BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2871 21. Wahlperiode 22.01.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Philipp Heißner (CDU) vom 14.01.16 und Antwort des Senats Betr.: Neun Monate alter Säugling von Eltern schwer misshandelt Erneut wurde gestern in den Medien ein schwerer Fall von Kindesmisshandlung eines Kleinkindes in Hamburg bekannt. Der neun Monate alte Junge wurde laut Medienberichten mit schweren Verletzungen im November 2015 in ein Krankenhaus eingeliefert. Im Zuge der Untersuchung wurde ein Schütteltrauma diagnostiziert und der Fall wurde dem Jugendamt mitgeteilt. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Bei den erfragten Informationen handelt es sich überwiegend um geschützte Sozialdaten im Sinne der §§ 35 SGB I, 60 fortfolgende SGB VIII, 67 fortfolgende SGB X. Nach dem umfassenden Sozialdatenbegriff der SGB I, VIII und X sind nicht nur alle in den Jugendamtsakten befindlichen Daten bezüglich des betroffenen Kindes Sozialdaten, sondern auch alle Daten über seine Familienmitglieder und Dritte. Die Übermittlung solcher Informationen durch den Senat kommt damit nur unter den engen gesetzlichen Voraussetzungen infrage. Gemäß § 67 b Absatz 1 S. 1 SGB X ist die Verarbeitung von Sozialdaten, zu der gemäß § 67 Absatz 6 S. 1 SGB X auch das Übermitteln gehört, nur zulässig, soweit eine Rechtsvorschrift im SGB dies erlaubt oder anordnet oder soweit der Betroffene schriftlich eingewilligt hat. Im SGB existiert keine Übermittlungsbefugnis zugunsten des Parlaments. Eine vorherige schriftliche Einwilligung der Betroffenen, die eine Übermittlung zulassen würde, liegt derzeit nicht vor. Auch der Umstand, dass viele Informationen bereits in den Medien verbreitet wurden, rechtfertigt eine Übermittlung von Sozialdaten nur dann, wenn die öffentlich bekannten Informationen nachweislich aus einer zuverlässigen Quelle stammen. Nicht als „öffentlich bekannt“ und damit dem Sozialdatenschutz unterliegend gelten Informationen aus „zweiter Hand“, vom Hörensagen und solche, deren Ursprung nicht bekannt ist. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Seit wann waren die Behörden über die Einlieferung des Kindes ins Krankenhaus informiert? Wann lagen welchen Behörden, insbesondere der Polizei und der Staatsanwaltschaft, welche Informationen zu dem Fall vor? Das Bezirksamt wurde am Montag, dem 16. November 2015, um 9.30 Uhr über die Einlieferung ins Krankenhaus informiert, die zuständige Fachbehörde hat am 17. November 2015 um 16.34 Kenntnis erhalten. Am 24. November 2015 erstattete eine Mitarbeiterin des Jugendamtes Hamburg- Altona mündlich Strafanzeige am Polizeikommissariat 21. Die Staatsanwaltschaft Hamburg erhielt von dem Sachverhalt durch eine Strafanzeige des Instituts für Drucksache 21/2871 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Rechtsmedizin Kenntnis, die am 08.12.2015 per Fax einging. Der Anzeige war das Protokoll der rechtsmedizinischen Untersuchung des geschädigten Kindes beigefügt. 2. Gab es Gespräche, Bitten oder Anweisungen, den Vorfall der Öffentlichkeit zeitweise oder ganz vorzuenthalten? 3. Welche Behörden haben wann Pressemitteilungen oder vergleichbare Schriftstücke zu dem Fall vorbereitet? Wann lagen die zugrunde liegenden Informationen den Behörden jeweils vor? Wann wurden diese jeweils veröffentlicht? Die Pressestelle der Staatsanwaltschaft hat in diesem Verfahren keine eigenen Pressemitteilungen oder vergleichbare Schriftstücke vorbereitet oder veröffentlicht. Eine der Pressestelle der Staatsanwaltschaft am 13. Januar 2016 als Entwurf zugeleitete schriftliche Pressemitteilung der Polizeipressestelle wurde am 13. Januar 2016 zur Veröffentlichung freigegeben. Zuvor hätte eine (aktive) Pressearbeit die Ermittlungen gefährdet. Die für die Kinder- und Jugendhilfe zuständigen Behörden betreiben in entsprechenden Fällen in Hinblick auf den Sozialdatenschutz keine aktive Öffentlichkeitsarbeit. 4. Welche Erkenntnisse liegen den zuständigen Stellen über die Umstände der Misshandlung des kleinen Jungen vor? Wie ist gegenwärtig der gesundheitliche Zustand des Jungen? Einzelheiten zu den Tatumständen sind Gegenstand der noch laufenden Ermittlungen und können aus ermittlungstaktischen Gründen derzeit nicht bekanntgegeben werden. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 5. Wann wurde der Junge wo geboren und wer hatte das Sorgerecht zu welcher Zeit für das Kind? In welcher Obhut befindet sich der Junge zurzeit ? Der Junge wurde am 30. Januar 2015 in Hamburg geboren. Nach den Erkenntnissen der Polizei ist derzeit das Jugendamt Altona gesetzlicher Vertreter. Der Junge wurde durch das Jugendamt in Obhut genommen und befindet sich in einer Pflegefamilie. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 6. Ab welchem Zeitpunkt stand die Mutter oder die Familie unter Aufsicht des Jugendamtes? Bitte Benennung des genauen Datums. a. Seit wann und wie lange sind jeweils welche staatliche Stellen mit der Familie und dem Säugling beschäftigt? b. Welche Abteilung/-en des zuständigen Jugendamts und weiterer Behörden sind mit dem Fall im Einzelnen betraut? c. Wie viele Kontakte des zuständigen Jugendamtes oder anderer Behörden gab es zu dem Kind und seinen Eltern seit der Geburt des Kindes und wann fanden diese in welcher Form statt? d. Wann und wie lange wurde die Familie durch wen in welcher Leistungsart und in welchem Umfang betreut? e. Welche Entscheidungen zu diesen Hilfen im Hinblick auf Ausweitung oder Kürzung gab es jeweils wann und durch welche Stellen? f. Gab es vor der Misshandlung des Kindes bereits eine Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII? Falls ja, wann, für wie lange und wo wurde das Kind gegebenenfalls untergebracht? Wenn ja, warum und wann wurde das Kind der Mutter wiedergegeben ? g. Welche Mitarbeiter welcher Stellen haben das Kind wann zuletzt aus welchem Anlass gesehen? Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2871 3 h. Welche Maßnahmen wurden nach der Misshandlung veranlasst? Bitte Benennung des genauen Datums. i. War der zuständige Kinderschutzkoordinator mit dem Fall befasst? Wenn ja, wann und zu welchen Anlässen? Siehe Vorbemerkung. 7. In Zusammenhang mit dem Tod Yagmurs hat der damalige PUA mit der Empfehlung Nummer 18 fraktionsübergreifend beschlossen, im Falle unklarer medizinischer Fragestellungen bei Kindesmisshandlungen Rücksprache mit dem Kinder-KOMPT zu halten und im Falle von Auffälligkeiten die Kinder einer regelmäßigen Kontrolle durch das Kinder- KOMPT zu unterziehen. a. Inwieweit, wann und mit welchem Ergebnis wurde das Kinder- KOMPT bei dem kleinen Jungen eingeschaltet? b. Wurden im Anschluss daran regelmäßige Kontrollen bei dem kleinen Jungen im Kinder-KOMPT veranlasst? Wenn nein, warum nicht? Die Kinderschutzkoordinatorin des Altonaer Kinderkrankenhauses schaltete am 16. November 2015 das Institut für Rechtsmedizin ein, das den Jungen am 17. November 2015 untersuchte. Das festgestellte subdurale Hämatom begründete den Verdacht eines Schütteltraumas. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 8. Hat der kleine Junge Geschwister? Wenn ja, sind auch hier Misshandlungen bekannt? In welcher Obhut befinden sich die Geschwister derzeit? Der Junge hat vier ältere Geschwister. Ob diese Opfer von Misshandlungen wurden, ist ebenfalls Gegenstand der noch laufenden Ermittlungen. Die Kinder befinden sich nicht mehr in der Familie. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 9. Im Zuge der Ermittlungen kam es laut Medienberichten zu einer Wohnungsdurchsuchung der Beschuldigten im Hamburger Stadtteil Osdorf. Bewohnten Mutter und Vater des Säuglings zusammen diese Wohnung? Wurden bei der Durchsuchung Auffälligkeiten bekannt? Welche Beweismittel wurden dabei sichergestellt? Die Ergebnisse der Durchsuchungsmaßnahmen können aus ermittlungstaktischen Gründen derzeit nicht bekanntgegeben werden. 10. Kam es seit der Geburt des Kindes zu Polizeieinsätzen in der Wohnung der Familie oder wegen der Familie des Kindes? Waren der Vater und/ oder die Mutter vor der Misshandlung des Kindes polizeibekannt? Wenn ja, aus welchen Gründen? Im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen und die gesetzlichen Wertungen des Bundeszentralregistergesetzes sieht der Senat davon ab, etwaige Strafverfahren mitzuteilen, die zu einem Abschluss geführt haben, der entweder nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen oder nach den Tilgungsvorschriften des Bundeszentralregistergesetzes nicht mehr zu berücksichtigen ist. Unter dieser Maßgabe werden für die betreffenden Personen folgende rechtskräftige Verurteilungen mitgeteilt: Die Kindsmutter wurde mehrfach wegen Diebstahls zu Geldstrafen und zuletzt am 18. Juni 2015 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt.