BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2944 21. Wahlperiode 29.01.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 21.01.16 und Antwort des Senats Betr.: Personendatenbank Gruppen- und Szenegewalt der Polizei Hamburg (II) Durch die Schriftliche Kleine Anfrage Drs. 21/2701 wurde bekannt, dass auch Hamburgs Szenekundigen Beamte eine Personendatenbank mit dem Titel „Gruppen- und Szenegewalt“ führen. Aus den Antworten auf diese Schriftliche Kleine Anfrage und der Medienberichterstattung ergeben sich Nachfragen . So frage ich den Senat: 1. Führt die Hamburger Polizei neben der jetzt öffentlich gewordenen Datei „Gruppen- und Szenegewalt“ weitere bisher nicht bekannte Datenbanken ? Wenn ja, welche? Der Senat hat keine allgemeine Kenntnis darüber, wem welche Dateien bisher bekannt beziehungsweise nicht bekannt sind. Eine Bekanntgabe an die Öffentlichkeit beziehungsweise an den Bürger ist für Dateien der Polizei Hamburg rechtlich jedenfalls nicht vorgesehen. Soweit entsprechende rechtliche Vorgaben bestehen, werden die Dateien der Polizei Hamburg dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) beziehungsweise dem Behördlichen Datenschutzbeauftragten (BDSB) übermittelt und sind diesen mithin in der vorgeschriebenen Weise bekannt gegeben. Dies ist auch bei der Datei „Gruppen- und Szenegewalt“ vor Errichtung der Datei erfolgt. 2. Umfasst die Datei „Gruppen- und Szenegewalt“ neben dem Bereich der Sportgewalt weitere Bereiche von „Gruppen- und Szenegewalt“? Wenn ja, a. welche; b. wie viele Personen aus welchen Bereichen sind gespeichert? Ja. Als „Gruppen- und Szenegewalttäter“ gelten Personen, die - in einer Gruppe (in der Regel ab vier Personen), - einzeln im Schutz einer Gruppe, - einzeln aufgrund einer tatsächlichen Verbindung zu einer Gruppe/Szene, - einzeln aufgrund einer gedanklichen Verbindung zu einer Gruppe/Szene, sofern die gedankliche Verbindung in der Straftat oder ihren Begleitumständen Ausdruck findet, Drucksache 21/2944 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 - einzeln unter Einfluss einer Gruppe Straftaten mit Gewalt gegen Sachen oder mit Gewalt oder Androhung von Gewalt gegen Personen begehen und dabei Rohheit oder Brutalität zeigen. Straftäter mit politischen Motiven sind keine „Gruppen- und Szenegewalttäter“ im Sinne dieser Regelung. Gespeichert wird das Auftreten von Personen in Gruppen und Szenen, neben den Gewalttätern der unterschiedlichen sportlichen Bezüge zum Beispiel Türsteher, Rocker und gewalttätige Gruppen in Stadtteilen. Derzeit sind circa 4.000 Datensätze gespeichert. Die vermeintliche Diskrepanz zur Drs. 21/2701 mit den dort angegebenen mehr als 2.000 Datensätzen erklärt sich aus dem jeweils abgefragten Umfang. In der Drs. 21/2701 ist allein der Bereich Sportgewalt in der Datei „Gruppen- und Szenegewalt“ abgefragt worden, während die nun in Rede stehende Schriftliche Kleine Anfrage alle von der Datei erfassten Bereiche erfragt. Die detaillierte Benennung der gespeicherten Gruppen und Szenen würde bereits Rückschlüsse zulassen, durch die Ermittlungserfolge erheblich beeinträchtigt werden können. 3. Wie viele der in der Datei „Gruppen- und Szenegewalt“ gespeicherten Personen sind minderjährig? Mit Stand 22. Januar 2016 sind 36 Personen als minderjährig erfasst. 4. Gibt es eine Handlungs- und/oder Dienstanweisung zur Erfassung von Personen in der Datei Gruppen- und Szenegewalt? Wenn ja, bitte anhängen. Wenn anhängen nicht möglich, bitte die zentralen Kriterien aufführen. Nein. Im Übrigen siehe Drs. 21/2701 und Antwort zu 2. a. und b. 5. Welche Dienststellen und Abteilungen sind zur Einspeisung von Daten berechtigt? Die Dienststellen des Landeskriminalamtes (LKA) 121 und LKA 113 sind Berechtigte im Sinne der Fragestellung. 