BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2958 21. Wahlperiode 29.01.16 Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) vom 22.01.16 und Antwort des Senats Betr.: U-Bahn-Schubser aus Berlin – Was ist über den Hamburger bekannt? Am späten Abend des 19. Januar 2016 kam es zu einer entsetzlichen Tat am Bahnhof Ernst-Reuter-Platz in Berlin, durch die eine 20-Jährige auf tragische Weise ihr Leben verlor. Der mutmaßliche Täter ist Medienberichten zufolge ein 28-jähriger Iraner, der in Hamburg aufgewachsen ist und hier bereits mehrfach wegen erheblicher Delikte strafrechtlich in Erscheinung trat. Er soll sich aufgrund von Schizophrenie jetzt in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik befinden. Berlins Innensenator drängt zu Recht auf schnelle Aufklärung: „Es muss die Frage gestellt werden, warum dieser Mann mit seiner Vorgeschichte nicht frühzeitiger gestoppt wurde.“ Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: Ein Betreuer wird gemäß § 1896 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bestellt, wenn eine volljährige Person aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung ihre eigenen Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann und eine Betreuung erforderlich ist. Der Betreuer hat sodann die Aufgabe, im Rahmen seines Aufgabenkreises und unter Berücksichtigung der Wünsche des Betreuten die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen (§ 1901 BGB). Dazu kann auch gehören dazu beizutragen, vorhandene Möglichkeiten der Behandlung einer psychischen Krankheit des Betreuten zu nutzen. Häufig erfolgt die Behandlung einer psychischen Krankheit – auch stationär in einer psychiatrischen Klinik – dabei auf freiwilliger Basis. Die (geschlossene) Unterbringung einer Person gegen ihren Willen ist im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen bei Bestehen einer Betreuung nach dem BGB oder nach dem Hamburgischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (HmbPsychKG) möglich. Generelle Voraussetzung ist dabei eine grundsätzlich ärztlich festgestellte Eigen- oder Fremdgefährdung, wobei das Gesetz insgesamt hohe Anforderungen an eine solche freiheitsentziehende Maßnahme stellt. Eine geschlossene Unterbringung nach BGB kann bei Eigengefährdung für unter Betreuung stehende Personen durch den Betreuer mit Genehmigung des Betreuungsgerichts erfolgen. Voraussetzung ist gemäß § 1906 BGB insbesondere, dass die Unterbringung zum Wohl des Betreuten erforderlich ist. Für die gerichtliche Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung gemäß § 1906 BGB ist stets ein Antrag des Betreuers erforderlich. Der Betreuer steht im laufenden Kontakt mit den behandelnden Ärzten und stellt seinen Antrag grundsätzlich nach Rücksprache mit ihnen. Ferner kann eine Unterbringung bei Gefahr einer erheblichen Selbst- oder auch Fremdschädigung nach dem HmbPsychKG erfolgen. Gemäß § 9 HmbPsychKG ist eine Unterbringung nur zulässig, „wenn sich die psychische Krankheit so auswirkt, dass ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist“, und Drucksache 21/2958 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Für die gerichtliche Anordnung der Unterbringung gemäß HmbPsychKG ist grundsätzlich ein Antrag des zuständigen Bezirksamts erforderlich, dem das Zeugnis eines Arztes beizufügen ist (§ 10 HmbPsychKG), Unterbringungen gemäß § 1906 BGB oder HmbPsychKG sind zu befristen. Sie bedürfen der Genehmigung beziehungsweise Anordnung des Betreuungsgerichts. Die genauen Umstände des zugrunde liegenden Einzelfalls sind im Übrigen noch Gegenstand andauernder Überprüfungen durch die zuständigen Behörden. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen auf Grundlage der bis zum 28. Januar 2016 gewonnenen Informationen wie folgt: 1. Welche Erkenntnisse liegen den zuständigen Behörden über den mutmaßlichen Täter vor? a) Wo lebte der mutmaßliche Täter zuletzt? Zuletzt war der Betroffene im Bezirk Harburg gemeldet. Nach den dem Betreuungsgericht vorliegenden Informationen war er wohnungslos. b) Stand der mutmaßliche Täter unter Betreuung? Falls ja, seit wann und auf wessen Veranlassung? Der Betroffene stand seit Juni 2007 fortlaufend unter Betreuung. Die Betreuung wurde mit Beschluss vom 7. Juni 2007 im Wege der einstweiligen Anordnung durch das Amtsgericht Elmshorn – Betreuungsgericht – aufgrund einer Anregung aus dem Regio Klinikum Elmshorn, Psychiatrie, eingerichtet. Mit Beschluss vom 30. November 2007 wurde die Betreuung sodann in der Hauptsache eingerichtet. Das Betreuungsverfahren wurde im Jahr 2008 an das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – abgegeben und dort unter dem 10. November 2008 übernommen. Die Betreuung