BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3061 21. Wahlperiode 05.02.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Stöver (CDU) vom 28.01.16 und Antwort des Senats Betr.: Wird in der Justizvollzugsanstalt Billwerder die sachgemäße Ausgabe von Medikamenten nicht gewährleistet? Die Einnahme von Medikamenten muss sorgfältig kontrolliert werden – erst recht in Justizvollzugsanstalten (JVA). So soll eine missbräuchliche Nutzung, die sich beispielsweise durch Weitergabe an Dritte, eine Anhäufung zur späteren hochdosierten Einnahme oder durch eine Unterlassung der regelmäßigen Einnahme darstellen kann, verhindert werden. Erfolgt diese Kontrolle nicht und findet ein Missbrauch von Medikamenten statt, sind schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten. In der JVA Billwerder werden Medikamente mit einem roten Punkt gekennzeichnet , wenn der Arzt eine Einnahme unter Sicht verordnet. In der Vergangenheit soll es bei der Vergabe von Medikamenten an die Patienten in der JVA Billwerder zu Versäumnissen gekommen sein, indem die Funktion des roten Punktes längerfristig nicht beachtet worden ist. Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat: 1. Entspricht es den Tatsachen, dass in der Vergangenheit in der JVA Billwerder unter Sicht zur Nacht einzunehmende Medikamente entgegen der ärztlichen Anordnung den Patienten bereits zum Abend ohne Kontrolle der Einnahme und der weiteren Verwendung, also nicht unter Sicht, ausgehändigt wurden? Wenn ja, a) wer hat dieses Vorgehen angeordnet? b) seit wann wird bei der Medikamentengabe so verfahren? c) mit welcher Begründung wird bei der Medikamentenvergabe so verfahren ? Es war in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder Praxis, dass suchterzeugende Medikamente und stark wirkende Psychopharmaka jeweils unter Sicht – auch zur Nachtzeit – ausgegeben wurden. Diese Praxis wurde dann erstmals durch eine Anstaltsverfügung vom 21. Juli 2011 schriftlich geregelt. Aufgrund einer starken Zunahme der unter Sicht einzunehmenden Nachtmedikationen und der damit verbundenen personalintensiven Durchführung der Medikamentenausgabe wurde diese Verfügung zum 3. Juli 2012 unter Beteiligung des Anstaltsarztes dahin gehend modifiziert, dass die unter Sicht einzunehmenden Nachtmedikationen in der Regel den Gefangenen beim Nachteinschluss ausgehändigt wurden. Lediglich bei nicht vertrauenswürdigen Gefangenen musste weiterhin eine Unter-Sicht-Einnahme erfolgen. 2014 wurde die Anstaltsverfügung überprüft. Die medizinische Leitung der Drucksache 21/3061 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 JVA Billwerder regte nunmehr aufgrund des Risikos eines Medikamentenmissbrauchs an, die Praxis zu überdenken und zur Unter-Sicht-Einnahme auch zur Nachtzeit zurückzukehren. Mit Wirkung vom 24. Juli 2014 wurde daher verfügt, dass die Nachtmedikation wieder durchgehend unter Sicht einzunehmen ist. Zusätzlich wurde aus Gründen der Sicherheit verfügt, dass die Einnahme unter Sicht zur Nachtzeit durch drei Bedienstete zu erfolgen hat. Aufgrund der personalintensiven Beteiligung des Allgemeinen Vollzugsdienstes an der Ausgabe der Nachtmedikation intervenierte die Personalvertretung im September 2014 und bat die Aufsichtsbehörde um eine rechtliche Überprüfung der Ausgabepraxis. Die Anstaltsverfügung in der Fassung vom 24. Juli 2014 wurde für den Zeitraum der rechtlichen Prüfung ausgesetzt und es wurde zur Praxis gemäß der Verfügung vom 3. Juli 2012 zurückgekehrt (Ausgabe beim Nachteinschluss). Erst mit Abschluss der rechtlichen Prüfung und Erlass einer für alle Anstalten geltenden Verfügung der zuständigen Behörde, die am 1. August 2015 in Kraft getreten ist (siehe Antwort zu 1. h)), wurde auf dieser Grundlage eine Anstaltsverfügung zur organisatorischen Umsetzung der Unter-Sicht-Einnahme erlassen. d) wer wurde wann und wie von der Änderung der Medikamentenvergabe unterrichtet: Wurde der zuständige Arzt von den für dieses Vorgehen Verantwortlichen über diese Vorgehensweise unterrichtet ? e) wurde die medizinische Leitung von der Änderung der Medikamentenvergabe unterrichtet? Die medizinische Abteilung der JVA Billwerder unter Leitung des Anstaltsarztes wird bei relevanten anstehenden