BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/2966 21. Wahlperiode 02.02.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (DIE LINKE) vom 25.01.16 und Antwort des Senats Betr.: Nachfrage zu Drs. 21/2859: Rechte Straftäter, die sich der Verhaftung entziehen Die Antwort wirft weitere Fragen auf, da sich nicht eindeutig ergibt, ob die Taten, die zur Haftstrafe führten, politisch motiviert waren. Deshalb frage ich den Senat: 1. Stehen die Delikte, die zur Haftstrafe führten, im Zusammenhang mit der rechten Gesinnung der Gesuchten, das heißt wurden die Taten und ihre Umstände der politischen Orientierung der Täter zugeordnet? a. Wenn ja, inwiefern? b. Wenn nein, inwiefern nicht? Bitte soweit möglich für alle fünf in der Antwort auf Drs. 21/2859 aufgeführten Personen beantworten. Lediglich eines der sieben in der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 21/2859 mitgeteilten Verfahren wurde in der für die Verfolgung politisch motivierter Straftaten zuständigen Abteilung 71 der Staatsanwaltschaft geführt und betrifft eine Straftat, die möglicherweise auf eine ausländerfeindliche Gesinnung schließen lässt. Im Einzelnen: Person 1 (in beiden Fällen keine Haftbefehle zur Strafvollstreckung, sondern Haftbefehl wegen Ausbleibens in der Hauptverhandlung und Untersuchungshaftbefehl wegen Fluchtgefahr) Verfahren 1 Nachdem der Beschuldigte unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung erschienen ist, erging gemäß § 230 Absatz 2 StPO Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Das Verfahren wurde in der Abteilung 71 geführt, weil der Beschuldigte zwei türkischstämmige Mitbürger als „Scheiß Türken“ und „Scheiß Ausländer“ beschimpfte und den einen sodann mit einem Hundewurfstab schlug. Nach seiner Festnahme beschimpfte er die eingesetzten Polizeibeamten allerdings auch, unter anderem als „Gestapopack“, „Nazipack “, „Volksverräter“ und „Gestapomitglied“. Dies war Anlass für die Einstufung „PMK rechts“. Verfahren 2 In diesem Verfahren erging ein Untersuchungs-Haftbefehl gemäß § 112 StPO wegen gefährlicher Körperverletzung durch Messerstiche. Haftgrund war Fluchtgefahr , weil der Beschuldigte ohne festen Wohnsitz war. Es ist kein Bezug der Tat zu Drucksache 21/2966 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 „rechter“ Kriminalität ersichtlich. Das Opfer der Tat war – ebenso wie der Beschuldigte – ein obdachloser Deutscher. Person 2 Nach Verurteilung wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen erging Haftbefehl zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von 47 Tagen. Es ist kein Bezug der Tat zu „rechter“ Kriminalität ersichtlich. Bei der Tat handelte es sich um Ladendiebstahl von Bekleidung. Anlass für die Einstufung „PMK rechts“ war ein Ermittlungsverfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Beleidigung aus Baden-Württemberg. Person 3 Nach Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen erging Haftbefehl zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen. Es ist kein Bezug der Tat zu „rechter“ Kriminalität ersichtlich. Es handelte sich um eine Beziehungstat zum Nachteil des (deutschen) Lebensgefährten des Beschuldigten. Anlass für die Einstufung „PMK rechts“ war ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung, in dem er letztlich zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt wurde. Geschädigter war eine Person mit türkischem Namen. Die Tat wurde bei der StA in der Amtsanwaltschaft bearbeitet, also nicht als politisch motiviert eingestuft. Der Beschuldigte wurde letztes Jahr festgenommen und hat die Strafe inzwischen verbüßt. Person 4 Verfahren 1 Nach Verurteilung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen wegen Sachbeschädigung durch Graffitis ohne erkennbaren