wurde wiederholt verlängert und zwar mit Beschlüssen vom 10. Dezember 2009, vom 16. Juni 2011, vom 26. Juli 2012 und zuletzt vom 11. Dezember 2013. c) Wurde er bereits nach § 1906 BGB oder §§ 8 fortfolgende des Hamburgischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (HmbPsychKG) untergebracht? Falls ja, wann und auf welcher rechtlichen Grundlage? Soweit der Betroffene polizeilich auffällig wurde, informierten die Polizeibeamten regelmäßig den Betreuer und schalteten wiederholt auch selbst behandelnde Ärzte oder Amtsärzte ein. Zuletzt schaltete die Polizei am 29. Dezember 2015 den Sozialpsychiatrischen Dienst ein, ein Arzt wurde hinzugezogen und eine ärztliche Untersuchung durchgeführt. Die Ergebnisse der jeweiligen ärztlichen Untersuchungen und etwaige daraufhin getroffene Maßnahmen können im Rahmen der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen im Hinblick auf die überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Betroffenen jedoch nicht mitgeteilt werden. Der Betroffene wurde in der Vergangenheit mehrfach nach § 1906 BGB untergebracht : Mit Beschluss vom 29. Juni 2007 genehmigte das Amtsgericht Elmshorn – Betreuungsgericht – eine Unterbringung bis zum 28. August 2007 nach § 1906 Absatz 1 Nummer 2 BGB. Mit Beschluss vom 31. August 2007 genehmigte das Amtsgericht Elmshorn – Betreuungsgericht – eine Unterbringung bis zum 6. September 2007 nach § 1906 Absatz 1 Nummer 2 BGB. Mit Beschluss vom 10. Dezember 2008 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – eine Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 BGB, die jeweils Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2958 3 durch Beschlüsse vom 6. Januar, vom 17. Februar, vom 12. März, vom 9. April und vom 5. November 2009 verlängert wurde, sodass sie bis Mai 2010 andauerte. Mit Beschluss vom 16. November 2012 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – eine Unterbringung nach § 1906 BGB bis zum 17. Dezember 2012. Mit Beschluss vom 17. Dezember 2012 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – eine Unterbringung nach § 1906 BGB bis zum 15. Januar 2013. Mit Beschluss vom 10. Januar 2013 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – eine Unterbringung nach § 1906 BGB bis zum 15. Februar 2013. Mit Beschluss vom 24. April 2013 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – eine Unterbringung nach § 1906 BGB bis zum 5. Juni 2013. Mit Beschluss vom 3. Juni 2013 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – eine Unterbringung nach § 1906 BGB bis zum 2. November 2013. Mit Beschluss vom 29. November 2013 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – eine Unterbringung nach § 1906 BGB bis zum 20. Dezember 2013. Mit Beschluss vom 11. Dezember 2013 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – eine Unterbringung nach § 1906 BGB bis zum 10. Dezember 2014. Mit Beschluss vom 10. Dezember 2014 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – eine Unterbringung nach § 1906 BGB bis zum 12. Dezember 2015. Diese Unterbringung endete im März 2015 nach Antrag des Betreuers auf vorzeitige Aufhebung des Beschlusses vom 10. Dezember 2014. Mit Beschluss vom 12. Mai 2015 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – eine Unterbringung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 1906 BGB vorläufig längstens bis zum 26. Mai 2015. Mit Beschluss vom 24. November 2015 genehmigte das Amtsgericht Hamburg – Betreuungsgericht – aufgrund des Antrags des Betreuers eine Unterbringung im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis längstens zum 15. Dezember 2015 nach § 1906 Absatz 1 Nummer 2 BGB. Eine weitere Unterbringung des Betroffenen durch den Betreuer (also ein weiterer Antrag des Betreuers auf Genehmigung der Unterbringung nach § 1906 BGB beim Betreuungsgericht, der Voraussetzung für eine weitere Unterbringung gewesen wäre) erfolgte nicht. Im Übrigen ist der Senat daran gehindert, die Frage zu beantworten, soweit sie sich auf eine etwaige Unterbringung nach §§ 8 fortfolgende HmbPsychKG bezieht. Daten, die durch die zuständigen Stellen im Hinblick auf eine etwaige Unterbringung nach §§ 8 fortfolgende HmbPsychKG erhoben oder gespeichert worden sein könnten, dürfen nur unter den Voraussetzungen von § 30 HmbPsychKG übermittelt werden. § 30 HmbPsychKG enthält keine Übermittlungsbefugnis zum Zwecke der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen. 2. Inwieweit war der mutmaßliche Täter der Polizei bekannt, mit welchen Delikten war er jeweils wann aufgefallen? 