BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG Drucksache 21/3161 21. Wahlperiode 12.02.16 Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Dirk Nockemann und Dr. Ludwig Flocken (AfD) vom 05.02.16 und Antwort des Senats Betr.: Der Kampf gegen Salafismus und die Effizienz von Präventionsprogrammen Die Aktivität salafistischer Gruppierungen hat in Hamburg während der vergangenen Jahre stark zugenommen. Spätestens seit bekannt wurde, dass sich die Zahl der Jihadisten seit 2012 versiebenfacht hat, ist es nicht mehr möglich, das Problem zu verharmlosen oder gar zu ignorieren.1 Dass dies in Hamburg jedoch lange Zeit der Fall gewesen ist, kann man an der großen Bandbreite sehen, die salafistische Aktivitäten mittlerweile umfassen – neben den klassischen Koranständen, die in erster Linie der Werbung potenzieller Mitglieder sowie der Verteilung deutschsprachiger Koranausgaben dienen, erstreckt sich das Tätigkeitsfeld der Salafisten über Street-Dawah-Aktionen2, die Veranstaltung verschiedener Islam-Seminare bis auf Predigten in Hamburger Moscheevereinen.3 Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Salafisten offenbar gezielt versuchen, Flüchtlinge für ihre Sache zu gewinnen und dafür immer häufiger im Umfeld von Zentralunterkünften auftauchen.4 Auch ist es Salafisten gelungen, das ehrenamtlich beschäftigte Personal einer Zentralen Erstaufnahmestelle zu unterwandern. So wurde bereits ein als Dolmetscher beschäftigter Mann bei dem Versuch ertappt, minderjährige Flüchtlinge zum Dschihad in Syrien zu rekrutieren.5 Angesichts dieser Entwicklung hat nun auch der Hamburger Verfassungsschutz reagiert, indem er eine Informationsbroschüre mit dem Titel „Kompaktinformationen gegen Salafismus“ herausgegeben hat, die Mitarbeitern von Flüchtlingsunterkünften dabei helfen soll, salafistische Aktivitäten sowie entsprechendes Gedankengut frühzeitig zu erkennen.6 Da zur Eindämmung des 1 „Zahl der Dschihadisten hat sich seit 2012 versiebenfacht.“ „Hamburger Abendblatt“ online vom 15.12.2015. 2 Dabei handelt es sich um Aktionen, bei denen auf der Straße Informationsmaterial und islamische Literatur an Passanten verteilt und nicht selten auch Konversionen vorgenommen werden . Da hier keine gesetzliche Anmeldepflicht besteht, entziehen sich Ablauf und Ausmaß solcher Aktionen der Kenntnis des Senats. 3 „Abu Abdullah“: Salafistischer Prediger in der As-Sahaba-Moschee aktiv. Beitrag der Behörde für Inneres und Sport vom 30.Januar 2015. 4 Zuletzt hatte ein Mann im Zeitraum 8. – 10. Oktober 2015 in der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) Papenreye 1, 22453 Hamburg, Korane an Flüchtlinge verteilt. Confer Drs. 21/2807. 5 Confer Drs. 21/2807. 6 Damit ist der Senat endlich dem Beispiel Berlins gefolgt, wo eine entsprechende Handreichung bereits seit Monaten erhältlich ist. Die Broschüre, die auch von Schulen und Jugendeinrichtungen genutzt werden kann, ist ab sofort kostenlos im Internet unter www.hamburg.de/ verfassungsschutz verfügbar. Drucksache 21/3161 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 Salafismus jedoch nicht nur präventive Maßnahmen zählen, unterstützt der Hamburger Senat eine Reihe verschiedener Organisationen, die Aussteigerprogramme betreiben. Zu den bedeutendsten von ihnen zählen Legato, Al- Wasat (arabisch: die Mitte) sowie die Koordinierungsstellen der Schura Hamburg e.V., die der Senat jährlich mit einer Gesamtsumme von 540.000 Euro unterstützt, wovon allein die Legato7 einen Betrag von 300.000 Euro erhält. Da diese Organisationen gegenwärtig nur in Form von Jahresabschlussberichten über ihre Arbeit Rechenschaft ablegen, ist es faktisch