BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3038 21. Wahlperiode 02.02.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Suding und Carl-Edgar Jarchow (FDP) vom 27.01.16 und Antwort des Senats Betr.: Dienstanweisung der Polizei zum Umgang mit aus Ungarn eingereisten Flüchtlingen Deutschland und Österreich haben am 4. September 2015 der Ausreise von Flüchtlingen aus Ungarn zugestimmt. Es bestand Einigkeit, dass das Dubliner Abkommen weiterhin gelte und die Weiterreise der Flüchtlinge aufgrund der Notlage an der ungarischen Grenze eine Ausnahme war.1 In der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drs. 21/1788 hat der Senat erklärt, dass „die Länder über die Entscheidung der Bundesregierung über die Regelungen zum Zugang von Flüchtlingen über die österreichisch-deutsche Grenze in Kenntnis gesetzt“ wurden. Im Folgenden ist ein „zur internen Klärung bestimmtes Schriftstück“ im Internet aufgetaucht (siehe Drs. 21/1787, Antwort des Senats auf die Frage Nummer 1.). In diesem Schriftstück, bei dem es sich vermeintlich um eine E-Mail des persönlichen Referenten des ehemaligen Senators Neumann, Hauke Carstensen, handelt, heißt es unter anderem: „Um Irritationen und Handlungsunsicherheiten bei Polizeivollzugsbeamten zu minimieren, die auf aus Ungarn eingereiste Flüchtlinge treffen (können) und sich mit dem Legalitätsprinzip konfrontiert sehen (mögliches Vorgehen nach § 95 (1) Nr. 3 Aufenth G), wird seitens der Innenbehörde (A20) wie folgt informiert: „Die aus Ungarn über Österreich eingereisten Flüchtlinge sind mit Wissen und Billigung der Bundesregierung und der Länder eingereist. Eine solche pauschal erlaubte Einreise ist im Gesetz zwar nicht vorgesehen; die eingereisten Flüchtlinge verfügen auch nicht über das eigentlich erforderliche Visum. Gleichwohl ist die Billigung durch die Bundesregierung eine Erlaubnis sui generis, die das Tatbestandsmerkmal der unerlaubten Einreise ausschließt. Darüber hinaus dürften sich die Flüchtlinge angesichts der politischen Ansage im unvermeidbaren Verbotsirrtum befinden.“ P/J wird im Auftrag der Behördenleitung ersucht, diese Kernaussage im Rahmen einer adressatengerechten Vollzugsinformation im Hause P zu steuern.“ Auf die Frage Nummer 2. in der Drs. 21/1787 antwortete der Senat, dass dieses Schriftstück der internen Vorbereitung „einer mittlerweile von der Polizei und Staatsanwaltschaft erarbeiteten Dienstanweisung“ diene. Zudem solle sich die „abschließende rechtliche Bewertung“ (Drs. 21/1787, Frage 3.) in Bezug auf Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz aus der Dienstanweisung ergeben. Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: 1. Wie lautet der Inhalt der Dienstanweisung? 1 http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Artikel/2015/09/2015-09-05-einreise-fluechtlineungarn .html. Drucksache 21/3038 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Die Anweisung des Leiters des Justiziariats der Polizei (JL-Anweisung 2015-1) vom 16. September 2015 beinhaltet den Umgang mit Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) hinsichtlich Flüchtlingen, die aus Ungarn über Österreich in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Die Anweisung regelt den Umfang der polizeilichen Maßnahmen im Rahmen einer Einzelfallprüfung bezogen auf die jeweilige Antreffsituation: Kommen Flüchtlinge in größeren Gruppen insbesondere im Rahmen einer behördlich gesteuerten Weiterreise zu einer bestimmten Aufnahmeeinrichtung in oder außerhalb Hamburgs, kann von polizeilichen Sofortmaßnahmen wegen eines möglichen Verstoßes nach § 95 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 AufenthG zunächst abgesehen werden. Die erforderliche Registrierung dieser Flüchtlinge wird in der Regel in den Aufnahmeeinrichtungen erfolgen, in deren Nachgang mögliche Verstöße nach