BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2864 21. Wahlperiode 22.01.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Cansu Özdemir (DIE LINKE) vom 14.01.16 und Antwort des Senats Betr.: Kriterien für die Auswahl von Unterkünften für Flüchtlinge In Hamburg leben trotz winterlicher Temperaturen immer noch Flüchtlinge in Zelten. Die öffentlichen Unterkünfte sind überlaufen und es fehlt an Folgeunterbringungen . Dabei wurden nicht nur von Privatpersonen, sondern auch von Unternehmen und Organisationen immer wieder mögliche Unterkünfte angeboten. Die angegebenen Gründe, warum diese als Unterkunft nicht geeignet wären, sind für die Anbieter nicht immer nachvollziehbar und führen so manchmal zu Irritationen . Begründungen waren hierbei zum Beispiel, dass die Einrichtung zu klein und damit der Verwaltungsaufwand zu hoch sei oder dass die Einrichtung zu groß sei und eine Ghettoisierung drohe. Konkretes Beispiel ist eine Hamburger Pension mit 86 Betten, die bereits im Sommer 2015 ihre Räumlichkeit für Flüchtlinge zur Verfügung stellen wollte. Dies wurde von der Behörde mit der Begründung abgelehnt, die Einrichtung sei zu klein (siehe „Hamburg Journal“ vom 24.10.2015). Weiterhin hat die Diakonie der Freien und Hansestadt Hamburg Unterkünfte für Flüchtlinge angeboten, die ebenfalls von der Behörde abgelehnt wurden. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Angebote zur Schaffung von Plätzen für die Unterbringung in der Erstaufnahme oder den Folgeeinrichtungen werden anhand von Eignungskriterien wie baulicher Zustand, Baurecht, Brandschutz, mögliche Herrichtungs- und Betriebskosten, Verfügbarbarkeit, Nutzungsdauer und Lage systematisch geprüft. So wurde auch mit den Angeboten der Diakonie verfahren. Der Standort Melanchtonstraße 7a erwies sich als geeignet für eine ZEA-Nutzung und wurde bereits in Betrieb genommen, der Standort Kirchenweg wird aktuell noch geprüft. Zwei weitere Angebote waren jedoch für die Einrichtung einer Unterkunft ungeeignet. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Wie viele Angebote liegen dem Senat mittlerweile jeweils von privaten, gewerblichen oder gemeinnützigen Anbietern vor? Seit Einrichtung des E-Mail-Postfaches: angeboteoeffentlicheunterbringung@ basfi.hamburg.de im April 2015 und der damit verbundenen statistischen Erfassung der Angebote sind bei den zuständigen Behörden rund 1.200 Angebote und Hinweise auf Immobilien erfasst worden. Davon betrafen rund 150 Angebote und Hinweise Flächen in öffentlichem Eigentum (Freie und Hansestadt Hamburg einschließlich Lan- Drucksache 21/2864 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 desbetriebe und Unternehmen mit Landesbeteiligung sowie Bundesimmobilien), rund 1.050 bezogen sich auf privaten Grundbesitz (Stichtag: 15. Januar 2016). Neben den im Rahmen der gemeinsamen Flächensuche von Dienststellen der Hamburger Verwaltung vorgeschlagenen Grundstücken in öffentlichem Eigentum handelt es sich um Angebote privater Eigentümer zum Kauf oder zur Anmietung einer Fläche, Angebote beauftragter Makler oder anderer Dritter, Angebote von Investoren, die eine Fläche zu erwerben beabsichtigen, um sie dann an die Freie und Hansestadt Hamburg zu vermieten sowie Hinweise von Bürgerinnen und Bürgern auf leer stehende Immobilien oder freie Flächen, die ohne Kenntnis des Eigentümers erfolgen. Die Qualität der eingehenden Angebote und Hinweise variiert zum Teil erheblich, siehe auch Drs. 21/2024. In den Zahlen enthalten sind auch Hinweise Dritter auf vermeintlich geeignete Flächen und Gebäude, bei denen sich jedoch herausstellte, dass sie seitens des Eigentümers nicht zur Verfügung stehen. Zwischen Angeboten des Eigentümers oder eines Beauftragten und Hinweisen Dritter wird statistisch nicht differenziert. Bei den Angeboten und Hinweisen zu Immobilien in privatem Eigentum wird statistisch nicht zwischen den verschiedenen Rechtsformen differenziert, eine Auswertung ist auch nachträglich nicht möglich, da etwa Daten über den Status der Gemeinnützigkeit nicht abgefragt werden und sich auch nicht in allen Fällen aus der Rechtsform ergeben. Im Übrigen siehe Antworten zu 3. und 7. 