nicht möglich, diese während des laufenden Kalenderjahrs zu überprüfen, um damit differenzierte Aussagen über ihre Effizienz zu treffen – ein Zustand, der in Hinblick auf die Summe bereitgestellter Fördergelder nicht hinnehmbar ist. Erste Zweifel an der Zweckmäßigkeit einzelner Aussteigerprogramme kamen im November 2015 auf, als das „Hamburger Abendblatt“ einen Artikel zur Tätigkeit der Organisation Al-Wasat veröffentlichte, die vom Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstitut Harburg geleitet wird.8 Der Bericht ist vor allem deshalb interessant, weil die Mitarbeiter von Al-Wasat hier ausnahmsweise einmal vor Jahresende Auskunft über ihre Erfolge im Kampf gegen den Salafismus geben. Dabei erklären sie, dass es ihnen gelungen sei, einen Dreizehnjährigen, der sich zuvor lange geweigert hatte, mit Frauen zu sprechen , davon zu überzeugen, dass dies im Islam nicht verboten sei – ein Erfolg, der den Steuerzahler im Jahr 2015 insgesamt 32.499,98 Euro gekostet hat9 und der vor dem Hintergrund der mittlerweile 270 Jihadisten in Hamburg äußerst fragwürdig ist. Besonders erhellend waren aber auch die Lösungsansätze, die das wissenschaftliche Kompetenzteam von Al-Wasat vorlegen konnte. So erklärte der Projektleiter Ali-Özgür Özdil, dass die Zeit gekommen sei, muslimischen Schülern endlich einen Gebetsraum zur Verfügung zu stellen, da diese ihre Religion im Unterricht ja nicht ablegten. Um den Salafismus präventiv zu bekämpfen, solle zudem die Nachbarschaft in Harburg gestärkt werden. Abgesehen davon, dass der vorgetragene Vorschlag gegen das im Grundgesetz fixierte Prinzip des Laizismus verstößt, ist offenkundig, dass mit einer „Stärkung der Nachbarschaft“ in Harburg jedenfalls nicht die Integration von Migranten in die deutsche Gesellschaft gemeint sein kann. Denn den Kalkulationen des Senats zufolge haben in Harburg 77,7 Prozent der Bevölkerung im Alter von null bis 17 Jahren einen Migrationshintergrund, auf der Veddel und in Wilhelmsburg beträgt der Vergleichswert gar 93,3 beziehungsweise 77,6 Prozent.10 Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass diese Stadtteile für ihre salafistischen Moscheen bekannt sind.11 Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat: Bei den Projekten, die durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“ und Landesmittel finanziert werden, handelt es sich um Präventionsprojekte gegen religiös 7 Die Beratungsstelle „Legato“ bietet systemische Ausstiegsberatung und ist zugleich Fachstelle für religiös begründete Radikalisierung. Träger ist die Vereinigung Pestalozzi GmbH in Zusammenarbeit mit Ambulante Maßnahmen Altona e.V. Die Beratungsstelle hat ihre Arbeit am 1. Juli 2015 aufgenommen. 8 „Gegen salafistische Menschenfänger helfen gute Nachbarschaften“. „Hamburger Abendblatt“ vom 1. November 2015. 9 Confer Drs. 21/1706. 10 Confer Drs. 21/2403. 11 Laut Verfassungsschutzbericht gilt die Harburger Taqwa-Moschee als „wichtigster Anlaufpunkt “ der Salafisten-Szene Hamburgs11, während man der ebenfalls in Harburg gelegenen Masjid-El-Iman-Moschee einen signifikanten Anstieg des salafistischen Einflusses diagnostiziert hat. Confer Verfassungsschutzbericht 2014. Seite 46. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode Drucksache 21/3161 3 begründeten Extremismus. Einzig die Fachstelle Legato bietet interventive Maßnahmen an, unter anderem auch eine Distanzierungsberatung. Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt: 1. Warum müssen aus öffentlicher Hand finanzierte Organisationen wie Al- Wasat für Aussteigerprogramme nur einmal pro Jahr in Form eines Abschlussberichts Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen? 2. Hat der Senat angesichts der fragwürdigen Erfolge, die Al-Wasat bisher vorweisen konnte, seine Unterstützung der Organisation kritisch hinterfragt ? 