6. Inwiefern sind die Daten in der Datei Gruppen- und Szenegewalt suchfähig gespeichert? Die Daten können durch für die Einsichtnahme in die Datei berechtigte Mitarbeiter mittels eines in ein Suchfeld eingegebenen Suchbegriffs abgefragt werden. Dabei kann die Suche für den gesamten Datenbestand oder für einen Teilbereich, zum Beispiel einen bestimmten Vorgang, ausgeführt werden. Des Weiteren kann die Suche durch Suchoperatoren weiter eingegrenzt werden, zum Beispiel durch die Suche nach einem Namen oder einem Geburtsdatum. a. Falls nein, wie wird in der Praxis in der Datei nach Daten gesucht? b. Falls nein, wie wurde die Aufschlüsselung nach Vereinszugehörigkeit für die Drs. 21/2701 vorgenommen und warum wurde Frage 8. der Drs. 21/2701 nicht beantwortet? Entfällt. c. Falls ja, inwiefern sind die Vorgaben des § 16 Absatz 2 Satz 3 PolDVG gewahrt, vor allem vor dem Hintergrund, dass laut Auskunft des Senats auch Datenspeicherungen von Begleit- und Kontaktpersonen und Störern vorgenommen werden? Für eine Speicherung von Kontakt- und Begleitpersonen sowie Störern sind die Vorgaben nach § 16 Absatz 2 S. 3 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) nicht einschlägig. Das Speichern personenbezogener Daten von Kontaktund Begleitpersonen richtet sich nach § 16 Absatz 3 PolDVG. Danach darf die Polizei personenbezogene Daten von Kontakt- und Begleitpersonen einer Person speichern, Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2944 3 bei der tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie künftig Straftaten begehen wird. Personenbezogene Daten von Störern dürfen gemäß § 16 Absatz 1 PolDVG gespeichert werden. Demnach darf die Polizei personenbezogene Daten speichern, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben (hier: Gefahrenabwehr) erforderlich ist. § 16 Absatz 2 PolDVG regelt demgegenüber die Verarbeitung von Daten, die im Rahmen der Strafverfolgung gewonnen wurden. 7. Wie viele bekannt gewordene Ermittlungsverfahren und Verfahrensausgänge sind in der Datei gespeichert? Bitte nach: a. Bereichen, b. Verfahrensausgängen aufschlüsseln. Wie viele der in der Datei „Gruppen- und Szenegewalt“ gespeicherten Personen sind jeweils verurteilt? Wie viele aufgrund von Gewalttätigkeiten? Die erfragten Daten können elektronisch nicht recherchiert werden. Zur Beantwortung wäre die Öffnung jedes Datensatzes erforderlich. Die erforderliche händische Auswertung von circa 4.000 Datensätzen ist in der zur Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 8. Wie sind die Prüffristen für die Datei Gruppen- und Szenegewalt? Die Daten von Beschuldigten und Verdächtigen sind nach zwei Jahren, die von Kontakt - und Begleitpersonen und Störern nach einem Jahr auf die Erforderlichkeit hinsichtlich einer weiteren Speicherung zu überprüfen. Im Übrigen gelten die Vorschriften der §§ 15 und 16 PolDVG. a. Wie wird die Prüfung entsprechend dieser Fristen in der Praxis durchgeführt? Wer ist dafür verantwortlich? b. Inwiefern gibt es hierzu ein automatisiertes Verfahren? Programmimmanent sind automatisierte Prüffristen. Wenn die Prüffrist eintritt, wird der Datensatz für den Anwender gesperrt und ist nicht mehr sichtbar. Es erfolgt ein Hinweis auf Fristablauf. Der Datensatz geht in eine Prüfliste über, die nur von einem Systemadministrator eingesehen, bearbeitet und gelöscht werden kann. Inhaltlich obliegt den mit dieser Aufgabe besonders betrauten lokalen Administratoren die Prüf- und Löschfristüberwachung. In einer Einzelfallprüfung mit den kriminalpolizeilichen Sachbearbeitern wird nach Aktenlage über die Erforderlichkeit einer weiteren Datenspeicherung entschieden. c. Inwiefern werden Beschuldigte nach Einstellung des Verfahrens sofort aus der Datei entfernt? Eine Verfahrenseinstellung bewirkt nicht automatisch die Löschung der gespeicherten Daten. Eine Löschung im Sinne der Fragestellung erfolgt erst dann, wenn die Kriterien für eine Speicherung in der Datei entfallen sind. Im Übrigen siehe Antwort zu 17. 