Veränderungen beziehungsweise zu überprüfenden Anstaltsverfügungen zu medizinischen Fragestellungen im Vorwege stets um eine fachliche Stellungnahme gebeten. Vor Inkrafttreten einer Anstaltsverfügung erhält die medizinische Leitung nochmals eine Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Anstaltsarzt hatte somit Gelegenheit, an allen relevanten Anstaltsverfügungen mitzuwirken. Im Übrigen werden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JVA Billwerder in den regelmäßigen Mitarbeiterbesprechungen sowie durch Bekanntgabe der Anstaltsverfügungen im SharePoint der JVA, auf den alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JVA Zugriff haben, unterrichtet. Außerdem werden alle Anstaltsverfügungen an die Aufsichtsbehörde übersandt. f) für den Fall, dass keinerlei Unterrichtungen bezüglich der Medikamentenvergabe stattgefunden haben: warum nicht? Entfällt. g) hat die Anstaltsleitung von diesem Vorgehen Kenntnis? Wenn ja, seit wann und welche Maßnahmen wurden von der Anstaltsleitung aus dieser Kenntnisnahme abgeleitet? Ja. Alle Anstaltsverfügungen, deren Änderungen und deren Auswirkungen werden jeweils im Leitungsgremium der JVA Billwerder vor Inkrafttreten erörtert (siehe auch Antwort zu 1. d) und 1. e). Darüber hinaus gibt es seit Jahren einen Jour fixe zwischen Anstaltsleitung, Anstaltsarzt und Ambulanzleitung, in dem Themen des medizinischen Dienstes an die Anstaltsleitung herangetragen werden können. h) hat die zuständige Behörde von diesem Vorgehen Kenntnis? Wenn ja, seit wann und welche Maßnahmen wurden von der zuständigen Behörde aus dieser Kenntnisnahme abgeleitet? Ja, siehe Antwort zu 1. d) und 1 e). Die Abteilung Justizvollzug der Justizbehörde hat im September 2014 eine rechtliche Prüfung veranlasst und eine für alle Justizvollzugsanstalten geltende Verfügung zur Ausgabe von Arzneimitteln an Gefangene und Untergebrachte erlassen, die mit Wirkung vom 1. August 2015 in Kraft getreten ist: http://daten.transparenz.hamburg.de/Dataport.HmbTG.ZS.Webservice.GetRessource 100/GetRessource100.svc/894297b8-65e0-4009-aee0- 92281611435c/Akte_4550_8_1.pdf. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3061 3 2. Wird gegenwärtig bei der Medikamentenvergabe in der JVA Billwerder noch wie unter 1. beschrieben verfahren? Wenn ja, aus welchen Gründen? Wenn nein, a) wer hat die Änderung veranlasst und aus welchen Gründen? Siehe Antworten zu 1. c) und 1. h). b) wie wird gegenwärtig mit der Medikamentenvergabe bei Häftlingen in der Justizvollzugsanstalt verfahren, bei denen der Arzt die Einnahme unter Sicht verordnet? Diese Medikamente werden vom medizinischen Fachpersonal ausgegeben, ausnahmsweise , wenn kein medizinisches Fachpersonal zur Verfügung steht, vom Allgemeinen Vollzugsdienst, siehe auch Antworten zu 1. c) und 1. h). 3. Um welche Medikamente handelt es sich bei der unter 1. beschriebenen Vergabe? Es handelt sich um Arzneimittel, die nach ärztlicher Verordnung unter Sicht einzunehmen waren, siehe hierzu Ziffer II der unter 1. h) genannten Verfügung. 4. Wie viele Patienten sind von der der unter 1. beschriebenen Medikamentenvergabe betroffen? Am Stichtag 27. Januar 2016 waren es 34 Strafgefangene und vier Untersuchungsgefangene . 5. Wer hat diese Medikamente auf die unter 1. beschriebene Weise ausgegeben ? Sowohl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ambulanz als auch des Allgemeinen Vollzugsdienstes , siehe auch Antwort zu 2. b). 6. Haben in den letzten Monaten Durchsuchungen und Zellenrevisionen in der JVA Billwerder stattgefunden? Wenn ja, wurden hierbei die unter 3. aufzulistenden Medikamente sichergestellt? Beide Teilfragen sind zu bejahen. 7. Gibt es andere Hinweise darauf, dass es in der JVA Billwerder zu einer missbräuchlichen Verwendung von Medikamenten gekommen ist? Wenn ja, was gedenken die Verantwortlichen dagegen zu unternehmen? Ja. Durch Revisionen von Besuchern, Kontrollen gelockerter Gefangener, Urinkontrollen der Gefangenen, regelmäßige Haftraumrevisionen, schwerpunktmäßige Revisionen durch die Revisionsabteilung der Abteilung Justizvollzug (auch unter Einsatz von Spürhunden), Geländebegehungen sowie aufmerksames Beobachten Gefangener und Besucher wird gegengesteuert.