BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2912 21. Wahlperiode 26.01.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karin Prien (CDU) vom 19.01.16 und Antwort des Senats Betr.: Situation von Christen und anderen Minderheiten in Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen Immer wieder machen Berichte von in Flüchtlingsheimen bedrohten und diskriminierten Christen die Runde. Dieser Tage wurde sogar ein Fall aus Hessen publik, in dem nicht nur die muslimischen Flüchtlinge, sondern auch das ebenfalls muslimische Sicherheitspersonal christliche Flüchtlinge misshandelt haben sollen. Besonders soll es jene unter den Flüchtlingen treffen, die sich erst in Deutschland entschieden haben, zum Christentum zu konvertieren. Hamburger Kirchengemeinden, an die sich einige Betroffene bereits mit der Bitte um Hilfe gewandt haben, berichten, dass es auch in der Hansestadt immer wieder zu Beschimpfungen und sogar tätlicher Gewalt gegen Christen in den Erstaufnahmeeinrichtungen gekommen sei. Da die Beschimpfungen auf Arabisch erfolgten, würde das Personal der Einrichtungen allerdings oft gar nicht erkennen, was direkt vor ihren Augen abläuft. Auch scheuten die Betroffenen oft, Anklage zu erheben, da sie fürchten würden, die Täter könnten IS-Anhänger sein und entsprechende Informationen in die Heimat weitergeben , was wiederum fatale Folgen für die dort verbliebenen Angehörigen haben könnte. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Die Antworten zu 2. bis 4. beziehen sich auf Zentrale Erstaufnahmeeinrichtungen (ZEA) in dem Zeitraum 1. Januar 2015 bis 20. Januar 2016. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Liegen dem Senat Berichte von in Hamburger Flüchtlingsunterkünften diskriminierten und bedrohten Christen vor? Wenn ja, wie viele, wo erfolgten sie, handelte es sich um verbale oder physische Gewalt? Welcher Nationalität und Religionszugehörigkeit waren die Täter? Eine abrufbare statistische Erfassung dieser Fälle erfolgt nicht. Der Hintergrund von Streitigkeiten ist den Betreibern sowie der zuständigen Behörde nicht in jedem Fall bekannt. Nach den bisher vorliegenden Erfahrungen ergeben sich Konflikte regelmäßig aus alltäglichen Situationen ohne jeden religiösen Hintergrund. So können zwar Personen mit unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten beteiligt sein, der Auslöser kann jedoch auch privater oder anderer Natur sein. In einigen Fällen wurde durch Gespräche festgestellt, dass die Religionszugehörigkeit beziehungsweise Diskriminierungen bestimmter Personen bei Beschwerden beim Unterkunfts- oder Sozialmanagement vorgeschoben wurden, weil die sich beschwerenden Personen glaubten, dass damit die Verlegung in eine bessere Unterkunft erwirkt werden könne. Im Übrigen ergab eine Abfrage bei den Betreibern der Erstaufnahmeeinrichtungen folgende Ergebnisse: Drucksache 21/2912 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Standort Vorfall Karl-Arnold-Ring Ein Bewohner christlichen Glaubens beklagte sich, wegen seines nach außen sichtbaren Zeichens seiner Religionszugehörigkeit (Kreuz) von anderen Bewohnern angefeindet worden zu sein. Alle Beteiligten waren Iraner, sowohl Christen als auch Muslime. Hörgensweg Tätlicher Übergriff eines muslimischen Afghanen auf einen christlichen Iraner. Ob es sich um eine religiöse Auseinandersetzung handelte, ist nicht bekannt Bargkoppelstieg Verbale Auseinandersetzung zwischen christlichen und muslimischen Syrern. Papenreye Verbale Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Iranern und Afghanen. Flagentwiet Einem zum Christentum konvertierten Bewohner wurde von einem muslimischen Mitbewohner gedroht, ihn umzubringen. Polizei wurde eingeschaltet. Bei den nicht aufgeführten Einrichtungen liegen keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor. Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 2. Liegen der zuständigen Behörde in diesem Zusammenhang Anzeigen vor und wird vor diesem Hintergrund ermittelt? Wenn ja, um wie viele Anzeigen in welchem Zeitraum handelt es sich jeweils? Wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet? Wenn ja, wann und wie viele? Der Polizei sind vier Taten im Sinne der Frage angezeigt geworden. Entsprechende Ermittlungsverfahren wurden jeweils am Tattag eingeleitet (18. Oktober 2015, 27. November 2015, 1. Januar 2016 und 6. Januar 2016). Im Übrigen siehe Vorbemerkung . 3. Was wurde allgemein und im konkreten Fall jeweils unternommen und wie sollen künftig derartige Vorfälle in den Einrichtungen vermieden werden ? Wurden regelverdeutlichende Gespräche mit den jeweiligen Tätern beziehungsweise Handelnden geführt? Die Polizei hält ständigen Kontakt zu den Betreibern beziehungsweise Leitungen der ZEA. Diese Kontakte werden durch die Beamten des Besonderen Fußstreifendienstes und/oder der jeweiligen Leitung des zuständigen Polizeikommissariates wahrgenommen . Darüber hinaus sind auch Beamte des Jugendschutzes tätig. Im Übrigen bewertet die Polizei die aktuelle Entwicklung fortlaufend und steht in einem regelmäßigen Informationsaustausch mit den zuständigen Stellen. Die Polizei ist gemeinsam mit dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg, der Behörde für Schule und Berufsbildung, dem Bezirksamt Hamburg-Mitte, den muslimischen Religionsgemeinschaften und der Alevitischen Gemeinde im Beratungsnetzwerk „Prävention und Deradikalisierung“ der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) vertreten. Hier findet zur Vorbeugung und Bekämpfung von religiös motiviertem Extremismus und Islamfeindlichkeit ein regelmäßiger Informationsaustausch statt. Im Übrigen siehe Antworten zu 6. und 7. Darüber hinaus steht die Präventionsstelle der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes sowohl anlassbezogen als auch anlassunabhängig externen und internen Bedarfsträgern als Ansprechpartner zur Verfügung. 4. Wurden bereits in Hamburg untergekommene Flüchtlinge als IS-Sympathisanten oder gar IS-Kämpfer entlarvt? Wenn ja, wie viele und wie wurde mit den Enttarnten weiter verfahren? Der Polizei ist kein Fall im Sinne der Fragestellung bekannt. Dem LfV ist bisher kein verifizierter Fall bekannt geworden, dass sich ein Angehöriger im Sinne der Fragestellung unter den Flüchtlingen befunden hat. Jedem entsprechenden Hinweis geht das LfV mit der gebotenen Sorgfalt nach. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2912 3 Im Übrigen siehe Vorbemerkung. 5. Gab es auch in Hamburg Fälle von Diskriminierung christlicher Flüchtlinge , bei denen das Sicherheitspersonal involviert war? Wenn ja, was ist wann wie vorgefallen und was wurde daraufhin unternommen ? Im Herbst 2014 wurde ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes in der Harburger Poststraße von einem Bewohner der religiösen Diskriminierung beschuldigt, da eine getroffene Maßnahme als ungerecht empfunden wurde. Im darauffolgenden Gespräch ergab sich, dass ein religiöser Hintergrund ausgeschlossen werden konnte. Der Mitarbeiter wurde dennoch aus der Einrichtung abgezogen. Darüber hinaus sind keine Fälle bekannt. 