9. Werden unter Kontakt- und Begleitpersonen auch Personen geführt, die im Zuge ihrer Berufsausübung zu diesem Personenkreis zählen können? Als Beispiel seien hier Mitarbeiter der jeweiligen Vereine und Fanprojekte genannt. Nein. 10. Wie viele Personen sind für Hamburg in der bundesweiten Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ aufgeführt? Wenn möglich bitte nach Vereinszugehörigkeit aufschlüsseln. Die Datei „Gewalttäter Sport“ ist eine Verbunddatei nach Maßgabe des § 11 Absätze 1 bis 3 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (BKAG). Dateiführende Stelle ist das Bundeskriminalamt (BKA). Die Beantwortung der Frage kann nur durch das BKA erfolgen. Erhebungen im Sinne der Fragestellung werden bei der Polizei nicht geführt. Drucksache 21/2944 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 a. Inwiefern sind Datensätze aus der Verbunddatei Gewalttäter Sport in die Datei Gruppen- und Szenegewalt übernommen worden? Wenn ja, wie häufig geschah dies und warum? Die Dateien „Gruppen- und Szenegewalt“ und „Gewalttäter Sport“ sind zwei getrennt geführte Dateien. Eine automatisierte Übernahme von Datensätzen erfolgt nicht. Erkenntnisse aus der Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ wurden nach fachlicher Bewertung verwendet. Die Häufigkeit wird nicht erfasst und ist auch im Nachhinein nicht erfassbar. 11. Warum werden in der Datei „Gruppen- und Szenegewalt" mehr Daten gespeichert als in der bundesweiten Verbunddatei „Gewalttäter Sport"? Welchen Sinn ergibt in diesem Zusammenhang das Speichern von Telefonnummern oder gar E-Mail-Adressen und wofür verwenden die Szenekundigen Beamten diese? Die Datenmenge ergibt sich aus der fachlichen Erforderlichkeit für die Aufgabenerfüllung der Polizei. Die Speicherung von Telefonnummern und E-Mail-Adressen ermöglicht der Polizei eine Kontaktaufnahme, um zum Beispiel sogenannte Gefährderansprachen zu ermöglichen. 12. Werden fehlende Daten zu einer Person, wie zum Beispiel Telefonnummern oder E-Mail-Adressen, durch Ermittlungsarbeit nachgepflegt oder nur aufgenommen, wenn diese zum Beispiel bei der Feststellung der Personalien mit aufgenommen wurden? Sofern Daten im Sinne der Fragestellung im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens nachträglich festgestellt werden, werden diese in die Datei eingepflegt 13. In einem Artikel der „Hamburger Morgenpost“ wird Polizeisprecher Timo Zill folgendermaßen zitiert: „Diese Datei ist für die Polizei Hamburg unter anderem für die Durchführung von Fußballspielen unerlässlich, um Straftäter und Störer erkennen zu können.