrigen siehe Drs. 21/2483. 12. Wie viele Mitglieder von welchen islamistischen Gruppierungen sind derzeit in Hamburg? Wie haben sich die Mitgliederzahlen von 2010 bis 2016 verändert (bitte die Zahlen jährlich darstellen)? Drucksache 21/2807 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Organisation 2010 2011 2012 2013 2014 2015/16 Salafistische Bestrebungen * 200 200 240 400 460 Hizb Allah 30 30 30 30 30 30 Hamas EM EM EM EM EM EM Türkische Hisbollah 50 50 50 50 50 50 Hezb-e Islami 10 EM EM EM EM 30 Hizb ut-Tahrir 70 70 70 80 80 120 Milli-Görüs-Bewegung ** 1650 1650 1650 1650 200 200 Tablighi Jama'at 70 75 75 75 75 75 Islamisches Zentrum Hamburg 100 100 100 100 100 100 EM = Einzelmitglieder * Eine Erhebung der Mitgliederzahl von Salafisten findet auf Basis der aktuellen Definition erst seit 2011 statt. ** Seit August 2013 wurde die Beobachtung der Islamischen Gemeinschaft Milli Görus (IGMG) mit ihrem Hamburger Landesverband „Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland e.V.“ (BIG) eingestellt, da der Beobachtungsgrund entfallen war. Seither werden nur noch, die verbliebenden extremistischen Teile der Milli Görüs Bewegung beobachtet. 13. Wie viele Infostände wurden durch welche salafistische Gruppierung in 2014, in 2015 und in 2016 angemeldet? Wo wurden diese Stände in 2015 und in 2016 durchgeführt? (Bitte aufschlüsseln nach Monat, Gruppierung und Ort sowie Auflagenerteilung.) Siehe Anlage, im Übrigen siehe Dr. 21/1306 und 21/2483. 14. Wie viele Verteilaktionen von salafistischen und anderen Gruppierungen ohne Infostand sind dem Senat beziehungsweise der zuständigen Behörde in 2015 bis 2016 bekannt geworden? (Bitte aufschlüsseln, soweit bekannt, nach Monat, Gruppierung und Ort.) Zu mobilen Aktionen, bei denen Salafisten Korane und Flyer aus mitgeführten Rucksäcken verteilen, liegen keine belastbaren Zahlen vor, da solche Aktionen bei den Bezirksämtern keiner Anmeldung bedürfen. Nach Erkenntnissen des LfV Hamburg liegt der Schwerpunkt dieser Aktionen in den Jahren 2014 und 2015 ebenfalls im Bezirk Hamburg-Mitte; vereinzelt wurden Aktionen im Bezirk Harburg festgestellt. Im Übrigen siehe Drs. 21/2483 und 21/1306. 15. Kam es zu Verteil- beziehungsweise Informationsaktionen von salafistischen und/oder anderen Gruppierungen vor Schulen, Flüchtlingsheimen, Haftanstalten oder anderen Orten? Wenn ja: wo genau, in welchen Stadtteilen, wie oft und wie reagiert die zuständige Behörde beziehungsweise die Polizei oder das Landesamt für Verfassungsschutz in solchen Fällen? Siehe hierzu Drs. 21/1513, 21/1542 und Drs. 21/2483. Zusätzlich hat die Polizei von einer Verteil- beziehungsweise Informationsaktion in der Zeit vom 8. – 10. Oktober 2015 in der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) Papenreye 1, 22453 Hamburg, Kenntnis erhalten. Eine männliche Person soll zum oben genannten Zeitpunkt Korane an Bewohner der ZEA verteilt haben. Dies wurde ihr von den Verantwortlichen der ZEA untersagt. 16. Wie viele von den aus Hamburg bereits nach Syrien ausgereisten polizeilich bekannten IS-Anhängern sind in 2014, in 2015 und in 2016 wieder nach Hamburg zurückgekehrt? Wie bewertet der Senat diese Zahlen ? Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sind bisher rund 65 Personen aus der Hamburger salafistischen Szene in die Dschihadgebiete Syrien und Irak gereist. Circa ein Drittel ist bisher zurückgekehrt. Aufgrund der unübersichtlichen Lage in der türkisch-syrischen Grenzregion und in den Dschihadgebieten kann oft nicht beurteilt werden, ob sich der Reisende einer terroristischen Organisation angeschlossen hat. Im Sinne der Anfrage wurde dem LfV Ham- Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2807 5 burg für 2015 die Rückkehr einer Person bekannt, die aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit als IS-Anhänger im Sinne der Anfrage einzustufen ist. Drucksache 21/2807 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 6 Anlage "Lies-Aktion" 2015 Infostände / 40 St.: Datum Ort 1 - 30 Siehe Drs. 21/1306 31 - 40 Siehe Drs. 21/2483 2014 Infostände / 50 St. Datum Ort Siehe Drs. 21/2483 Siegel der Propheten Team Hamburg 2015 Infostände / 78 St.: Datum Ort 1 - 52 Siehe Drs. 21/1306 53 - 78 Siehe Drs. 21/2483 Hinweis: Der in Drs. 21/2843 aufgeführte Informationsstand Stand am 11.12.2015 hat nicht stattgefunden. 2016 Infostände: Datum Ort 1 02.01.2016 Glockengießerwall, U-Bahn-Abgang 2 09.01.2016 Spitalerstraße / Kurze Mühren Hamburg Dawah Movement 2015 Infostände / 12 St.: Datum Ort Siehe Drs. 21/1306 2014 Infostände/ 6 St.: Datum Ort Siehe Drs. 21/2483