dem AufenthG geprüft werden können. Im Fall des Antreffens kleinerer Gruppen oder einzelner Flüchtlinge ist kurz zu prüfen, ob aufgrund konkreter Umstände mit der baldigen Registrierung der Flüchtlinge gerechnet werden kann. Ist dies zu bejahen, kann wegen eines möglichen Verstoßes nach § 95 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 AufenthG von polizeilichen Sofortmaßnahmen zunächst abgesehen werden. In allen übrigen Antreffsituationen, die sich nicht unter die beiden oben aufgeführten Fallvarianten subsumieren lassen beziehungsweise im Zusammenhang mit einem anderen Anlass stehen (Mischsachverhalte), ist die jeweilige Person zu kontrollieren und ihre Berechtigung zum Aufenthalt zu prüfen. Erforderlichenfalls sind Folgemaßnahmen in Abstimmung mit der zuständigen kriminalpolizeilichen Dienststelle vorzunehmen beziehungsweise einzuleiten. Darüber hinaus verweist die JL-Anweisung auf die nur für den Dienstgebrauch bestimmte Polizei Dienstvorschrift (PDV) 350 (Hamburg), in der die allgemeinen polizeilichen Maßnahmen und Zuständigkeiten bei Ausländerangelegenheiten geregelt sind. 2. Gibt es zusätzlich zur Dienstanweisung eine Anlage zur Dienstanweisung , die die Rechtslage beurteilt sowie Handlungskompetenzen für die Landespolizei aufzeigt? Wenn ja, wie lautet der Inhalt der Anlage zur Dienstanweisung? Wenn nein, gibt es in diesem Kontext andere interne Dokumente, die Handlungsanweisungen für die Landespolizei enthalten? Wie lautet deren Inhalt? Nein. 3. Wer war an der Erstellung der Dienstanweisung beteiligt? Die JL-Anweisung 2015-1 ist vom Justiziariat der Polizei Hamburg in Abstimmung mit dem Landeskriminalamt, dem Leitungsstab, der Staatsanwaltschaft Hamburg und dem Amt für Innere Verwaltung und Planung der Behörde für Inneres und Sport erstellt worden. 4. Für welchen Zeitraum ist die Dienstanweisung in Kraft gesetzt worden? Bitte begründen. Die JL-Anweisung 2015-1 gilt für den Zeitraum vom 16. September 2015 bis zum 31. März 2016. Die entsprechende Geltungsdauer wurde gewählt, um nach Ablauf von maximal sechs Monaten die Flüchtlingssituation erneut zu bewerten und in Abstimmung mit den unter 3. genannten Stellen zu entscheiden, ob die Anweisung angepasst werden muss. 5. Privilegiert die Dienstanweisung eingereiste Ausländer, die aus bestimmten Herkunftsstaaten, wie beispielsweise Syrien, stammen? Nein. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3038 3 a. Wenn ja, Ausländer aus welchen Herkunftsstaaten werden genau nicht wegen Verstoßes gegen § 95 Absatz 1 Nummer 3 AufenthG verfolgt und erkennungsdienstlich behandelt? Entfällt. b. Wenn nein, welchen Zweck hat die Dienstanweisung? Der Zweck ist, den Polizeibediensteten angesichts der sehr großen Anzahl von aus Österreich und den Balkanländern einreisenden Flüchtlingen Handlungssicherheit zu geben. c. Wie wird sichergestellt, dass Flüchtlinge aus Syrien oder dem Irak, die sich nicht registrieren lassen, verdeckt oder mit gefälschten Papieren einreisen, wegen Verstößen nach dem Aufenthaltsgesetz belangt werden? Auch diese Fälle sind von der JL Anweisung 2015-1 (siehe Antwort zu 1, 3. Spiegelstrich ) umfasst. Im Sinne der Fragestellung leitet die Polizei bei allen ihr zur Kenntnis gelangenden Sachverhalten strafrechtliche Ermittlungsverfahren ein. 6. Wer war Adressat der Dienstanweisung, beziehungsweise der Anlage zur Dienstanweisung? Alle Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten der Polizei Hamburg. 7. Wie viele Verstöße gegen § 95 AufenthG wurden im Jahr 2015 jeweils vor und nach der Dienstvereinbarung in Hamburg registriert? Bitte nach Herkunftsländern aufschlüsseln. Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die Aussagekraft der PKS ist auf Jahresauswertungen ausgelegt. Innerhalb eines Berichtsjahres unterliegt der PKS-Datenbestand einer ständigen Pflege, zum Beispiel durch Hinzufügen von nachträglich ermittelten Tatverdächtigen oder der Herausnahme von Taten, die sich im Nachhinein nicht als Straftat erwiesen haben. In der PKS wird ein Fall in dem Monat gezählt, in dem er erfasst wurde. Die Tatzeit bleibt dabei unberücksichtigt. Wird dieser Fall in einem Folgemonat im Sinne der vorstehend beschriebenen ständigen Pflege geändert, führt das in diesem Folgemonat zu einer erneuten Zählung, da eine Datensatzänderung im rechnerischen Sinne eine neue Erfassung darstellt. In der PKS erfolgen unterjährige Auswertungen immer kumulativ. Auf einzelne Monate aufgegliederte Fallzahlen sind in der PKS daher nicht valide. Zur begrenzten Aussagekraft unterjähriger PKS-Daten siehe auch Drs. 16/4616. Eine Auswertung im Jahr 2015 für den Zeitraum vor und nach der JL-Anweisung 2015-1 ist in der PKS nicht möglich. Für eine Beantwortung der Fragestellung wäre eine händische Auswertung sämtlicher Hand- und Ermittlungsaktenakten aus dem Jahr 2015 bei der Kriminalpolizei erforderlich . Die Durchsicht von mehr als 200.000 Vorgängen ist in der für die Beantwortung Parlamentarischer Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 8. Wurden alle Verstöße gegen § 95 Absatz 1 Nummer 3 AufenthG von der Landespolizei in dem Zeitraum 04. September 2015 bis 26. Januar 2016 verfolgt? Stellt die Polizei Hamburg Verstöße im Sinne der Fragestellung fest, leitet sie entsprechende Ermittlungsverfahren ein. a. Wenn ja, ist dem Senat bekannt, ob das zur „internen Klärung bestimmte Schriftstück“ (vermeintliche E-Mail von Hauke Carstensen ) zu Irritationen bei den Hamburger Polizeivollzugsbeamten hinsichtlich der Eröffnung von Ermittlungsverfahren mit dem Tatvorwurf Drucksache 21/3038 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 des § 95 Absatz 1 Nummer 3 AufenthG gegen Personen aus bestimmten Herkunftsländern geführt hat? Der Polizei liegen Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung nicht vor. b. Wenn nein, warum nicht? Welche spezielle Anweisung enthält die Hamburger Dienstanweisung beziehungsweise Anlage zur Dienstanweisung ? Entfällt; im Übrigen siehe Antwort zu 1. 9. Ist dem Senat bekannt, ob die Bundespolizei alle Verstöße gegen § 95 Absatz 1 Nummer 3 AufenthG in Hamburg verfolgt? Nein. a. Wenn ja, wie erfolgt die Zusammenarbeit zwischen der Hamburger Landes- und Bundespolizei auf dem Gebiet der Verfolgung von Straftaten nach § 95 Absatz 1 Nummer 3 AufenthG? (1) Werden die erkennungsdienstlich ermittelten Daten erhoben und wechselseitig zur Verfügung gestellt? (2) Für wen werden die Daten erhoben, in welchem System beziehungsweise welcher Datenbank werden die Daten gespeichert und welche Daten verbleiben bei den Sicherheitsbehörden? b. Wenn nein, welche Gründe gibt es dafür? Ist dem Senat bekannt, ob es eine Dienstanweisung beziehungsweise eine Anlage zur Dienstanweisung, die die Rechtslage und Handlungskompetenzen für die Bundespolizei generell beziehungsweise speziell in Hamburg regelt, gibt? Sowohl Bundespolizei als auch die Landespolizei sind für die Verfolgung von Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz zuständig. Ein täglicher Austausch über die Strafverfolgungstätigkeiten der Bundespolizei findet mit der Polizei Hamburg nicht statt. Darüber hinaus liegen der Polizei Hamburg Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung nicht vor. 10. Ist durch die Dienstanweisung, aus Sicht des Senates, die Handlungsfähigkeit der Polizei bezüglich der Verfolgung von Straftaten gemäß § 95 Absatz 1 Nummer 3 AufenthG in irgendeiner Weise eingeschränkt worden ? Nach Auffassung der Polizei: nein; im Übrigen siehe Antwort zu 8. 11. Wie werden in der Praxis die missbräuchlichen Fallgestaltungen von denen durch die Dienstanweisung nicht mehr zu verfolgenden Fällen getrennt? Siehe Antwort zu 5. c.