3. Wie viele und Ermittlungs- und Strafverfahren wurden jeweils wann wegen jeweils welcher Tatvorwürfe gegen den mutmaßlichen Täter geführt? a) Welche strafrechtlichen Konsequenzen hatten etwaig begangene Delikte bisher? Bitte unter Angabe der verwirklichten Straftatbestände , der Art der Erledigung des Strafverfahrens einschließlich der ausgeurteilten Strafhöhe darstellen. Drucksache 21/2958 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 b) In welchen Zeiträumen war er jeweils in welcher Hamburger JVA inhaftiert? Gegen den Betroffenen sind – unabhängig vom Tatgeschehen vom 19. Januar 2016 – derzeit vier Ermittlungsverfahren wegen Diebstahlsdelikten (§ 242 beziehungsweise §§ 242, 243 StGB) am 29. Dezember 2015 anhängig. Die Verfahren werden noch von der Polizei bearbeitet, die die Staatsanwaltschaft im gegenwärtigen Stadium noch nicht befasst hat. Im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und die gesetzlichen Wertungen des Bundeszentralregistergesetzes sieht der Senat im Übrigen davon ab, etwaige abgeschlossene Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahren mitzuteilen. Etwaige abgeschlossene Verfahren wären entweder nicht beziehungsweise nicht mehr in ein Führungszeugnis aufzunehmen oder nach den Tilgungsvorschriften des Bundeszentralregistergesetzes nicht mehr zu berücksichtigen. Auch hinsichtlich des Verlaufs einer etwaigen Vollstreckung von Sanktionen sieht der Senat von weitergehenden Mitteilungen ab, soweit diese aus Verfahren resultieren, die nicht mitgeteilt werden. 4. Welche sonstigen Behörden waren inwiefern in den vergangenen 15 Jahren mit dem mutmaßlichen Täter befasst? 5. Was haben sie infolge welchen Verhaltens des mutmaßlichen Täters jeweils wann veranlasst? Ausländerrechtlich wurde der Betroffene vom Einwohner-Zentralamt betreut. Nachdem eine im Jahr 1997 erteilte Aufenthaltserlaubnis erloschen war, erging am 29. September 2004 eine Ausweisungsverfügung, die durch Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 21. September 2007 aufgehoben wurde. Seit dem 6. Januar 2005 wurden in circa halbjährlichem Abstand ausländerrechtliche Duldungen erteilt. Vom 31. Mai 2010 bis 29. November 2011 wurden Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Absatz 5 AufenthG mit jeweils sechsmonatiger Gültigkeitsdauer erteilt, in der Folge Fiktionsbescheinigungen nach § 81 Absatz 4 AufenthG sowie zuletzt am 15. Mai 2014 erneut eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 AufenthG mit Gültigkeit bis zum 14. November 2015. Der Erlass einer erneuten Ausweisungsverfügung war aufgrund der rechtlichen Situation nicht möglich. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach dem 14. November 2015 konnte nicht erfolgen, da der Betroffene nicht vorsprechen konnte und nicht alle erforderlichen Unterlagen vorlagen. Das Bezirksamt Eimsbüttel – Fachstelle für Wohnungsnotfälle – hat den Betroffenen kurzfristig vom 7. Juli 2015 bis zum 20. Juli 2015 in der Unterkunft Holsteiner Chaussee 397 untergebracht. Das Bezirksamt Wandsbek – Fachamt Eingliederungshilfe – wurde am 26. September 2015 vom Grundsicherungsamt des Bezirksamtes Eimsbüttel mit der Prüfung eines Antrags des gesetzlichen Betreuers auf Eingliederungshilfeleistungen beauftragt. Der Antrag wurde vom Fachamt Eingliederungshilfe am 15. Oktober 2015 abgelehnt, da der Aufenthaltsort des Betroffenen zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war. Das Bezirksamt Altona wurde erstmals am 30. Oktober 2008 durch das Amtsgericht Hamburg mit der Bitte um Vorschlag eines Betreuers am gerichtlichen Betreuungsverfahren beteiligt. Eine weitere Bitte um Vorschlag eines neuen Betreuers erfolgte durch das Gericht am 29.4.2015. In beiden Fällen bestand im Rahmen des Betreuungsverfahrens bis auf ein Telefonat kein weiterer persönlicher Kontakt seitens des Bezirksamtes zu dem Betroffenen, da ein solcher von diesem abgelehnt wurde. Soweit Behörden und Bezirksämter gemeldet haben, dass ihnen darüber hinaus keine Informationen vorliegen, hat dies teilweise darin seine Ursache, dass die Aufbewahrungsfrist für eventuelle Daten und Akten, etwa der Jugendämter, abgelaufen ist und Akten nicht mehr vorhanden sind. Der Senat ist zudem an einer Antwort in Bezug auf Behördendaten gehindert, bei denen es sich um Sozialdaten handelt. Deren Übermittlung ist nach § 35 Absatz 2 SGB I, § 67d Absatz 1 SGB X nur bei Vorliegen einer gesetzlichen Übermittlungsbefugnis nach dem Sozialgesetzbuch zulässig. Das Sozialgesetzbuch enthält keine Übermittlungsbefugnis zum Zwecke der Beantwortung Parlamentarischer Anfragen. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2958 5 Ebenso können etwaige bei der Finanzbehörde vorliegenden Daten aufgrund des Steuergeheimnisses (§ 30 Abgabenordnung) nicht mitgeteilt werden. Im Übrigen siehe Antworten zu 1. c) und zu 2. bis 3. b).