politischen Hintergrund erging Haftbefehl zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von 26 Tagen. Es ist kein Bezug der Tat zu „rechter“ Kriminalität ersichtlich. Verfahren 2 Nach Verurteilung wegen Leistungserschleichung in vier Fällen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen erging Haftbefehl zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von 90 Tagen. Es ist kein Bezug der Tat zu „rechter“ Kriminalität ersichtlich. Anlass für die Einstufung PMK „rechts“ war ein Verfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, das bei der Staatsanwaltschaft aufgrund der Löschungs- und Vernichtungsfristen (Tatzeit 2006) nicht mehr vorliegt . Person 5 Nach Verurteilung wegen Leistungserschleichung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen erging Haftbefehl zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Tagen. Es ist kein Bezug der Tat zu „rechter“ Kriminalität ersichtlich. Anlass für die Einstufung „PMK“ rechts war ein Verfahren wegen Beleidigung, bei dem der Beschuldigten den Geschädigten im Rahmen eines Streites wegen einer Ruhestörung mit den Worten „Sieg Heil im Deutschen Land, du Scheißkanacke“ beschimpft hat. Person 6 (war in der Drs. 21/2859 noch nicht benannt) Die Person war in Hamburg zuletzt in einer Obdachlosenunterkunft aufhältig, später in Leipzig, wo sie später amtlich abgemeldet wurde. Verfahren 1 Nach Verurteilung wegen Beförderungserschleichung, Körperverletzung, Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährung, nach Einbeziehung einer weiteren Strafe, eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten mit Bewährung. Die Person hat bei Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/2966 3 einer Kontrolle Polizeibeamten unter anderem als Faschisten beschimpft und sich gegen die Festnahme gewehrt. Darüber hinaus hat sie eine Passantin anlasslos als „Schlampe“ beschimpft und eine andere mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Es erging Sicherungshaftbefehl des Amtsgerichts Leipzig vom 23.3.2015, weil ein Widerruf der Bewährung aufgrund des unbekannten Aufenthaltes zu erwarten ist. Es ist kein Bezug der Tat zu „rechter“ Kriminalität ersichtlich. Verfahren 2 Nach Strafbefehl über 75 Tagessätze wegen Beförderungserschleichung in drei Fällen, von denen zwei durch Arbeitsleistungen getilgt wurden, erging Haftbefehl zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von noch 73 Tagessätzen. Es ist kein Bezug der Tat zu „rechter“ Kriminalität ersichtlich. Anlass für die Einstufung „PMK rechts“ war ein Ermittlungsverfahren wegen fremdenfeindliche Beleidigung aus Berlin. Person 7 (war in der Drs. 21/2859 noch nicht benannt) Nach Verurteilung wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen wegen einer Kopfnuss gegen einen Mitgefangenen in der JVA nach Beleidigung erging Haftbefehl zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe. Es ist kein Bezug der Tat zu rechter Kriminalität ersichtlich. Anlass für die Einstufung „PMK rechts“ war ein Verfahren aus dem Jahr 2003, dessen Daten mittlerweile gelöscht sind. 2. Welche Abteilungen von Polizei/LKA und Staatsanwaltschaft arbeiten bei Straftaten zusammen, die im Bereich der Politisch Motivierten Kriminalität – rechts (PMK-rechts) anzusiedeln sind? Wie gestalten sich die entsprechende Zusammenarbeit und der Informationsaustausch, wenn die Straftat nicht politisch motiviert scheint, der Täter aber in der PMK-rechts geführt wird? Straftaten, die der sogenannten politisch motivierten Kriminalität rechts zuzuordnen sind, werden bei der Polizei von LKA 71 bearbeitet. Eine Einordnung von politisch motivierter Kriminalität erfolgt bei der Polizei in den verschiedenen Phänomenbereichen „rechts“, „links“, „Ausländer“ und „nicht zuzuordnen “. Grundlage hierfür ist das durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz von 2001 eingeführte bundesweite und für die Länderpolizeien verbindlich anzuwendende „Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität“. Der politisch motivierten Kriminalität „rechts“ (PMK „rechts“) werden Straftaten dann zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung einer „rechten“ Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlich demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Beispiele für eine mögliche Einordnung in den Phänomenbereich PMK „rechts“ sind Straftaten im Umfeld der Ausländer-/Asylthematik (beispielsweise Gewaltdelikte zum Nachteil von Menschen mit Migrationshintergrund, Sachbeschädigungen an Flüchtlingsunterkünften ), Taten im Bereich der sexuellen Orientierung (zum Beispiel Körperverletzungsdelikte zum Nachteil von (vermeintlich homo- oder bisexuellen Menschen), antisemitische Taten (zum Beispiel Sachbeschädigungen/Körperverletzungsdelikte gegen jüdische Einrichtungen/Personen) und Erkenntnisse über den Täter wie das äußere Erscheinungsbild (zum Beispiel Springerstiefel, „Bomberjacke“, Kurzhaarschnitt ), Zugehörigkeit zu einer Gruppierung, Teilnahme an einschlägigen Veranstaltungen , das Auftreten in sozialen Medien und kriminalpolizeiliche Erkenntnisse. Die Polizei teilt der Staatsanwaltschaft Hamburg nicht regelhaft mit, in welchen Phänomenbereich ein Täter eingestuft ist (hierzu ist auch im Personalbogen oder ähnlich keine Angabe vorgesehen). Durch den jeweiligen Sachbearbeiter erfolgt im eigenen Ermessen eine Mitteilung an die Staatsanwaltschaft, indem in einem Schlussbericht Drucksache 21/2966 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 entsprechende Informationen oder PMK-Erkenntnisse zum/zur Beschuldigten vermerkt werden. Für einen Teil der Personen, die dem Phänomenbereich PMK „rechts“ zugeordnet ist, existiert eine darüber hinausgehende personengebundene Ausschreibung als „Straftäter politisch motiviert rechts“. Die entsprechende Einstufung ist für jeden polizeilichen Sachbearbeiter, der mit dem Täter zu tun hat, durch einen entsprechenden Eintrag in dem polizeilichen Informationssystem POLAS sofort erkennbar. Eine verpflichtende Regelung, diese Information an die Staatsschutzabteilungen des LKA und/oder der Staatsanwaltschaft weiterzugeben, existiert nicht. Allerdings wird das LKA 71 regelmäßig jedenfalls dann informiert, wenn es sich um schwere Straftaten oder Straftaten handelt, bei denen ein politischer Hintergrund bestehen könnte. Eine kleinere Gruppe von Personen ist darüber hinaus als Gefährder beziehungsweise politisch relevante Person rechts eingestuft. Hinsichtlich dieser Personen werden Erkenntnisse regelhaft an andere Dienststellen sowie der Staatsanwaltschaft übermittelt . Hinweise in diesem Zusammenhang ergeben sich durch die Ausschreibung in den polizeilichen Datenbeständen (hier Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung ). Bei der Staatsanwaltschaft werden Straftaten, die der sogenannten politisch motivierten Kriminalität rechts zuzuordnen sind, in der Abteilung 71 (Hauptabteilung VII) bearbeitet . Dort werden alle Verfahren geführt, die bei der Polizei durch das LKA 71 bearbeitet werden. Die Zuständigkeiten bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft sind allerdings deliktsund nicht personenbezogen. Daher werden Verfahren, bei denen die Tat keinen (erkennbaren ) politisch motivierten Bezug hat, bei der Staatsanwaltschaft in den für den jeweiligen Tatvorwurf zuständigen Abteilungen (zumeist in den Hauptabteilungen II und III) geführt. Dies gilt auch, wenn der Täter in einem früheren Verfahren bei der Polizei bereits dem Phänomenbereich PMK „rechts“ zugeordnet worden ist.