6. Welche Präventionsmaßnahmen zum Schutz von Christen führen die Träger von Flüchtlingseinrichtungen durch? Alle Erstaufnahmeeinrichtungen sind Orte religiöser Neutralität. Somit werden weder Christen noch andere Religionsgemeinschaften bevorzugt behandelt. Die Bewohnerinnen und Bewohner werden in den jeweiligen Hausordnungen verpflichtet, rücksichtsvoll miteinander umzugehen. Sie werden darüber hinaus je nach Einrichtung in Gesprächen, Broschüren und Informationsveranstaltungen unter anderem über Themen wie Respekt, Toleranz und Religionsfreiheit informiert. Der überall eingesetzte Wachdienst überwacht die Einhaltung der Hausordnung und greift bei Problemen ein. Darüber hinaus siehe Drs. 20/12626. 7. Gibt es Ansprechpartner für Betroffene vor Ort und einen Leitfaden für die Ansprechpartner, wie sie reagieren sollen? Das Sozialmanagement ist Ansprechpartner bei Problemen. Im Ernstfall können sich die Betroffenen stets an den Wachdienst wenden, der auch die Polizei einschalten kann. Ein Leitfaden existiert nicht. Auch naheliegende Kirchengemeinden können sich als Ansprechpartner zur Verfügung stellen. Im Übrigen siehe Drs. 21/2807. 8. Ist bekannt, wie viele der Flüchtlinge Christen, Muslime und Angehörige anderer Religionen sind (jeweils Gesamtzahl und Anteil in Prozent) und wie viele muslimische Flüchtlinge in Hamburg im Jahr 2014 und 2015 zum christlichen Glauben konvertiert sind? Nein, die Religionszugehörigkeit wird nicht erfasst. 9. Waren die Konvertierten einem erhöhten Risiko von Beschimpfungen ausgesetzt? Den Betreibern und der zuständigen Behörde liegen in der Regel keine Erkenntnisse über die Religionszugehörigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner vor. Dementsprechend ist regelhaft auch nicht bekannt, wie viele Konvertiten sich in den Einrichtungen aufhalten. Hinweise auf ein grundsätzlich höheres Risiko für Anfeindungen liegen nicht vor. 10. Gibt es Überlegungen, separate Einrichtungen speziell für christliche Flüchtlinge einzurichten? Nein. Von allen Ankommenden ist von vornherein die Bereitschaft zu fordern, Menschen anderer Religionszugehörigkeit zu achten und zu respektieren. 11. Wie wird reagiert, wenn Opfer von Diskriminierung den Wunsch nach Schutzräumen äußern? Es besteht die Möglichkeit, Betroffene oder Täter in andere Einrichtungen zu verlegen. Dies wird im Einzelfall entschieden. Ebenso kann den Betroffenen ein bestimmter Platz in der Einrichtung zugewiesen werden, der besonders schutzbedürftigen Personen vorbehalten ist. 12. Welche Möglichkeiten haben Kirchengemeinden, gläubige Christen innerhalb der Einrichtungen zu unterstützen beziehungsweise können sie diesen auch in ihren Räumlichkeiten Schutz gewähren? Drucksache 21/2912 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 Artikel 17 des Vertrages zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 29. November 2005 (HmbGVBl. S. 430) sowie Artikel 8 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg vom selben Tag (HmbGVBl. S. 436) sehen ein Recht der Kirchen auf seelsorgerische Betreuung in öffentlichen Einrichtungen vor. Im Übrigen siehe Drs. 21/1341. 13. Sind außer Christen auch andere Minderheiten einem erhöhten Diskriminierungsrisiko ausgesetzt? Wenn ja, bitte ich um entsprechende Beantwortung der Fragen zu 1. bis 12. zu der jeweiligen Minderheit. Die Betreiber berichten, dass gezielte Diskriminierungen bestimmter Gruppen grundsätzlich nicht zu beobachten sind. Darüber hinaus kann nicht ausgeschlossen werden, dass es in Einzelfällen zu Auseinandersetzungen aufgrund unterschiedlicher Ansichten oder Glaubensrichtungen (auch innerhalb einer Religion) kommt. Zur Situation von Frauen siehe Drs. 21/1570, 21/1704, 21/2142 und 21/2829.