2. Wie viele der Angebote wurden geprüft oder befinden sich in der Prüfung ? Wie viele wurden abgelehnt und wie viele angenommen? Derzeit befinden sich 299 Flächen in Prüfung (Stichtag 15. Januar 2016). 45 Flächen befinden sich in Umsetzung (in konkreter Planung oder in Bau). In 28 Fällen konnte auf seit April 2015 neu angebotenen oder vorgeschlagenen Flächen bis Jahresende 2015 bereits eine Einrichtung eröffnet werden. In den übrigen Fällen erfolgte eine Absage, Streichung oder Verweisung. Verwiesen werden Angebote zum Beispiel an den Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) wenn sie sich zum Beispiel aufgrund ihrer geringen Größe eher für eine Unterkunftsnutzung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge eignen. 3. Was sind die häufigsten Gründe für die Ablehnungen? Bitte Grund und Häufigkeit auflisten. Die Gründe für Ablehnungen werden nicht statistisch erfasst. Eine nachträgliche Auswertung der in den Unterlagen dokumentierten Ablehnungsgründe hat ergeben, dass der häufigste Grund für eine Absage die mangelnde Eignung der Fläche beziehungsweise der Immobilie war. Die Anbieter einzelner Wohnungen und Wohnhäuser werden regelmäßig auf die Möglichkeit der direkten Vermietung an Wohnungslose oder bleibeberechtigte Flüchtlinge aus der öffentlich-rechtlichen Unterbringung hingewiesen. Hierzu werden die Anbieter auf die jeweils zuständige Fachstelle für Wohnungsnotfälle und deren Aufgaben bei der Vermittlung von Wohnraum aufmerksam gemacht. Seit Existenz der „Wohnbrücke Hamburg“ (siehe Antwort zu 7.) werden Anbieter auch auf dieses Angebot hingewiesen . Die übrigen Fälle sind in der Mehrzahl solche, bei denen die Fläche bauplanungsrechtlich oder wegen ihrer Lage für die Nutzung als Unterbringungseinrichtung ungeeignet ist oder bauliche Mängel vorliegen, die sich nicht mit vertretbaren Kosten beheben lassen (zum Beispiel hoher Sanierungsbedarf, fehlende Rettungswege, unverhältnismäßiger Aufwand für den Einbau von Sanitärräumen und Küchen). Zudem gibt es Flächen die tatsächlich nicht zur Verfügung standen, der Eigentümer an einer Nutzung zur Flüchtlingsunterbringung nicht interessiert war oder die Fläche an andere Interessenten verkauft beziehungsweise vermietet wurde. Absagen erfolgten weiterhin bei Flächen, die außerhalb Hamburgs liegen, hier wurde der Anbieter gegebenenfalls auf eine Vermietung an den betreffenden Landkreis hingewiesen . Gleichwohl werden Gespräche mit den Ländern über die Unterbringung von Flüchtlingen außerhalb Hamburgs geführt. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2864 3 Schließlich wurden Angebote deshalb abgesagt, weil keine Einigung über einen wirtschaftlichen Miet- oder Kaufpreis erzielt werden konnte. 4. Was sind die genauen Kriterien und Bemessungsgrößen für die Auswahl einer Unterkunft? Für die Auswahl von Unterkünften wird eine Vielzahl von Kriterien herangezogen (siehe auch Vorbemerkung), deren Anwendung jedoch einzelfallbezogen, auch abhängig von der konkreten Immobilie, erfolgen muss. Neben den in 4. a) bis c) genannten Kriterien können auch Faktoren wie die Angemessenheit des Herrichtungs- und Betriebsaufwandes, der Zeitpunkt der Verfügbarkeit , die Laufzeit der Nutzung beziehungsweise zeitliche Vertragsbindungen gegenüber dem Vermieter sowie rechtliche und technische Nutzungsvoraussetzungen eine Rolle spielen. a) Wann ist sie zu klein, wann zu groß? Für die Nutzung von Immobilien als Unterkünfte gibt es keine feste Unter- oder Obergrenze im Sinne von „zu klein“ oder „zu groß“. Es gibt Orientierungswerte, von denen in einer Gesamtbetrachtung abgewichen werden kann und wird. Bei der Beurteilung der Größe von freien Flächen ist zunächst grundsätzlich zu berücksichtigen, welche Kapazitäten noch vorliegen, wenn Einschränkungen der Bebaubarkeit etwa aus Gründen des Bauplanungsrechts, des Immissionsschutzes oder des Naturschutzes berücksichtigt worden sind. Eine Immobilie kann zudem dann ungeeignet sein, wenn der erforderliche Aufwand angesichts der Zahl der zu schaffenden Plätze zu groß ist und damit die Bindung von Planungs- und Baukapazitäten nicht sinnvoll ist. Für eine Nutzung als Zentrale Erstaufnahme (ZEA) kommen vor allem Immobilien in Frage, die eine Kapazität von mindestens 300 Plätzen einschließlich der benötigten Sanitär-, Kantinen-, Verwaltungs-, Schulungs- und Gemeinschaftsräume bieten. Zudem müssen Flächen eine Mindestgröße von circa 5.000 qm, Gebäude eine Bruttogrundfläche von circa 4.000 qm aufweisen. Für die Folgeunterbringung (öffentlich-rechtliche Unterbringung) werden grundsätzlich Immobilien geprüft, die eine Kapazität von mindestens 80 Unterbringungsplätzen zuzüglich der notwendigen Verwaltungs- und Gemeinschaftsräume bieten. Kleinere Einheiten können in Betracht kommen, wenn Sie in der Nähe einer bestehenden Einrichtung liegen (Mitverwaltung möglich) oder gute Bedingungen für besondere Zielgruppen bieten (etwa: Barrierefreiheit, Anbindung an Einrichtungen wie Krankenhäuser und Ähnliches). Kleinere Immobilen werden zudem für die Nutzung zur Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen durch den Landesbetrieb Erziehung und Beratung geprüft. Für den Betrieb einer Erstversorgungseinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hat sich eine Mindestgröße von 15 Plätzen und eine maximale Größe von etwa 160 Plätzen in Abhängigkeit der baulichen Gegebenheiten als handhabbar erwiesen. Im Einzelfall werden kleine Immobilien an freie Träger der Jugendhilfe weiterempfohlen , die Wohngruppen für minderjährige Flüchtlinge betreiben. Absolute Ober- oder Untergrenzen existieren nicht. b) Welche Kriterien bestehen für die Ortswahl? Wie dargestellt werden Standorte anhand verschiedener Kriterien geprüft. In diese Gesamtbetrachtung werden neben Fragen der Flächen- oder Objektbeschaffenheit (zum Beispiel Bodenbeschaffenheit, Bewuchs, Altlasten, Umgebungsbebauung, Kampfmittelbelastung, Störfallbetriebe und Raumgliederung, Gebäudezustand, technische Ausstattung, Brandschutzstandards, nachbarschaftliche Belange, siehe auch Vorbemerkung) auch Fragen der baurechtlichen Gegebenheiten und des Gesundheitsschutzes einbezogen. Darüber hinaus werden Fragen der verkehrlichen Anbindung in Hinsicht auf die Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs sowie verfügbarer Infrastruktureinrichtungen einbezogen. Das Ziel, eine möglichst gleichmä- Drucksache 21/2864 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 ßige Verteilung von Unterkünften in den Stadtteilen und Quartieren herzustellen, wird hierbei berücksichtigt. Bei der Nutzung vorhandener Gebäude muss die Eignung für eine Unterkunft gegeben sein. Wünschenswert ist eine Aufteilung des Objekts in Einzelräume mit Tageslicht mit Flächen von circa 12 qm bis circa 20 qm. Zahlreiche Flächen ohne Tageslicht sprechen gegen eine Eignung. Der Brandschutz muss gewährleistet sein. Weiterhin müssen die Versorgungsleitungen für eine Unterkunftsnutzung ausgelegt sein und auch der Einbau von Nassräumen muss mit vertretbarem Aufwand möglich sein. Es dürfen keine Belastungen im