3. Wie erklärt der Senat, dass die Aussteigerprogramme trotz ihrer Subventionierung in Höhe von 540.000 Euro bisher keinen nennenswerten Effekt auf die Gesamtsituation in Hamburg entfalten konnten, dessen salafistische Szene nach wie vor wächst? Auch die Zuwendungen für die Projekte gegen religiös begründeten Extremismus laufen über das rechtlich normierte Zuwendungsverfahren. Zur Steuerung der Zuwendungen gehören der jährliche Sachbericht über Mittelverwendung und Zielerreichung (sogenannter Zuwendungsnachweis) sowie unterjährige Trägergespräche der fachlich verantwortlichen Behörden. Die Modellprojekte des Bundesprogramms „Demokratie leben“ werden sowohl durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) als auch durch die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) gesteuert, die Projekte der Freien und Hansestadt Hamburg ausschließlich durch die BASFI. Im Übrigen siehe Drs. 21/476. 4. Nimmt der Senat diese ernüchternde Tatsache zum Anlass, um sein Konzept zur Prävention von Salafismus sowie die dafür aufgewendeten Finanzmittel in toto zu überabreiten? Siehe Drs. 21/2578 und 21/2196. 5. Wie erklärt der Senat, dass die Aktivität von Salafisten sowie die Anzahl von Moscheen, die dem salafistischen Spektrum zugehörig sind, in Stadtteilen mit einem hohen Migrantenanteil der jüngeren Bevölkerung besonders hoch ausfällt? Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg hat wiederholt darauf hingewiesen , dass sich die salafistische Szene in Hamburg nicht auf bestimmte Stadtteile beschränkt. Sowohl hinsichtlich der Wohnorte als auch der Aktivitäten von Salafisten und Islamisten ist nahezu das gesamte Stadtgebiet betroffen (siehe hierzu Drs. 21/1278). Auch Moscheen sind nahezu über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Lediglich die Taqwa-Moschee in Harburg ist als zentrale Anlaufstelle für Salafisten einzustufen . Darüber hinaus werden verschiedene Moscheen auch von Salafisten besucht, die damit den Moscheen aber keine eigene Ausrichtung geben (siehe auch Drs. 21/2372). Die Salafisten versuchen mit ihren Aktivitäten besonders viele Menschen zu erreichen . Daher finden beispielsweise Koranverteilungsaktionen hauptsächlich in der Innenstadt statt (Spitaler Straße, Reesendammbrücke). Im Übrigen siehe Drs. 21/2483. 6. Findet es der Senat angemessen, dass von ihm finanzierte Wissenschaftler Lösungsvorschläge erarbeiten, denen zufolge in Hamburger Schulen Muslimen künftig standardmäßig Gebetsräume zur Verfügung gestellt werden sollen? Die Praxis der Schulen im Umgang mit religiösen Fragen kann der Broschüre des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) entnommen werden, siehe : Drucksache 21/3161 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 4 http://li.hamburg.de/contentblob/2819048/data/pdf-vielfalt-in-der-schule-handbuchfuer -lehrkraefte-2015.pdf. Im Übrigen hat sich der Senat hiermit nicht befasst. 7. Wie sieht der Bildungshintergrund der Angehörigen des wissenschaftlichen Kompetenzteams von Al-Wasat im Detail aus? Bitte nach Ausbildung und Gehalt auflisten. Das Projekt Al-Wasat hat insgesamt fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Alle verfügen über Hochschulabschlüsse (http://www.alwasat-hamburg.de/index.php/ueberuns /unser-team). Die Bezahlung erfolgt der Stellenbewertung entsprechend: 01.02.2015-31.12.2015 Eingruppierung Stellenumfang in Std. E 15 TVöD 19,5 E 13 TVöD 19,5 E 13 TVöD 19,5 E 9b TVöD 9,75 E 13 TVöD 19,5