“ a. Worauf bezieht sich die Formulierung „unter anderem“ in diesem Zitat genau? Die Datei dient der Gefahrenabwehr einschließlich der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und darüber hinaus der Verfolgung von Straftaten für den Bereich gruppen- oder szeneabhängiger Gewalt. Sportgewalt durch Auseinandersetzungen rivalisierender Fußballanhänger ist nur ein Teilaspekt dieser Form von Gewalt. b. Wie passt diese Aussage zu der Tatsache, dass in der Datei laut Senat weder Störer (siehe Antwort auf Frage 7. der Drs. 21/2701) noch Mitteilungen über Verurteilungen (siehe Antwort auf Frage 8.) gespeichert sind? Die Erfassung einer Person in der Kategorie „Störer“ erfolgt nur dann, wenn die Erfassung nicht bereits als Beschuldigter oder Verdächtiger erfolgt ist. Dass zum Zeitpunkt der letzten Auswertung der Datei für die Drs. 21/2701 keine Störer gespeichert waren, bedeutet nicht, dass es im Rahmen der rechtlichen Grundlagen nicht künftig zur Speicherung von Störern kommen kann. Mitteilungen über Verurteilungen können elektronisch nicht recherchiert werden, siehe auch Drs. 21/2701. Im Übrigen siehe Antwort zu 7. a. und b. 14. Welche Möglichkeiten haben Bürgerinnen und Bürger, um zu erfahren, welche Daten die Polizei über sie gespeichert hat? Jeder Bürger hat das Recht, einen Antrag auf Auskunft über seine bei der Polizei Hamburg gespeicherten personenbezogenen Daten zu stellen. Die Auskunftserteilung der gespeicherten personenbezogenen Daten erfolgt nach § 18 Absatz 1 Hamburgisches Datenschutzgesetz (HmbDSG). Demnach ist dem Betroffenen auf Antrag gebührenfrei Auskunft sowohl aus Akten als auch aus Dateien zu erteilen. Zuständig für die Bearbeitung von Anfragen nach § 18 HmbDSG ist das LKA 272/Petentenauskunft . Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2944 5 15. Welche Möglichkeiten haben Bürgerinnen und Bürger, die Löschung dieser Daten zu veranlassen und welche Stelle entscheidet hierüber nach welchen Kriterien? Ein Antrag auf Löschung von Daten aus der Datei „Gruppen- und Szenegewalt“ kann beim LKA 272 gestellt werden. Die Daten verarbeitende Stelle LKA 121 prüft auf Grundlage von § 24 Absatz 2 S. 1 PolDVG, ob eine Löschung der Daten vorzunehmen ist. Gemäß § 24 Absatz 2 S. 1 PolDVG sind in Dateien suchfähig gespeicherte personenbezogene Daten zu löschen und die dazugehörigen, zu den Personen suchfähig angelegten Akten zu vernichten, wenn dies durch das PolDVG bestimmt ist, ihre Speicherung unzulässig ist oder bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist. 16. An welche Stelle können sich Bürgerinnen und Bürger wenden, wenn ihnen eine nach ihrer Ansicht Auskunft falschen Inhalts gegeben wurde? In diesen Fällen kann ein erneuter Auskunftsantrag beim LKA 272 unter Hinweis auf die vermeintlich falsche Auskunft gestellt werden. Darüber hinaus besteht jederzeit die Möglichkeit der Inanspruchnahme des BDSB oder des HmbBfDI. 17. Werden regelmäßig unter der Kategorie „Beschuldigte“ auch weiterhin Personen geführt, bei denen Ermittlungsverfahren eingestellt wurden, solange die gesetzliche Frist von zehn Jahren noch nicht erreicht ist? Hierbei kann man gegebenenfalls noch unter Einstellung nach 153 StPO, 153a StPO und 170(2) StPO differenzieren… Verfahrenseinstellungen führen nicht automatisch zur Löschung der Daten. Grundsätzlich sind Daten gemäß § 16 Absatz 2 S. 4 PolDVG zu löschen, wenn der dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Verdacht entfällt. Die angeführten Einstellungsgründe nach § 153 StPO (Einstellung wegen Geringfügigkeit) beziehungsweise § 153 a StPO (Einstellung nach Erfüllung von Auflagen) belegen aber eben diesen Tatverdacht. Bei der Einstellung nach § 170 Absatz 2 StPO ist zu prüfen, ob ein sogenannter Restverdacht begründet werden kann. Damit kann nach einer Einzelfallprüfung und Begründung der sogenannten Negativprognose , also der Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten, eine fortdauernde Speicherung zulässig sein. Die Berücksichtigung von Verdachtsgründen, die auch nach Verfahrensbeendigung durch Einstellung fortbestehen können, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.