Gebäude (Altlasten, Asbest, Schimmel et cetera) bestehen . Zudem werden Außenflächen und Infrastrukturangebote in der Nähe geprüft. Umbauten können mit vertretbarem Aufwand durchgeführt werden, je länger die Laufzeit für die Nutzung ist. Da die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in der Regel berufsschulpflichtig sind, muss das S- und U-Bahnnetz von der geplanten Einrichtung für diese Zielgruppe in angemessener Zeit und Taktung (bei Busanschluss) erreichbar sein. Zudem sind nachbarschaftliche Belange einzubeziehen. c) Inwiefern spielt der Anbieter dabei eine Rolle? Die Person des Anbieters spielt grundsätzlich keine Rolle, solange er tatsächlich über die Immobilie verfügen kann und es sich um ein seriöses Angebot handelt. Zudem muss er grundsätzlich die Gewähr dafür bieten, vertragliche Verpflichtungen sach- und termingerecht zu erfüllen. 5. In den Zentralen Erstaufnahmen gilt nach § 47 Absatz 1 Asylgesetz eine Wohnpflicht von bis zu sechs Monaten. Wie viele Flüchtlinge müssen gegenwärtig, aufgrund mangelnder Plätze in den Folgeunterbringungen, auch nach Ablauf der Wohnverpflichtung in der ZEA verbleiben? Zum Stand 15. Januar 2016 sind 2.575 Personen länger als sechs Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. 1.655 Personen davon könnten in eine Folgeunterbringung wechseln, sobald die benötigten Plätze zur Verfügung stehen, weil ihre Residenzpflicht nicht mehr besteht. 920 Personen stammen aus sicheren Herkunftsländern, deren Residenzpflicht nicht auf sechs Monate beschränkt ist und die in der Regel bis zur Beendigung des Verfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben (§ 47 Absatz 1a Asylgesetz). 6. Wie viele Fälle von zeitlichen Überschreitungen gab es bislang? Bitte Häufigkeit und Länge der Überschreitung auflisten. Die Zahl der zeitlichen Überschreitungen der Residenzpflicht im letzten Jahr ist der folgenden Übersicht zu entnehmen: Monat Anzahl Überresidenter (Durchschnitt) Januar 2015 1.465 Februar 2015 1.299 März 2015 1.581 April 2015 1.699 Mai 2015 2.014 Juni 2015 2.132 Juli 2015 2.345 August 2015 2.775 September 2015 3.518 Oktober 2015 4.657 November 2015 939* Dezember 2015 1.271* * Bis einschließlich Oktober 2015 wurden alle Personen erfasst, die seit mehr als drei Monaten in einer Erstaufnahmeeinrichtung lebten. Nach der Änderung des § 47 Asylgesetz werden seit November 2015 die Personen erfasst, die seit mehr als sechs Monaten in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben, und die nicht aus sicheren Herkunftsstaaten stammen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2864 5 Aufgrund der Anzahl überresidenter Personen kann die Länge der einzelnen Überschreitungen in der für die Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht ermittelt werden. 7. In der Drs. 21/1972 weist die Senatsantwort auf die Einrichtung einer Koordinierungsstelle für die Vermittlung in privaten Wohnraum hin. Wie ist der aktuelle Stand in Bezug auf die Einrichtung dieser Koordinierungsstelle ? Die Koordinierungsstelle Integrative Flüchtlingsunterbringung startete als Projekt „Wohnbrücke Hamburg“ im November 2015 unter dem Dach der Lawaetz-Service GmbH und der neu gegründeten Stiftung Wohnbrücke Hamburg. Die Wohnbrücke unterstützt bei der Vermittlung in privaten Wohnraum auf Basis von unbefristeten Mietverträgen über abgeschlossene Wohneinheiten an Flüchtlinge. Dabei werden die Flüchtlinge von ehrenamtlichen Wohnungslotsen unterstützt und begleitet, indem ihnen konkrete Informationen und Ansprechpartner zur Verfügung gestellt und eine modulare Fortbildung sowie regelmäßige Feedback-Gespräche angeboten werden. Der direkte Kontakt mit dem Vermieter/Verwalter wird hergestellt, um eine Kommunikation zu gewährleisten.